Aktenzeichen L 19 R 671/15
SGB X § 31, § 33
Leitsatz
Zur Auslegung eines Bescheides über die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und zur Fortgeltung der Regelungswirkung über die Befreiung nach Wechsel des Arbeitgebers und Änderung des Gesetzes.
1 Da sowohl § 6 Abs. 5 SGB VI als auch § 231 Abs. 2 SGB VI ausdrücklich festlegen, dass die Befreiung jeweils nur für die konkrete Tätigkeit gilt, endet der Vertrauensschutz mit dem Wechsel des konkreten Arbeitgebers. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Befreiung von der Versicherungspflicht knüpft nicht an die durch eine Berufsausbildung als Ingenieur als solche an, sondern an die jeweilige konkrete Tätigkeit, die der Betroffene verrichtet. Bei jedem Wechsel einer Beschäftigung ist daher gegebenenfalls erneut eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu beantragen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 14 R 50/15 2015-06-15 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.06.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Urteil vom 15.06.2015 einen Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für seine ab dem 01.09.2003 bei der Firma G. GmbH als angestellter Ingenieur ausgeübte abhängige Beschäftigung abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 01.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2014 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch aus dem Befreiungsbescheid vom 05.07.1995 kann der Kläger keinen Vertrauenstatbestand für eine durchgehende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ableiten.
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.1996 geltenden Fassung werden Angestellte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Die Befreiung erfolgt bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 2 SGB VI auf Antrag des Versicherten. § 6 Abs. 5 SGB VI stellt klar, dass sich die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.
Unstreitig war der Kläger niemals Pflichtmitglied in der berufsständischen Versorgungseinrichtung Ingenieurekammer-Bau, sondern lediglich freiwilliges Mitglied, so dass für die ab dem 01.09.2003 ausgeübte Tätigkeit als Abteilungsleiter bei der Fa. G. Bau die Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht mehr vorgelegen haben. Insoweit konnte der vom Kläger als „Erneuerungsantrag“ bezeichnete Antrag vom 17.03.2014 keinen Erfolg haben. Die beim Kläger seit 01.01.1995 vorliegende freiwillige Mitgliedschaft in der Ingenieursversorgung reichte lediglich nach dem bis zum 31.12.1995 geltenden Recht für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aus. Eine Anwendung der Vertrauensschutzregelung nach § 231 Abs. 2 SGB VI hätte nur bei einem Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses bei der Fa. W. Bau, für die die Befreiung vom 05.07.1995 erteilt worden war, erfolgen können, obwohl § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.1996 geltenden Fassung nur noch eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung für ausreichend erklärt hatte. Mit dem Wechsel des konkreten Arbeitgebers endet auch die Wirkung der Vertrauensschutzregelung des § 231 Abs. 2 SGB VI. Sowohl § 6 Abs. 5 SGB VI als auch § 231 Abs. 2 SGB VI stellen ausdrücklich fest, dass die Befreiung jeweils nur für die konkrete Tätigkeit gilt. Dies war auch in den jeweiligen Fassungen der Vorschriften bis 31.12.1995 der Fall.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat bereits in der Berufungsbegründung eingeräumt, dass die Beklagte § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zutreffend angewandt hat. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2018 auch eingeräumt, dass aufgrund der (damals und auch aktuell) geltenden Satzung der Ingenieurversorgung Bau eine Pflichtmitgliedschaft für abhängig beschäftigte Ingenieure nicht möglich gewesen wäre, sondern immer nur eine freiwillige Mitgliedschaft, so dass nach dem ab dem 01.01.1996 geltenden Recht eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht mehr möglich gewesen wäre.
Der Kläger kann sich aber auch nicht auf einen aus dem Befreiungsbescheid vom 05.07.1995 erwachsenden Vertrauensschutz berufen. Eine „Auslegung“ des Bescheids der Beklagten vom 05.07.1995 in dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Sinn widerspricht der Systematik des Gesetzes und – selbst bei Unterstellung einer Unklarheit des Wortlauts des Bescheids vom 05.07.1995 in dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Umfang – den zu beachtenden Auslegungsgrundsätzen in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB.
Einen Vertrauensschutz aus dem Bescheid vom 05.07.1995 abzuleiten, steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Sozialversicherungsrechts. Die gesetzliche Sozialversicherung ordnet für alle Versicherungszweige kraft Gesetzes an, wer Pflichtmitglied in dem jeweiligen Versicherungszweig ist und wer nicht. Die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes unabhängig vom Willen der Arbeitsvertragsparteien ein, sie ist nicht disponibel. Der damit verbundene Schutz des Versicherten greift unabhängig davon, ob eine rechtzeitige und vollständige Meldung des Versicherten durch den Arbeitgeber (§ 28 a Viertes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IV -) erfolgt ist und ob rechtzeitig und vollständig die Beiträge für den Beschäftigten vom Arbeitgeber (Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28 d SGB IV) abgeführt wurden. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV sind in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung – und damit auch in der gesetzlichen Rentenversicherung – stets (u. a.) abhängig Beschäftigte kraft Gesetzes versicherungspflichtig.
Der Kläger war bis Ende 1994, bis sich für ihn durch die Schaffung einer neuen berufsständischen Versorgung für Ingenieure die Möglichkeit eröffnete, sich anderweitig zu versichern, abhängig beschäftigt und entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Insoweit kann zumindest davon ausgegangen werden, dass dem Kläger durchaus bewusst gewesen ist, dass dem Grunde nach für die von ihm verrichtete Tätigkeit als Ingenieur in abhängiger Beschäftigung eine Versicherungspflicht kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung bestand. Dementsprechend hat der Kläger im Rahmen seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.09.2014 auch nicht geltend gemacht, den Befreiungsbescheid vom 05.07.1995 in dem vom Prozessbevollmächtigten geschilderten Sinn missverstanden zu haben, sondern hat auf die vielen Vorteile der Ingenieursversorgung und die bereits 1995 zu erwartenden „Turbulenzen“ im System der gesetzlichen Rentenversicherung hingewiesen. Aus den im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Meldebestätigungen der beiden neuen Arbeitgeber, bei denen eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung gemeldet wurde, aber kein Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung, wird ersichtlich, dass die Meldung Thema bei der Neueinstellung gewesen sein muss und eventuell Anlass für den Kläger hätte sein können, sich wegen der Fortgeltung des Befreiungsbescheids vom 05.07.1995 bei der Beklagten zu erkundigen. Anhaltspunkte für einen entsprechenden Kontakt des Klägers mit der Beklagten finden sich in den Akten jedoch nicht. Demgegenüber hat der Kläger Kontakt mit der Ingenieursversorgung aufgenommen, nachdem sich die Fa. G. ihm gegenüber wohl bereit erklärt hatte, seine freiwilligen Beiträge zur Ingenieursversorgung in voller Höhe zu tragen. Der Kläger hat ausweislich der auf Blatt 15 der Beklagtenakte befindlichen Kopie mit Schreiben vom 06.10.2003 die Ingenieursversorgung deswegen um Rücküberweisung des bereits eingezogenen Beitrags für den Monat September 2003 gebeten und seine Einziehungsermächtigung widerrufen. Die jeweiligen Meldungen der Arbeitgeber vermögen an sich keinen sozialversicherungsrechtlichen Status zu begründen oder aufrechtzuerhalten. Mangels Anhaltspunkte für eine Rückfrage des Klägers bei der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt oder für eine fehlerhafte Auskunft der Beklagten auf entsprechende Nachfrage des Klägers scheidet ein möglicher Anspruch des Klägers auf Befreiung auch unter dem Aspekt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches oder unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben, wie im Urteil des 12. Senats des BSG vom 31.10.2012 angedeutet (B 12 R 3/11 R, Rdnr 33 f. nach juris), aus.
§ 6 SGB VI sieht – sowohl in der Fassung bis 31.12.1995 als auch ab dem 01.01.1996 – eine Befreiung von der Versicherungspflicht in besonderen Fällen vor, u. a. nach Nr.1 für Personen, die im Rahmen einer berufsständischen Versorgung eine vergleichbare Absicherung wie in der gesetzlichen Rentenversicherung erlangen können. Hierdurch wird aber die grundlegende gesetzliche Systematik der gesetzlichen Sozialversicherung nicht verändert, wonach bei jedem Wechsel einer Beschäftigung mit Aufnahme der neuen Beschäftigung automatisch nach § 1 SGB VI eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung kraft Gesetzes eintritt, von der gegebenenfalls erneut eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI beantragt und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch erteilt werden muss. Insoweit stehen bereits diese rechtssystematischen Grundsätze der gesetzlichen Sozialversicherung einer Interpretation, dass sich die Befreiung auf jede Art von berufsspezifischer Tätigkeit als Ingenieur erstrecken könnte, entgegen. Die Befreiung von der Versicherungspflicht knüpft nicht an die durch eine Berufsausbildung als Ingenieur determinierte Person des Klägers als solche an, sondern an die jeweilige konkrete Tätigkeit, die der Kläger verrichtet. Dies hat das BSG wiederholt entschieden.
Nur in diesem gesetzlichen und systematischen Rahmen könnte überhaupt eine Vertrauensschutzüberlegung zu Gunsten des Klägers greifen, die unter Beachtung von allgemeinen Auslegungsmaßstäben unter entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB aus dem Bescheid vom 05.07.1995 nach Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers abgeleitet werden soll.
Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur ist ein Verwaltungsakt nach § 31 SGB X auch auf seine Bestimmtheit und seinen Regelungsgehalt hin zu überprüfen. Der Befreiungsbescheid muss als Verwaltungsakt nach § 31 SGB X gemäß § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt sein. Er muss nach § 33 Abs. 3 SGB X insbesondere die erlassende Behörde erkennen lassen und mit einer Unterschrift des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten versehen sein. Von einer hinreichenden Bestimmtheit des Verwaltungsakts ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage ist, das von ihm Geforderte zu erkennen. Der Verwaltungsakt muss auch eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden. Aus dem Verfügungssatz des Bescheids muss für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Hierbei ist nicht auf den subjektiven Horizont des Erklärungsempfängers abzustellen, sondern auf die Erkenntnismöglichkeit eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers (BSG, Urteil vom 10.07.2012, Az. B 13 R 85/11 R, Rdnr 25, veröffentlicht bei juris; Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl., 2014, § 33, Rdnr 7 m.w.N.). Von einer Unbestimmtheit des Verwaltungsakts kann aber umgekehrt nur dann ausgegangen werden, wenn der Verfügungssatz nach seinem Regelungsinhalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Verständnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten danach auszurichten. Unschädlich ist dabei nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung, wenn der Regelungsgehalt des Verfügungssatzes erst durch Auslegung ermittelt werden muss (vgl. Engelmann, a.a.O., Rdnr 9 m. w. N.). Die Auslegung kann anhand der Begründung einschließlich beigefügter Anlagen erfolgen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt des Zugangs beim Empfänger. Später hinzugetretene Umstände – wie etwa vom Prozessbevollmächtigten geltend gemacht Rentenauskünfte etc. – sind hierbei außer Acht zu lassen.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist nach Ansicht des Senats von einer hinreichenden Bestimmtheit des Befreiungsbescheids vom 05.07.1995 auszugehen. Die Beklagte hat den Kläger für seine konkrete, dem Antrag zugrundeliegende Beschäftigung bei der Fa. W. Bau von der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund seiner neu eingetretenen freiwilligen Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung der Ingenieure befreit, aber auch nicht mehr. In dem Bescheid vom 05.07.1995 wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Befreiung jeweils nur für die konkrete Tätigkeit gilt, also für die im Zeitpunkt der Antragstellung vom Kläger ausgeübte Tätigkeit bei der Fa. W. Bau. Ein darüber hinaus gehender Wille der Beklagten, den Kläger entgegen der gesetzlichen Regelung für jede Art von berufsspezifischer Tätigkeit als Ingenieur zu befreien, kann aus dem Bescheid vom 05.07.1995 nicht abgeleitet werden. Das SG hat in seinem Urteil vom 15.06.2015 bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Befreiungsbescheid vom 05.07.1995 als Gegenstück zu dem vom Kläger gestellten Antrag vom 15.03.1995 zu sehen ist. Dort ist eine Befreiung für seine konkrete Tätigkeit bei der Fa. W. Bau beantragt, nicht dagegen für den Kläger als Person in seiner Eigenschaft als ausgebildeter Ingenieur.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers argumentiert, dass auf den subjektiven Empfängerhorizont des Klägers abzustellen sei, ist dem nicht zu folgen. Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist nicht auf den subjektiven Maßstab des Erklärungsempfängers abzustellen oder darauf, dass im Zweifel die behördliche Erklärung so auszulegen wäre, wie sie für den konkreten Empfänger am günstigsten wäre, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (vgl. Engelmann, a.a.O., § 33 SGB X, Rdnr 7 m.w.N. und § 31 SGB X Rdnr. 25 m.w.N.). Die Entscheidung der Beklagten ist – im Gegensatz zu den zivilrechtlichen Gegebenheiten im Rahmen der Privatautonomie von Vertragspartnern – nicht im rechtsfreien Raum erfolgt, sondern determiniert durch den Antrag des Klägers auf Befreiung und den gesetzlich vorgegebenen Regelungsrahmen. Unter Zugrundelegung dieses Rahmens finden nach Ansicht des Senats auch die weiteren Ausführungen im Bescheid, die nicht Gegenstand des relevanten Verfügungssatzes sind, durchaus Sinn, wenn danach unterschieden wird, ob Störungen in der von der Befreiung erfassten Beschäftigung eintreten oder eine neue Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber eingegangen wird. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hinweist, dass in dem Bescheid ausdrücklich auf die Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung abgestellt werde, ist diese Regelung objektiv so zu verstehen, dass der zeitliche Beginn der Befreiung geregelt wird, nämlich entweder ab Beginn des konkreten Beschäftigungsverhältnisses, bei einem Antrag später als 3 Monate nach Beginn der Beschäftigung ab Antragstellung oder ab Beginn der Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung, wobei ausdrücklich auf die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 4 SGB VI Bezug genommen wird. Daraus kann jedenfalls bei Zugrundelegung des Horizontes eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers nicht die Regelung abgeleitet werden, dass generell für jede Art einer abhängigen Beschäftigung als Ingenieur zukünftig keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mehr eintreten werde, solange eine Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung besteht, und sei es auch nur in Form einer freiwilligen Mitgliedschaft.
Der 12. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 31.10.2012 ausdrücklich festgestellt, dass sowohl § 231 SGB VI a F als auch § 6 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI an die konkrete Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit anknüpfen und eine Identität der Beschäftigung, für die die Befreiung erteilt wurde, mit der aktuellen Beschäftigung gefordert sei. Der Gesetzeswortlaut definiere die Fortwirkung einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht über materielle Merkmale der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, wie etwa Berufsbezeichnung, berufliche Qualifikation oder beruflicher Status. „Beschäftigung“ werde in § 7 Abs. 1 SGB IV „als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ definiert und verlange die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines (konkreten) Weisungsgebers. Eine andere Beschäftigung liege damit schon dann vor, wenn eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgenommen werde (BSG, a.a.O., Rdnr 15 ff.).
Mit aktuellem Urteil vom 05.12.2017 hat der 12. Senat des BSG ausdrücklich an dieser Rechtsprechung festgehalten (Az. B 12 KR 11/15 R, Rdnr 21, veröffentlicht bei juris). Ausdrücklich hat das BSG darauf hingewiesen, dass auch die Übergangsregelung des § 231 Satz 1 SGB VI in der Fassung vom 18.12.1989 für die fortdauernde Wirkung einer früheren Befreiung von der Versicherungspflicht an die konkrete Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit anknüpft und eine Identität der Beschäftigung verlangt, die während der ursprünglichen Befreiung von der Versicherungspflicht verrichtet wurde, mit der aktuellen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit. Eine andere Beschäftigung liegt bereits dann vor, wenn eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgenommen wird. Weiter hat der 12. Senat ausgeführt, dass die Fortführung einer Pflichtmitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft weder die Erteilung noch die Aufrechterhaltung einer Befreiung rechtfertigt. Im Übrigen sei eine Befreiung nicht förmlich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des § 231 Satz 1 SGB VI in der Fassung vom 18.12.1989 durch den Wechsel der Tätigkeiten nicht mehr vorliegen.
Auch der 5. Senat des BSG hat im Beschluss vom 07.03.2018 (Az. B 5 RE 3/17 R, veröffentlicht bei juris) ausdrücklich festgehalten, dass er nicht vom Urteil des 12. Senats abweiche, wenn davon auszugehen sei, dass der Befreiungsbescheid sich nur auf eine bestimmte, konkrete Beschäftigung beziehe.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 15.06.2015 als unbegründet zurückzuweisen.
Eine Beiladung des aktuellen Arbeitgebers des Klägers nach § 75 Abs. 2 SGG war nicht erforderlich, da auch bei einer Feststellung, dass der Kläger nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit wäre, nicht unmittelbar in eine geschützte Rechtsposition des Arbeitgebers eingegriffen wird (Urteil des Senats vom 20.09.2017, L 19 R 1001/13 und Urteil vom 08.09.2015, L 19 R 554/11 jeweils veröffentlicht bei juris). Eine notwendige Beiladung des berufsständischen Versorgungswerkes hatte ebenfalls nicht zu erfolgen. Zum einen ist auch insoweit keine Verletzung berechtigter Interessen des Versorgungswerkes ersichtlich, nachdem der Kläger nur freiwillig im berufsständischen Versorgungswerk versichert war. Zum anderen hat sich das Versorgungswerk bereits gegenüber dem Kläger bereit erklärt, auf seinen Wunsch hin die entrichteten Beiträge ab September 2003 an die Beklagte zu überführen. Davon hat der Kläger – soweit erkennbar – bislang keinen Gebrauch gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Unter dem Aktenzeichen B 5 RE 1/18 R ist bereits ein Verfahren beim 5. Senat des BSG, das sich mit einer vergleichbaren rechtlichen Problematik beschäftigt. Mit Beschluss vom 07.03.2018 – B 5 RE 3/17 R hat der 5. Senat eine Revision der Beklagten gegen ein Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.03.2017 – L 18 R 852/16 – wegen eines Begründungsmangels als unzulässig verworfen. Gegenstand des Urteils des LSG war die vom Prozessbevollmächtigten auch hier im Verfahren vorgetragene Argumentation, dass im Wege der Auslegung des Formularbescheides der früheren BfA bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten zugunsten des Klägers die für ihn günstigste Auslegungsvariante zugrunde zu legen sei, also die Fortgeltung der Befreiung von der Versicherungspflicht aus dem durch den Formularbescheid vermeintlich geschaffenen Vertrauenstatbestand. Ob sich der 5. Senat der Entscheidung des 12. Senats in materiell-rechtlicher Hinsicht dem Grunde nach anschließt oder nicht, ist der Entscheidung vom 07.03.2018 nicht eindeutig zu entnehmen.