Aktenzeichen M 2 K 15.31381
Leitsatz
Albanien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd § 29a AsylG. Dort besteht auch grundsätzlich Zugang zur staatlichen Krankenversicherung und deshalb an sich von Gesetzes wegen Anspruch auf eine kostenlose Behandlung, allerdings ist das Gesundheitswesen hochgradig korruptionsbelastet, Bestechungsgelder werden verlangt und gezahlt. (redaktioneller Leitsatz)
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis liegt trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung vor, wenn der betroffene Ausländer nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (ebenso BVerwG BeckRS 2003, 20532) und bei der Rückkehr eine erhebliche konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand alsbald wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 170968). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid vom 9. Oktober 2015 wird insoweit aufgehoben, als in Ziff. 4 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint und in Ziff. 5 die Abschiebung nach Albanien angedroht wird. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Albaniens vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des gerichtkostenfreien Verfahrens tragen der Kläger zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel.
Gründe
Über die Klage kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem das Bundesamt generell und der Kläger mit Schreiben vom 24. August 2016 auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Asylanerkennung und Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich unbegründet ist. Der Kläger kommt aus Albanien, einem im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) sicheren Herkunftsstaat (Art. 16a Abs. 3 GG, § 29a i. V. m. Anlage 2 AsylG) und ist nach eigenen Angaben nur aus gesundheitlichen Gründen, nämlich um sich hier behandeln zu lassen, nach Deutschland gekommen (vgl. § 30 Abs. 1 AsylG). Dem Kläger droht in Albanien auch kein ernsthafter Schaden i. S. v. § 4 AsylG, weshalb er auch nicht subsidiären Schutz beantragen kann. Ebenso wenig liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 9. Oktober 2015 verwiesen.
Die Klage ist jedoch insoweit begründet, als die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet werden soll. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Albaniens vorliegen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG erfasst dabei nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr., BVerwG, U. v. 25.11.1997 – Az. 9 C 58.96 – juris; BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; BayVGH, U. v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich dabei auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, etwa weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, etwa weil er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (BVerwG, U. v. 29.10.2002, a. a. O.; BayVGH, U. v. 8.3.2012, a. a. O.). Dabei setzte die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr nach der Rechtsprechung schon bisher voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U. v. 25.11.1997, a. a. O.). Bei einen krankheitsbedingtem Abschiebungshindernis sind im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nunmehr auch die mit Wirkung vom 17. März 2016 in § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügten Sätze 2 bis 4 zu beachten. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, wobei es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, und eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Im Fall des Klägers sind die Voraussetzungen für ein solches krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben. Er leidet zur Überzeugung des Gerichts an den schwerwiegenden Erkrankungen, die in den vorgenannten fachärztlichen Berichten aufgrund eingehender Untersuchungen und z. T. längerer Klinikaufenthalte bescheinigt werden. Für das Gericht steht auch zweifelsfrei fest, dass diese Erkrankungen weiterhin behandlungsbedürftig sind und der Kläger auch in näherer Zukunft dringend auf qualifizierte ärztliche Hilfe und gegebenenfalls stationäre Behandlung angewiesen ist. Im Einzelfall des Klägers hat das Gericht auch keine Zweifel, dass er die erforderliche Behandlung in Albanien nicht erlangen kann. Zwar dürfte nach Maßgabe der vorliegenden Erkenntnismittel davon auszugehen sein, dass viele Erkrankungen grundsätzlich auch in Albanien behandelbar sind. Der Kläger und sein Bruder haben selbst berichtet, dass eine Behandlung in Albanien auch stattgefunden hat. Allerdings haben sie auch glaubhaft vorgetragen, dass nicht einmal der infolge des vor sechs Jahren erlittenen Unfalls aufgetretene Dekubitus erfolgreich behandelt werden konnte, und bereits diese Erkrankung kann nach ärztlicher Auskunft bei unsachgemäßer Behandlung zu lebensbedrohlichen Folgeerkrankungen führen. Hinzu kommen die weiteren Krankheiten, insbesondere der Niere und des Harnwegs, sowie die chronischen Schmerzen, die eine spezielle Medikation des weitgehend gelähmten Klägers erfordern. Zwar dürfte der Kläger in Albanien grundsätzlich Zugang zur staatlichen Krankenversicherung und deshalb an sich von Gesetzes wegen Anspruch auf eine kostenlose Behandlung haben. Gleichwohl ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger die erforderliche Behandlung tatsächlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit erlangen kann, weil er nicht über die hierfür benötigten finanziellen Mittel verfügt. Die Beklagte weist im streitgegenständlichen Bescheid selbst darauf hin, dass im albanischen Gesundheitssystem überall inoffizielle Zuzahlungen erwartet werden. Auch den Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass die Patienten in der Praxis erhebliche Zuzahlungen leisten müssen, da Ärzte und Pflegepersonal nur geringe Gehälter erhalten. Das Gesundheitswesen ist hochgradig korruptionsbelastet; Bestechungsgelder werden verlangt und gezahlt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Albanien, Aktuelle Lage, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtslage, Oktober 2015, S. 13; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Albanien, Stand Mai 2015, S. 13; vgl. auch: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache, 13.2.2013, S. 5 f.). Es ist mithin davon auszugehen, dass auch der Kläger Zuzahlungen leisten muss, will er in Albanien die erforderliche Behandlung seiner vielfältigen Erkrankungen erlangen. Im besonderen Einzelfall des Klägers ist aber davon auszugehen, dass dieser die erforderlichen finanziellen Mittel für die Behandlung nicht aufbringen kann, da er offensichtlich keinerlei Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Kläger werde die finanziellen Mittel für die erforderlichen Behandlungen von Verwandten erhalten. Nach den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Klägers und seines Bruders war es schon in der Vergangenheit schwierig, die finanziellen Mittel für eine notdürftige und letztlich nicht wirksame Behandlung in Albanien aufzubringen, und bei der nachgewiesenen Verschlechterung des Krankheitsbildes in den letzten Jahren erscheint eine Finanzierung völlig ausgeschlossen. Schließlich ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass sich die schweren Erkrankungen des Klägers ohne die erforderliche Behandlung nach einer Rückkehr nach Albanien alsbald und wesentlich, nämlich lebensbedrohlich verschlimmern würden.
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass eine freiwillige Ausreise ebenso wie eine Abschiebung des Klägers nach Albanien bei seiner derzeitigen körperlichen Verfassung ohnehin ausgeschlossen ist.
Nach alledem war der Klage in dem im Tenor genannten Umfang stattzugeben, im Übrigen war sie abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.