Insolvenzrecht

Zulässigkeit eines Auskunftsersuchens des Insolvenzverwalters

Aktenzeichen  605 IN 468/15

Datum:
8.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DGVZ – 2018, 185
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Rosenheim
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
InsO § 4
ZPO § 766, § 794 Abs. 1 Nr. 3, § 802, § 802a Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses im Insolvenzverfahren stellt einen für ein Auskunftsersuchen ausreichender Vollstreckungstitel dar. (redaktioneller Leitsatz)
2.  § 802 ZPO ist grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren anwendbar.  (redaktioneller Leitsatz)
3.  Der Insolvenzverwalter ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt und verpflichtet, im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens Auskunftsersuchen an den Gerichtsvollzieher zu richten.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, nach Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses an den Insolvenzschuldner, die Auskünfte über den Insolvenzschuldner nach § 802 I Abs. 1 S.1 ZPO zu erheben und dem Insolvenzverwalter zur Verfügung zu stellen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist die Zulässigkeit eines Auskunftsersuchens des Insolvenzverwalters nach §§ 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 802 l ZPO.
Mit Beschluss vom 27.01.2016 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldner hatte vor der Insolvenzeröffnung selbstständig eine Gaststätte betrieben. 20 Gläubiger des Schuldners haben mittlerweile Forderungen in Höhe von mehr als 61.000,00 € angemeldet. In seinem Bericht vom 08.04.2016 teilte der Insolvenzverwalter unter anderem mit, dass eine Kontaktaufnahme mit dem Schuldner nicht mehr möglich sei. Der Schuldner sei nach einer Zwangsräumung an einen unbekannten Ort verzogen. Auf telefonische und schriftliche Anfragen habe der Schuldner zuletzt nicht mehr reagiert. Lediglich die vormalige Vermieterin des Schuldners gab gegenüber dem Insolvenzverwalter an, dass der Schuldner seit dem 15.02.2016 eine neue Anstellung aufgenommen habe. Unter der zuletzt bekannten Anschrift wurde der Schuldner zur Anhörung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Insolvenzgericht zu einem Termin am 10.05.2016 geladen. Der Schuldner meldete sich jedoch nicht.
Unter Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses vom 27.01.2016 beantragte der Insolvenzverwalter gemäß § 802 a Abs.2 S.1 Nr.3 ZPO beim zuständigen Gerichtsvollzieher die Einholung von Auskünften Dritter über das Vermögen des Schuldners gemäß § 802 I ZPO. Gerade über die Anfrage bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung soll der derzeitige Arbeitgeber des Schuldners ermittelt werden.
Mit Schreiben vom 01.06.2016 lehnte der Gerichtsvollzieher die Einholung der beantragten Auskünfte ab, da der Insolvenzverwalter nach seiner Auffassung nicht berechtigt sei, einen solchen Auftrag an den Gerichtsvollzieher zu stellen.
Gegen diese ablehnte Entscheidung des Gerichtsvollziehers legte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 21.06.2016 Erinnerung nach § 148 Abs. 2 S. 2 InsO ein.
Aus Sicht des Insolvenzverwalters stellt der Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO nicht nur einen reinen Herausgabetitel dar, mit dem lediglich die Herausgabevollstreckung gemäß §§ 833 ff. ZPO betrieben werden könne. Der Eröffnungsbeschluss dient als Titel auch zur Durchsetzung von Geldforderungen gegen den Schuldner. Die Durchsetzung der Auskunftsansprüche gegenüber dem auskunftsunwilligen Schuldner nach § 98 InsO sei gegenüber Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 148 Abs. 2 S.1 InsO subsidiär. Die Auskunftsrechte nach § 8021 ZPO seien auch im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger würden die Bagatellgrenze von 500,00 € nach § 802 I Abs.1 S. 2 ZPO überschreiten und regelmäßig sei im Insolvenzverfahren auch nicht von einer vollständigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger auszugehen. Anders als im Insolvenzeröffnungsverfahren sei im eröffneten Insolvenzverfahren der Insolvenzgläubiger berechtigt, entsprechende Auskunftsersuchen an den Gerichtsvollzieher zu stellen.
Der Gerichtsvollzieher ist der Ansicht, dass nur das Insolvenzgericht einen entsprechenden Auskunftsantrag als zuständiges Organ an den Gerichtsvollzieher stellen könne. Die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses sei kein geeigneter Vollstreckungstitel. Aus dem Eröffnungsbeschluss könne auch nicht festgestellt werden, dass die zu vollstreckenden Ansprüche noch mindestens 500,00 € betragen. Eine Prüfung der Bagatellgrenze nach § 802 I Abs.1 S.2 ZPO sei nicht möglich. Eine Antragstellung nach § 802 I ZPO könne in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 InsO nur durch das Insolvenzgericht erfolgen.
II.
Die Erinnerung des Insolvenzverwalters ist zulässig und begründet.
1.
Weigert sich der Gerichtsvollzieher, einen Zwangsvollstreckungsauftrag des Insolvenzverwalters durchzuführen, so ist gemäß § 766 ZPO die Erinnerung an das Insolvenzgericht gegeben (§ 148 Abs. 2 Satz 2 InsO.
2.
Die zulässige Erinnerung ist auch begründet.
Der Gerichtsvollzieher ist nicht berechtigt, dass Auskunftsersuchen des Insolvenzverwalters nach §§ 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 802 I ZPO mit der Begründung zu verweigern, die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses stelle keinen ausreichenden Vollstreckungstitel dar und der Insolvenzverwalter sei grundsätzlich nicht berechtigt, entsprechende Auskunftsersuchen gegenüber dem Gerichtsvollzieher zu beantragen.
a)
Die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses bildet einen Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
Mit dem Eröffnungsbeschluss kann jedoch nicht nur die Herausgabevollstreckung gemäß den §§ 833 ff ZPO, § 148 Abs. 2 InsO betrieben werden.
Der Umfang der Herausgabepflicht in § 148 InsO wird durch die §§ 35, 36 InsO bestimmt. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter die Gegenstände der Insolvenzmasse in Besitz und Verwaltung zu nehmen (§ 148 Abs.1 InsO). Neben der Insbesitznahme gehört auch die Einziehung und notfalls gerichtliche Durchsetzung von Forderungen zu den insolvenzspezifischen Pflichten des Insolvenzverwalters (vgl. Uhlenbruck/Sinz InsO 14. Auflage 2015, § 148 Rn. 7).
Der Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO stellt aber nicht nur einen Herausgabetitel dar, sondern auch einen Zahlungstitel gegen den Schuldner, der den Insolvenzverwalter ermächtigt, auch massezugehörige Forderungen durchzusetzen.
So hat entsprechend den, aus Sicht des Gerichts zutreffenden Ausführungen des Insolvenzverwalters in seiner Erinnerung vom 21.06.2016, der BGH in einem Urteil vom 03.11.2011 (Az. IX ZR 46/11) über die Klage eines Treuhänders gegen den Schuldner auf Zahlung des teilweise nicht abgeführten pfändbaren Einkommens bestätigt, dass der Eröffnungsbeschluss auch im Hinblick auf massezugehörige Forderungen gegen den Schuldner einen Vollstreckungstitel darstellt. Nach dem Urteil des OLG Koblenz vom 14.10.2011 {Az: 10 O 1394/10) enthält der Eröffnungsbeschluss das an den Drittschuldner gerichtete Verbot, an den Schuldner mit befreiender Wirkung zu zahlen. Durch eine Leistung des Drittschuldners würde keine Befreiung von der Schuld eintreten und es müsste gegebenenfalls an den Insolvenzverwalter erneut geleistet werden. Nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 12.07.2008 (Az. 10 AZR 148/07) nimmt der Insolvenzverwalter die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahr und er kann deshalb nach dem Eröffnungsbeschluss, der wie ein Pfändungs-und Überweisungsbeschluss im Vollstreckungsverfahren wirkt, vom Drittschuldner die Zahlung angemessener Vergütung nach § 850 h Abs.2 S.1 ZPO verlangen.
Die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses stellt daher einen für ein Auskunfts-ersuch nach § 8021 ZPO ausreichenden Vollstreckungstitel dar.
b)
Die Erhebung der Auskünfte nach § 8021 Abs.1 S.1 ZPO durch den Gerichtsvollzieher ist auch im Insolvenzverfahren gemäß § 4 InsO i. V. m. § 8021 ZPO zulässig und zur Sachverhaltsaufklärung im gegenständlichen Verfahren verhältnismäßig.
§ 802 I ZPO ist grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren anwendbar (vgl. AG München, Beschluss vom 12.02.2016 – 1503 IN 3339/15 und Siebert NZI 2016, 541 f).
Die Anwendung von Vorschriften des 8. Buches der ZPO ist im Insolvenzverfahren nämlich immer dann möglich, wenn diese von dem Gegensatz zwischen Gesamt- und Einzelvollstreckung nicht berührt werden (vgl. Ganter/Lohmann in MüKo zur InsO, Band 1, 3. Aufl. 2013 § 4 Rn. 33). Die Auskunftserteilung nach § 802 I ZPO wird grundsätzlich durch den Gläubigerantrag in der Einzelvollstreckung angestoßen, sie liegt aber im Interesse aller Gläubiger.
Der Anwendbarkeit von § 802 I ZPO steht auch nicht entgegen, dass die § 20, 97, 98 InsO nicht auf § 802 I ZPO verweisen ( vgl. AG München, Beschluss vom 12.02.2016, a. a. O.). Wenn der Gesetzgeber schon die Verhaftung des Schuldners unter Verweis auf die Vorschrift von § 802 g ZPO zugelassen hat, müssten über § 4 InsO erst Recht die Vorschriften mit einer wesentlich geringeren Eingriffsintensität anwendbar sein, wie zum Beispiel, auch § 8021 ZPO.
c)
Die Auskunftserteilung ist im gegenständlichen Verfahren zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners erforderlich, notwendig und angemessen. Der Schuldner hat den Kontakt mit dem Insolvenzverwalter abgebrochen und auch einem ordnungsgemäß zugestellten Anhörungstermin beim Insolvenzgericht ist der Schuldner unentschuldigt nicht nachgekommen. Über die Auskunftserteilung nach § 802 I ZPO können aber wichtige Informationen über die Einkommens- und Vermögenslage des nicht mitwirkungsbereiten Schuldners gewonnen werden.
Der Schuldner war nicht willens, seinen aktuellen Arbeitgeber zu nennen. Über die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung können aber aktuelle Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ermittelt werden. Auch über das Bundeszentralamt für Steuern und das Kraftfahrt-Bundesamt können für den Insolvenzverwalter zu Mehrung der Insolvenzmasse wichtige Informationen erholt werden, wenn der Schuldner seinen Auskunftspflichten nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht nachkommt.
Das Überschreiten der Bagatellgrenze von 500,00 € gemäß § 802I Abs. 2 ZPO kann der Insolvenzverwalter dem Gerichtsvollzieher gegenüber durch Vorlage von Tabellenauszügen belegen.
d)
Es ist Aufgabe des Insolvenzverwalters, Auskunftsersuchen nach §§ 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 802I ZPO an den Gerichtsvollzieher zu stellen.
Eine eigenständige Informationseinholung durch das Insolvenzgericht ist nicht möglich, da das Bundesverfassungsgericht für den Eingriff in das Recht auf informelle Selbstbestimmung postuliert hat, dass im Gesetz angegeben werden muss, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Informationserhebungen berechtigt sein soll (vgl. AG München a. a. O., BVerfG.NJW 2007,2464).
Anders als im Insolvenzeröffnungsverfahren ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter berechtigt und verpflichtet, Auskunftsersuchen nach § 802 I ZPO an den Gerichtsvollzieher zu richten. Lediglich im Insolvenzeröffnungsverfahren kann das Insolvenzgericht bei Verstößen des Schuldners gegen seine Auskunftspflicht im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 5 Abs. 1 InsO Auskunftsersuchen an den Gerichtsvollzieher richten.
Nach alledem ist die Erinnerung begründet.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann die sofortige Beschwerde (im Folgenden: Beschwerde) eingelegt werden. Die Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem
Amtsgericht Rosenheim Bismarckstr. 1 83022 Rosenheim
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung bzw. mit der wirksamen öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 9 InsO im Internet (www.insolvenz-bekanntmachungen.de). Die öffentliche Bekanntmachung genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn die insO neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt, § 9 Abs. 3 InsO. Sie gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO. Für den Fristbeginn ist das zuerst eingetretene Ereignis {Verkündung, Zustellung oder wirksame öffentliche Bekanntmachung) maßgeblich.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gerichte eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Die Beschwerde ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.
Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.

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