Sozialrecht

Multisystematrophie wegen Schädlingsbekämpfungsmitteln keine Berufskrankheit

Aktenzeichen  L 3 U 477/15

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24522
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 7 Abs. 1, § 9, § 63
Anl. 1 zur BKV Nr. 1302, Nr. 1303, Nr. 1307, Nr. 1317

 

Leitsatz

1. Zur Geltendmachung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Tod eines Versicherten infolge einer angeblichen Berufskrankheit.
2. Die Erkrankung eines Molkereimeisters, der beruflichen Kontakt zu Schädlingsbekämpfungsmitteln hatte, an einer Multisystematrophie stellt weder eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1302, Nr. 1303, Nr. 1307, Nr. 1317 oder einer sonstigen Nummer der Anlage 1 zur BKV noch eine sog. Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII dar.
3. Nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist die Ätiologie der Multisystematrophie ungeklärt.

Verfahrensgang

S 18 U 147/14 2015-11-11 Endurteil SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts Augsburg vom 11. November 2015 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die Berufungen sind zulässig, insbesondere wurden sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und bedürfen gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
B.
Die Berufungen der Klägerin sind jedoch unbegründet. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
I. In der mündlichen Verhandlung am 11. September 2018 hat der Bevollmächtigte der Klägerin zutreffend einen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag dahingehend gestellt, der Klägerin nach dem Tod des Versicherten Leistungen an Hinterbliebene nach §§ 63 ff. SGB VII zu gewähren. Bei verständiger Auslegung des bisherigen Vortrages insbesondere auch im Klageverfahren entspricht die Antragstellung dem Begehren der Klägerin. Dass sich der bisherige Vortrag auf die Frage konzentriert hat, ob beim Versicherten eine Berufskrankheit vorgelegen hat oder nicht, ist dem Umstand geschuldet, dass etwaige Ansprüche der Klägerin maßgeblich an diesem Tatbestandsmerkmal gescheitert sind. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger bzw. der Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
Eine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Unfallversicherungsträgers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles (hier einer Berufskrankheit) beim Versicherten gibt es nicht. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17 und juris Rn. 26; BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 26/10 R -, juris Rn. 19).
Schließlich kann der Senat nicht feststellen, dass bereits zu Lebzeiten des Versicherten ein Verwaltungsverfahren auf Feststellung einer Berufskrankheit und ggf. auf Gewährung von Leistungen zugunsten des Versicherten anhängig gewesen wäre, welches die Klägerin ggf. als (Sonder-)Rechtsnachfolgerin des Versicherten hätte fortführen können und aus dem sie noch Ansprüche geltend machen könnte (vgl. § 59 SGB I; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 21/08 R -, SozR 4-2700 § 63 Nr. 6 und juris Rn. 12). Die Klägerin hat insbesondere keine Nachweise dafür vorlegen können, dass der Verdacht auf eine Berufskrankheit bereits vor dem Tod des Versicherten angezeigt worden wäre. Der Beklagten liegen hierzu keine Unterlagen vor und sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsarzt haben auf ausdrückliche Nachfrage entsprechende Anzeigen nicht bestätigen können. Auch der behandelnde Arzt Dr. K. hat einen Verdacht auf eine Berufskrankheit erst im März 2006 angezeigt. Eine erste telefonische Meldung erfolgte durch Dr. D. am Tag nach dem Tod des Versicherten.
II. Die so verstandenen Klagen sind als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zulässig. Insbesondere liegt eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten ausdrücklich auch über die Ablehnung von Ansprüchen auf Leistungen an Hinterbliebene vor.
III. Die Klagen sind jedoch unbegründet. Die Beklagte hat einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen an Hinterbliebene mit verschiedenen Bescheiden vom 15. Mai 2007 und vom 14. Mai 2008 zu Recht abgelehnt. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass beim Versicherten eine Berufskrankheit vorgelegen hat. Nicht zu beanstanden ist daher auch, wenn es die Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2014 abgelehnt hat, ihre Bescheide vom 14. Mai 2008 nach § 44 SGB X zurückzunehmen.
Streitgegenständlich ist vorliegend ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X. Denn ungeachtet der verschiedenen Entscheidungen der Beklagten, die sich jeweils gesondert mit einer bestimmten Berufskrankheit befasst haben, ist von der Rechtsprechung des BSG auszugehen. Danach unterscheidet sich die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Unfallversicherungsträger geltend machen, von derjenigen des Versicherten, der die Feststellung eines Versicherungsfalles geltend macht. Nach § 63 Abs. 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts, dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist hingegen kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, z.B. eine bestimmte Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17 und juris Rn. 25 f.; BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 26/10 R -, juris Rn. 18). Vorliegend hatte die Beklagte Hinterbliebenenleistungen an die Klägerin erstmals mit Bescheid vom 15. Mai 2007 abgelehnt. Dieser Bescheid ist durch Rücknahme der Klage S 5 U 223/07 bestandskräftig geworden. Darauf, ob die Beklagte bzw. das SG tatsächlich alle in Betracht kommenden Versicherungsfälle zutreffend geprüft haben oder nicht, kommt es nicht an.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn die Beklagte hat in ihren Bescheiden vom 15. Mai 2007 und vom 14. Mai 2008 einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen an Hinterbliebene zu Recht abgelehnt. Soweit § 48 SGB X theoretisch eine weitere Rechtsgrundlage für die Aufhebung von Verwaltungsakten darstellt, wird ergänzend darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift dem Begehren der Klägerin ebenfalls im Ergebnis nicht zum Erfolg verhelfen könnte. Denn wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen des Senats ergibt, ist seit Erlass des Bescheides vom 15. Mai 2007 weder eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen noch in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten. Der maßgebliche medizinische Erkenntnisstand hat seit 2007 keine entscheidungserhebliche Änderung erfahren.
Nach § 63 Abs. 1 SGB VII setzt der Anspruch auf Leistungen an Hinterbliebene grundsätzlich voraus, dass der Tod infolge eines Versicherungsfalles eingetreten ist. Das Vorliegen eines Versicherungsfalles stellt danach eine zentrale Anspruchsvoraussetzung dar, die inzident zu prüfen ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Beim Versicherten hat ein maßgeblicher Arbeitsunfall nicht stattgefunden (hierzu ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich), so dass ausschließlich das Vorliegen einer Berufskrankheit zu prüfen ist. Zur Überzeugung des Senats hat jedoch beim Versicherten keine Berufskrankheit vorgelegen. Ein Anspruch auf eine Hinterbliebenenleistung (hier Sterbegeld und Witwenrente) scheitert daher bereits an dieser Anspruchsvoraussetzung.
Auf den vorliegenden Sachverhalt finden die Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII Anwendung. Der Tod des Versicherten ist am 15. Januar 2006 eingetreten. Dass die geltend gemachte Berufskrankheit ggf. bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sein könnte, weil die Multisystematrophie beim Versicherten bereits im Jahr 1996 diagnostiziert worden ist, führt im vorliegenden Verfahren nicht dazu, dass die Vorschriften der Rechtsversicherungsordnung (RVO) Anwendung finden. Zudem hat das BSG festgestellt, dass für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Versicherte verstorben ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17 und juris Rn. 27 ff.). Letztlich ist diese Frage aber ohnehin nicht entscheidungserheblich, da die maßgeblichen Regelungen mit Inkrafttreten des SGB VII keine entscheidungserheblichen Änderungen erfahren haben.
Für den Senat ist zwar im Vollbeweis erwiesen, dass der Versicherte an einer Multisystematrophie gelitten hat. Der Senat kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass es sich bei der Multisystematrophie um eine Berufskrankheit handelt. Weder kann eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Anlage 1 zur BKV (sog. Listen-Berufskrankheit) noch nach § 9 Abs. 2 SGB VII (sog. Wie-Berufskrankheit) festgestellt werden.
1. Eine sog. Listen-Berufskrankheit lag nicht vor.
a) Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-Berufskrankheit) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R -, BSGE 114, 90 und juris Rn. 12 m.w.N.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 20/14 R -, BSGE 118, 267 und juris Rn. 10 und 23 m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, sind bezüglich der Listen-Berufskrankheiten hier solche aus der Gruppe 13 der Anlage 1 zur BKV zu prüfen. Hierunter fallen Erkrankungen durch Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe. Andere Berufskrankheiten aus der Anlage 1 zur BKV kommen nicht in Betracht und wurden von der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. Allen diesen Erkrankungen der Gruppe 13 ist jedoch gemeinsam, dass sie auf den Kontakt mit ganz bestimmten, in der jeweiligen Nummer genannten chemischen Stoffen zurückgeführt werden können. Für die Multisystematrophie lässt sich jedoch ein entsprechender Ursachenzusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herstellen. Dies gilt sowohl für die namentlich geprüften Berufskrankheiten Nrn. 1302, 1303, 1307 und 1317 als auch für die übrigen, in der Anlage 1 zur BKV genannten Berufskrankheiten.
Zwar war der Versicherte gegenüber Schädlingsbekämpfungsmitteln exponiert. Auch kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass es sich zumindest um Stoffe im Sinne der BK 1302 (Halogenkohlenwasserstoffe) bzw. der BK 1307 (organische Phosphorverbindungen) gehandelt hat.
Im Ergebnis kommt es jedoch hier auf Details zu Art und Umfang der Exposition des Versicherten zu Schädlingsbekämpfungsmitteln bzw. zu ganz bestimmten Substanzen nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die Ursache der Multisystematrophie noch vollständig ungeklärt ist. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und etwaigen, ganz bestimmten schädigenden Einwirkungen kann ausgehend von dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand derzeit nicht hergestellt werden. Dabei kommt es im Ergebnis nicht darauf an, um welche konkreten Einwirkungen es sich handelt. Denn zusammenfassend erlauben es die derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht, eindeutige Kausalbeziehungen zu bestimmten Pestizidklassen, Kombinationen von Pestiziden und anderen toxischen Einflüssen herzustellen. Zudem können etwaige Faktoren des Lebensstils und der genetischen Disposition nicht abgegrenzt werden.
Der Senat schließt sich insoweit insbesondere der Einschätzung des Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 1. Februar 2018 mit ergänzender Stellungnahme vom 30. April 2018 an und berücksichtigt dabei auch die Ausführungen des Sachverständigen in dessen Gutachten vom 25. März 2010. Der Senat hat keine Bedenken, sich der Bewertung des fachkompetenten Sachverständigen, der Mitglied im Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ des BMAS ist und der die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse umfangreich dargestellt hat, anzuschließen. In seinem ersten Gutachten vom 25. März 2010, auf dem die weiteren Ausführungen basieren, hatte Prof. Dr. G. bereits die vorliegenden Unterlagen und Informationen über die verwendeten Schädlingsbekämpfungsmittel ausgewertet und sich mit den in Betracht zu ziehenden Substanzen und ihren möglichen schädigenden Auswirkungen eingehend befasst. Seine Bewertung deckt sich mit den Einschätzungen des Prof. Dr. G. im Gutachten vom 30. Januar 2007 und des Dr. H. im Gutachten vom 27. Oktober 2014 (eingeholt auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG) ebenso wie mit der Bewertung durch den Gewerbearzt Dr. K.
Nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen des Prof Dr. G. handelt es sich bei der Multisystematrophie um eine neurodegenerative Erkrankung des Zentralnervensystems, die sich – trotz gewisser Gemeinsamkeiten – klinisch und epidemiologisch von anderen Erkrankungen dieser Gruppe (z.B. Morbus Parkinson) unterscheiden lässt.
Pestizide bzw. Schädlingsbekämpfungsmittel sind dabei durchaus in der Lage, gesundheitliche Störungen im Bereich des Nervensystems zu verursachen. Ein ursächlicher Zusammenhang in Bezug auf die Multisystematrophie lässt sich nach dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand jedoch nicht herstellen.
Die größte Gruppe der beruflich Pestizid-Exponierten stellen weltweit Personen dar, die in der Landwirtschaft tätig sind. Zu diesen gibt es mittlerweile recht umfangreiche wissenschaftliche Literatur. Dabei mehren sich Veröffentlichungen, nach denen Pestizidbelastungen (von Landwirten) generell mit einem erhöhten Parkinson-Risiko verbunden sind (insbesondere Herbizid- und Insektizid-, nicht jedoch Fungizidexposition). Kennzeichnend für diese Studien ist jedoch der fehlende Nachweis einer stoffbezogenen Exposition. Dies hängt zusammen mit der wechselnden Zusammensetzung der in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide. Nach den Ergebnissen einer systematischen Literaturübersicht mit Metanalyse ist zudem eine inverse Verknüpfung zwischen Rauchen und Parkinson-Erkrankung zu sichern. Insgesamt lässt sich anhand dieser Daten aber aus gutachterlicher Sicht selbst für die Parkinson-Erkrankung noch kein endgültiges Urteil fällen.
Für die Multisystematrophie, an der der Versicherte nachweislich gelitten hat, ergeben sich demgegenüber weniger konsistente wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Erkenntnisse zur Parkinson-Erkrankung können nicht ohne weiteres übertragen werden.
Bei der Multisystematrophie handelt es sich um eine atypische Form des Parkinsonismus mit bisher unbekannter Ätiologie. Grundsätzlich bestehen zwar Assoziationen zu verschiedenen beruflichen Belastungen. Insoweit stellen Pestizide jedoch nur eine mögliche Stoffgruppe dar. Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 ist davon ausgegangen, dass landwirtschaftliche Tätigkeit zwar einen Risikofaktor für die Multisystematrophie darzustellen scheine, Pestizidbelastungen jedoch gerade nicht mit der Multisystematrophie assoziiert seien. Auch eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 sowie Studien aus den Jahren 2008 und 2010 konnten keinen statistisch signifikanten Einfluss von Pestiziden, Lösungsmitteln oder anderen toxischen Substanzen belegen. Sichern ließen sich dagegen nichtberufliche Einflüsse (z.B. die Einnahme pflanzlicher Medikamente). Eine Studie aus dem Jahr 2015 geht davon aus, dass genetische Faktoren bei der Pathogenese eine Rolle spielen. Demgegenüber ermittelte eine chinesische Studie aus dem Jahr 2016 wiederum ein hohes Risiko für Tätigkeiten in der Landwirtschaft („farming“).
Die aktualisierten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu möglichen beruflichen Ursachen der Multisystematrophie ergeben damit zwar einzelne Hinweise, aber nach wie vor keine über die Mehrzahl der Studien konsistenten Belege, nach denen dieses Leiden hinreichend gesichert überhäufig bei in der Landwirtschaft Beschäftigten oder konkret bei Personen auftritt, die gegenüber bestimmten Pestiziden exponiert sind.
Ergeben sich demnach nicht einmal für in der Landwirtschaft tätige Personen ausreichende Belege für einen Ursachenzusammenhang, so kann für Personen, die wie der Kläger in einem Lebensmittelbetrieb tätig sind und dort sicherlich nicht in einem größeren Umfang als in der Landwirtschaft pestizidexponiert sind (die Sachverständigen gehen weitgehend übereinstimmend von einer deutlich geringeren Exposition aus), nichts anderes gelten.
Bei dem Versicherten hat danach namentlich keine BK 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe), BK 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol), BK 1307 (Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen) oder BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) vorgelegen, aber auch keine andere Listen-Berufskrankheit. Dies gilt auch unter der Annahme einer besonderen, in der Person des Versicherten liegenden Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Schädlingsbekämpfungsmitteln. Bezogen auf die Aussagen des Dr. M., wonach ein genetisch bedingter Enzymmangel und eine dadurch gestörte Entgiftungsfunktion überhäufig zu einer Multisystematrophie führe, ergeben sich aus der Literatur keine ausreichenden Hinweise.
Bezogen auf die BK 1302, die BK 1303 und die BK 1307 fehlt es beim Versicherten an einem Erkrankungsbild, welches häufiger nach einer Exposition gegenüber den entsprechenden Stoffen beschrieben wurde. So stehen z.B. bei der BK 1307 periphere Nervenfunktionsstörungen im Vordergrund. Akute Befindlichkeitsstörungen bzw. Vergiftungserscheinungen während der Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen sind beim Versicherten nie dokumentiert oder behauptet worden. Darüber hinaus fällt die Multisystematrophie nicht unter die nach der BK 1317 zu entschädigenden Erkrankungen (Polyneuropathien oder Enzephalopathien). Das Vorliegen eines entsprechenden Krankheitsbildes hat keiner der Sachverständigen bejaht; auch von PD Dr. R. wurde es ausdrücklich nicht angenommen.
Schließlich hat auch die neuropathologische Begutachtung des Gehirns nach dem Tod des Versicherten im Universitätsklinikum T. ergeben, dass ein toxikologischer Zusammenhang eher unwahrscheinlich ist.
c) Vorliegend verhilft auch die Regelung des § 9 Abs. 3 SGB VII dem Begehren der Klägerin nicht zum Erfolg. Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift, wonach der Betroffene infolge der besonderen Bedingungen seiner versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt war, können vorliegend gerade nicht festgestellt werden.
Nach der Gesetzesbegründung sollen bei Kausalitätsfragen zwischen arbeitsplatzbezogenen Einwirkungen und einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit (sog. Listen-Berufskrankheit) die Grundsätze über den Anscheinsbeweis Beachtung finden. Ein Anscheinsbeweis ermöglicht es, bei typischen Geschehensabläufen von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen. Mit einem Anscheinsbeweis ist jedoch keine Reduzierung von Beweisanforderungen verbunden. Vielmehr handelt es sich um eine Tatsachenvermutung, die sich auf anerkannte Erfahrungssätze stützt, also um eine besondere Form der Beweiswürdigung. Voraussetzung ist, dass bestimmte Anknüpfungstatsachen feststehen, die nach konkreten und gesicherten Erfahrungssätzen mit Wahrscheinlichkeit auf eine ursächliche Verknüpfung schließen lassen. Aus der Vielzahl von Differenzierungskriterien hinsichtlich Art, Intensität und Dauer der Einwirkungen sowie der Krankheitsbilder und -verläufe ergibt sich aber, dass diese Voraussetzungen bei Berufskrankheiten nur im Falle von eng definierten Kombinationen von Einwirkungen und Krankheitsbildern erfüllt sein können. Sonstige Erfahrungssätze über Ursache-Wirkungs-Beziehungen, welche die entscheidungserheblichen Kriterien nicht vollständig abbilden, rechtfertigen keinen Anscheinsbeweis (vgl. Brandenburg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 9 SGB VII Rn. 100 f.). § 9 Abs. 3 SGB VII stellt die allgemeinen Grundsätze des Unfallversicherungsrechts nicht infrage. Die Vorschrift enthält keine Umkehr der Beweislast und auch keine Ursachenfiktion. Es handelt sich vielmehr um einen gesetzlich normierten Anscheinsbeweis (Römer, in: Hauck/Noftz, SGB, Kommentar, Stand: 07/2015, § 9 SGB VII Rn. 31; a. A. Wietfeld, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck Online-Kommentar, Sozialrecht, Stand: 1. Juni 2018, § 9 SGB VII Rn. 72). Der Anscheinsbeweis setzt jedoch voraus, dass ein Sachverhalt nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten typischen Verlauf hinweist, aus dem dann in der Beweiswürdigung auf einen bestimmten Erfolg (Erkrankung) geschlossen werden kann. Dies ist immer dann möglich, wenn es quasi auf der Hand liegt, dass der Versicherte ein deutlich höheres Risiko als andere Versicherte trägt. Dabei muss die Gefahrenerhöhung derart sein, dass – bei Fehlen von Anhaltspunkten für eine private Verursachung – weitere Prüfungen zur Kausalität nicht mehr notwendig erscheinen. Dies wird nur bei wenigen Berufskrankheiten bereits bei Vorliegen der „normalen“ Tatbestandsmerkmale der Fall sein. Es werden sich eher monokausale Berufskrankheiten für die Anwendung des § 9 Abs. 3 eignen (Römer, a.a.O., § 9 SGB VII Rn. 32b; im Ergebnis ähnlich Wietfeld, a.a.O., § 9 Rn. 73). Ähnlich geht auch Brandenburg, der die Regelung des § 9 Abs. 3 SGB VII rechtstechnisch als eine Kausalitätsvermutung ansieht, davon aus, dass die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über die generellen Zusammenhänge zwischen definierten arbeitsplatzbezogenen Einwirkungen und bestimmten Erkrankungen maßgebliche Voraussetzungen für diese Kausalitätsvermutung sind. Dabei sind insbesondere wissenschaftliche Erkenntnisse über das Schädigungspotential von nach Art, Intensität und Dauer genau definierten Einwirkungen erforderlich (Brandenburg, in: Becker/ Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, Kommentar, 5. Auflage 2018, § 9 Rn. 55 f.).
Aus den obigen Ausführungen (B. III. 1. b)) ergibt sich, dass im Falle des Versicherten gerade keine typische Ursache-Wirkungs-Beziehung im Sinne eines typischen Geschehensablaufes festgestellt werden kann.
2. Beim Versicherten hat auch nicht der Versicherungsfall einer sog. Wie-Berufskrankheit vorgelegen. Hierfür gelten letztlich dieselben Erwägungen wie bei den Listen-Berufskrankheiten.
a) Für die Feststellung des Vorliegens einer Wie-Berufskrankheit ergeben sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die folgenden Tatbestandsmerkmale: (1.) das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, (3.) nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§ 9 Abs. 2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-Berufskrankheit im Einzelfall bei dem Versicherten. Die Vorschrift enthält keine Härteklausel, nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen wäre (BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 33/11 R -, juris Rn. 17). Die Voraussetzungen (2.) und (3.) sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 6/12 R -, juris Rn. 15 m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zur Verneinung einer Listen-Berufskrankheit bei dem Versicherten mit der Multisystematrophie auch keine Erkrankung vorgelegen, die nachweislich gehäuft nach beruflicher Exposition gegenüber Pestiziden bzw. Schädlingsbekämpfungsmitteln auftritt. Aus der Literatur ergeben sich nach wie vor keine ausreichenden Hinweise auf spezifische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei der Multisystematrophie um eine seltene Erkrankung handelt und daher umfassende Fall-Kontroll-Studien ggf. nicht erforderlich sind (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22 und juris Rn. 17, 20). Vorliegend werden in der medizinischen Wissenschaft Ursachenzusammenhänge mit ganz verschiedenen Stoffen, aber auch genetische Ursachen äußerst kontrovers diskutiert. Danach liegen gerade keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Kausalität vor.
Soweit der Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim BMAS im September 2014 beschlossen hat, die wissenschaftliche Erkenntnislage zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Parkinson und der Exposition gegenüber Pestiziden erneut zu prüfen, weist das BMAS auf seiner Internetseite weiterhin (eingesehen am 10. September 2018) darauf hin, dass sich die Fragestellung „Parkinson durch bestimmte Pestizid-Inhaltsstoffe“ im Stadium der Vorprüfung befindet (https://www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-Sicherung/Gesetzliche-Unfallversicherung/der-aerztliche-sachverstaendigenbeirat-berufskrankheiten.html). Neue Erkenntnisse zugunsten der Klägerin ergeben sich daraus nicht.
3. Im Übrigen ergibt sich weder aus den Ausführungen des Dr. M., der PD Dr. R. oder des Dr. Sch. noch aus dem weiteren Vortrag der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten eine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage. Dies gilt sowohl für die Frage, ob beim Versicherten eine Listen-Berufskrankheit vorgelegen hat, noch für die Frage, ob eine Wie-Berufskrankheit vorgelegen hat.
a) Die Ausführungen des Dr. M. vermögen den Senat nicht von einer anderen Bewertung zu überzeugen.
Wie insbesondere Prof. Dr. G. ausgeführt hat und wie sich im Übrigen auch aus der Stellungnahme des Dr. M. selbst ergibt, zeigt Dr. M. allenfalls die Möglichkeit eines Kausalzusammenhanges auf. Dr. M. hat in seiner Stellungnahme ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Toxizität der Schädlingsbekämpfungsmittel, denen der Versicherte ausgesetzt gewesen sei, bislang nicht adäquat untersucht sei. Lediglich pauschal weist er darauf hin, dass die Kombination solcher Substanzen deren Toxizität verstärke. Diese Ausführungen sind insgesamt sehr allgemeiner Natur. Sie gehen weder auf die im vorliegenden Fall in Betracht kommenden, ggf. schädigenden Substanzen oder Art und Umfang einer notwendigen Exposition ein noch wird dargelegt, durch welche der verwendeten Substanzen der Versicherte tatsächlich geschädigt worden sein soll. Das Berufskrankheitenrecht setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen einer ganz bestimmten Erkrankung (hier der Multisystematrophie) und ganz spezifischen (hier chemischen) Einwirkungen hergestellt werden kann. Ein pauschaler Hinweis auf „vergleichbare“ Stoffe genügt nicht. Im Übrigen hat das BSG bereits festgestellt, dass die verschiedenen Arbeitsstoffe mehrerer Listen-Berufskrankheiten grundsätzlich nicht im Sinne einer etwaigen „Gesamt-Berufskrankheit“ gemeinsam betrachtet werden können (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17 und juris).
Ebenso hatte Prof. Dr. G. darauf hingewiesen, dass die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Exposition mit Organophosphaten und Pyrethroiden und einer Multisystematrophie als Einzelmeinung des Hautarztes Dr. M. im fachfremden Gebiet zu werten ist. Die wissenschaftliche neurologische Literatur diskutiert toxische Belastungen als Ursache einer Multisystematrophie unter einer Vielzahl anderer Ursachen, als grundsätzlich mögliche oder nicht ausschließbare Ursache, keineswegs aber als wahrscheinliche Ursache. Eine schlüssige epidemiologische Evidenz für eine Assoziation zwischen bestimmten Umweltschadstoffen und neurodegenerativen Erkrankungen ist gerade nicht gegeben und wird auch in den Ausführungen des Dr. M. nicht aufgezeigt. Es besteht weiterer Forschungsbedarf. Dieser Auffassung des Prof. Dr. G. schließt sich der Senat an. An dieser Situation hat sich – wie die weiteren Ermittlungen ergeben haben – auch aktuell keine entscheidungserhebliche Änderung ergeben.
Soweit Dr. M. außerdem davon ausgeht, dass beim Versicherten eine genetische Variante vorgelegen habe, die sein Erkrankungsrisiko wesentlich erhöht habe, hat er ebenfalls nicht dargelegt, dass eine solche Risikoerhöhung generell und für den hiesigen Sachverhalt in der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur eine Grundlage findet. Prof. Dr. G. hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass über einen etwaigen Zusammenhang zwischen der entsprechenden Genvariante und einem erhöhten Risiko, an einer Multisystematrophie zu erkranken, weiterhin viel zu wenig bekannt ist. Bereits aus seinem Gutachten vom 25. März 2010 ergibt sich, dass die Bedeutung von Enzympolymorphismen (bzw. der beim Versicherten festgestellten heterozygoten Genvariante) im Hinblick auf neurodegenerative Erkrankungen wie das Parkinson-Syndrom und die Multisystematrophie noch nicht ausreichend geklärt ist. Ähnliche Erwägungen hat Dr. H. angestellt. Daran hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Außerdem hat Prof. Dr. G. für den Senat nachvollziehbar sein Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, dass Dr. M. als Nicht-Neurologe offenbar häufiger Patienten mit einer Multisystematrophie untersucht hat und angeblich über eine ungenannte Behandlungsmethode verfügt, mit der diese als unaufhaltsam progredient geltende Erkrankung zum Stillstand gebracht werden könne.
b) Die Darlegungen der PD Dr. R. führen aus Sicht des Senats ebenfalls nicht zu der Annahme, dass beim Versicherten eine Berufskrankheit vorgelegen hat. Dabei sind die Ausführungen der Sachverständigen zur Exposition des Versicherten hier letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn auch ihre Ausführungen zur Frage eines medizinischen Zusammenhanges bleiben letztlich spekulativ. Soweit sie – sich letztlich sehr vorsichtig ausdrückend – eine Assoziation zwischen einer früheren Pestizidexposition und einer Parkinson-Erkrankung annimmt, verweist sie selbst auf die kontroverse Diskussion in der Literatur. Sie geht auch nicht näher darauf ein, für welche konkreten Substanzen diese Assoziation hergestellt werden kann und ob und in welchem Umfang der Versicherte Kontakt zu genau diesen Substanzen gehabt hat. Wenn dann schließlich diese ersten Hinweise zur Parkinson-Erkrankung auf die Multisystematrophie übertragen werden, so bleibt PD Dr. R. hier eine nähere Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschieden zwischen diesen beiden Erkrankungen schuldig. Sie „vermutet“ insoweit „ähnliche pathogenetische Mechanismen“ und verweist zur Begründung pauschal darauf, dass es sich bei beiden Erkrankungen um Synucleinopathien handele. Soweit sie Studien anführt, die einen etwaigen Zusammenhang zwischen Pestizidexpositionen und der Multisystematrophie untersucht haben, zeigt sich hier gerade weder ein einheitliches Bild noch eine überwiegende Tendenz. Konkrete Substanzen werden erneut nicht genannt; stattdessen ist pauschal von Pestiziden bzw. einer – hier nicht gegebenen – Tätigkeit in der Landwirtschaft die Rede. PD Dr. R. hat selbst auf die unterschiedlichen Studienergebnisse verwiesen.
Aus Sicht des Senats ist jedoch erstens bereits die Datenlage zur Verursachung einer Parkinson-Erkrankungen durch Pestizide – auch ausgehend von den Darlegungen der PD Dr. R. – derzeit nicht ausreichend, um eine Berufskrankheit anzuerkennen. Zweitens ist der Vergleich der Multisystematrophie mit der Parkinson-Erkrankung in diesem Zusammenhang dem Bereich der Spekulation zuzuordnen. Soweit PD Dr. R. ebenso wie Dr. M. annimmt, dass die fremdstoffmetabolisierenden Enzyme, die beim Versicherten untersucht worden seien, ein eher ungünstiges Polymorphismenmuster darstellen würden, das auf eine bestehende erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Organophosphaten (wie z.B. Chlorpyrifos) hinweise, gilt dasselbe, was der Senat bereits zu den entsprechenden Annahmen des Dr. M. gesagt hat. Überdies hat PD Dr. R. selbst darauf hingewiesen, dass bisher wenig darüber bekannt ist, welche Bedeutung vorliegende Polymorphismen bei niedrigeren, nicht akut toxischen Konzentrationen haben und welche Bedeutung insgesamt Mischexpositionen haben.
c) Das sehr knappe Gutachten des Dr. Sch. liefert gegenüber den Ausführungen des Dr. M. und der PD Dr. R. keine weitergehenden Erkenntnisse. Der Senat vermag ihm daher im Ergebnis ebenfalls nicht zu folgen. Zusätzlich fällt auf, dass Dr. Sch. die klinische Relevanz der beim Kläger wohl von Dr. M. sowie PD Dr. R. angenommenen schlechteren Metabolisierung von aktiviertem Chlorpyrifos ausdrücklich offen gelassen hat, da es auch Paraoxonaseunabhängige Abbauwege gebe. Insgesamt sei wenig bekannt, welche Bedeutung die vorliegenden Polymorphismen bei niedrigen, nicht akut toxischen Belastungen und welche Bedeutung insgesamt Mischexpositionen haben. Somit stützen diese Bedenken des Dr. Sch. sogar eher das Ergebnis der Beweiswürdigung durch den Senat.
d) Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin auf andere Fälle Bezug genommen hat, in denen (insbesondere im Bereich der Landwirtschaft) Parkinson-Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt worden sind, lassen sich hieraus keine Argumente zugunsten der Klägerin gewinnen. Erstens handelt es sich in jedem Fall der Prüfung des Vorliegens einer Berufskrankheit um eine Einzelfallentscheidung. Zweitens ist nichts darüber bekannt, ob und ggf. inwieweit die anerkannten Fälle mit der Situation des Klägers vergleichbar sind. Gegen eine Vergleichbarkeit spricht vielmehr, dass der Versicherte nicht in der Landwirtschaft tätig gewesen ist und auch nicht an einer Parkinson-Erkrankung gelitten hat. Drittens ist insbesondere nicht bekannt, welchen konkreten Stoffen die Versicherten in den anerkannten Fällen ausgesetzt gewesen sind. Viertens geht aus den vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Unterlagen teilweise nicht hervor, welche Berufskrankheit anerkannt worden ist. Soweit gerichtliche Entscheidungen von Landessozialgerichten zur Frage einer Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit veröffentlicht sind, wurde eine Berufskrankheit nicht anerkannt (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 19. Juli 2016 – L 3 U 32/13 -, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2014 – L 6 U 4215/11 -, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1. Dezember 2011 – L 6 U 122/08 -, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. April 2000 – L 3 U 241/99 -, juris; LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. Juni 1999 – L 3 U 25/94 -, juris). Entscheidungen zur Multisystematrophie sind bislang überhaupt nicht veröffentlicht worden.
e) Soweit die Klägerin selbst vorgetragen hatte, Dr. M. habe im Blut des Versicherten noch nach vielen Jahren hochkonzentrierte Rückstände der Schädlingsbekämpfungsmittel gefunden, missversteht sie die Analysen des Dr. M.. Dieser hat nicht die Konzentration von Schadstoffen gemessen, sondern die Fähigkeit des Versicherten, diese abzubauen. Im Übrigen wäre aber auch der Nachweis von Schadstoffen im Blut noch kein Beleg dafür, dass diese für eine spezielle Erkrankung (hier die Multisystematrophie) ursächlich sind.
f) Schließlich ergeben sich aus dem Aufsatz des Bevollmächtigten der Klägerin (Das heutige Berufskrankheitenrecht – ein sozialer Missstand für die Gesamtbevölkerung) keine hier entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Insbesondere kann ein Systemversagen bzw. ein rechtlicher Missstand nicht festgestellt werden. Die vorliegenden Gutachten belegen, dass tatsächlich Studien zu möglichen Ursachen der Multisystematrophie durchgeführt werden. Die medizinische Klärung von Ursachenzusammenhängen kann jedoch nicht erzwungen werden.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
D.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen