Verwaltungsrecht

Bei mangelndem Asylgrund: Verschlechterung des Gesundheitszustands muss lebensbedrohlich sein

Aktenzeichen  M 16 S 16.31835

Datum:
11.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 34 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

Die nicht näher spezifizierte Behauptung wegen akuter und chronifizierter Schmerzen auf ärztliche Behandlung angewiesen zu sein, steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nach Armenien nach § 34 AsylG nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
Die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung sind im Rahmen einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG nicht zu prüfen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt …, wird für das Eilverfahren abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem ihr Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
Die Antragstellerin ist armenische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben auf dem Luftweg am 17. Mai 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt gemäß § 25 AsylG am 7. April 2016 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie habe in Armenien in ihrem eigenen Haus gewohnt. Sie sei aber auch des Öfteren im Ausland gewesen, z. B. in Russland und in der Türkei und habe dort gearbeitet. Sie habe drei Töchter und einen Sohn. Eine Tochter halte sich als Asylbewerberin in Deutschland auf, eine Tochter lebe mit ihrer Familie in Frankreich. Eine Tochter sowie ihre Schwester lebten noch in Armenien, der Sohn sowie ihr Bruder hielten sich in Russland auf. Zuletzt habe sie von 2012 bis 2014 in der Türkei gearbeitet und dort ältere Leute gepflegt. Ab 2011 habe sie in Armenien auch Rente bezogen. Sie sei nach Deutschland gekommen, weil sie ihre Tochter habe besuchen wollen. Sie habe eigentlich nach Armenien zurückkehren wollen. Dann habe sie aber gesehen, wie schlecht es ihrer Tochter gehe. Ihr Mann sei Alkoholiker. Sie habe sich um die familiären Probleme kümmern wollen. Das habe aber nicht geklappt. Sie habe sich dann auch gedacht, dass es besser wäre, wenn sie hier bliebe und sich um die beiden Kinder der Tochter kümmere, damit diese arbeiten könne.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2016, zugestellt am 18. Juli 2016, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2 des Bescheids) als auch den Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab. Ebenso wurde der Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids). Auf die Gründe des Bescheids wird im Einzelnen Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin am 25. Juli 2016 Klage mit dem Antrag, den Bescheid in Nr. 4., 5. und 6. aufzuheben. Zudem beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 5 des Bescheids anzuordnen.
Weiterhin beantragte er Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin unter seiner Beiordnung.
Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, die Antragstellerin sei aufgrund „akuter und chronifizierter Schmerzen“ auf ärztliche Behandlung und medikamentöse Versorgung angewiesen. Ein Attest werde nachgereicht. Eine ärztliche und insbesondere medikamentöse Behandlung wäre in Armenien nicht gesichert. Die Antragstellerin beziehe lediglich eine Altersrente in Höhe von umgerechnet 50,00 Euro. Hiervon könne sie weder die Lebenshaltungskosten bestreiten noch gar die benötigten Medikamente beziehen. Im Weiteren erfolgten allgemeine Ausführungen zum armenischen Gesundheitssystem mit Hinweisen auf entsprechende Erkenntnismittel. Zur Prüfung von Abschiebungsverboten sei die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 2. August 2016 reichte der Bevollmächtigte eine „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27. Juli 2016“ sowie die „Verordnung einer Krankenhausbehandlung“ vom selben Tag vor. Ein stationärer Aufenthalt sei ab dem 5. August 2016 angeordnet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.31834 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gewahrt.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 AsylG).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach – dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufentG entsprechenden – § 51 Ausländergesetz 1990: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen diesbezüglichen Entscheidungen bestehen hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) keine derartigen ernstlichen Zweifel.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auch aus dem neuen Vorbringen im Rahmen des Klageverfahrens ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Antragstellerin erfüllt sind.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Dies kann auch der Fall sein, wenn der betroffene Ausländer eine grundsätzlich mögliche medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. VG Arnsberg, B.v. 23.2.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 64 m. w. N.). Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich schon nicht, dass diese Voraussetzungen bei ihr vorliegen würden. Ärztliche Berichte, aus denen ggf. hierauf geschlossen werden könnte, liegen ebenfalls nicht vor. Es wurde lediglich pauschal vorgetragen, die Antragstellerin sei aufgrund – nicht näher spezifizierter – „akuter und chronifizierter Schmerzen“ auf ärztliche Behandlung und medikamentöse Versorgung angewiesen und diese wäre in Armenien nicht gesichert. Hieraus ergibt sich schon nicht, an welcher Erkrankung die Antragstellerin leidet. Auch ist nicht ersichtlich, welche Behandlung erforderlich wäre und welche Folgen es für die Antragstellerin hätte, wenn eine solche für sie in Armenien möglicherweise nicht zugänglich wäre.
Aus den zuletzt vorgelegten Unterlagen lässt sich nur entnehmen, dass sich die Antragstellerin ab dem 5. August 2016 stationär zu einer gynäkologischen Operation in einer Klinik aufhalten soll („Verordnung von Krankenhausbehandlung“) und ihr ein Hormonpräparat zur lokalen Anwendung verschrieben wurde.
Im Hinblick auf die Operation dürfte derzeit ggf. ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegen, für dessen Prüfung jedoch nicht das Bundesamt zuständig ist. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben (z. B. Reiseunfähigkeit), nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein (ausländerrechtlicher) Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ist unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann.
Die Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG bezieht sich daher auch nur auf (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbote, für deren Feststellung das Bundesamt zuständig ist. Nur vor Erlass einer – hier nicht einschlägigen – Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG hat das Bundesamt die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B.v.21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4). Denn im Gegensatz zur Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG, die das Bundesamt mit der Entscheidung über den Asylantrag erlässt und bei der es nur sogenannte zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu berücksichtigen hat, muss das Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung feststellen, dass alle Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Abschiebung erfüllt sind und die Abschiebung durchgeführt werden kann. Ist eine Abschiebung aus in der Person des Ausländers liegenden Gründen aber rechtlich oder tatsächlich nicht möglich – weil der Aufenthaltsbeendigung insoweit ein innerstaatliches Abschiebungshindernis entgegensteht -, ist die Abschiebungsanordnung rechtswidrig (vgl. OVG Hamburg, B.v. 3.12.2010 4 Bs 223/10 – juris Rn. 10 m. w. N.). Demnach ist das Bundesamt jedoch auch bei Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungsverbots nicht gehindert, gemäß § 34 AsylG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen.
Damit ist insgesamt die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten der Antragstellerin war nach den vorstehenden Ausführungen für den Eilantrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 2 ZPO) ebenfalls abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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