Aktenzeichen M 21 K 17.3979
PatG § 26 Abs. 2 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5, § 124, § 124a Abs. 4, § 155 Abs. 1 S. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsatz
1. Wissenschaftliche Tätigkeiten an den Instituten für Kosmosforschung und für Atomatisierung der Akademie der Wissenschaften der DDR sind nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen, weil es sich dabei nicht um Tätigkeiten bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn iSv § 10 S. 1 BeamtVG bzw. einer Einrichtung iSv § 10 S. 2 BeamtVG handelt. (Rn. 24 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine ermessensfehlerfreie Berücksichtigung von Ausbildungszeiten und einer für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschriebenen praktischen hauptberuflichen Tätigkeit als ruhegehaltsfähige Vordienstzeiten ist maßgeblich, dass zwar die Mindestzeit der vorgeschriebenen Ausbildung von ihrem tatsächlichen Beginn an rechnet, damit aber nichts abschließend Verbindliches für den Beginn der Berücksichtigung der erbrachten Mindestzeit einer vorgeschriebenen praktischen hauptberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BeamtVG für jeden Einzelfall ausgesagt ist. (Rn. 36 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ermessensausübung, ob Zeiten einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben sind, als ruhegehaltsfähige Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, ist der Zweck des § 12 BeamtVG, versorgungsrechtlich diejenigen Beamten, die ihre Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses erhalten haben, den “Nur-Beamten” annähernd gleichzustellen, zu beachten. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Generalzolldirektion vom 16. Februar 2016 und deren Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2017 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten jeweils zur Hälfte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf die Berücksichtigung der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. März 1996 und der Zeit von 15. September 1981 bis 1. Februar 1982 als ruhegehaltsfähige Zeiten. Er hat aber einen Anspruch auf neue, ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber, ob und inwieweit die Zeit von 3. Oktober 1990 bis 2. Oktober 1995 für ihn nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Im Einzelnen:
Im Rechtsstreit um die Vorabanerkennung gemäß § 49 Abs. 2 BeamtVG sind die in dieser Regelung in Bezug genommenen §§ 10 bis 12 BeamtVG in derjenigen Fassung maßgebend, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gilt (vgl. Plog/Wiedow, Stand August 2016, § 11 BeamtVG Rn. 117 m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dann, wenn eine Zeit nach einer den Dienstherrn bindenden Vorschrift anerkannt werden muss, ein Rückgriff auf eine die Anerkennung lediglich ermöglichende Kann-Vorschrift ausgeschlossen, weil ein und dieselbe Zeit nicht mehrfach anerkannt werden kann (vgl. Plog/Wiedow, Stand August 2016, § 11 BeamtVG Rn. 110 m.w.N.).
Da § 10 Satz 1 BeamtVG als „Sollvorschrift“, an die auch ihr Satz 2 anknüpft, ein sogenanntes intendiertes Ermessen in Richtung der Berücksichtigung der in ihr genannten Zeiten vorsieht (vgl. Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 10 BeamtVG Rn. 103 m.w.N.), sind diese Vorschriften zwar im Fall des Klägers vorrangig zu prüfen, soweit sie angesichts § 12b Abs. 1 Satz 1 BeamtVG überhaupt anwendbar sind. Ihr Tatbestand ist aber nicht erfüllt, sodass sich aus ihnen kein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Vordienstzeiten ergibt.
Der Berücksichtigung der Vordienstzeiten von 1. März 1983 bis 2. Oktober 1990 als ruhegehaltsfähige Dienstzeit nach §§ 8, 9, 10, 11 und 12 BeamtVG stehen zu Lasten des Klägers von vornherein § 12b Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtVG entgegen. Die Voraussetzungen der letztgenannten Vorschriften sind für diesen Zeitraum erfüllt, weil die Tätigkeiten des Klägers an den Instituten für Kosmosforschung und für Automatisierung der Akademie der Wissenschaften der DDR in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet zurückgelegt worden sind, der Kläger unstreitig die allgemeine Wartezeit für die gesetzliche Rentenversicherung erfüllt und weil diese Zeiten ausweislich des auch von ihm vorgelegten Versicherungsverlaufs zur Rentenauskunft vom 17. September 2015 als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigungsfähig sind.
Die Berücksichtigung der Zeiten des Klägers zwischen 1. Januar 1992 und 31. März 1996 nach § 10 BeamtVG scheitert bereits daran, dass die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. auch nach deren Schreiben vom 24. April 1996 eine Einrichtung außerhalb des öffentlichen Rechts ist. Damit ist sie kein öffentlich-rechtlicher Dienstherr im Sinne des § 10 Satz 1 BeamtVG und auch keine Einrichtung im Sinne des § 10 Satz 2 BeamtVG.
Die Berücksichtigung der Zeiten des Klägers zwischen 3. Oktober 1990 und 31. Dezember 1991 nach § 10 BeamtVG scheitert im Ergebnis an denselben Gründen.
Berücksichtigungsfähig sind Zeiten der Beschäftigung bei Einrichtungen in der früheren DDR, wenn diese nach den im Geltungsbereich des BeamtVG vor dem 3. Oktober 1990 herrschenden Rechtsvorstellungen öffentlich-rechtliche Dienstherrn im Sinne der beamtenrechtlichen Vorschriften gewesen wären (vgl. Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 10 BeamtVG Rn. 45).
Diese Voraussetzungen können für das Institut für Automatisierung der Akademie der Wissenschaften der ehemaligen DDR nicht angenommen werden, weil die Entscheidung, wie die Gelehrtensozietät der Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik fortgeführt werden soll, nach Art. 38 Abs. 2 Satz 2 des Einigungsvertrags erst noch landesrechtlich getroffen werden sollte (vgl. hierzu auch BAG, U.v. 14.12.1995 – 6 AZR 1042/94 – juris).
Bei einer Konkurrenz zwischen § 11 Nr. 3 Buchst a BeamtVG und § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG geht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht letztere Vorschrift vor, die im Vergleich zu § 11 BeamtVG keine Einschränkung der Anrechnungsmöglichkeit vorsieht (vgl. Plog/Wiedow, Stand August 2016, § 11 BeamtVG Rn. 113 m.w.N.).
Da § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist und für eine Ermessensreduzierung auf Null insoweit weder etwas vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist, scheidet ein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung der geltend gemachten Zeiten als Ausbildungszeiten nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG von vornherein aus.
Durch die angegriffenen Bescheide der Beklagten ist allerdings der Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Berücksichtigung seiner Zeiten von 3. Oktober 1990 bis 2. Oktober 1995 als ruhegehaltsfähige Dienstzeit nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG nicht erfüllt worden. Im Einzelnen:
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 kann die verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung (Fachschul-, Hochschul- und praktische Ausbildung, Vorbereitungsdienst, übliche Prüfungszeit) (Nr. 1) und die verbrachte Mindestzeit einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist, als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, die Zeit einer Fachschulausbildung einschließlich der Prüfungszeit bis zu 1095 Tagen und die Zeit einer Hochschulausbildung einschließlich der Prüfungszeit bis zu 855 Tagen, insgesamt höchstens bis zu 1095 Tagen (Nr. 2).
Der Zeitrahmen von 855 Tagen beginnt mit der Aufnahme des Studiums (vgl. zu all dem Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 12 BeamtVG Rn. 69 f.).
Daran gemessen hat sich die Beklagte zwar in ihren angegriffenen Bescheiden zu Recht auf den Standpunkt gestellt, der im Fall des Klägers nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG maximal als Ausbildungszeit berücksichtigungsfähige Zeitraum von 855 Tagen sei bereits durch die Anerkennung seiner Hochschulausbildung an der Sektion technische und biomedizinische Kybernetik der Technischen Hochschule Ilmenau in der Zeit vom 1. September 1978 bis zum 3. Januar 1981 ausgeschöpft worden.
Die Beklagte hat aber ermessensfehlerhaft entschieden (§ 114 Satz 1 VwGO), soweit sie die Berücksichtigungsmöglichkeit für die Zeitspanne von 3. Oktober 1990 bis 2. Oktober 1995 nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG zu Lasten des Klägers nicht zutreffend erkannt hat.
Die Mindestzeit der Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 1 BeamtVG ergibt sich im Regelfall aus den Vorschriften, die zu Beginn der Ausbildung des Bewerbers für die Beamtenlaufbahn eingeführt waren (vgl. Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 12 BeamtVG Rn. 38 m.w.N.). Somit kommt es im Fall des Klägers auf § 26 Abs. 2 Satz 1 PatG a.F. an. Nach dieser Vorschrift soll als technisches Mitglied in der Regel nur angestellt werden, wer im Inland als ordentlicher Studierender einer Universität, einer technischen oder landwirtschaftlichen Hochschule oder einer Bergakademie sich dem Studium naturwissenschaftlicher und technischer Fächer gewidmet, dann eine staatliche oder akademische Abschlussprüfung bestanden, außerdem danach mindestens fünf Jahre hindurch praktisch gearbeitet hat und im Besitz der erforderlichen Rechtskenntnisse ist.
Zur Vermeidung eines versorgungsrechtlichen Wertungswiderspruchs zu § 12b Abs. 1 Sätzen 1 und 2 BeamtVG kann die in § 26 Abs. 2 Satz 1 PatG a.F. genannte Zeitspanne von mindestens fünf Jahren als praktische hauptberufliche Tätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG im Fall des Klägers frühestens am 3. Oktober 1990 beginnen und spätestens am 2. Oktober 1995 enden. Dies, zumal die Beklagte laut ihrer in der Personalakte enthaltenen Beschäftigungsübersicht für den Kläger seine Beschäftigungen im Zeitraum zwischen dem 1. März 1983 und dem 31. Dezember 1995 in vollem Umfang von zwölf Jahren und zehn Monaten als nach § 26 Abs. 2 PatG a.F. anrechnungsfähig angesehen hat.
Insbesondere die geltende Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVGVwV) vom 2. Februar 2018 steht der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung nicht entgegen. Sie regelt zwar – so wie das die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – in Ziffer 12.1.1.3 zu § 12 BeamtVG, dass die Mindestzeit der vorgeschriebenen Ausbildung von ihrem tatsächlichen Beginn an rechnet. Damit ist aber nichts abschließend Verbindliches für den Beginn der Berücksichtigung der verbrachten Mindestzeit einer vorgeschriebenen praktischen hauptberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG für jeden Einzelfall ausgesagt.
Da die Beklagte die Berücksichtigungsmöglichkeit für die Zeitspanne von 3. Oktober 1990 bis 2. Oktober 1995 nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG in den angegriffenen Bescheiden zu Lasten des Klägers nicht zutreffend erkannt hat, ist der Klage insoweit stattzugeben.
Für die weitere Ermessensausübung ist zu beachten, dass der Zweck des § 12 BeamtVG darin besteht, diejenigen Beamten, die ihre Ausbildung außerhalb eines Beamtenverhältnisses erhalten haben, versorgungsrechtlich den „Nur-Beamten“ annähernd gleichzustellen, deren Ausbildung im Beamtenverhältnis durchlaufen und damit bereits gemäß § 6 BeamtVG ruhegehaltsfähig ist. Das Ziel der annähernden Gleichstellung begrenzt das Ermessen sowohl nach oben als auch nach unten (vgl. zu all dem Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 12 BeamtVG Rn. 128 m.w.N.).
Das gilt auch für Zeiten einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist. Da diese Zeiten ebenfalls zu Renten- oder Versorgungsansprüchen führen können, kann die Versorgungsbehörde in die Ermessenserwägungen einstellen, ob und in welcher Höhe der Beamte aufgrund dieser Zeiten bereits dem Ruhegehalt auch der Höhe nach entsprechende Versorgungsansprüche erworben hat. Gleichwohl ist es nicht Aufgabe der Bestimmung, eine als unangemessen hoch angesehene Gesamtversorgung des Ruhestandsbeamten abzusenken, der aus einer Vordiensttätigkeit weitere Versorgungsbezüge, Renten und sonstige Leistungen erzielt. Eine Überversorgung zu vermeiden ist Aufgabe der §§ 53 ff. BeamtVG. Zunächst sollte nur in den Blick genommen werden, ob die Zeiten sich in den „normalen“ Ablauf der Erwerbsbiografie eines „NurBeamten“ einfügen lassen. Ist dies der Fall, ist in der Regel die Berücksichtigung wie bei einer Soll-Vorschrift geboten (vgl. zu all dem Plog/Wiedow, Stand Juli 2017, § 12 BeamtVG Rn. 129 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Sätzen 1 und 2 ZPO.