Arbeitsrecht

Zuzahlungen für Tagespflege von Kindern sind zulässig

Aktenzeichen  M 18 K 16.5886

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27200
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 23, § 43, § 90 Abs. 3
BayKiBiG Art. 20
AVBayKiBiG § 18
VwGO § 43

 

Leitsatz

1. Die Gewährung einer laufenden Geldleistung der Kindertagespflege darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass keine Zuzahlungen der Kindseltern vereinbart wurden. Ein Zuzahlungsverbot würde in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie der Vertragspartner des Betreuungsvertrages zwischen Tagespflegeperson und Sorgeberechtigten eingreifen, wofür eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich wäre, die jedoch nicht ersichtlich ist.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Tagespflegepersonen sind selbständig und haben daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Fortzahlung der laufenden Geldleistung im Krankheitsfall bzw. wegen sonstiger Abwesenheit.   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klägerin neben den Förderleistungen nach §§ 22 ff. SGB VIII berechtigt ist, von den Eltern der von ihr betreuten Tagespflegekinder mittels privatrechtlicher Vereinbarung Zuzahlungen zu verlangen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Beklagte 5/6, die Klägerin 1/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
Der Klägerin steht der Anspruch auf Feststellung der Zulässigkeit von Zuzahlungen zu, hingegen hat sie keinen Anspruch auf Feststellung eines Fortzahlungsanspruchs für betreuungsfreie Zeiten für eine Dauer von 40 Werktagen im Jahr.
1. Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO hinsichtlich des Zuzahlungsverbots ist zulässig und begründet.
Sie ist statthaft, da sie die Klärung des Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beklagten bzw. dem von ihm nach Art. 42 Abs. 1 AGSG Beauftragten zum Inhalt hat (vgl. VG München, U.v. 24.2.2016 – M 18 K 14.3472 – juris Rn. 59ff.; VG VG Würzburg, U.v. 2.7.2015 – W 3 K 14.648 – juris Rn. 94ff.).
Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse nach § 43 Abs. 1 VwGO, da die Angaben des Beklagten zur Frage der Zulässigkeit von Zahlungen sowohl hinsichtlich der von ihm verwendeten bzw. vorgegebenen vertraglichen Regelungen als auch seiner mündlichen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung widersprüchlich sind.
Die Feststellungsklage ist begründet; der Beklagte darf die Gewährung einer laufenden Geldleistung im Sinne des § 23 Abs. 1, Abs. 2 SGB VIII nicht von der Nichtvereinbarung von Zuzahlungen der Kindseltern abhängig machen.
Mit einem Zuzahlungsverbot greift der Beklagte in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie der Vertragspartner des Betreuungsvertrages zwischen Tagespflegeperson und Sorgeberechtigten ein. Hierfür wäre eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich (vgl. OVG NRW U.v. 22.08.2014 – 12 A 591/15, juris Rn. 60 f.). Eine solche ist nicht ersichtlich. Das Gericht hält insoweit an seiner im vergleichbaren Fall geäußerten Rechtsauffassung im Verfahren M 18 K 14.3472 (rechtskräftiges U.v. 24.2.2016 – juris Rn. 62ff m.w.N.) fest und macht sich diese Ausführungen weiter zu Eigen. Die Tagespflegeperson ist – auch nach Ansicht des Beklagten – selbständig tätig, ein Zuzahlungsverbot greift damit in ihre Berufsausübungsfreiheit ein (a.A. VG Würzburg, U.v. 2.7.2015 – W 3 K 14.648 – juris Rn. 102ff.).
Die theoretische Möglichkeit, ohne staatliche Förderung allein auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages mit den Kindeseltern ein Tagespflegeverhältnis zu finanzieren, ist praktisch aufgrund der dann ausschließlich von den Eltern zu tragenden hohen Kosten kaum vorstellbar. Die Tagespflegeperson wäre damit einem wohl kaum zu überwindenden Konkurrenzgefälle zu anderen Tagespflegepersonen mit kommunalen Leistungen ausgesetzt. Im Gegensatz hierzu wollte der Gesetzgeber aber gerade mit der Einführung eines Entlohnungsanspruchs der Tagespflegeperson die Attraktivität der Kindertagespflege mit Blick auf deren Bedeutung beim Ausbau der Kindertagesbetreuung steigern und diese als gleichrangiges alternatives Förderungsangebot neben den Tageseinrichtungen etablieren (BT-Drs. 16/9299 S. 2, 14 und 15).
Es kann auch entgegen der Ansicht des Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass bezüglich des Zuzahlungsverbots eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke besteht (welche im Übrigen ebenfalls nicht zu einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage führen könnte). Zwar trifft es zu, dass das gesetzliche System der Förderung in Kindertagespflege entsprechend den üblichen Leistungen im Leistungsdreieck des SGB VIII nicht auf eine etwaige Zuzahlung der Sorgeberechtigten ausgerichtet ist, sondern davon ausgeht, dass die Tagespflegeperson vom Jugendamt einen Gesamtbetrag erhält und die Eltern ausschließlich über die Kostenbeitragsregelungen der §§ 90 ff SGB VIII hergezogen werden. Das System des Leistungsdreieck findet jedoch für den Bereich der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 ff SGB VIII nicht uneingeschränkt Anwendung. Dem Träger der Jugendhilfe kommt bei der Anwendung und leistungsgerechten Ausgestaltung des zu gewährenden Betrags zur Anerkennung der Förderleistung nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, so dass die Leistung auch hinter einer Vollvergütung zur Sicherung des Lebensunterhalts zurückbleiben darf (vgl. ausführlich BVerwG, U.v. 25.1.2018 – 5 C 18/16 – juris Rn. 10ff). Dementsprechend muss der Tagespflegeperson – zumindest bis zur Erreichung einer Vollvergütung – die Vereinbarung weiterer Zuzahlungen möglich sein. Es erscheint nicht sachgerecht, einerseits anzunehmen, dass eine Vollvergütung von Tagespflegepersonen durch die jeweiligen Träger der Jugendhilfe (noch) nicht gegeben sein müsse, andererseits den Tagespflegepersonen jedoch aufgrund systemischer (vor allem Refinanzierungs-)Argumente der Träger den Abschluss von Zuzahlungsvereinbarungen mit den Eltern verbieten zu wollen. Diese Annahme widerspricht der Intention des Gesetzes, mehr Tagespflegestellen zu schaffen und die Tagespflege mittelfristig zu einem vollwertigen Beruf aufzuwerten. Im Übrigen müssen Eltern auch bei den anderen Tageseinrichtungen (in aller Regel) eigene Leistungen unmittelbar an den Einrichtungsträger erbringen und können nur im Rahmen des § 90 Abs. 3 SGB VIII Entlastung finden.
Auch die Systematik der Refinanzierung der Jugendhilfeträger mit der deckelnden Regelung des Art. 20 Ziff. 3 BayKiBiG kann ein Zuzahlungsverbot nicht legitimieren. Denn die Regelung des Art. 20 Ziff. 3 BayKiBiG betrifft ausschließlich die Refinanzierung des Beklagten und stellt keine gesetzliche Eingriffsgrundlage in die Berufsausübungs- und Vertragsfreiheit der selbständigen Tagespflegeperson dar. Im Übrigen dürfte auch das Erfordernis einer Zuzahlung entfallen, sofern die laufenden Geldleistungen entsprechend angemessen durch den Beklagten angesetzt werden. In Folge dessen dürfte auch dem Beklagten eine gesicherte Refinanzierung zur Verfügung stehen.
2. Die Feststellungsklage hinsichtlich des Fortzahlungsanspruchs ist zwar ebenfalls zulässig, jedoch unbegründet.
Ein Anspruch könnte sich ausschließlich aus § 23 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII ergeben. Wie bereits ausgeführt, kommt dem Beklagten jedoch hinsichtlich der Festlegung der Höhe der Förderleistung ein Beurteilungsspielraum zu. Wie der Beklagte in seinen Richtlinien sachgerecht ausführt, sind Tagespflegepersonen selbstständig und haben daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Fortzahlung der laufenden Geldleistung im Krankheitsfall bzw. bei sonstiger Abwesenheit. Lediglich aus – nachvollziehbaren – Gründen der Verwaltungsvereinfachung hat der Beklagte zunächst mit der Richtlinie 2009 für 30 Urlaubstage und ggf. 10 Krankheitstage die Geldleistungen weitergewährt und mit der Richtlinie 2015 (sowie ebenso mit der Richtlinie 2017) festgelegt, dass eine Rückforderung in einem Umfang von bis zu 30 Arbeitstagen nicht erfolgen solle. Die Entscheidung des Beklagten, nunmehr regelmäßig lediglich (nur) für bis zu 30 Arbeitstage auch ohne entsprechende Leistung der Tagespflegeperson aus Verwaltungsvereinfachungsgründen weiterhin Leistungen zu gewähren, ist nicht zu beanstanden. Ein Anspruch der Klägerin auf eine Leistung für betreuungsfreie Zeiten besteht aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit nicht. Die Entscheidung des Beklagten dennoch auf eine Rückforderung zu verzichten bzw. Leistungen weiter zu gewähren, beruht auf nachvollziehbaren Erwägungen. Die Klägerin kann sich insoweit auch nicht auf einen Bestandsschutz berufen. Vielmehr hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf Leistung für betreuungsfreien Zeiten innegehabt, sondern der Beklagte lediglich auf eine Rückforderung verzichtet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte insoweit seine Erwägungen ändert.
Der Klage war damit im tenorierten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Insoweit war zu berücksichtigen, dass die Klägerin einen Anspruch auf Neuberechnung gehabt hatte, auch wenn diese im Ergebnis nicht zu einer höheren Geldleistung geführt hat. Im Übrigen erfolgte die Kostenverteilung nach § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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