Medizinrecht

Anforderungen an die Gutachtensanordnung – Verkehrsbezug

Aktenzeichen  11 ZB 18.1810

Datum:
16.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26920
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Bedenken hinsichtlich der Fahreignung können unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Vorlage des angeordneten Gutachtens in sonstiger Weise ausgeräumt werden; hierbei ist auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen. Ein erst im Klageverfahren vorgelegtes Gutachten bleibt daher unbehelflich. (redaktioneller Leitsatz)
2 Hinsichtlich einer Erkrankung, die in Anlage 4 genannt ist und die Fahreignung beeinträchtigen oder ausschließen kann, ist ein Verkehrsbezug der Vorfälle, die auf die Erkrankung hinweisen, regelmäßig nicht erforderlich. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 17.717 2018-07-24 GeB VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 12.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt, erteilt 1967) sowie die Verpflichtung zur Abgabe ihres Führerscheins.
Die Klägerin ist im Laufe der letzten Jahre mehrfach polizeilich auffällig geworden. Die Polizei brachte sie nach dem Unterbringungsgesetz im Jahr 2016 einmal im Bezirkskrankenhaus B… und im Jahr 2017 einmal im Bezirkskrankenhaus R… unter. Aufgrund dieser Vorfälle ordnete das Landratsamt Hof (im Folgenden: Landratsamt) mit Schreiben vom 30. Januar 2017 die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens eines verkehrsmedizinisch geschulten Arztes bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung bis 30. März 2017 an. Es sei u.a. zu klären, ob bei der Klägerin eine Erkrankung vorliege, die nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle und ob die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs vorliege.
Nachdem die Klägerin kein Gutachten vorlegte, entzog ihr das Landratsamt mit Bescheid vom 4. Mai 2017 die Fahrerlaubnis und ordnete die Abgabe des Führerscheins innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids an. Am 11. Mai 2017 gab die Klägerin ihren Führerschein beim Landratsamt ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2017 wies die Regierung von Oberfranken den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Mai 2017 zurück. Die Klägerin habe das zu Recht angeordnete Gutachten nicht beigebracht. Es könne daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf ihre Ungeeignetheit geschlossen werden.
Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO blieb in beiden Instanzen erfolglos (BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 11 CS 18.579 und VG Bayreuth, B.v. 27.2.2018 – B 1 S 18.109).
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat die Klage durch Gerichtsbescheid am 24. Juli 2018 abgewiesen. Der Bescheid vom 4. Mai 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 8. August 2017 seien rechtmäßig. Die Klägerin habe das zu Recht geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt. Die vorgelegten Atteste des behandelnden Arztes Herrn Dipl. med. A… sowie das erst im Klageverfahren vorgelegte neurologisch-psychiatrische Gutachten des Verkehrsmediziners Dr. B… vom 5. Februar 2018 führten zu keinem anderen Ergebnis. Das Gutachten des Dr. B… und das Attest des Dipl. med. A… vom 16. November 2017 könnten nicht berücksichtigt werden, da es sich nicht um Gutachten eines Arztes in einer Begutachtungsstelle handele und sie zum anderen erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids erstellt worden seien.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Sie macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids, die Rechtssache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und habe grundsätzliche Bedeutung. Von einer etwaigen senilen Demenz sei weder in den Krankenunterlagen des Bezirksklinikums B… noch in den Attesten des Dipl. med. A… die Rede. Die Anordnung eines Gutachtens, mit dem das Vorliegen einer schweren Altersdemenz geklärt werden sollte, sei daher rechtswidrig. Es hätten auch zuerst noch die Unterlagen aus dem Bezirkskrankenhaus R… ausgewertet werden müssen. Die Klägerin gehe gegen Frau Dr. J…, die am 30. August 2016 eine senile Demenz diagnostiziert habe, zivilrechtlich vor. Es sei schwer vorstellbar, dass zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses eine Demenz vorgelegen habe, die im Februar 2018 von Dr. B… nicht festgestellt worden sei. Im Übrigen fehle auch der erforderliche Verkehrsbezug im Hinblick auf die behauptete Erkrankung. Viele der Vorfälle seien nur auf die Schwerhörigkeit der Klägerin zurückzuführen. Darüber hinaus sei grundsätzlich zu klären, ob in ähnlich gelagerten Fällen vor der Anordnung eines Fahreignungsgutachtens eine weitergehende Aufklärung durch die Behörde zu erfolgen habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da sie weder einen tragenden Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – NJW 2010, 1062/1063; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106/118).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2162), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Mai 2017 (BGBl I S. 1282), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Dies ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zu §§ 11, 13 und 14 FeV hinweisen.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, sofern die Untersuchungsanordnung rechtmäßig und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (stRspr BVerwG, B.v. 21.5.2012 – 3 B 65/11 – juris Rn. 7; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2/10 – BVerwGE 137, 10/13 Rn. 14 m.w.N.).
Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass Bedenken hinsichtlich der Fahreignung unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Vorlage des angeordneten Gutachtens in sonstiger Weise ausgeräumt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 = juris Rn. 13; B.v. 1.8.2017 – 11 CS 17.1196 – juris). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da das Gutachten des Dr. B… vom 5. Februar 2018 erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids erstellt worden ist und die Klägerin es erst im Klageverfahren vorgelegt hat. Zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, auf die es hier maßgeblich ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13), waren die Bedenken nicht ausgeräumt. Ob das Gutachten des Dr. B… die Fahreignungszweifel vollständig ausräumen kann, obwohl der Gutachter keine Einsicht in die Behördenakten nehmen konnte, muss ggf. in einem Wiedererteilungsverfahren geklärt werden.
Soweit die Klägerin vorträgt, die Gutachtensanordnung sei rechtswidrig, da weder aus den Unterlagen des Klinikums B… noch aus den Attesten des Dipl. med. A… ein Verdacht auf eine schwere Altersdemenz hervorgehe, kann dies ihrem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen ist mit der Anordnung vom 30. Januar 2017 nur allgemein nach einer Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV und nicht speziell nach einer Altersdemenz gefragt worden. Zum anderen lagen aber mit dem Attest der Dr. J… vom 30. August 2016 auch Anhaltspunkte für eine senile Demenz vor. Mit dem angeordneten Gutachten sollte gerade geklärt werden, ob eine solche Erkrankung besteht.
Auch die Einwände der Klägerin, es fehle der erforderliche Verkehrsbezug, die Vorfälle seien nur auf ihre Schwerhörigkeit zurückzuführen und die Unterlagen des Klinikums R… hätten ausgewertet werden müssen, führen zu keinem anderen Ergebnis. Hinsichtlich einer Erkrankung, die in Anlage 4 genannt ist und die Fahreignung beeinträchtigen oder ausschließen kann, ist ein Verkehrsbezug der Vorfälle, die auf die Erkrankung hinweisen, regelmäßig nicht erforderlich. Mit dem angeordneten ärztlichen Gutachten sollte gerade geklärt werden, ob eine psychische Erkrankung besteht und Auswirkungen auf die Fahreignung hat. Darüber hinaus hätte es der Klägerin oblegen, die Unterlagen des Klinikums R… vorzulegen, wenn sie sich damit entlasten möchte.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere Schwierigkeiten liegen vor, wenn voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. das normale Maß erheblich übersteigende, signifikant vom Spektrum verwaltungsgerichtlicher Verfahren abweichende Schwierigkeiten gegeben sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 124 Rn. 9). In tatsächlicher Hinsicht ist dies nur dann der Fall, wenn sie durch einen besonders unübersichtlichen und/oder schwierig zu ermittelnden Sachverhalt gekennzeichnet ist (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 33). Solche Umstände sind mit der Berufungszulassungsbegründung nicht dargelegt.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand März 2018, § 124a Rn. 102 ff.). Die Begründung des Berufungszulassungsantrags formuliert schon keine Frage, die grundsätzlich klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist.
4. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und den Empfehlungen in Nr. 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel