Aktenzeichen W 2 K 17.33642
Leitsatz
1 Der gesellschaftliche Stand als alleinerziehende Mutter stellt in der Elfenbeinküste keine bestimmte soziale Gruppe im flüchtlingsrechtlichen Sinn dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auf der Grundlage der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel ist das Gericht davon überzeugt, dass in dem kulturellen-ethnischen Gesellschaftskreis aus dem die Klägerin zu 1) sowie der Mann, dem sie versprochen sein soll, entstammen, es nicht üblich ist, nach einer vollzogenen Beschneidung eine zweite Beschneidung durchzuführen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Jedenfalls stünde der Klägerin angesichts ihrer Eigenständigkeit und Geschäftserfahrenheit mit den zahlreich vorhandenen Ballungszentren jenseits von Abidjan eine interne Fluchtalternative offen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 17. Oktober 2017 ist im verfahrensgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
1.1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gemäß Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Klägerin zu 1) eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob und in welcher Art und Weise es tatsächlich zu der vorgetragene Vergewaltigung und Verletzung durch den Mann gekommen ist, zu dem Klägerin zu 1) von ihrer Familie gebracht worden sein soll. Denn eine Anknüpfung an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3b AsylG ist selbst bei Wahrunterstellung nicht ersichtlich. Die behauptete Verfolgung knüpft weder an die Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an. Aus dem vorgetragenen Kontext geht hervor, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht allein an das Geschlecht der Klägerin zu 1) anknüpfen. Auch der gesellschaftliche Stand als alleinerziehende Mutter stellt in der Elfenbeinküste keine bestimmte soziale Gruppe im flüchtlingsrechtlichen Sinn dar. Das Gericht nimmt gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 17. Oktober 2017 Die von der Klägerin zu 1) im Rahmen der Bundesamtsanhörung behauptete Gefahr einer weiteren Beschneidung wertet das Gericht als rein asyltaktisch motiviert. Selbst wenn die Klägerin zu 1) tatsächlich solche Befürchtungen hegen würde, erreicht deren objektive Eintrittswahrscheinlichkeit zur Überzeugung des Gerichts keinen flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeitsgrad. Auf der Grundlage der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel ist das Gericht davon überzeugt, dass in dem kulturellen-ethnischen Gesellschaftskreis aus dem die Klägerin zu 1) sowie der Mann, dem sie versprochen sein soll, entstammen, es nicht üblich ist, nach einer vollzogenen Beschneidung eine zweite Beschneidung durchzuführen. Objektive Anhaltspunkte für ein solch atypisches Ansinnen, nennt die Klägerin zu 1) ist, so dass ihre dahingehend geäußerte Befürchtung als reine Spekulation zu werten ist. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerte Vortrag, die Klägerin zu 1) habe von ihrer Freundin telefonisch erfahren, dass der Mann überall herum erzähle, sie sei nicht beschnitten, ist offensichtlich gesteigert und unglaubwürdig. Mangel Glaubwürdigkeit kann mithin dahinstehen, ob es in der Elfenbeingruppe eine soziale Gruppe der von einer Zweitbeschneidung bedrohten Frauen gibt.
Für den Kläger zu 2) sind eigenständige Fluchtgründe weder vorgetragen noch ersichtlich.
Den Klägern steht mithin kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
1.2. Sie haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht.
Im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch den Mann, dem die Klägerin zu 1) versprochen gewesen sein soll, droht den Klägern zur Überzeugung des Gerichts schon aufgrund bestehender inländischer Fluchtalternative keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Auch in diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob es tatsächlich in der von der Klägerin zu 1) vorgetragenen Form zu einer Vergewaltigung, Verletzung und der anschließenden Flucht gekommen ist. Ihre Einlassung, der Mann würde noch immer nach ihr suchen, kann dabei als wahr unterstellt werden, denn es ist zu Überzeugung des Gerichtes völlig unrealistisch, dass eine Privatperson über die Mittel und Möglichkeiten verfügt, eine andere Person in einem Ballungszentrum außerhalb der eigenen Nachbarschaft ausfindig zu machen.
Selbst wenn man unterstellen würde, dass ein gemäß § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorrangiger Schutz durch Polizei und Justiz in der Elfenbeinküste für die Klägerin zu 1) nicht gewährleistet gewesen wäre, hätte ihr mit den zahlreich vorhandenen Ballungszentren jenseits von Abidjan jedenfalls eine interne Fluchtalternative offen gestanden. Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m § 3e AsylG wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht und er legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Die Klägerin zu 1) gibt selbst an, sie habe seit der Ausreise ihres Ehemannes selbst ihre Miete bezahlt, sich ernährt und die Schulsachen für ihre Kinder bezahlt. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin zu 1) zur Erwirtschaftung dieser Lebensgrundlage mit der Tante zusammen im kleingewerblichen Handel tätig war, ist angesichts ihrer Eigenständigkeit und Geschäftserfahrenheit davon auszugehen, dass sie sich auch in einer anderen Großstadt der Elfenbeinküste eine – wenn auch äußerst bescheidene – wirtschaftliche Existenz hätte aufbauen können. Da ihre beiden älteren Kinder seit der Ausreise der Klägerin zu 1) von deren jüngeren Schwester in Jeseco versorgt werden, sind sie bei der Frage der Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative nicht zu berücksichtigen. Denn es ist davon auszugehen, dass sie auch in diesem Fall dort untergebracht worden wären. Nach eigener Darstellung der Klägerin zu 1) war es ihr in der konkreten Fluchtsituation gar nicht möglich, die beiden Kinder mitzunehmen, so dass sie bei der Prüfung einer internen Fluchtalternative im Hinblick auf die Möglichkeit der Existenzsicherung nicht zu berücksichtigen sind. Auch in diesem Fall hätte die Klägerin zu 1) lediglich die Unterhaltslast für den Kläger zu 2) tragen müssen. Entsprechend der Gratuité Ciblée bestand zum Zeitpunkt der Ausreise für den Kläger zu 2) als Kind unter fünf Jahren ein kostenloser Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Elfenbeinküste (vgl. zur Gratuité Ciblée: Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Medizinischen Versorgung in der Elfenbeinküste, 7. September 2012, S. 2), so dass dessen gesundheitliche Versorgung unabhängig von der Einkommenssituation der Klägerin zu 1) gewährleistet gewesen wäre. Hinsichtlich der Arbeits- und Wohnsituation ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits zuvor den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder im Wesentlichen selbst bestritten hat. Auch wäre es ihr zur Überzeugung des Gerichts möglich gewesen, in einer anderen Stadt eine Bleibe zu finden. So gehen die kanadischen Immigrationsbehörden zwar davon aus, dass es für allein lebende Frauen unter 30 Jahre etwas komplizierter ist, alleine zu leben, differenzieren dabei jedoch zwischen dem Leben in Großstädten wie Abidjan oder Bouaké und dem ländlichen Raum. Im Wesentlichen sei dies eine Frage der finanziellen und ökonomischen Verhältnisse (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Côte d’Ivoire: Situation of educated women living alone, whether single or divorced, particularly in Abidjan and Bouké; whether they can find work and housing, support services available to them (2014-April 2016) [CIV105508.FE], 2. Mai 2016). Für die Klägerin zu 1), die zum Zeitpunkt ihrer Flucht bereits 35 Jahre alt war und schon altersmäßig nicht in die Gruppe der Frauen fällt, für die es gegebenenfalls sozial und gesellschaftlich schwierig sein könnte, alleine eine Unterkunft zu finden, wäre es trotz ihrer geringen formalen Schulbildung zur Überzeugung des Gerichts zumutbar gewesen, sich innerhalb der Elfenbeinküste an einem anderen Ort niederzulassen. Das aus dem Verkauf der Ohrringe stammende Geld hätte ihr dabei als Startkapital dienen können, mit dessen Hilfe sie eine Übergangsphase hätte überbrücken und am lokalen Arbeitsmarkt Fußfassen können. Da die Klägerin es bereits zuvor vermocht hatte, die Kinderbetreuung mit ihrer Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen, steht dem zur Überzeugung des Gerichts auch nicht die Betreuungsbedürftigkeit des Klägers zu 2) entgegen.
Mithin steht den Klägern kein Anspruch auf den subsidiären Schutzstatus zu.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.