Aktenzeichen 9 ZB 16.1987
BauGB § 31 Abs. 2, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2
Leitsatz
1 Der Umfang der Inzidentkontrolle eines Bebauungsplans ist nach Ablauf der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 S. 1 BauGB auf die nicht von dieser Vorschrift erfassten stets beachtlichen Mängel beschränkt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das schriftsätzliches Beweisangebot ist nur die Ankündigung eines Beweisantrags bzw. eine Beweisanregung, die § 86 Abs. 2 VwGO nicht unterfällt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Zwar mag es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebieten, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden. Anders verhält es sich, wenn der Beweisantrag vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (wie BVerwG BeckRS 2013, 57847 Rn. 7). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 4 K 15.580 2016-06-28 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) zu tragen. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Hangbefestigung mit Stützmauern und Auffüllungen auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung M…, die ihm mit Bescheid des Landratsamts A… vom 19. Mai 2015 versagt wurde. Des Weiteren wendet er sich gegen die gleichzeitig erlassene zwangsgeldbewehrte Anordnung des Landratsamts, die auf dem genannten Grundstück bereits errichteten Stützmauern inkl. Auffüllungen und Terrasse auf das laut Bebauungsplan „J…straße, Änderung 1“ der Beigeladenen zu 1 zulässige Maß zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 28. Juni 2016 ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, beurteilt sich im Wesentlichen anhand dessen, was der Kläger innerhalb offener Frist hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich im Ergebnis solche Zweifel nicht.
a) Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen seiner Inzidentprüfung davon ausgegangen, dass die Änderung 1 des Bebauungsplans „J…straße“ der Beigeladenen zu 1 hinsichtlich der unterschiedlichen topographischen Verhältnisse im Plangebiet an keinem Mangel im Abwägungsvorgang leidet. Es hat hierzu darauf verwiesen, aus der Begründung des Bebauungsplans ergebe sich, dass es der Beigeladenen zu 1 bei der Aufstellung des Bebauungsplans durchaus bewusst gewesen sei, dass es sich bei dem Baugebiet um einen starken West-Südwest-Hang mit 20%-iger Geländeneigung im Mittel handele. Dem trügen die planerischen Erwägungen Rechnung, indem im Bebauungsplan Festsetzungen hinsichtlich Auffüllungen, Abgrabungen sowie Terrassierung des Geländes mit Stützmauern getroffen wurden, die so ausgestaltet seien, dass sie den ursprünglichen Geländeverlauf jedenfalls im Ansatz noch erkennen lassen und die Geländekanten in die bestehende Topographie einbinden.
Dies unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln. Das Zulassungsvorbringen des Klägers, bei der Festlegung der Terrassierungshöhe sei eine Differenzierung in der Betrachtung des Plangebiets trotz äußerst unterschiedlicher Steigungslagen nicht erfolgt und im Bereich seines Grundstücks befinde sich, wie sich den Bildern vom Augenschein des Verwaltungsgerichts entnehmen lasse, eine extrem steile Hanglage ändert daran nichts. Das Landratsamt hat hierzu bereits im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 27. April 2016 unter Hinweis auf die vom Kläger vorgelegten Bauvorlagen (Behördenakte 182/15, Bl. 52, Schnitt 1-1) nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die beim Augenschein vorgefundene Hanglage nicht dem natürlich vorhandenen Gelände entspreche, sondern durch entsprechende Auffüllungen des Klägers erzeugt und die Hangneigung damit zusätzlich erhöht worden sei. Dem wird im Zulassungsvorbringen nicht entgegengetreten.
Im Übrigen wäre ein solcher vom Kläger geltend gemachter Mangel im Abwägungsvorgang nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB mangels rechtzeitiger Rüge gegenüber der Beigeladenen zu 1 unbeachtlich geworden. Wie sich aus der von ihr vorgelegten Bekanntmachung des Bebauungsplans „J…straße, Änderung 1“ vom 4. Januar 2008 ergibt, enthielt diese insbesondere den nach § 215 Abs. 2 BauGB erforderlichen Hinweis auf die Rügemöglichkeiten des § 215 Abs. 1 BauGB und die Folgen einer nicht erfolgten Rüge. Der Kläger ist diesem Vorbringen nicht entgegengetreten. Der Umfang der Inzidentkontrolle eines Bebauungsplans ist nach Ablauf der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf die nicht von dieser Vorschrift erfassten stets beachtlichen Mängel beschränkt (vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 1 B 14.1652 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Für die vom Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Behauptung, dass mit den vom Bebauungsplan zugelassenen Stützmauern eine Sicherung des Gebäudes technisch unmöglich sei, hat bereits das Verwaltungsgericht keinerlei greifbare Anhaltspunkte gesehen. Solche ergeben sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen. Wie vielmehr dem Vermerk der Kreisbaumeisterin vom 4. Mai 2015 über den Ortstermin auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung M… entnommen werden kann (vgl. Bauakte 182/15, Bl. 24), erscheint eine bebauungsplankonforme Lösung, z.B. durch eine Veränderung der Art der Hanggestaltung, umsetzbar.
b) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorliegen. Es hat hierzu nachvollziehbar darauf verwiesen, dass der ursprüngliche Geländeverlauf nach dem Ergebnis seines Augenscheins mit der beantragten Befreiung nicht mehr erkennbar wäre, vielmehr eine künstliche Nivellierung des Landschaftsbilds vorliegen würde. Nach dem planerischen Konzept der Beigeladenen zu 1 sollte mit den Festsetzungen hinsichtlich der Auffüllungen, Abgrabungen und Terrassierung des Geländes mit Stützmauern erreicht werden, dass der ursprüngliche Geländeverlauf jedenfalls im Ansatz noch erkennbar ist und die Geländekanten in die bestehende Topographie eingebunden werden. Wenn durch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB – wie hier – die Grundzüge der Planung berührt werden, ist die Frage, ob der im Zulassungsvorbringen geltend gemachte Befreiungsgrund einer „offensichtlich nicht beabsichtigten Härte“ (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB) vorliegt, ohne Belang (vgl. BVerwG, B.v. 24.9.2009 – 4 B 29/09 – juris Rn. 5 m.w.N.).
c) Soweit sich der Kläger gegen die Rückbau- bzw. Beseitigungsanordnung in Nummer 2 des Bescheids vom 19. Mai 2015 wendet, enthält das Zulassungsvorbringen neben den bereits oben erörterten Ausführungen keine weitere Auseinandersetzung mit der Begründung der Beseitigungsanordnung im Urteil bzw. im Bescheid vom 19. Mai 2015, auf die das Urteil Bezug nimmt.
2. Die Berufung ist auch nicht zuzulassen, wenn das Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe den angebotenen Sachverständigenbeweis zur behaupteten technischen Unmöglichkeit einer Geländesicherung mittels den vom Bebauungsplan zugelassenen Stützmauern nicht eingeholt, als Geltendmachung eines Verfahrensmangels im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu werten sein sollte.
Denn mit diesem Vorbringen wird kein Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) dargetan. Das Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen. Daran fehlt es. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltschaftlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat. Das Beweisangebot des Klägers im Schriftsatz vom 7. September 2015 ist nur die Ankündigung eines Beweisantrags bzw. eine Beweisanregung, die § 86 Abs. 2 VwGO nicht unterfällt (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 17.1984 – juris Rn. 19 m.w.N.). Der Kläger hat im Übrigen auch nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 75 m.w.N.).
Das Vorbringen lässt auch keinen Gehörsverstoß erkennen. Zwar mag es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebieten, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden. Anders verhält es sich, wenn der Beweisantrag vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.2013 – 1 B 15/13 – juris Rn. 7). So liegt es hier. Das Beweisangebot des Klägers ist mit Schriftsatz vom 7. September 2015 und damit vor dem Verzicht auf mündliche Verhandlung durch den Schriftsatz des Klägers vom 12. Mai 2016 erfolgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).