Baurecht

Straßenausbaubeitrag: Begriff der Anliegerstraße

Aktenzeichen  B 4 K 16.137

Datum:
31.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21877
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1 S. 3, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Bei der Einordnung einer Straße in die Kategorien der Ausbaubeitragssatzung ist ausgehend von den Definitionen der Satzung auf die Zweckbestimmung abzustellen, wie sie sich aus einer Gesamtbewertung von Art und Größe der Gemeinde, deren weiterreichenden Verkehrsplanungen, der Lage und Führung der Straße im gemeindlichen Straßennetz und dem gewählten Ausbauprofil ergibt. Lediglich daneben können auch die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse von Bedeutung sein (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 42646). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Straße, die ganz überwiegend der Abwicklung des Anliegerverkehrs für die angrenzenden Grundstücke und für das kleinräumige Umfeld im Bauquartier dient und der keine Verbindungsfunktion für den durchgehenden örtlichen oder überörtlichen Verkehr zukommt, ist eine Anliegerstraße. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 16.137 2017-09-13 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. September 2017 – B 4 K 16.137 – abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
Der angefochtene Straßenausbaubeitragsbescheid vom 2. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2016 ist auch in dem noch streitigen Umfang von 4.556,71 Euro rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Festsetzung des Straßenausbaubeitrags für die Erneuerung der Kasernstraße auf 20.136,04 Euro ist nicht nur dem Grunde nach, sondern auch in der Höhe nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Straße bei Bemessung ihres Eigenanteils an dem beitragsfähigen Aufwand zu Recht als Anliegerstraße eingestuft. Die Klage ist deshalb unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang abzuweisen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Bei der abgerechneten Straßenbaumaßnahme an der Kasernstraße handelt es sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, um die Erneuerung einer Ortsstraße, für welche die Beklagte nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) und ihrer Ausbaubeitragssatzung – ABS – vom 1. Juli 2010 von den Eigentümern der bevorteilten Grundstücke, darunter das der Kläger, Straßenausbaubeiträge verlangen durfte und musste (zur Beitragserhebungspflicht BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – BayVBl 2017, 200).
Abzustellen ist dabei als maßgebliche Einrichtung auf die nordöstliche Teilstrecke der Kasernstraße zwischen Kanalstraße und Egloffsteinstraße, weil der südwestliche Teil (von der Wiesentstraße bis zur Egloffsteinstraße) in einem förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet liegt und aufgrund der besonderen Vorschriften der §§ 152 ff. BauGB ausbaubeitragsrechtlich außer Betracht zu bleiben hat (§ 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB). Ferner ist, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat, bei der Verteilung des Erneuerungsaufwands auf die bevorteilten Grundstücke nicht das frühere Grundstück FlNr. 591/353 (alt) in seinem gesamten damaligen Umfang zu berücksichtigen, sondern nur das abgetrennte neue (Buch-)Grundstück FlNr. 591/674; bei der vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflichten durchgeführten Grundstücksteilung handelt es sich entgegen dem erstinstanzlichen Vorbringen der Kläger nicht um einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b KAG i.V.m. § 42 AO).
2. Die Kasernstraße ist aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht als Haupterschließungsstraße einzustufen, sondern als Anliegerstraße. Die Beklagte hat deshalb zu Recht von dem beitragsfähigen Aufwand einen Eigenanteil für sämtliche erneuerten Teileinrichtungen von „nur“ 20% abgezogen (§ 7 Abs. 2 Nr. 1.1 ABS) und den verbleibenden – umlagefähigen – Aufwand auf die bevorteilten Grundstücke verteilt.
a) Die Ausbaubeitragssatzung definiert Anliegerstraßen als Straßen, die ganz überwiegend der Erschließung der Grundstücke dienen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 ABS). Haupterschließungsstraßen sind Straßen, die der Erschließung von Grundstücken und gleichzeitig dem durchgehenden innerörtlichen Verkehr dienen und nicht Hauptverkehrsstraßen sind (§ 7 Abs. 3 Nr. 2 ABS). Als Hauptverkehrsstraße wiederum gelten Straßen, die ganz überwiegend dem durchgehenden innerörtlichen Verkehr und/oder überörtlichen Durchgangsverkehr dienen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 ABS).
Ausgangspunkt für die – gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare – Einstufung von Straßen in eine dieser Kategorien sind nach ständiger Rechtsprechung folgende Erwägungen: Art. 5 Abs. 3 KAG verlangt von der Gemeinde, für Ortsstraßen, die nicht nur unbedeutend auch der Allgemeinheit zugutekommen, in der Beitragssatzung eine Eigenbeteiligung am Erneuerungs- oder Verbesserungsaufwand vorzusehen, die die Vorteile der Allgemeinheit angemessen berücksichtigt; die Satzung hat eine vorteilsgerecht abgestufte Eigenbeteiligung einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet vorzusehen. Aus dieser – den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) konkretisierenden – Vorgabe erwächst das Gebot, die Ortsstraßen nach ihrer Verkehrsbedeutung typisierend zu gliedern und zumindest nach den Straßenkategorien der Wohnstraßen, der Straßen mit starkem innerörtlichen Verkehr und Durchgangsstraßen zu differenzieren (BayVGH, U.v. 29.10.1984 – 6 B 82 A.2893 – VGH n.F. 37, 142 ff.; U.v. 9.2.2012 – 6 B 10.865 – juris Rn. 18).
Die Kategorien sollen also Straßentypen mit signifikanten Unterschieden hinsichtlich des Vorteils der Allgemeinheit gegeneinander abgrenzen. Das Verständnis der Einzelbestimmung kann sich somit von vorneherein nicht isoliert an deren Wortlaut, sondern muss sich am Verhältnis zu den anderen Straßenkategorien orientieren. Da nach den Definitionen der Ausbaubeitragssatzung der Beklagten Anliegerstraßen ganz überwiegend dem Anliegerverkehr und Hauptverkehrsstraßen ganz überwiegend dem Durchgangsverkehr dienen, drängt sich auf, dass sich bei Haupterschließungsstraßen Anlieger- und Durchgangsverkehr in etwa als gleichgewichtig erweisen. Daraus folgt auch mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben, dass die Begriffswahl „ganz überwiegend“ verdeutlichen soll, dass es nicht um rechnerisch exakte Größenordnungen, sondern, wie es dem Grundsatz der Typengerechtigkeit entspricht, um einen Schwerpunkt gehen soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Einordnung einer Straße in die Kategorien der Ausbaubeitragssatzung ausgehend von den Definitionen der Satzung auf die Zweckbestimmung abzustellen, wie sie sich aus einer Gesamtbewertung von Art und Größe der Gemeinde, deren weiterreichenden Verkehrsplanungen, der Lage und Führung der Straße im gemeindlichen Straßennetz und dem gewählten Ausbauprofil ergibt. Lediglich „daneben“, gewissermaßen als Bestätigungsmerkmal, können auch die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse von Bedeutung sein (vgl. BayVGH, U.v. 20.2.2009 – 6 BV 07.615 – juris Rn. 19; U.v. 9.2.2012 – 6 B 10.865 – juris Rn. 18; B.v. 9.3.2015 – 6 ZB 14.124 – juris Rn. 6; B.v. 17.2.2016 – 6 ZB 14.1871 – juris Rn. 20).
Als Anliegerverkehr ist in diesem Zusammenhang der Verkehr anzusehen, der zu den angrenzenden Grundstücken hinführt oder von ihnen ausgeht (Ziel- und Quellverkehr). Dem Anliegerverkehr ist darüber hinaus auch der kleinräumige Ziel- und Quellverkehr aus dem betreffenden Bauquartier zuzuordnen; denn bei diesem handelt es sich nicht um „durchgehenden innerörtlichen Verkehr“, wie er zur Einstufung als Haupterschließungsstraße erforderlich wäre (BayVGH, U.v. 9.2.2012 – 6 B 10.865 – B.v. 27.7.2012 – 6 ZB 12.796 – juris Rn. 11).
b) Gemessen an diesem Maßstab handelt es sich bei der Kasernstraße um eine Anliegerstraße.
Ihrer Zweckbestimmung nach dient die Kasernstraße – bei typisierender Betrachtung – ganz überwiegend der Abwicklung des Anliegerverkehrs für die angrenzenden Grundstücke und für das kleinräumige Umfeld im Bauquartier, das nordöstlich des alten Stadtkerns der Beklagten zwischen der parallel verlaufenden Gebsattelstraße (im Süden), der quer verlaufenden Kanalstraße (im Osten) und dem Stadtpark/Alten Friedhof (im Norden) liegt. Das ergibt sich aus Lage und Führung der Kasernstraße im Straßennetz. Eine nennenswerte Verbindungsfunktion für den durchgehenden örtlichen oder gar überörtlichen Verkehr kommt ihr nicht zu. An ihrem nordöstlichen Ende mündet sie in die querende Kanalstraße und hat keinen unmittelbaren Anschluss an eine über das Quartier hinausführende Straße. Im Südwesten ist von der Wiesentstraße her die Zufahrt in die Kasernstraße zwar möglich, nicht jedoch in umgekehrter Richtung die Zufahrt aus der Kasernstraße in die Wiesentstraße, weil im letzten Teilstück die Weiterfahrt verboten ist („unechte Einbahnstraße“). Schon mit Blick hierauf dient nicht etwa die Kasernstraße dem innerwie überörtlichen Durchgangsverkehr als Verbindung vom Altstadtkern nach Nordosten, sondern die parallel zu dieser verlaufende Gebsattelstraße, welche von der Wiesentstraße unmittelbar zur Adenauerallee (B 470) führt. Von den beiden die Kasernstraße in Nord-Süd-Richtung kreuzenden Straßen hat die Birkenfelderstraße größere Bedeutung für den durchgehenden Verkehr, indem sie die Gebsattelstraße mit der weiter nach Norden führenden Bamberger Straße verbindet. Die ebenfalls von der Gebsattelstraße her über die Kasernstraße nach Norden führende Egloffsteinstraße hat von Norden aus verbindende Bedeutung, darf aber in Richtung Norden nur bis zur Wendeschleife vor der Ritter-von Traitteur Schule befahren werden. Aufgrund dieser Umstände dient die Kasernstraße trotz ihrer durchaus zentralen Lage am Rand des Stadtkerns ganz überwiegend dem Anliegerverkehr. Die Beklagte hat bei der Erneuerung auch kein Ausbauprofil gewählt, das zu dieser Zweckbestimmung in Widerspruch stünde.
Der Einstufung als Anliegerstraße steht nicht entgegen, dass über die Kasernstraße die beiden Schulen an der Egloffsteinstraße und der an der Kanalstraße/ Birkenfelderstraße gelegene Alte Friedhof angefahren werden. Dabei handelt es sich um kleinräumigen Ziel- und Quellverkehr aus dem Bauquartier, der dem Anlieger- und nicht dem Durchgangsverkehr zuzuordnen ist. Zwar mag die Kasernstraße vom Durchgangsverkehr als Abkürzung genutzt werden, etwa um von der Adenauerallee her kommend über die Kanalstraße schneller in die Birkenfelder Straße Richtung Norden zu gelangen. Das muss allerdings bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise außer Betracht bleiben, weil sich der Verkehr häufig eine Bahn sucht, die auch von zufälligen, nicht mir der Netzplanung und dem Straßenbau zusammenhängenden Gründen abhängig ist. Vereinzelte kleinräumige Umfahrungen gehören deshalb noch nicht zum „durchgehenden innerörtlichen Verkehr“ (BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 6 ZB 14.124 – juris Rn. 8). Unbeachtlich bleibt schließlich der Umstand, dass die Beklagte in dem Flyer „Günstig Parken in Forchheim“ – neben zahlreichen anderen Parkmöglichkeiten – auf die Längsparkplätze in der Kasernstraße hinweist („4 Std. Parken mit Parkscheibe“).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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