Aktenzeichen 9 ZB 17.267
Leitsatz
Das Kriterium der Baugrenze sagt für sich genommen nichts darüber aus, ob ein Grenzanbau geboten oder erlaubt ist, denn mit der Festsetzung einer Baugrenze wird die überbaubare Grundstücksfläche bestimmt, und zwar ohne (unmittelbare) Beziehung zu den Grundstücksgrenzen (im Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 43173 Rn. 3). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
3 K 15.00868 2017-01-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt die ihr im Zulassungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die energetische Sanierung und Erweiterung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung R* … und wendet sich gegen die vom Landratsamt M* …- … verfügte Beseitigungsanordnung für den bereits errichteten Erweiterungsbau sowie das verglaste Vordach über der Terrasse.
Seine Klage gegen die Ablehnung der Baugenehmigung und die Beseitigungsanordnung des Landratsamts vom 30. April 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Oktober 2016 wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Januar 2017 ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Hieraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Überschreitung der nördlichen Baugrenze durch den Erweiterungsbau die Grundzüge der Planung berührt, da im maßgeblichen Bebauungsplan Nr. 8 der Beigeladenen für das Gebiet „Nördl. Entensee“ bei allen Grundstücken Baugrenzen zu angrenzenden öffentlichen Verkehrsflächen und zu den rückwärtig angrenzenden Nachbargrundstücken festgesetzt sind. Dadurch solle ein parkartiges Erscheinungsbild gewährleistet und ein einheitliches Erscheinungsbild des Baugebiets geschaffen werden. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB komme daher nicht in Betracht (UA S. 21). Dies ist nicht ernstlich zweifelhaft, denn nach den Festsetzungen des Bebauungsplans sind außerhalb der Baugrenzen keine baulichen Anlagen und auch Anbauten nur innerhalb der Baugrenzen zulässig (vgl. Weitere Festsetzungen e)). Der vom Kläger angeführten „durch die Bauleitplanung vorgeblich gewünschten maßvollen Verdichtung und geordneten weiteren Bebauung“ lässt sich für die Frage, ob die festgesetzten Baugrenzen als Grundzug der Planung anzusehen sind, nichts entnehmen.
b) Soweit der Kläger vorträgt, im Bebauungsplan sei für den Bereich des Baugrundstücks, in dem der Erweiterungsbau errichtet worden ist, durch die zeichnerische und textliche Festsetzung „E1 Vollgeschoss (nur Anbauten)“ eine von der offenen Bauweise (Weitere Festsetzungen c)) abweichende Bauweise nach § 22 Abs. 4 BauNVO festgesetzt worden, führt dies nicht zum Erfolg. Zwar kann eine abweichende Bauweise auch durch Festsetzung einer überbaubaren Grundstücksfläche unter Verwendung von Baulinien und Baugrenzen bestimmt werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.2017 – 4 B 23.17 – juris Rn. 9). Der Kläger stellt jedoch offenbar darauf ab, dass sich aus der im Bebauungsplan dargestellten Grundstücksgrenze zum östlichen Nachbargrundstück im festgesetzten Bereich die Zulässigkeit eines Grenzanbaus ergebe. Das Kriterium der Baugrenze sagt für sich genommen aber nichts darüber aus, ob ein Grenzanbau geboten oder erlaubt ist. Denn mit der Festsetzung einer Baugrenze gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO wird die überbaubare Grundstücksfläche bestimmt, und zwar ohne (unmittelbare) Beziehung zu den Grundstücksgrenzen (BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26.15 – juris Rn. 3). Da Grundstücksgrenzen kein festsetzungsfähiger Inhalt sind, kann aus dem im Bebauungsplan festgesetzten Bauraum hier auch keine Aussage über die Zulässigkeit eines Grenzanbaus auf dem Baugrundstück zum östlichen Nachbargrundstück getroffen werden (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2017 – 9 CS 17.1987 – juris Rn. 22). Zudem erfordert die Festsetzung einer abweichenden Bauweise in jedem Fall eine Regelung zur Anordnung der Gebäude auf dem Baugrundstück im Verhältnis zu den Nachbargrundstücken (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2017 a.a.O. juris Rn. 25). Daran fehlt es hier.
c) Nicht ernstlich zweifelhaft ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Befreiung von der festgesetzten offenen Bauweise nicht in Betracht kommt, weil auch insoweit die Grundzüge der Planung berührt sind. Die Annahme des Klägers, bei der offenen Bauweise handle sich nicht um einen Grundzug der Planung, weil ein Grenzanbau zu den Ordnungsvorstellungen des Plangebers gehörte, geht aus den oben genannten Gründen fehl.
d) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass das Bauvorhaben bauordnungsrechtlich unzulässig sei, weil die Abstandsflächenvorschriften nicht eingehalten würden. Dies ist ebenfalls nicht ernstlich zweifelhaft.
Soweit der Kläger vorträgt, der Erweiterungsbau löse keine Abstandsflächenpflicht aus, weil nach den planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO), trifft dies aus den oben genannten Gründen nicht zu. Zum verglasten Vordach hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass es die Anforderungen des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO nicht einhalte und deshalb seinerseits abstandsflächenpflichtig sei. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
Das Verwaltungsgericht hat ferner darauf abgestellt, dass die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht in Betracht komme, weil kein von der Regel abweichender Sonderfall vorliege. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht substantiiert auseinander. Allein der Bauwunsch des Bauherrn begründet keine Atypik (BayVGH, B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3). Auf den vom Kläger angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. April 1998 (1 B 95.3286) kann er sich nicht berufen, weil es dort um die Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes ging. Demgegenüber hat der Kläger hier nach der rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts, die im Zulassungsvorbringen nicht angegriffen wird, durch die Beseitigung des vor Erlass des Bebauungsplans errichteten ehemaligen Schwimmhallengebäudes den Bestandsschutz verloren (UA S. 20).
e) Der Kläger ist der Ansicht, die Beseitigungsanordnung sei rechtswidrig, weil das Landratsamt nur eine Teilbeseitigung des die Baugrenze überschreitenden Teils hätte anordnen dürfen. Dies führt jedoch nicht zum Erfolg, weil eine Teilbeseitigung nur möglich ist, wenn durch diese im Wesentlichen rechtmäßige Zustände hergestellt werden können (BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 1 ZB 16.1905 – juris Rn. 13 m.w.N.). Das Zulassungsvorbringen beschränkt sich insoweit jedoch auf Ausführungen zur Baugrenze und lässt die Festsetzung der offenen Bauweise sowie die bauordnungsrechtlichen Anforderungen außer Betracht. Darüber hinaus müsste die Teilbarkeit der Anlage bautechnisch möglich sein und mit der vom Bauherrn bestimmten Funktion zu vereinbaren sein. Dies ist aber angesichts des notwendigen Umbaus (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.2004 – 1 B 01.2807 – juris Rn. 25), der mindestens die Abmessungen, das Dach und die Außenwände des bereits errichteten Erweiterungsbaus betrifft, nicht ohne Weiteres ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht näher dargelegt. Zudem ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Behörde oder des Gerichts, sondern Sache des Betroffenen, eingehende Überlegungen zur Abhilfemöglichkeit des rechtswidrigen Zustands mit Blick auf eine Teilbeseitigung aufzuzeigen (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2017 – 15 ZB 16.1885 – juris Rn. 56; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand März 2018, Art. 76 Rn. 249 m.w.N.). Das Zulassungsvorbringen legt aber insoweit weder mit den bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Anforderungen übereinstimmende Alternativen dar noch enthält es Ausführungen zur technischen Machbarkeit.
Insoweit kann der Antrag auf Zulassung der Berufung auch im Hinblick auf das Austauschmittel der Umplanung, die der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren im November 2016 eingereicht hat, keinen Erfolg haben. Denn es ist Sache des Bauherrn, durch die Vorlage genehmigungsfähiger Pläne die (vollständige oder teilweise) Beseitigung abzuwehren (Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 76 Rn. 250; vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2004 – 9 CS 03.2450 – juris Rn. 27). Dies ist hier aber nicht der Fall, weil der Kläger – wie oben ausgeführt – von einer fehlerhaften Vorstellung der festgesetzten Bauweise ausgeht.
f) Der Kläger kann hinsichtlich der Vernichtung von Bausubstanz und der Kosten auch keinen Ermessensfehler geltend machen. Da das öffentliche Baurecht grundstücksbezogen ist, sind persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse im Rahmen der Beseitigungsanordnung nicht zu prüfen (BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – juris Rn. 41); ebenso spielt die Höhe der Beseitigungskosten hierfür keine Rolle (Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 76 Rn. 245). Die Vernichtung baulicher Substanz ist der Beseitigung immanent; eine nur geringfügige Überschreitung baulicher Vorschriften, bei der die Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen könnte, liegt hier nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2017 – 9 ZB 16.852 – juris Rn. 11).
g) Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde entgegen den gesetzlichen Anforderungen systemwidrig gegen den Kläger vorgeht.
Beim Erlass von Beseitigungsanordnungen darf die Bauordnungsbehörde ihr Ermessen nicht ohne erkennbaren Grund unterschiedlich, systemwidrig oder planlos ausüben. Der Gleichheitssatz gebietet allerdings nicht, dass gegen unterschiedlich gelagerte Fälle in gleicher Weise vorgegangen werden muss. Geboten ist lediglich ein systemgerechtes Vorgehen, das auch vorliegt, wenn die Behörde gegen „Schwarzbauten“ gleichsam Schritt für Schritt vorgeht (vgl. BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – juris Rn. 37). Zwar hat der Kläger in der Zulassungsbegründung zahlreiche Beispielsfälle aufgelistet, die behaupteten Verstöße gegen Bauplanungsrecht sind jedoch aus dem vorgelegten Lageplan nicht ohne weiteres zu ersehen und beschränken sich zudem auf die Festsetzung der Baugrenzen. Darüber hinaus liegt ein systemwidriges Vorgehen nicht schon dann vor, wenn die Bauaufsichtsbehörde nicht gleichzeitig gegen sämtliche baurechtswidrigen Zustände einschreitet (BayVGH, B.v. 10.6.2016 – 9 ZB 16.308 – juris Rn. 6). Angesichts der Erklärung des Vertreters des Landratsamts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 23. Juni 2016 ist es auch nicht ersichtlich, dass das Landratsamt gegen die vom Kläger angeführten Bezugsfälle nicht vorgehen werde, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen Fragen lassen sich nach den obigen Ausführungen, soweit sie entscheidungserheblich sind, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Besondere Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens legt das Zulassungsvorbringen nicht dar. Allein die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger machen die Sache nicht tatsächlich oder rechtlich schwierig (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2018 – 9 ZB 16.321 – juris Rn. 20)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Zulassungsverfahren keinen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).