Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot wegen der schwierigen ökonomischen Situation in Nigeria

Aktenzeichen  M 9 K 17.39874

Datum:
28.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26504
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria und die damit verbundenen Gefahren begründen für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage durch die Beschränkung der ursprünglich formulierten Klageanträge in der mündlichen Verhandlung teilweise zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, nämlich in Bezug auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten, hat sie keinen Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 28. September 2018 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 3. Mai 2017 ist daher (auch insoweit) rechtmäßig. Es wird insoweit zunächst in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
Der streitgegenständliche Bescheid ist (auch) insoweit rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor.
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Bei den in Nigeria vorherrschenden harten Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38), liegt nicht vor.
Auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 3 unten unter 4. bis Seite 8 unten. Ergänzend dazu wird noch ausgeführt, dass auch die wirtschaftliche Situation in Nigeria ein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen nicht rechtfertigen kann. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. auch dazu BVerwG, B.v. 25.10 2012 – 10 B 16/12 – juris Rn. 8 f.).
Anhaltspunkte für einen besonderen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person des Klägers zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung bzw. gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
Für den Kläger kann auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers besteht kein Zweifel daran, dass der Kläger arbeitsfähig ist. Insgesamt ist nichts dafür ersichtlich, dass gerade der Kläger in herausgehobener Weise stärker betroffen wäre als vergleichbare Personen.
Der Verweis in den Klagebegründungen und in der mündlichen Verhandlung auf die drei Kinder und die Frau des Klägers in Nigeria, die er nur versorgen könne, wenn er in Deutschland bleibe, hier arbeite und regelmäßig Geld an seine Familie nach Hause schicke, ändert am Ergebnis nichts. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der entsprechende Vortrag stimmt; durch den Vortrag des Klägers, dass der Kläger regelmäßig Geld nach Nigeria transferiert, was ihm das Gericht grundsätzlich auch glaubt, werden aber durchgreifende Zweifel daran geweckt, dass der Kläger keine Personaldokumente seines Heimatlandes haben will, da die Vorlage eines Lichtbildausweises / Reisepasses normalerweise Voraussetzung ist für den Geldtransfer mithilfe der von der Klägerbevollmächtigten genannten Anbieter. Unabhängig davon handelt es sich hierbei aber nicht um Umstände, die vor dem Hintergrund des Streitgegenstandes berücksichtigungsfähig sind. Bei Umständen, die ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot in diesem Verfahren für den Kläger hinsichtlich Nigerias begründen können, muss es sich um zielstaatsbezogene Umstände unmittelbar in der Person des Klägers handeln. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: Als tatbestandliche Voraussetzung ist dort nämlich formuliert, dass eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit für diesen Ausländer besteht. D.h. es ist ausschließlich danach zu fragen, ob der Kläger selbst bei einer Rückkehr nach Nigeria in wirtschaftlicher Hinsicht nicht „über die Runden“ kommt. Auch das würde jedoch nach dem oben Gesagten für einen Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nicht ausreichen, da es sich hierbei, wie oben auf Seite 6 und 7 ausführlich ausgeführt, um Gefahren bzw. Umstände handelt, der die Mehrzahl der Bevölkerung in Nigeria gleichermaßen ausgesetzt ist, so dass insofern die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG greift. Der Umstand, dass der Kläger in Nigeria nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie versorgen muss, stellt auch keinen Umstand dar, der nur den Kläger trifft; ebenso wenig stellt das einen Umstand dar, der den Kläger in besonderer Weise aus der Gruppe vergleichbarer Personen heraushebt, denn die Pflicht, sich um Frau und Kinder zu kümmern, hat nicht nur der Kläger, sondern auch eine Vielzahl anderer, dem Kläger vergleichbarer Personen. Nach alledem kann die Rechtsauffassung, dass der Kläger ein Abschiebungsverbot zuerkannt bekommen müsse, um (dauerhaft) in Deutschland bleiben zu dürfen, um wiederum seine Familie, d.h. Frau und Kinder, in Nigeria finanziell (dauerhaft) zu unterstützen, vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung nicht überzeugen.
Auch das von der Klägerbevollmächtigten vorgelegte ärztliche Schreiben vom 7. August 2018, auf das Bezug genommen wird, ändert am Ergebnis nichts. Unabhängig davon, dass dieses den auch im gegenständlichen Verfahren geltenden Voraussetzungen gemäß § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG nicht entspricht, enthält der Inhalt dieses Schreibens nichts, was eine Abschiebung des Klägers beeinträchtigen könnte. In dem ärztlichen Schreiben wird mitgeteilt, dass der Kläger insbesondere Oberbauchbeschwerden „oder auch Missempfindungen“ habe sowie auch ein „Gefühl des Mundgeruchs“; weiter heißt es, dass sich „trotz der ausgedehnten Diagnostik“ „für das Beschwerdebild“ des Klägers „bisher keine wegweisende Diagnose finden“ ließ. Der „nebenbei“ diagnostizierte Diabetes mellitus Typ II stellt keine lebensbedrohliche oder ausreichend schwerwiegende Erkrankung dar, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Weitere Nachweise wurden nicht vorgelegt.
Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig; die Voraussetzungen hierfür liegen vor, wie sich aus den Ausführungen oben ergibt. Einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel hat der Kläger nicht.
Bedenken gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Klage wird daher abgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO und § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist die Entscheidung unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO), im Übrigen gilt die umseitige Rechtsbehelfsbelehrung:.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen