Aktenzeichen 1 NE 16.1384
Leitsatz
1 Eine Gemeinde kann anstelle der Nachbesserung eines Bebauungsplans einen neuen Bebauungsplan aufstellen, um iRd wiederaufgenommenen Planfeststellungsverfahrens einen Rechtsmangel zu beheben (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 51147). (redaktioneller Leitsatz)
2 An die Anforderungen einer möglichen subjektiven Rechtsverletzung zur Begründung der Antragsbefugnis sind auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB geht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Anträge werden abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung A… mit Rinderhaltung. Er ist zudem im Besitz einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Mastschweinestalls für 252 Schweine. Der Betrieb des Antragstellers befindet sich im Bereich des (früheren) Plangebiets des Bebauungsplans „Natur- und Erholungsraum A… …“, der mit rechtskräftigem Urteil des Senats vom 1. April 2015 – 1 N 13.1138 – für unwirksam erklärt wurde. Er grenzt nicht unmittelbar an das verfahrensgegenständliche Plangebiet an, sondern ist davon durch einen östlich liegenden weiteren landwirtschaftlichen Betrieb getrennt. Der zuletzt am 23. Oktober 2014 für das verfahrensgegenständliche Plangebiet bekannt gemachte und rückwirkend zum 27. November 2013 in Kraft gesetzte Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße“ wurde mit Beschluss des Senats vom 17. April 2015 – 1 NE 14.2678 – außer Vollzug gesetzt. Auf die Gründe des den Hauptbeteiligten bekannten Beschlusses vom 17. April 2015 wird verwiesen. Der Antragsteller hat gegen diesen Bebauungsplan Normenkontrollklage erhoben, die beim Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 1 N 14.2552 anhängig ist. Gegen die von der Antragsgegnerin im weiteren Verlauf mit Beschlüssen vom 28. Juli 2015 und 31. Mai 2016 aufgestellten Bebauungspläne „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ und „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“ hat der Antragsteller vorsorglich Normenkontrollklage erhoben.
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass der Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße“ in der Fassung der am 28. Juli 2015 und in der Fassung der am 31. Mai 2016 beschlossenen Änderungen außer Vollzug gesetzt ist.
Hilfsweise beantragt er,
den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ vom 28. Juli 2015 und den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“ vom 31. Mai 2016 außer Vollzug zu setzen.
Er macht im Wesentlichen geltend, dass es sich bei den Teil-Bebauungsplänen nicht um eigenständige Bebauungspläne handle, sondern um die Änderung des Bebauungsplans „Wohngebiet westlich der G… Straße“. Bei der Bauleitplanung handle es sich um eine Verhinderungsplanung gegen seinen Betrieb. Die schnelle Verwirklichung des Wohngebiets sei nur so erklärbar, dass fiskalische Erwägungen, die in unzulässiger Weise den Abwägungsprozess beeinflusst hätten, im Vordergrund stünden. Unter Verweisung auf seine mit Schreiben vom 6. Juli 2015 und 25. April 2016 in den Verfahren „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ und „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“ erhobenen Einwendungen trägt er vor, durch die heranrückende Wohnbebauung in seiner betrieblichen Entwicklung eingeschränkt zu werden. Seine Belange seien im Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie sieht den Antragsteller nicht als antragsbefugt an, weil er eine mögliche Rechtsbetroffenheit nicht ausreichend dargelegt habe. Die im Beschluss des Senats vom 17. April 2015 aufgeführten Mängel seien behoben worden, der Betrieb des Antragstellers sei durch die vorliegende Bauleitplanung weder im genehmigten Umfang noch im Falle einer weiteren Betriebserweiterung beeinträchtigt. Der Umstand, dass der Antragsteller nach Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans „Natur- und Erholungsraum A… …“ zusätzliche „Geruchsbelastungen“ für seinen Betrieb gegenüber einer neuen schutzbedürftigen Wohnbebauung in Anspruch nehmen könne, sei in der Abwägung berücksichtigt worden. Die Gemeinde habe mit der Aufteilung der Plangebiete „einen neuen Bebauungsplan“ erlassen. Die Vermutung des Antragstellers, hinter der Umsetzung des Bebauungsplans stünden fiskalische Interessen, sei unzutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Normaufstellungsakten sowie auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren des Normenkontrollantrags (1 N 14.2552) Bezug genommen.
II. 1. Der Antrag, die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans „Wohngebiet westlich der G… Straße“ gegenüber den geänderten Bebauungsplänen zu bestätigen, ist nicht statthaft, weil der zugrunde liegende Bebauungsplan durch die (neuen) Bebauungspläne „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ und „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“ konkludent aufgehoben worden ist und der Beschluss des Senats vom 17. April 2015 – 1 NE 14.2678 – keine Wirkung mehr entfaltet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bilden die Bebauungspläne für den nördlichen und den südlichen Teil keine Einheit mit dem ursprünglichen Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße“. Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen des Verfahrens zur Fehlerbehebung entschieden, den ursprünglichen Bebauungsplan durch zwei voneinander unabhängige, selbstständige Bebauungspläne zu ersetzen, die jeweils für abgegrenzte Räume für den nördlichen und südlichen Bereich eigenständige städtebauliche Regelungen enthalten. Sie hat dafür auch zwei selbstständige Planungsverfahren unter Beteiligung der Träger der öffentlichen Belange und der Öffentlichkeit durchgeführt sowie darauf verzichtet, die Bebauungspläne rückwirkend in Kraft zu setzen. Beide Bebauungspläne enthalten die nach Auffassung der Antragsgegnerin erforderlichen Festsetzungen, ohne auf Regelungen des ursprünglichen Bebauungsplans zu verweisen. Es handelt sich daher nicht um unselbstständige, vom Bestand des ursprünglichen Bebauungsplans abhängige Änderungen, sondern um zwei neue Bebauungspläne. Die Aufspaltung des ursprünglich einheitlichen Bebauungsplans ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Dem Antragsteller mag zwar zugestanden werden, dass die Bebauungspläne mit Ausnahme der (durch die Aufspaltung bedingten) Schaffung einer Wendemöglichkeit an der Erschließungsstraße im nördlichen Bereich und der Neufassung der im Beschluss des Senats vom 17. April 2015 beanstandeten bedingten Festsetzung Nummer 13 im Wesentlichen identisch mit der ursprünglichen Planung sind. Die Antragsgegnerin ist jedoch nicht gehindert, anstelle einer Nachbesserung des „alten Bebauungsplans“ einen neuen Bebauungsplan aufzustellen mit dem Ziel, in dem „wiederaufgenommenen“ Planaufstellungsverfahren den im Beschluss des Senats aufgeführten Rechtsmangel zu beheben (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2000 – 4 BN 31.99 – BauR 2000, 1008 zur Behebung eines Rechtsmangels nach einer Entscheidung im Normenkontrollverfahren). Zudem spricht für die Aufspaltung, dass im südlichen Bereich die immissionsrechtliche Problematik zu bewältigen war. Aus diesem Grund entfaltet die einstweilige Anordnung des Senats vom 17. April 2015 keine Wirkung mehr. Die Frage, ob sich die Bindungswirkung einer gerichtlichen Eilentscheidung bei Durchführung eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB auch auf die geänderte Fassung des Bebauungsplans erstreckt, stellt sich somit im vorliegenden Fall nicht.
2. Die hilfsweise gestellten Anträge nach § 47 Abs. 6 VwGO, den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ und den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“, außer Vollzug zu setzen, sind unzulässig, weil dem Antragsteller die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO fehlt. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange als möglich erscheinen lassen. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215).
2.1 Die Antragsbefugnis im Hinblick auf den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, nördlicher Teil“ ist angesichts der Ausführungen im Beschluss des Senats vom 17. April 2015 (BA Rn. 11), die sich mit der Unzulänglichkeit der planerischen Bewältigung der Geruchsproblematik im Hinblick auf die im südlichen Teil des Plangebiets festgesetzte Wohnbebauung beschäftigen, weder erkennbar noch ausreichend dargelegt. Dazu, dass die Wohnbebauung im nördlichen Bereich des Plangebiets entgegen der vorgelegten Unterlagen einer unzumutbaren Geruchsbelastung durch den Betrieb des Antragstellers ausgesetzt und sein Betrieb deshalb an einer möglichen Erweiterung gehindert sein könnte, verhält der Antragsteller sich nicht.
2.2 Ebenso fehlt auch die Antragsbefugnis im Hinblick auf den Bebauungsplan „Wohngebiet westlich der G… Straße, südlicher Teil“. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Abwägung unter Berücksichtigung der ergänzenden Prüfung der Geruchsimmissionen durch den Gutachter vom 18. Mai 2015 und 12. November 2015 nicht nur den aktuell genehmigten landwirtschaftlichen Betrieb einschließlich der Baugenehmigung zur Errichtung eines Mastschweinestalls in ihre Erwägungen einbezogen, sondern auch eine (fiktive) Entwicklungsmöglichkeit des Antragstellers berücksichtigt, obwohl der Antragsteller keine konkreten Erweiterungsabsichten vorgetragen hat (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2016 Nummer 2.2 mit Ausführungen zu den nach der Geruchsimmissionsrichtlinie für ein Wohngebiet maßgeblichen Werten). Mit dieser nach dem Beschluss des Senats vom 17. April 2015 planungsrechtlich neuen Situation, die dem Antragsteller weitere Entwicklungsmöglichkeiten zubilligt, setzt sich der Antragsteller nicht auseinander. Allein der pauschale Verweis auf eine mögliche Beeinträchtigung abstrakter Entwicklungsmöglichkeiten und auf frühere Einwendungen sowie die Darlegung der historischen Entwicklung einschließlich einer vermeintlichen wechselseitigen Betroffenheit entspricht nicht den Anforderungen, die an eine substantiierte Darlegung einer möglichen Rechtsverletzung gestellt werden. Soweit der Antragsteller weitere Mängel der Bauleitplanung anführt ist eine Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG. Sie orientiert sich an Nummern 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).