Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen ernstlicher Zweifel an der Betreuung und medizinischen Versorgung im Senegal

Aktenzeichen  M 16 S 16.31360

Datum:
24.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 36 Abs. 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

Es ist nicht eindeutig, ob die Betreuung und medizinische Versorgung (antiglaukomatöse Therapie) im Senegal (zumindest in Teilen des Senegal) ausreichend ist, um eine lebensbedrohliche Situation zu verhindern. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Nr. 5 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin … beigeordnet.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist senegalesischer Staatsangehöriger. Er reiste er am 23. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Juli 2015 Asylantrag.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2016, zugestellt am 4. Juni 2016, lehnte das Bundesamt für … (Bundesamt) den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 und 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die … innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Senegal oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat angedroht (Nr. 5). Außerdem wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei offensichtlich unbegründet. Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat. Er habe keine Probleme mit staatlichen Stellen oder Dritten gehabt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Eine existenzielle Gefährdung des Antragstellers sei nicht zu befürchten, da davon ausgegangen werden könne, dass der nunmehr erblindete Antragsteller von seinem Familienverband wieder aufgenommen werde. Den vorgelegten ärztlichen Attesten sei auch nicht zu entnehmen, dass sich die Erkrankung des Antragstellers bei Rückkehr noch verschlechtern oder gar zu einer lebensbedrohlichen Lage verschlimmern könne.
Hiergegen hat die Bevollmächtigte und Betreuerin des Antragstellers am 10. Juni 2016 Klage beschränkt auf die Nrn. 4, 5, 6 und 7 des Bescheides Klage erhoben (M 16 K 16.31359) erhoben und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundeamtes für … vom 31. Mai 2016 anzuordnen.
Außerdem wurde ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die vom Bundesamt angeführten Gründe für das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten seien nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei auf seiner Flucht von Italien nach Deutschland erblindet und 100% schwerbehindert. Der Kläger leide an einer körperlichen Behinderung in Form einer an Blindheit grenzenden Sehminderung, einer betreuungsrechtlich relevanten mittelschweren bis schweren depressiven Episode sowie an behandlungsbedürftigem Bluthochdruck. Dies sei gutachterlich festgestellt. Der Antragsteller befinde sich daher in regelmäßiger augenärztlicher Behandlung zur dauerhaften antiglaukomatösen Therapie. Diese sei notwendig, um die Restfunktion des rechten Auges zu bewahren und um eine schmerzhafte Phthisis bulbi R/L mit der Folge einer notwendig werdenden operativen Entfernung der Augen zu vermeiden. Der Antragsteller benötige aufgrund seiner Erblindung praktische Unterstützung und Begleitung in allen Dingen des Alltags. Er erhalte Unterstützung durch eine Sozialstation, sei für eine Depressionstherapie vorgemerkt, stehe auf der Warteliste für Betreutes Einzelwohnen und habe ein Angebot zur Aufnahme in eine Blindenwerkstatt. Sie selbst sei als gesetzliche Betreuerin mit umfassendem Aufgabenkreis bestellt worden. Das Bundesamt verkenne die behandlungsbedürftigen multiplen Erkrankungen des Antragstellers.
Das Bundesamt legte die Behördenakten in elektronischer Form vor; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte dieses und des Klageverfahrens M 16 K 16.31359 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Es ist gemäß § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO davon auszugehen, dass sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltende Abschiebungsandrohung (Nr. 5) richtet, da entsprechende Anträge gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG (Nr. 6) und gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 7) unzulässig wären (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 26.1.2016 – 20 L 4078/15.A – juris Rn. 21 und 32; VG Münster, B. v. 20.1.2016 – 4 L 39/16.A – juris Rn. 9 und 14).
Der so verstandene, fristgerecht erhobene (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz – AsylG) Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
Gemäß Art. 16a Grundgesetz – GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dabei hat das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, von der Ausländerbehörde als inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen sind. Vorliegend unterliegt die Einschätzung des Bundesamts, die Erkrankung des Antragstellers führe in keinem Fall zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, ernstlichen Zweifeln. Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen liegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Vieles spricht dafür, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Im Gegensatz zu dem vom Bundesamt in Bezug genommenen augenfachärztlichen Attest vom 24. April 2015 ist dem augenfachärztlichen Attest vom 30. Juli 2015 zu entnehmen, dass der Antragsteller zur Aufrechterhaltung der Restfunktion des rechten Auges und zur Vermeidung einer schmerzhaften Phthisis bulbi (Augapfelschrumpfung) auf eine dauerhafte antiglaukomatöse Therapie angewiesen ist. Bei der Augenerkrankung des Antragstellers handelt es sich mithin um ein schwerwiegendes Krankheitsbild, bei dem wohl nicht davon auszugehen ist, dass die ohne Medikamentengabe zu erwartende vollständige Erblindung und ggf. erforderlich werdende Entfernung der Augen keine wesentliche Verschlechterung darstellt. Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist zu entnehmen, dass das staatliche Gesundheitssystem im Senegal trotz gut ausgebildeter Ärzte unzureichend ist und Patienten ihre Medikamente, Operationen und Krankenhausaufenthalte selbst finanzieren müssen. Medikamente seien für die große Bevölkerungsmehrheit kaum erschwinglich bzw. nicht über einen längeren Zeitraum finanzierbar (vgl. Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 21. November 2015, Stand: August 2015, S. 15). Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Antragsteller die notwendige medikamentöse Therapie in seinem Heimatland nicht fortsetzen kann. Hinzu kommt, dass er aufgrund seiner Behinderung bei allen täglichen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen ist und sich selbstständig allenfalls in einem gewohnten Umfeld bewegen kann. Bei diesem Krankheitsbild liegt es nahe, dass er ohne entsprechende Hilfe in lebensbedrohliche Situationen geraten kann. Im Hauptsacheverfahren wird daher zu klären sein, ob der Antragsteller die notwendige Betreuung und medizinische Versorgung auch in seinem Heimatland erlangen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig sein muss und eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Bevollmächtigten des Antragstellers war stattzugeben, da der Antrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, der Antragsteller bedürftig ist (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 121 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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