Sozialrecht

Rentenhöhe – Einstufungsvoraussetzungen für Techniker in Qualifikationsgruppe

Aktenzeichen  L 19 R 464/16

Datum:
9.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9146
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 64, § 236b Abs. 1, Abs. 2 S. 1
FRG § 4, § 20, § 22

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der Einstufung eines Technikers in die Qualifikationsgruppen der Anlage 13 zum SGB VI. (Rn. 33 – 40)
Für die Art und Qualität der ausgeübten Tätigkeit genügt nach § 4 Abs. 1 FRG die Glaubhaftmachung. Dabei ist es jedoch erforderlich, dass die Ausbildung und die ausgeübte Tätigkeit vollumfänglich die Erfordernisse der höheren Qualifikationsgruppe erfüllen.  (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 16 R 955/15 2016-04-05 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.04.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente.
Unstrittig hat der Kläger ab 01.07.2015 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte nach § 236b Abs. 1 iVm Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllt.
Die Rentenhöhe ergibt sich nach § 64 SGB VI aus der Multiplikation der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert. Im Berufungsverfahren ist zwischen den Beteiligten allein die Höhe der persönlichen Entgeltpunkte strittig und auch nur noch insoweit als eine unterschiedliche Auffassung darüber besteht, welche Entgeltpunkte in der Zeit vom 01.02.1988 bis 31.01.1990 zu berücksichtigen sind.
Der Kläger hat in dieser Zeit keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung gezahlt gehabt, sondern Beiträge zum Träger der rumänischen Rentenversicherung. Dies würde sich nach europäischem Recht nicht auf die Höhe der in Deutschland zu zahlenden Rente auswirken. Der Kläger gehört jedoch unstrittig zum Personenkreis, der von § 1 Buchst. a FRG erfasst ist. Damit stehen die in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
In Anwendung von §§ 20 und 22 FRG iVm § 256b SGB VI werden Zuordnungen vorgenommen und Entgeltpunkte ermittelt.
Die Beklagte hat in der Anlage zum Teilabhilfebescheid vom 13.08.2015 die Zeit vom 01.02.1988 bis 31.01.1990 als nachgewiesene Pflichtbeitragszeit angesehen und der allgemeinen Rentenversicherung – der Angestellten – Bereich 08 Leichtindustrie (ohne Textilindustrie) zugeordnet und hierbei die Tabellenwerte der Qualifikationsgruppe 4 – erhöht um ein 1/5 – angesetzt (Anlage 14 zum SGB VI). In der Folgezeit vom 01.02.1990 bis 19.02.1990 ist in Abänderung hierzu die Qualifikationsgruppe 2 nach der Anlage 13 zum SGB VI zu Grunde gelegt worden, die der Kläger auch für den strittigen Zeitraum als maßgeblich ansieht.
Die Zuordnung der Qualifikationsgruppen erfolgt nach der Anlage 13 zum SGB VI. Danach sind in der Qualifikationsgruppe 4 Facharbeiter eingeordnet, d.h. „Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet [hier zu lesen: im Herkunftsgebiet] die Facharbeiterqualifikation zugeordnet worden ist.“ Eine Teilqualifikation reicht nicht aus.
In der Qualifikationsgruppe 2 sind Fachschulabsolventen eingeordnet, d.h.
„1. Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss erworben haben und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden ist.
2. Personen, denen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen im Beitrittsgebiet [hier zu lesen: im Herkunftsgebiet] der Fachschulabschluss bzw. eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung zuerkannt worden ist.
3. Personen, die an staatlich anerkannten mittleren und höheren Fachschulen außerhalb des Beitrittsgebiets eine Ausbildung abgeschlossen haben, die der Anforderung des Fachschulabschlusses im Beitrittsgebiet entsprach, und ein entsprechendes Zeugnis besitzen.
4. Technische Fachkräfte, die berechtigt die Berufsbezeichnung „Techniker“ führten, sowie Fachkräfte, die berechtigt eine dem „Techniker“ gleichwertige Berufsbezeichnung entsprechend der Systematik der Berufe im Beitrittsgebiet (z.B. Topograph, Grubensteiger) führten.“ Nicht ausreichend ist die Teilnahme an einem Fachschulstudium, das nicht zum Fachschulabschluss führte.
Für die Art und Qualität der ausgeübten Tätigkeit genügt nach § 4 Abs. 1 FRG die Glaubhaftmachung. Dabei ist es jedoch erforderlich, dass die Ausbildung und die ausgeübte Tätigkeit vollumfänglich die Erfordernisse der höheren Qualifikationsgruppe erfüllen; ein Herausheben aus dem üblichen Durchschnitt der niedrigeren Qualifikationsstufe ist dagegen allein nicht ausreichend. Weiter ist es selbstverständlich erforderlich, dass auch tatsächlich eine Tätigkeit ausgeübt wurde, die der zuvor erworbenen Ausbildung entspricht.
Im Fall des Klägers ist aus den Unterlagen ersichtlich, dass vom Kläger ab Februar 1988 tatsächlich die Tätigkeit eines Technikers verrichtet wurde. Die ausgeübte Tätigkeit würde nach der von der Beklagten für Februar 1990 vorgenommenen Einschätzung ausreichen, um bei Vorliegen einer entsprechenden Berufsausbildung zum Techniker die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 2 ermöglichen.
Alternativ dazu kann zwar auch nach Erwerb einer entsprechenden Erfahrung im ausgeübten höherwertigen Beruf eine Einordnung in diese Gruppe erfolgen. Dies ist aber für den hier strittigen Zeitraum ohne Bedeutung, da für das Vorliegen eines ausreichenden Erfahrungserwerbs im höherwertigen Beruf ein früherer Zeitpunkt als von der Beklagten angenommen nicht in Betracht kommt. In der Regel gingen die Rentenversicherungsträger im Rahmen der Einstufung nach Leistungsgruppen im Rahmen der früheren Gesetzeslage von einer Verdoppelung der Ausbildungszeit für den Erfahrungserwerb aus (vgl. VDRKommentar zum Rentenrecht, Nebengesetze, Band 1, Oktober 1998, § 22 FRG, 5.44 für Facharbeiter). Nach dem Urteil des BayLSG vom 19.03.2014 (Az: L 1 R 1000/12 – nach juris) ist es nicht zu beanstanden, wenn diese typisierende Betrachtungsweise auch im Rahmen der Einstufung in Qualifikationsgruppen angewendet wird, wenn keine Anhaltspunkte vorhanden sind, die eine Höherstufung zu einem früheren Zeitpunkt rechtfertigen. Die Beklagte ist dabei davon ausgegangen, dass hierfür eine derartige berufliche Tätigkeit im Umfang von 2 Jahren Voraussetzung ist und hat ab 01.02.1990 die höhere Qualifikationsgruppe zuerkannt. Eine kürzere Erfahrungszeit ist zur Überzeugung des Senats keinesfalls geeignet, bereits zur höheren Qualifikationsgruppe zu führen.
Die somit aus Sicht des Senats allein verbleibende Möglichkeit, dass der Kläger zumindest glaubhaft gemacht hätte, dass er eine der alternativen Bedingungen der Qualifikationsgruppe 2 bereits vor dem 01.02.1990 vollständig erfüllt gehabt hätte, ist nicht mit hinreichender Sicherheit gegeben.
Nach dem o.g. Urteil des BayLSG erfolgte in Rumänien die Ausbildung auf der Ebene der mittleren Berufsbildung (Techniker/Meister) zum einen in Bildungseinrichtungen, an denen Allgemein- und Berufsbildung gemeinsam erworben wurden (vgl. zum Folgenden Müller, Die Qual mit den Qualifikationsgruppen, DAngVers 1995, S. 354 ff.). Aufgenommen wurden Absolventen der sieben-, später der achtklassigen Allgemeinschule. Die Ausbildung endete danach nach 3 bis 5 Jahren (meist 4 Jahre) mit dem Technikerabschluss. In einer zweiten Ausbildungsform wurden hingegen Allgemein- und Berufsbildung nacheinander erworben. Es wären also zunächst allgemeinbildende Schulen besucht und mit der Hochschulreife abgeschlossen worden. Anschließend hätten die Absolventen an Fachschulen die mittlere berufliche Qualifikation erworben. Da in diesen Bildungseinrichtungen nur noch Fachunterricht hätte erteilt werden müssen, sei die Ausbildung entsprechend kurz gewesen, meist ein bis zwei Jahre, nur in Ausnahmen drei Jahre.
Zutreffend hat das Sozialgericht den Hinweis der Klägerseite auf die fünfjährige Dauer des Besuchs des Industrielyzeums nicht als hinreichendes Indiz für einen kombinierten mittleren Abschluss gewertet, da der Kläger das Industrielyzeum nicht in Vollzeit, sondern nur berufsbegleitend besucht hat.
Der Kläger verfügt auch weder über einen Fachschulabschluss als Techniker noch über eine Urkunde, wonach ihm die Berufsbezeichnung Techniker zuerkannt worden wäre. Allein die Tatsache, dass der Kläger laut Arbeitsbuch als Techniker eingesetzt gewesen war, führt nicht dazu, dass der Kläger die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung „Techniker“ zuerkannt bekommen hätte. Der Abschluss des Industrielyzeums hat nach den von den Beteiligten vorgelegten Literaturquellen zwar in der Vergangenheit – d.h. wohl vor den hier betroffenen Zeiträumen – manchmal auch zur Technikerqualifikation führen können, während er später ausschließlich die Hochschulreife vermittelt hat. Für den Erwerb der Hochschulreife verfügt der Kläger über Nachweise und hat sie vorgelegt. Dafür, dass er gleichzeitig auch den Fachschulabschluss eines Technikers erworben gehabt hätte, gibt es dagegen keine Belege. Der Begriff des Baccalaureats wird in der Übersetzung zu Recht mit Hochschulreife gleichgesetzt, was auch der international üblichen Nomenklatur entspricht.
Da beim Kläger auch keine Meisterqualifikation – als Voraussetzung für die Qualifikationsgruppe 3 – vorgelegen hatte, hat es in diesem Zeitraum bei der Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 zu verbleiben.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.04.2016 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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