Aktenzeichen 9 NE 16.1512
Leitsatz
Setzt ein Bebauungsplan eine Verkehrsfläche neben einem Wohngrundstück fest, kann auf die Ermittlung konkret zu erwartender Immissionswerte verzichtet werden, wenn schon nach der Zahl der täglich zu erwartenden Kfz-Bewegungen im Hinblick auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls keine Belästigungen zu besorgen sind, die die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten (vgl. BVerwG BeckRS 2011, 53414). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan „H.“ der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2016, bekannt gemacht am 1. April 2016.
Das Plangebiet liegt im Nordwesten des Ortsteils H. im Gemeindegebiet der Beklagten westlich der Stichstraße H., nördlich der Kreisstraße E… und östlich des Flurbereinigungswegs FlNr. … Gemarkung H. Es umfasst eine Teilfläche des Grundstücks FlNr. … Gemarkung H. mit einer Gesamtfläche von ca. 3.800 m2. Im Norden und Westen schließen sich landwirtschaftlich genutzte Flächen an. Im Süden grenzen das Grundstück FlNr. … Gemarkung H., das mit einem Wohngebäude bebaut ist, sowie die Restfläche des Grundstücks FlNr. … Gemarkung H., die mit mehreren Gebäuden bebaut ist, an. Im Osten des Plangebiets befinden sich das Grundstück FlNr. … und das Grundstück des Antragstellers FlNr. … jeweils Gemarkung H., die beide jeweils mit Einfamilienhäusern bebaut sind. Im parallel geänderten Flächennutzungsplan wird das Plangebiet als Wohnbaufläche dargestellt; die östlich und südlich angrenzenden Flächen sind als gemischte Bauflächen dargestellt.
Gegenstand der Planung ist die Errichtung von vier Einfamilienhäusern, die mit einer Stichstraße und Wendehammer von der östlich verlaufenden Stichstraße her erschlossen werden sollen. Die Erschließungsstraße für das Plangebiet verläuft südlich des klägerischen Grundstücks, wobei dort eine Parkfläche und an der Einmündung in die Ortsstraße die Müllsammelstelle für die vier festgesetzten Wohnhäuser vorgesehen sind.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 20. April 2016 hat der Antragsteller Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan „H.“ der Antragsgegnerin gestellt, über den noch nicht entschieden ist (Az. 9 N 16.824). Er macht dort geltend, die Bauleitplanung sei nicht erforderlich, weil im Ortsteil H. noch unbebaute Flächen für eine Wohnbebauung vorhanden seien. Ferner leide der Bebauungsplan an Abwägungsfehlern, weil immissionsträchtige Festsetzungen unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze des Antragstgellers getroffen sowie andere Lösungen einer Erschließung nicht ausreichend geprüft worden seien.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 1. August 2016 begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil mit dem Bau der Erschließungsanlagen begonnen worden sei, wodurch seine Belange an der Ausnutzung seines – hinsichtlich Garten und Terrasse nach Süden und Westen orientierten – Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt werden würden.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan „H.“ der Antragsgegnerin, als Satzung beschlossen am 27. Januar 2016 und bekanntgemacht im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 1. April 2016, durch Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag des Antragstellers außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Dem Antragsteller fehle bereits die Antragsbefugnis, da der Lärm durch einen Anliegerverkehr von vier Einfamilienhäusern das Maß des Zumutbaren nicht überschreiten könne. Unabhängig davon führe es zu keinen unzumutbaren Immissionen, wenn ein Grundstück auf zwei Seiten an eine öffentliche Straße angrenze. Zwar gebe es in H. ein Potential mehrerer, noch unbebauter Grundstücke. Deren Bebauung solle jedoch durch die Grundstückseigentümer selbst erfolgen. Zudem würden noch ungenutzte Flächenpotentiale möglichen Einflüssen von landwirtschaftlichen Betrieben unterliegen, deren Bestand nicht durch heranrückende Wohnbebauung gefährdet werden solle.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die vorgelegten Unterlagen und die beigezogenen Planakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antragsteller hat seine Antragsbefugnis nicht hinreichend geltend gemacht.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontroll(eil)verfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für die Antragsbefugnis ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, U. v. 30.4.2004 – 4 CN 1.03 – juris Rn. 9). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie hier – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines mittelbar Betroffenen außerhalb des Bebauungsplangebiets geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, B. v. 29.7.2013 – 4 BN 13.13 – juris Rn. 4; BVerwG, B. v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – juris Rn. 3). Wer sich als nicht unmittelbar Betroffener gegen einen Bebauungsplan wendet, muss aufzeigen, dass sein aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) folgendes Recht verletzt sein kann. Das setzt zunächst voraus, dass die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers berührt. Sind nur Interessen von geringem, unterhalb der Schwelle der Abwägungserheblichkeit liegenden Gewicht berührt, scheidet eine Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Abwägung von vornherein aus. Berührt die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers, dann besteht abstrakt die Möglichkeit, dass die Gemeinde den Belang bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die bloße Bezeichnung eigener Belange und die Behauptung, es liege eine Rechtsverletzung vor, reichen zur Darlegung aber nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215/218 = juris Rn. 10).
Gemessen hieran ist der Antragsteller nach der im Verfahren der einstweiligen Anordnung nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht antragsbefugt, soweit er die Beeinträchtigung seines Wohngrundstücks durch Immissionen aufgrund der südlich seines Grundstücks verlaufenden Erschließungsstraße für das Baugebiet, der südlich seines Grundstücks festgesetzten zwei öffentlichen Parkplätze und der Müllsammelstelle sowie der Festsetzung einer Fläche für Garagen und Stellplätze an der südwestlichen Ecke seines Grundstücks geltend macht. Zwar ist eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms im Grundsatz abwägungserheblich. Das Interesse, von solchem Verkehrslärm verschont zu bleiben, ist aber nur dann ein abwägungserheblicher Belang, wenn es über die Bagatellgrenze hinaus betroffen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Lärm durch die Festsetzung einer Verkehrsfläche erstmals hervorgerufen wird. Setzt ein Bebauungsplan eine Verkehrsfläche neben einem Wohngrundstück fest, kann zudem auf die Ermittlung konkret zu erwartender Immissionswerte verzichtet werden, wenn schon nach der Zahl der täglich zu erwartenden Kfz-Bewegungen im Hinblick auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls keine Belästigungen zu besorgen sind, die die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten (vgl. BVerwG, B. v. 20.7.2011 – 4 BN 22.11 – juris Rn. 6 ff. m. w. N.). Angesichts der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets und der geringen Größe des vom Bebauungsplan erfassten Baugebiets, in dem nur vier Einfamilienhäuser mit je einer Wohneinheit planbedingt errichtet werden können, ist aufgrund der dadurch zu erwartenden geringen Zahl von Fahrzeugbewegungen weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass hinsichtlich des Verkehrslärms Belästigungen des Antragstellers zu besorgen sind, die die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Gleiches gilt hinsichtlich der Festsetzung der nur temporär genutzten Müllsammelstelle an der südöstlichen Grenze des Grundstücks des Antragstellers. Die ruhige Wohnlage, die einem – wie hier – an den bisherigen Außenbereich angrenzenden Grundstück im allgemeinen faktisch zukommen mag, begründet als solche keine Antragsbefugnis; denn einen Rechtsanspruch oder auch nur ein schutzwürdiges Interesse auf Beibehaltung dieser Ortsrandlage gibt es nicht (vgl. BVerwG, U. v. 21.10.1999 – 4 CN 1.98 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 10.2.2012 – 15 NE 11.2857 – juris Rn. 5).
2. Der Antrag ist zudem unbegründet.
Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls wie hier bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B. v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – juris Rn. 12). Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu seiner Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BayVGH, B. v. 4.11.2015 – 9 NE 15.2024 – juris Rn. 3). Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwerwiegend sein, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – juris Rn. 12).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hier nicht dringend geboten. Unter der Prämisse, dass der Normenkontrollantrag zulässig sein sollte, wäre hier nach der im Verfahren der einstweiligen Anordnung nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung im Hinblick auf die zahlreichen Einwendungen des Antragstellers allenfalls von offenen Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags auszugehen. Nach der bei offenen Erfolgsaussichten notwendigen Folgenabwägung bleibt der Antrag hier aber erfolglos.
Der Antragsteller hat die gebotene Dringlichkeit bzw. einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Dem Vorbringen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Aussetzung des Vollzugs des Bebauungsplans zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweilige Anordnung stellt (vgl. BVerwG, B. v. 18.5.1998 – 4 VR – 2.98 – juris Rn. 3).
Angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Bebauungsplan handelt, der ein allgemeines Wohngebiet für die Errichtung und Erschließung von nur vier Einfamilienhäusern mit je einer Wohneinheit festsetzt, lässt sich dem Vorbringen nicht entnehmen, dass dessen Verwirklichung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Positionen des Antragstellers konkret erwarten lässt. Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt jedenfalls grundsätzlich noch keinen schweren Nachteil in diesem Sinn dar (BayVGH, B. v. 21.4.205 – 9 NE 15.377 – juris Rn. 26 m. w. N.). Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Antragsteller grundsätzlich keinen Anspruch darauf, vor jeglicher baulicher Erweiterung der Nachbargrundstücke seines – bislang im Westen an den Außenbereich grenzenden Grundstücks – verschont zu bleiben. Über die Bagatellgrenze hinaus zu erwartende, unzumutbare Lärmbelastungen durch die planbedingte Zunahme des Verkehrslärms lassen sich dem Vortrag des Antragstellers ebenfalls nicht entnehmen und sind im Hinblick auf die Festsetzungen des Bebauungsplans und die geringe Größe des Baugebiets auch nicht ersichtlich. Insoweit kann ebenfalls auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 9.8.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).