Arbeitsrecht

Rechtmäßigkeit des Ruhens von Versorgungsbezügen wegen eines von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung anstelle einer laufenden Versorgung gezahlten Kapitalbetrages

Aktenzeichen  M 21 K 17.4816

Datum:
22.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48212
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 48 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 1
SVG § 55b Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 96 Abs. 5 S. 2
GG Art. 14, Art. 33 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Welche Fassung der für die Versorgung relevanten Vorschriften jeweils Anwendung findet, ergibt sich grundsätzlich aus den zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung eines Soldaten geltenden Übergangsregelungen des Soldatenversorgungsgesetzes (Rn. 22). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein empfangener Kapitalbetrag kann anders behandelt werden als eine laufende Versorgung der NATO mit der wichtigen weiteren Folge, dass für ihn gerade nicht die bei laufender Versorgung aus NATO-Mitteln vorgeschriebene Deckelung von Kürzungen in Höhe des Kapitalbetrags gilt (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine am Ende der auswärtigen Dienstzeit ausgezahlte Kapitalabfindung kann im Hinblick auf die damit verbundenen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für ihren Empfänger einen wirtschaftlichen Wert aufweisen oder erreichen, der bei typischem Verlauf auch durch eine zeitlich nicht eingeschränkte Addition von Ruhensbeträgen nicht überschritten wird; zusätzlich hat der Betroffene die Wahl, die Abfindung an seinen Dienstherrn auszukehren und sich auf diese Weise einen ungekürzten Versorgungsanspruch zu sichern (Rn. 27). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens erneut über seinen Antrag vom *. August 2012 auf Änderung seiner Ruhensregelung nach § 55b SVG vom 2. August 2004 entschieden wird. Der diesen Antrag ablehnende Bescheid der Wehrbereichsverwaltung … vom 10. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Generalzolldirektion – Service-Center Düsseldorf vom 26. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für das Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne sind nicht erfüllt. Gemäß dem hier allein in Betracht kommenden § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Das ist nicht der Fall.
Die dem Ruhensbescheid vom 3. August 2004 zugrunde liegende Rechtslage hat sich nicht nachträglich zugunsten des Klägers geändert.
Welche Fassung der für die Versorgung relevanten Vorschriften jeweils Anwendung findet, ergibt sich grundsätzlich aus den zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung eines Soldaten geltenden Übergangsregelungen des Soldatenversorgungsgesetzes (vgl. BVerfG vom 23.05.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14, Rn. 8 – BVerfGE 145, 249 = ZBR 2017, 305 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/C III 1.4 Nr. 9).
Nach dem insoweit einschlägigen § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG i.d.F. der Bek. vom 9. April 2002 (BGBl. I S. 1258), welche vom 1. Januar 2002 bis zum 27. März 2008 galt, ist § 55b SVG in der bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung anzuwenden, soweit Zeiten im Sinne des § 55b SVG schon vor dem 1. Januar 1999 zurückgelegt wurden, es sei denn, die Anwendung des § 55b SVG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung ist für den Versorgungsempfänger günstiger.
Bei der Anwendung des § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG in jener Fassung bleibt zwar § 94b Abs. 5 SVG unberührt (§ 96 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 1 SVG a.F.). Aus dieser Klarstellung folgt für den Kläger aber nichts, weil § 94b Abs. 5 SVG a.F. für ihn tatbestandlich nicht einschlägig ist.
Somit ist für die Zeit, die der Kläger im öffentlichen Dienst der NATO zurückgelegt hat, die – von der Beklagten auch durchgeführte – Günstigerprüfung nach § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG a.F. maßgeblich, welche hier zu dem Ergebnis führte, dass seine Bezüge nach § 55b SVG in der bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung zu regeln waren, weil diese für ihn günstiger war.
Daraus folgt, dass der hier zu beurteilenden Ruhensregelung § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in derjenigen durch das Gesetz zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften (BeamtVGÄndG) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2218, SVG 1989) herbeigeführten Fassung des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG 1989) zugrunde lag, für die nun in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt ist, dass sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfG vom 23.05.2017, a.a.O.). Damit wurde aber auch klargestellt,
– dass der empfangene Kapitalbetrag anders behandelt werden kann als eine laufende Versorgung der NATO mit der wichtigen weiteren Folge, dass für ihn gerade nicht die bei laufender Versorgung aus NATO-Mitteln vorgeschriebene Deckelung von Kürzungen in Höhe des Kapitalbetrags gilt, (BVerfG, ebenda, Leitsatz 3),
– dass die Kürzung der deutschen Versorgung ohne Verfassungsverstoß (auch nicht wegen Art. 3 Abs. 1 GG) in Form von prozentualen Abschlägen vom Ruhegehaltssatz konzipiert werden kann (Leitsatz 4a, 4b, 5b, 5c),
– dass ohne Verfassungsverstoß die Summe der Kürzungen den Nominalbetrag der Kapitalabfindung übersteigen darf, die Kürzungen also auf Lebenszeit von den Versorgungsbezügen vorgenommen werden können (Leitsatz 4b.aa),
– dass hinsichtlich der wirtschaftlichen Bewertung der Kapitalabfindung keine Worst-case-Betrachtung (etwa auf der Basis eines Leibrentenversprechens oder einer mündelsicheren Kapitalanlage) geboten ist, sondern vielmehr die Nichtabführung des Kapitalbetrags an den Dienstherrn indiziert, dass – wovon der Dienstherr ausgehen darf – der Empfänger den wirtschaftlichen Wert der sofortigen Kapitalverwendung bei Übernahme des vollen Risikos für die Werthaltigkeit höher bewertet als die ungeschmälerte laufende Versorgung auf Lebenszeit (Leitsatz 4b.aa),
– dass die Ablieferungsmöglichkeit jeglichen Versuch eines Beamten, gleichwohl die nach den hergebrachten Grundsätzen des Beamtenrechts (Art. 33 Abs. 5 GG) zu jedem Zeitpunkt zu garantierende Vollalimentation in Zweifel zu ziehen, abschneidet (Leitsatz 4b.cc) und
– dass dies gerade auch dann gilt, wenn die Kürzung (ohne Rücksicht auf die Höhe des empfangenen Kapitalbetrags) in Form von prozentualen Abschlägen auf den Ruhegehaltssatz vorgenommen wird (Leitsatz 5b).
– Damit wurde zwangsläufig auch der von dem Kläger erhobenen Rechtsbehauptung, die Ruhensregelung werde in dem Moment verfassungswidrig, in dem die Summe der Ruhensbeträge entweder den Nennwert oder einen durch Dynamisierung, Verrentung, Aufzinsung oder auf andere Weise bestimmten wirtschaftlichen Wert des erhaltenen Kapitalbetrags übersteige, eine Absage erteilt. Vielmehr erweist sich der angefochtene Bescheid, der auf der Anwendung des bis zum 30. September 1994 geltenden Rechts beruht und eine Kürzung der Versorgungsbezüge auf Lebenszeit des Klägers vorsieht, als verfassungsgemäß.
Auch die anderweitigen Einwendungen, die gegen die Rechtmäßigkeit erhoben wurden, sind unbegründet.
– Die Anwendung des bis zum 30. September 1994 geltenden Rechts ist übergangsrechtlich so angeordnet (vgl. oben) und der Abschlag vom Ruhegehaltssatz in Höhe von 1,875% für jedes zurückgelegte Jahr (5 x 1,875% = 9,375%) ist wohlbegründet, weil in den Bezugsjahren bis zum 30. September 1994 auch der jährlich durchschnittlich erdiente Zuwachs des Ruhegehaltssatzes mindestens eine entsprechende Höhe aufwies mit der Folge, dass der Bund in ebendieser Höhe den Ruhegehaltssatz für Zeiten, in denen der Beamte dem Dienstherrn nicht zur Verfügung gestanden hat, kürzen konnte.
– Die Möglichkeit eines Verstoßes der hier anzuwendenden Vorschriften gegen die geschlechtsbezogenen Diskriminierungsverbote des Art. 157 AEUV scheidet aus. Die prozentuale Kürzung des Ruhegehaltssatzes fällt für beide Geschlechter gleich aus. Die Tatsache, dass die Kürzung in Abhängigkeit von dem tatsächlichen Lebensalter, welches der jeweilige Soldat erreicht, vom Nominalbetrag der erhaltenen Abfindung um ein unterschiedlich hohes Maß abweichen kann – dahinter zurückbleibend, aber auch übersteigend, und zwar letzteres bei Frauen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit -, ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich unter Hinweis auf die nach § 55b Abs. 3 Satz 2 SVG in der bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung bestehende Ablieferungsmöglichkeit für unschädlich und geboten erklärt worden.
– Die auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2013 (Az. 2 C 47.11) gestützte Argumentation, mit § 55b SVG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung sei die frühere Beschränkung der Verweisung des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG auf lediglich § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG aufgegeben worden, seither ergebe sich aus der Verweisung auf den gesamten § 55b Abs. 1 SVG, dass auch bei gezahltem Kapitalbetrag nach vollständiger Kompensation eine zeitliche Begrenzung des Ruhens stattzufinden habe, ist rechtsirrig und nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2017 (a.a.O.) überholt. Das Bundesverfassungsgericht teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich einer Ruhensregelung ohne zeitliche Begrenzung wie die vorliegende nicht. Es ist der Auffassung, dass auch die möglicherweise nachteiligen Konsequenzen einer ohne zeitliche Begrenzung („Deckelung“) ausgesprochenen Ruhensanordnung nicht zu einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 5 GG führe. Denn der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass eine am Ende der auswärtigen Dienstzeit ausgezahlte Kapitalabfindung im Hinblick auf die damit verbundenen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für ihren Empfänger einen wirtschaftlichen Wert aufweisen oder erreichen könne, der bei typischem Verlauf auch durch eine zeitlich nicht eingeschränkte Addition von Ruhensbeträgen nicht überschritten werde; zusätzlich habe der Betroffene die Wahl gehabt, die Abfindung an seinen Dienstherrn auszukehren und sich auf diese Weise einen ungekürzten Versorgungsanspruch zu sichern (BVerfG vom 23.05.2017, a.a.O., Rn. 85 ff.). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Gesetzgeber durch Art. 33 Abs. 5 GG nicht verpflichtet sei, die für eine zwischen- oder überstaatliche Einrichtung geleistete Dienstzeit überhaupt als ruhgehaltfähig einzustufen, werde damit die amtsangemessene Alimentation des Versorgungsempfängers insgesamt nicht gefährdet; auch der Gesichtspunkt der Systemkonformität führe zu keinem anderen Ergebnis (ebenda, Rn. 90 ff.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege ebenfalls nicht vor. Die Ungleichbehandlung im Vergleich zu Empfängern laufender Versorgungsleistungen sei durch Sachgründe gerechtfertigt. Letztere hätten keine Möglichkeit, vor dem Eintritt in den Ruhestand mit Hilfe des Abfindungsbetrags wirtschaftliche Erträge zu erzielen und das Nutzungspotential der Abfindung auszuschöpfen. Das Fehlen einer Begrenzung der Ruhensanordnung im Falle der Kapitalabfindung stelle eine pauschalierte Kompensation des Nutzungsvorteils dar, während die Gefahr einer Unteralimentierung durch die Ablieferung der Abfindung zuverlässig vermieden und durch eine wirtschaftlich erfolgreiche Verwendung der Abfindung minimiert werden könne; die sofortige Erweiterung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit werde durch eine erweiterte Ruhensregelung kompensiert, aber nicht überkompensiert (ebenda, Rn. 98 ff.). Aufgrund dieser Rechtsprechung sind die generellen Bedenken, die gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Ruhensregelung ohne zeitliche Begrenzung erhoben wurden, nicht mehr vertretbar (ebenso zuletzt BayVGH vom 27.08.2018 – 14 B 18.478 – juris).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinn hinsichtlich des Ruhensbescheids vom 3. August 2004 nach §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 VwVfG. Zum einen erweist sich der Ruhensbescheid vom 3. August 2004 auch aus heutiger Sicht als rechtmäßig. Zum andern besteht hier ein Vorrang des Grundsatzes der Rechtssicherheit vor dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit. Die Prüfung, ob die Anwendung einer durch das Bundesverfassungsgericht bereits als verfassungsgemäß bestätigten Norm (hier: § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F.) in dem betroffenen Einzelfall zu einem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügenden Ergebnis führt, hat im Soldatenversorgungsrecht u.a. wegen der für diesen Rechtsbereich geltenden strikten Rechtsbindung nicht zu erfolgen (OVG Münster vom 20.04.2018 – 1 A 282/07 – juris).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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