Aktenzeichen M 11 K 14.30854
Leitsatz
Eine Betreibensaufforderung, mit der der Asylbewerber aufgefordert wird, Auskunft über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete oder durchgeführte Asylverfahren zu machen, ist zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Juni 2014 wird in Nrn. 4 und 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Somalia vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
Das Gericht kann entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (vgl. § 102 Abs. 1 VwGO).
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der mündlichen Verhandlung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Asylgesetz – AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Die im Hauptantrag auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gerichtete Klage ist unbegründet. Die Klage ist ebenfalls unbegründet, als sie im (ersten) Hilfsantrag auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichtet ist (zu Beidem im Folgenden unter 1.). Die Beklagte ist dagegen verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen (im Folgenden unter 2.); der angefochtene Bescheid ist in den Nummern 4 und 5, welche dieser Verpflichtung entgegen stehen, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihm Flüchtlingsschutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch auf die Verpflichtung der Beklagten, ihm den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.
Bei dem streitgegenständlichen Asylverfahren handelt es sich in rechtlicher Hinsicht um ein Asylfolgeverfahren i. S. v. § 71 AsylG (im Folgenden 1.1.). Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG liegen nicht vor (im Folgenden 1.2.).
1.1. Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, handelt es sich nach der Legaldefinition des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG um einen Folgeantrag. Ein solcher liegt hier nach § 71 Abs. Satz 1 Var. 1 AsylG vor, weil der Asylerstantrag des Klägers vom 16. August 2010 gemäß § 33 AsylG bzw. hier gemäß § 33 AsylVfG a. F. als zurückgenommen gilt. Entgegen der Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG ist hier auf die zum damaligen Zeitpunkt geltende Fassung der Vorschrift abzustellen. Das ergibt sich aus dem zugrundeliegenden materiellen Recht. Denn die Rechtsfolge des Nichtbetreibens des Asylverfahrens ist der Eintritt der Rücknahmefiktion zum damaligen Zeitpunkt, genauer gesagt einen Monat nach dem Zugang der Betreibensaufforderung. Die Rücknahmefiktion stellt daher einen zum damaligen Zeitpunkt unter Geltung des damaligen Rechts abgeschlossenen Vorgang dar, auf den sich eine Rechts- bzw. Gesetzesänderung materiell-rechtlich nicht mehr auswirken kann, wobei letztlich die Rechtslage nach der Vorschrift des § 33 AsylG in der aktuellen Fassung im Ergebnis auch nicht anders wäre. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Rücknahmefiktion lagen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG a. F. (bzw. § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) vor. Zwar war die Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 unwirksam, soweit dem Kläger aufgegeben wurde, sich „auswertbare“ Fingerabdrücke abnehmen zu lassen (Nr. 1 in der Betreibensaufforderung vom 23.08.2010; vgl. hierzu BVerwG, U. v. 05.09.2013 – 10 C 1/13 -, juris Rn. 24; U. v. 17.06.2014 – 10 C 7/13 -, juris Rn. 20). Die zweite, selbstständige Forderung nach der Mitteilung des Reisewegs und der Äußerung dazu, ob ggf. bereits ein Asylantrag in einem anderen Land gestellt wurde (Nr. 2 in der Betreibensaufforderung vom 23.08.2010) ist dagegen nicht zu beanstanden; nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tritt diese in Konstellationen wie der vorliegenden selbstständig neben die Forderung in Nr. 1 der Betreibensaufforderung (BVerwG, U. v. 17.06.2014 – 10 C 7/13 -, juris Rn. 21 und 23).
Diese zweite Aufforderung löste die Rechtsfolge der Rücknahmefiktion aus: Die Voraussetzungen für eine wirksame Beteibensaufforderung liegen vor. Der Kläger war nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG a. F. (bzw. entsprechend § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) verpflichtet, die vom Bundesamt angeforderten Angaben zu machen. Zu den Angaben, die von einem Asylbewerber verlangt werden können, zählen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (bzw. entsprechend § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylG) auch solche über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete oder durchgeführte Asylverfahren (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 05.09.2013 – 10 C 1/13 -, juris Rn. 33). Die Betreibensaufforderung enthielt die vorgeschriebene Rechtsfolgenbelehrung, sie wurde dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 7. September 2010 zugestellt (Bl. 33 der Bundesamtsakte) und ihm wurde nach Aktenlage auch eine Übersetzung der Betreibensaufforderung in Somali zur Verfügung gestellt. Eine Reaktion innerhalb der Monatsfrist liegt nicht vor. Dadurch tritt kraft Gesetzes die Rechtsfolge der fiktiven Rücknahme des Asylverfahrens ein. Es spricht nichts dagegen, diese gesetzliche Rechtsfolge nur dann anzuwenden, wenn das Bundesamt ihr Eintreten auch erkannt hat, was hier nicht der Fall ist. Der Ausspruch der Verfahrenseinstellung ist nur deklaratorisch. Dadurch wird auch der Rechtsschutz des Klägers nicht unzulässig verkürzt, denn zwar hat das Bundesamt mit dem Bescheid vom 21. November 2011 den Asylantrag des Klägers für unzulässig erklärt und nicht das Verfahren richtigerweise eingestellt. Aber der Kläger konnte gegen diesen Bescheid Rechtsschutz erlangen, weswegen eine Rechtsschutzlücke nicht besteht. Nachdem dieser Bescheid ohnehin bestandskräftig ist, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Asylantrag des Klägers in jedem Fall um einen Folgeantrag. Auch diesbezüglich schadet es nicht, dass das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid vom 18. Juni 2014 zwar zutreffend von einem Folgeantrag spricht (vgl. § 33 Abs. 5 AsylG), diesen aber dann wie einen „normalen“ Erstantrag prüft, denn die wirkliche Sach- und Rechtslage ist vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen.
1.2. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG liegen nicht vor. Diesbezüglich ist weder etwas geltend gemacht noch sonst etwas ersichtlich. Der Kläger trägt nicht beispielsweise vor, zwischenzeitlich erneut im Herkunftsland gewesen zu sein oder dass Nachfluchtgründe eingetreten wären.
Daher ist die Klage im Hauptantrag sowie im ersten Hilfsantrag abzuweisen. Damit ist die Bedingung für die Entscheidung über den (zweiten) Hilfsantrag eingetreten.
2. Die Beklagte ist verpflichtet, bei dem Kläger das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Anders als hinsichtlich der übrigen Streitgegenstände ist über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG im streitgegenständlichen Bescheid erstmals entschieden (vgl. auch § 32 Satz 1 AsylG).
Ob beim Kläger wegen der, allerdings zeitlich schon sehr weit zurückliegenden Vorlage von ärztlichen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren ein Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Betracht kommt, kann offen bleiben. Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. In vergleichbaren Fällen, beim Kläger handelt es sich um einen aus Mogadischu stammenden Mann ohne die Perspektive, im Falle einer Rückkehr nach Somalia von seiner Familie oder sonst irgendwem Unterstützung zu erhalten, wird in den Entscheidungen der Kammer, welcher der entscheidende Richter angehört, wenigstens die Zuerkennung subsidiären Schutzes gewährt (vgl. z. B. VG München, U. v. 28.08.2015 – M 11 K 14.31130 -, juris; U. v. 20.01.2016 – M 11 K 14.31177). Das ist wegen des Umstandes, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren i. S. v. § 71 AsylG handelt und die Voraussetzungen von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (siehe oben) zwar nicht möglich. Jedoch spricht nichts dagegen, in einem derartigen Fall bei der immer noch zu prüfenden Frage eines Abschiebungsverbots auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG die o.g. Umstände in Bezug auf das mutmaßliche Schicksal des Klägers als alleinstehendem Rückkehrer zu berücksichtigen und bei Vorliegen der Voraussetzungen die Beklagte zur Gewährung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu verpflichten.
Der Klage war daher im weiteren Hilfsantrag zu entsprechen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.