Verwaltungsrecht

Berücksichtigung posttraumatischer Belastungsstörungen im Asylverfahren

Aktenzeichen  Au 8 K 17.34930

Datum:
19.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
VwVfG § 51 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1 Trotz der schlechten Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in Afghanistan ergibt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln derzeit nicht, dass ein junger arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre bzw. in eine extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung als unzumutbar erscheinen ließe. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Anforderungen an ein ärztliches Attest gem. § 60a Abs. 2c AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu Übertragen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist der Nachweis eines traumatischen Erlebnisses Voraussetzung. Dass ein solches tatsächlich stattgefunden hat, muss vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber dem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer angedrohten Rückkehr ins Heimatland einhergehende Gefährdung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtfertigt für sich genommen regelmäßig kein Abschiebungsverbot. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, können Abschiebungsverbote gelten. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids und auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. Es wird in vollem Umfang Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
Ein Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach dieser Vorschrift ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt und wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen.
1. Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG sind vorliegend nicht gegeben.
Hinsichtlich seines Vorbringens im Erstverfahren, weshalb er Afghanistan verlassen habe, brachte er im Folgeverfahren keine zusätzlichen oder neuen Gesichtspunkte vor, welche eine andere Beurteilung hätten rechtfertigen können.
Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan verhilft dem vorliegenden Antrag nicht zum Erfolg. Denn es reicht nicht jegliche Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland zur Begründung eines Folgeantrages aus; vielmehr muss aufgrund der veränderten Umstände eine abweichende Bewertung des Asylbegehrens zumindest möglich erscheinen. Zunächst ist bereits grundsätzlich nichts dafür ersichtlich, dass sich in dem kurzen Zeitraum seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylerstverfahrens Anfang Juni 2017 bis zur Folgeantragstellung August 2017 die Sicherheitslage in Afghanistan maßgeblich geändert hätte. Darüber hinaus droht dem Kläger in Afghanistan auch aktuell keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Weder in Kabul noch in ganz Afghanistan ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.13 – juris; BayVGH, B.v. 11.5.2018 – 13a ZB 17.30993 -juris; B.v. 12.9.2018 – 13a ZB 17.31021 – BA Rn. 6 ff.), erreicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan. Damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar.
Auch die schlechte Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in Afghanistan, wie sie sich etwa aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 (im Folgenden: Lagebericht) und weiteren, aktuellen Erkenntnismitteln zu Afghanistan ergibt, ist ebenfalls nicht geeignet, ein Abschiebungsverbot zu begründen. Denn nach der ständigen und weiterhin gültigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.9.2018 – 13a ZB 17.31021 – BA Rn. 6 ff.; B.v. 26.3.2018 – 13a ZB 17.30438 – BA Rn. 5 f.; B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 BA Rn. 5 f., 9; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – BA Rn. 5 f.; VG Regensburg, B.v. 5.9.2018 – RN 7 K 16.32563 – juris Rn. 18) sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte (NdsOVG, B.v. 25.5.2018 – 9 LA 64/18 -Ls-; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 115 ff.; 336 ff.) ergibt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein junger arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr aufgrund der schlechten Versorgungslage einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre (§ 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK) bzw. in eine extreme Gefahrenlage (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Ein junger, gesunder männlicher Rückkehrer ist nach oben angeführter Rechtsprechung selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Auch die aktuellen Ausführungen im Lagebericht zur Situation von Rückkehrern sind nicht geeignet, eine andere Einschätzung bezüglich des Vorliegens von Abschiebungsverboten herbeizuführen. Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl zu einem anderen Ergebnis gelangen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht denen der o.g. Rechtsprechung. Das Gericht geht weiterhin davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt im urbanen oder semiurbanen Umfeld wie bspw. in Kabul, Herat oder Mazare Sharif sicherstellen kann. Aber auch wenn man es als wahr unterstellen würde, dass sich inzwischen die gesamte Familie des Klägers in Pakistan befindet, so lebt zumindest noch Verwandtschaft mütterlicherseits in Afghanistan. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 479, 484, 493). Zudem stehen ihm auch Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. BAMF an VG Augsburg vom 12.08.2016), die jedenfalls für die Anfangszeit einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann (aus GARP-Mitteln 500 Euro je Erwachsener, aus ERIN-Mitteln ca. 700 Euro, näher dazu VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 -Au 3 K 16.30949 – Rn. 21 m.w.N.; auch Asylos, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19, 21, asylos.eu/wpcontent/uploads/2017/08/AFG2017-05-Afghanistan-Situationofyoungmale-Westernisedreturneesto-Kabul-1.pdf; zudem BT-Drs. 19/1120, S. 15 f.), wobei nur ein Sechstel der Rückkehrer auch Leistungen nach der Rückkehr in Anspruch nahm (Asylos ebenda S. 20).
2. Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 VwVfG durch Widerruf des Bescheides hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind ebenso wenig glaubhaft gemacht. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessensspielraums der Beklagten auf Null mit der Folge ihrer Verpflichtung zu einem solchen Wiederaufgreifen ist auch mit Blick auf die zu schützenden Grundrechte des Klägers nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG nicht gegeben. Auch unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nicht vor.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist weiterhin davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht so ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. obige Ausführungen). Auf ein stützendes familiäres Netzwerk kommt es nicht entscheidend an. Aber auch wenn man es als wahr unterstellen würde, dass sich inzwischen die gesamte Familie des Klägers in Pakistan befindet, so lebt zumindest noch Verwandtschaft mütterlicherseits in Afghanistan. Auch war er vor seiner letzten Aufnahme im … offensichtlich arbeitsfähig, da er einer Arbeit nachging.
bb) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger ebenfalls nicht zu.
Aus den vorgelegten Attesten ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 7; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7) sind die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen.
Aus den nunmehr im Folgeverfahren vorgelegten neuen Attesten vom Facharzt … vom 19. Oktober 2017 und 10. August 2018, vom … vom 8. Oktober 2018 sowie von … vom 13. Oktober 2017 und 9. Juli 2018 ergeben sich im Vergleich zu den Ausführungen im Urteil im Erstverfahren (Au 8 K 16.31019) keine wesentlichen Änderungen. Die Befundberichte von … entsprechen bereits insoweit nicht den in § 60a Abs. 2c AufenthG normierten und den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, da es sich bei der Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin von … nicht um eine Fachärztin handelt. Den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG genügt eine Stellungnahme einer psychologischen Psychotherapeutin, auch wenn sie eine Approbation erlangt hat, nicht, weil sie jedenfalls nicht eine approbierte Ärztin ist (vgl. BT-Drucks. 18/7538 S. 19; VG München, B.v. 18.10.2017 – M 21 S17. 33668 – juris Rn. 29; VG Regensburg, B.v. 5.9.2018 – RN 7 K 16.32563 – juris Rn. 24f). Allerdings schließt dies eine zusätzliche Heranziehung von Attesten von Psychotherapeuten oder Psychologen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbil dung auch nicht aus (vgl. auch OVG Lüneburg, B.v. 7.9.2018 – 10 LA 343/18 – juris Rn. 11).
Unter Auswertung sämtlicher vorgelegten Stellungnahmen ergibt sich folgendes:
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrundeliegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Bd. 7 S. 175 ff).
Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW, 2004, 41; BayVGH, B.v. 28.9.2006 – 19 CE 06.260 – juris). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, B.v. 2.5.2000 – 11 S 1963/99 – InfAuslR 2000, 435).
Zwar gehen die verschiedenen Berichte auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Es fehlt an einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen sowie eine fundierte, ernsthafte und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 18f). Fehlt es am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgefüllt.
Aus den psychologischpsychotherapeutischen Befundberichten der den Kläger behandelnden Dipl. Psychologin und psychologische Psychotherapeutin vom 1. Juni 2017, 13. Oktober 2017 und 9. Juli 2018 unter Einbeziehung der Ausführungen der Dipl. Psychologin in der mündlichen Verhandlung lässt sich nicht nachvollziehbar entnehmen, dass der Kläger an einer PTBS leidet. Wie bereits im Urteil im Erstverfahren (Au 8 K 16.31019) und im Eilverfahren im Beschluss vom 23. Juli 2018 (Au 8 S 18.31294) festgestellt, fehlt es an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung der Therapeutin mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass darauf eingegangen wird, dass diese Angaben sowohl im Bescheid im Erstverfahren des Bundesamts vom 3. Juni 2016 und im Urteil im Erstverfahren vom 7. Juni 2017 als unglaubhaft eingestuft worden sind. Auch wenn der Psychotherapeutin das Urteil des Verwaltungsgerichts im Erstverfahren bei Erstellung des Befundberichts vom 13. Oktober 2017 vorgelegen hat, findet im Bericht keine Auseinandersetzung mit der vom Gericht festgestellten Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers statt. Der Kläger hat bei der Therapeutin offensichtlich auch erstmals angegeben, dass er von den Taliban als Jugendlicher geschlagen worden sei. Dies wird von der Psychotherapeutin u.a. auch als Grundlage der Diagnose der Posttraumatische Belastungsstörung zugrunde gelegt, obwohl der Kläger bei seiner ersten Anhörung durch das Bundesamt angegeben hat, persönlich mit den Taliban keine Probleme gehabt zu haben.
Auch ist nach der Rechtsprechung darzulegen, warum eine Erkrankung nicht bereits früher geltend gemacht wurde, wenn -wie im Fall des Klägers – die PTBS erst frühestens 2017 und somit fünf Jahre nach Einreise des Klägers Ende 2012 vorgebracht wird. Selbst wenn zutreffen sollte, dass der Kläger bereits von Juli bis August an vier Sitzungen einer Stabilisierungsgruppe bei … teilgenommen hat, und er, wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ungefähr drei Monate auf einen Platz zur Behandlung bei … hat warten müssen, hat jedenfalls von August 2014 bis Anfang 2017 keine Behandlung des Klägers stattgefunden. Insoweit findet sich in den vorgelegten Berichten keine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.
Psychotische Symptome wurden von der Psychotherapeutin „nur“ teilremittiert, d.h. gegenwärtig nicht mehr vorliegend, festgestellt. Die von der Psychotherapeutin festgestellten Panikattacken im Sinne einer Panikstörung (ICD-10:F41.0) wurden von den Fachärzten nicht (substantiiert – dazu unten) als Diagnose festgestellt.
Aus den fachärztlichen Attesten des den Kläger behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie vom 26. Mai 2017, vom 19. Oktober 2017 und vom 10. August 2018 lässt sich zwar nach wie vor entnehmen, dass der Kläger an einer Posttraumatische Belastungsstörung leide, aber auch im aktuellen Attest vom 10. August 2018 wurden keine Ausführungen dazu gemacht, in wie weit sich der Arzt damit auseinander gesetzt hat, dass das Bundesamt und das Verwaltungsgericht im Erstverfahren das Vorbringen des Klägers als unglaubhaft eingestuft haben und der behandelnde Arzt diese Angaben als wahr unterstellt. Auch eine Erklärung, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist, fehlt nach wie vor (vgl. dazu schon Urteil im Erstverfahren, Rn. 19). Auch die Diagnose einer Panikstörung entspricht nicht den gesetzlich normierten und qualifizierten Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG. Dem Attest vom 10. August 2018 lässt sich nun erstmals entnehmen, dass „letztlich die Diagnose e iner Panikstörung (ICD-10:F41.0) gestellt wurde“. Den Ausführungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob der Arzt selbst die Diagnose gestellt hat oder diese Diagnose nur von anderen Berichten übernommen hat, und erst recht nicht, aufgrund welcher Umstände diese fachliche Beurteilung erfolgt ist. Auch die Feststellung „dissoziativer Momente“ (ICD-10:F44.8) erfolgt ohne Darlegung, auf welcher Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist.
Ausweislich des aktuellen vorläufigen Arztbriefes der … vom 8. Oktober 2018 befindet sich der Kläger seit Anfang August das zweite Mal stationär im … Als Diagnose lassen sich eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10:F33.2) und eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10:F43.1) entnehmen. Wie bereits im Urteil im Erstverfahren festgestellt, fehlt es auch hier (nach wie vor) an einer Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers, die als wahr unterstellt werden, ohne auf eine gegenteilige Auffassung des Bundesamts und des Verwaltungsgerichts einzugehen. Im aktuellen Bericht finden sich darüber hinaus keine neuen Ausführungen im Vergleich zum Arztbrief vom 12. April 2017. Psychotische Symptome und Panikattacken werden nicht festgestellt.
Das Gericht teilt im Übrigen die Einschätzung des Gerichts im Erstverfahren, dass der Kläger gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt, die jedoch nicht zu einer wesentlichen oder lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung führen bzw. eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung nicht ausgeschlossen ist im Heimatland. Zwar ist nun eine Medikation enthalten. Grundsätzlich ist jedoch insoweit zu berücksichtigen, dass die dem Kläger bereits früher verordneten Medikamentenwirkstoffe nach der Auskunftslage auch im Herkunftsland verfügbar sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 2.3.2017, Länderinformationsblatt Afghanistan, S. 173; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 5.4.2017, Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, S. 6 f.) und somit eine weitere Behandlung insoweit gewährleistet ist. Das Abschiebungsverbot dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Die Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Es stellt allein den Schutz vor einer gravierenden, existentiellen Beeinträchtigung von Leib und Leben sicher (vgl. OVG NW, B.v. 14.6.2005 11 A 4518/02.A – juris Rn. 22).
Aus dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung und den Feststellungen der vorgelegten Atteste ergibt sich für das Gericht vielmehr der Eindruck, dass der Kläger nicht wegen zielstaatsbezogener Probleme, sondern wegen inlandsbezogener Probleme psychischer Behandlung bedarf. So hat der Kläger zweimal in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er Panikattacken bekomme, wenn er davon höre, dass jetzt auch Leute mit Duldung abgeschoben würden. Dies deckt sich auch mit den Feststellungen der den Kläger behandelnden Psychotherapeutin im Befundbericht vom 13. Oktober 2017, wonach es dem Kläger nach dem Entzug der Arbeitserlaubnis und der Verunsicherung bezüglich seines Aufenthalts so schlecht gegangen sei, dass er stationär im … behandelt werden musste. Auch der Facharzt führt im Bericht vom 10. August 2018 aus, dass die aktuellen Entwicklungen im Asylverfahren nach dem Urteil vom 23. Juli 2018 zu einer „depressiv suizidalen Dekompensation mit Symptomen wie oben beschrieben“ geführt hätten. Im vorläufigen Arztbrief der … vom 8. Oktober 2018 wird festgestellt, dass der Kläger weiterhin ausgeprägte Ängste vor der anstehenden Gerichtsverhandlung und der drohenden Abschiebung angebe. Des Weiteren zeigt die zeitliche Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers nach Auffassung des Gerichts, dass der Kläger letztendlich durch die Entwicklung seines Asylverfahrens psychisch belastet ist. So war er zwar wohl viermal bei einer Stabilisierungsgruppe von … im Juli und August 2014, beim Facharzt, im … und bei … war er letztendlich jedoch erst nach Erlass des ablehnenden Bescheids. Eine mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für Deutschland und einer etwaigen bevorstehenden bzw. angedrohten Rückkehr in das Heimatland einhergehende Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtfertigt jedoch für sich genommen regelmäßig kein Abschiebungsverbot. Indem das Asylgesetz ebenso wie etwa das Aufenthaltsgesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen und insbesondere auf den psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ihre Begrenzung erfahren, als Abschiebungsverbote gelten (vgl. zu inlandsbezogenen Abschiebungsverboten: OVG NW, B.v. 15.9.2004 – 18 B 2014/04 – juris Rn. 8; B.v. 4.11.2005 – 18 B 94/05 – juris Rn. 7; B.v. 17.2.2006 – 18 B 52/06 – juris Rn. 6 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

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