Aktenzeichen 1 Ws 126/18
StPO § 170 Abs. 2, § 306, § 328 Abs. 2, § 349 Abs. 2, § 453 Abs. 2 S. 1, § 463 Abs. 2
Leitsatz
1. Im Rahmen des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a) StGB müssen Verstöße gegen Weisungen nach § 68b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB oder andere bestimmte Tatsachen – vergleichbar den Widerrufsgründen gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 StGB – positiv feststehen. D.h. sie müssen entweder rechtskräftig festgestellt sein oder der Verurteilte muss insoweit ein glaubhaftes Geständnis abgelegt haben. (Rn. 21)
2. Nach einer Verweisung wegen Unzuständigkeit gemäß § 328 Abs. 2 StPO entfalten vorangegangene gerichtliche Feststellungen keine Bindungswirkung und müssen in der neuen Hauptverhandlung neu getroffen werden. (Rn. 23)
3. Aus vom Verurteilten teilweise eingeräumten Umständen müssen sich noch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtbewertung. Die besondere Rückfallgefährlichkeit des Verurteilten kann sich nämlich gerade aus den von diesem nicht eingeräumten Umständen ergeben. (Rn. 26)
Verfahrensgang
SR StVK 170/00 2017-12-07 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg
Tenor
I. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten gegen den Beschluss der auswärtigen großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 07.12.2017 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Der Verurteilte war mit Urteil des Landgerichts Kempten vom 07.12.1998 (Az.: KLs 212 Js 4221/98) wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger unter Einbeziehung zweier weiterer Urteile zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren unter gleichzeitiger Anordnung der Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Gegenstand dieser sowie auch früherer Verurteilungen waren Taten immer gleichen Musters: Zunächst machte der Verurteilte junge Frauen durch Verabreichung betäubend wirkender Mittel in Getränken oder mit Chloroform und ähnlichen Mitteln widerstandsunfähig oder ganz bewusstlos, um diese dann zu sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr sowie zu Nacktaufnahmen missbrauchen zu können.
Mit Beschluss vom 29.10.2012 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing (Az.: StVK 170/2000; 211 VRs 4221/98 StA Kempten) die mit Urteil des Landgerichts Kempten vom 07.12.1998 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zum 07.11.2012 für erledigt erklärt, mit der Entlassung aus dem Vollzug für die Dauer von fünf Jahren Führungsaufsicht angeordnet und unter Ziffer 4 h) folgende strafbewehrte Weisung erteilt: „Er darf keine erotischen oder pornografischen Bild- oder Filmaufnahmen herstellen oder derartiges Material besitzen (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StGB).“ Die Führungsaufsicht endet nicht vor dem 12.05.2018.
Mit Beschluss vom 19.12.2012 hat das Oberlandesgericht Nürnberg (Az.: 2 Ws 671/12) vorgenannte Weisung wie folgt abgeändert: „Er darf keine erotischen oder pornografischen Bild- oder Filmaufnahmen herstellen oder pornografisches Material besitzen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 StGB).“
In den Beschlüssen vom 21.02.2013, vom 13.02.2014 und vom 17.07.2014 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing die Führungsaufsichtsweisungen jeweils klarstellend neu gefasst und vorgenannte abgeänderte Weisung unter Ziffer 4 h. bzw. Ziffer 4 f) bzw. Ziffer 4 e) übernommen.
In der Anklageschrift zum Amtsgericht – Schöffengericht – Kempten vom 18.08.2015 (Az.: 410 Js 12188/15) legt die Staatsanwaltschaft Kempten dem Verurteilten zur Last, über einen nicht näher bestimmbaren Zeitraum bis zum 10.06.2015 dem Führungsaufsichtsbeschluss zuwider handelnd in seiner Wohnung 53 DVDs, 1 BlueRay-Disc, 20 VHS-Kassetten sowie mindestens 17 Videodateien pornografischen Inhalts sowie mindestens 15.000 Bilddateien pornografischen Inhalts auf seinem Laptop besessen zu haben. In zwei weiteren Anklageschriften zum Amtsgericht – Schöffengericht – Kempten jeweils vom 25.11.2015 (Az.: 200 Js 18252/15 und 200 Js 16994/15) sowie in einer weiteren Anklageschrift zum Amtsgericht – Schöffengericht – Kempten vom 03.12.2015 (Az.: 200 Js 21654/15) legt die Staatsanwaltschaft Kempten dem Verurteilten darüber hinaus zur Last, über einen nicht näher bestimmbaren Zeitraum bis zum 28.07.2015 2 VHS-C-Kassetten pornografischen Inhalts bzw. 5 VHS-C-Kassetten pornografischen Inhalts bzw. 2 VHS-C-Kassetten pornografischen Inhalts und eine Vielzahl selbst hergestellter Papierfotografien in seiner Wohnung besessen zu haben.
Am 21.07.2016 hat das Amtsgericht – Schöffengericht – Kempten (Az.: 32 Ls 410 Js 12188/15) den Verurteilten aufgrund aller vorgenannter Anklageschriften (mit Ausnahme des Besitzes der Rechnerdateien pornografischen Inhalts) wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Der Verurteilte hatte zwar die ihm zur Last gelegten Taten im wesentlichen bestritten, das Schöffengericht hat seine Einlassungen aber als widerlegt angesehen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft Kempten (um die Verhängung von Sicherungsverwahrung zu erreichen) Berufung eingelegt.
Am 14.06.2017 hat das Bezirkskrankenhaus K2 ein fachpsychiatrisches Gutachten zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nach Aktenlage erstellt, nachdem der Verurteilte seine Mitwirkung an einer persönlichen Exploration verweigert hatte.
Am 19.09.2017 hat das Landgericht Kempten (Az.: 4 Ns 410 Js 12188/15 (3)) auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 21.07.2016 aufgehoben und das Verfahren gemäß § 328 Abs. 2 StPO an die große Strafkammer des Landgerichts Kempten verwiesen sowie im Übrigen die Berufung des Verurteilten verworfen. Hinsichtlich eines Teils der Tatvorwürfe hat die Strafkammer zugunsten des Verurteilten keine Strafbarkeit angenommen: Die 20 VHS-Kassetten enthielten nur erotische Abbildungen, nicht jedoch pornografischen Inhalts, die der Verurteilte während des Vollzugs der Maßregel in der Justizvollzugsanstalt S. unter Duldung des dortigen Anstaltspersonals mit einem ihm überlassenen Videorecorder unter Verwendung des in das dortige Mediensystem eingespeisten Fernsehprogramms aufgenommen habe. Die 17 Videodateien und 15.000 Bilddateien pornografischen Inhalts habe der Verurteilte nicht bewusst auf seinem Laptop gespeichert, sondern seien dort ohne Kenntnis des Verurteilten automatisch durch das Betriebssystem des Computers abgespeichert worden. Im Übrigen hat die Strafkammer folgende Einlassungen des Verurteilten als Schutzbehauptung angesehen: Die 53 DVDs habe der Verurteilte lediglich als Gegenleistung für ein Geschäft mit einem Flohmarkthändler erhalten und habe der Flohmarkthändler in seiner Garage deponiert. Dabei habe er zunächst nicht gewusst, dass es sich um Pornofilme handele. Er habe diese selber gar nicht ansehen, sondern nur wieder weiterverkaufen wollen. Da er dann aber recherchiert habe, dass diese Pornofilme im Internet online angesehen werden könnten, habe er sie für unverkäuflich gehalten und deshalb in seiner Wohnung in der Sitzbank untergebracht. Die 9 VHS-C-Kassetten habe er nicht bewusst verwahrt. Sie seien ohne sein Wissen in einer alten Lautsprecherbox versteckt gewesen, die er nach seiner Haftentlassung in seiner Garage gefunden und in seinem Schlafzimmerschrank abgestellt habe.
Zugleich hat die Strafkammer die Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung für gegeben erachtet: Der Verurteilte habe einen Hang, der Anlassdelinquenz vergleichbare erhebliche Straftaten zu begehen, so dass er weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Strafkammer folgt dabei dem Sachverständigen des Bezirkskrankenhauses K2. Die individuelle Rückfallgefährlichkeit des Verurteilten bezüglich mit früheren Taten vergleichbaren Delikten (zunächst Herbeiführen der Widerstandsunfähigkeit oder Bewusstlosigkeit junger Frauen mittels betäubend wirkender Mittel in Getränken oder mit Chloroform und ähnlichen Mitteln, dann deren Missbrauch zu sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr sowie zu Nacktaufnahmen) knüpft die Strafkammer daran an, dass beim Verurteilten auch nach seiner Entlassung aus der Sicherungsverwahrung – wie die verfahrensgegenständlichen 53 DVDs mit pornografischem Inhalt sowie die 9 VHS-C-Kassetten mit pornografischem Inhalt belegten, die er sich zur jederzeitigen Verfügbarkeit verschafft habe – seine sexuelle Präferenz zumindest für den Konsum von pornografischem Material in Bezug auf schlafende, betrunkene oder sonst wie narkotisierte Frauen weiter bestehe. Dass der Sexualtrieb des Verurteilten trotz seines fortschreitenden Lebensalters fortbestehe, ergebe sich zudem daraus, dass er mit der Zeugin J. sexuelle Kontakte gehabt habe, deren Intensität er jetzt versucht habe abzuwiegeln. Schließlich habe der Verurteilte im Internet nach Chloroform gesucht. Seine Einlassung, er habe von Chloroform-Partys im Internet gehört und habe sich darüber informieren wollen, sei eine Schutzbehauptung. Da er zudem im Besitz einer Kamera gewesen sei, stehe letztlich fest, dass er wieder in altbewährter Weise Vorbereitungsmaßnahmen getroffen habe, um junge Frauen willenlos zu machen und dann zu missbrauchen.
Die gegen vorgenanntes Urteil des Landgerichts Kempten eingelegte Revision des Verurteilten hat das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 14.12.2017 (Az.: 5 OLG 13 Ss 494/17) nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Am 22.11.2017 hat die Staatsanwaltschaft Kempten unter Berufung auf das Urteil des Landgerichts Kempten vom 19.09.2017 und das in diesem Verfahren erholte Sachverständigengutachten unbefristete Führungsaufsicht nach § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a) StGB beantragt.
Mit Beschluss vom 07.12.2017 hat die auswärtige große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing den Antrag der Staatsanwaltschaft Kempten vom 22.11.2017 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass der Verurteilte die ihm zur Last gelegten Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht im Wesentlichen bestritten habe und solche Verstöße noch nicht rechtskräftig festgestellt seien.
Mit Verfügung vom 01.03.2018 hat die Staatsanwaltschaft Kempten dagegen Beschwerde eingelegt und darauf verwiesen, dass das Urteil des Landgerichts Kempten vom 19.09.2017 inzwischen rechtskräftig sei und darüber hinaus aufgrund der Feststellungen in diesem Urteil unter zusätzlicher Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens des Bezirkskrankenhauses K2 vom 14.06.2017 „andere bestimmte Tatsachen“ im Sinne des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a) StGB gegeben seien (ohne solche jedoch konkret zu benennen).
Dieser Beschwerde hat die auswärtige große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing mit Beschluss vom 27.03.2018 nicht abgeholfen. Da durch das Urteil des Landgerichts Kempten vom 19.09.2017 das Urteil des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Kempten vom 21.07.2016 wegen Unzuständigkeit nach § 328 Abs. 2 StPO aufgehoben und die Sache an die große Strafkammer des Landgerichts Kempten verwiesen worden sei, erlangten sowohl die Feststellungen des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Kempten als auch des Landgerichts Kempten als Berufungsinstanz gegenüber der erforderlichen neuen Entscheidung des Landgerichts Kempten als 1. Instanz keine Bindungswirkung und müssten dort neu festgestellt werden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 05.04.2018 beantragt, auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten den Beschluss der auswärtigen großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 07.12.2017 aufzuheben und gegen den Verurteilten unbefristete Führungsaufsicht anzuordnen. Insbesondere sei ein Abwarten der rechtskräftigen Verurteilung nicht Voraussetzung, wenn, wie hier, der Verurteilte den Besitz des pornografischen Bildmaterials wenigstens teilweise eingeräumt habe.
Der Verurteilte hatte Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Er hat beantragt, ihm einen Pflichtverteidiger beizuordnen.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der jeweiligen Urteile, Beschlüsse und Schreiben Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten ist zulässig (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1, 306 StPO), hat in der Sache aber keinen Erfolg. Es sind nämlich weder Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht noch sonstige bestimmte Tatsachen festgestellt, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist.
1. Nach § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a) StGB kann die Führungsaufsicht unbefristet verlängert werden, wenn sich aus einem Verstoß gegen Weisungen nach § 68b Abs. 1 oder 2 StGB oder auf Grund anderer bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist, und wenn bestimmte Vorstrafen verhängt worden sind.
Dabei müssen die Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht oder die sonstigen bestimmten Tatsachen – vergleichbar den Widerrufsgründen gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 StGB – positiv feststehen. D.h. sie müssen entweder rechtskräftig festgestellt sein oder der Verurteilte muss insoweit ein glaubhaftes Geständnis abgelegt haben.
2. Vorliegend stehen weder Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht noch sonstige bestimmte Tatsachen positiv fest, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist.
a) Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausführt, entfalten sowohl die Feststellungen des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Kempten vom 21.07.2016 als auch des Landgerichts Kempten als Berufungsinstanz vom 19.09.2017 gegenüber der erforderlichen neuen Entscheidung des Landgerichts Kempten als 1. Instanz keine Bindungswirkung und müssen dort neu getroffen werden, nachdem durch das Urteil des Landgerichts Kempten als Berufungsinstanz das Urteil des Amtsgerichts – Schöffengerichts – Kempten wegen Unzuständigkeit nach § 328 Abs. 2 StPO aufgehoben und die Sache an die große Strafkammer des Landgerichts Kempten verwiesen worden ist. Damit können die dortigen Feststellungen vorliegend nicht der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose zugrunde gelegt werden.
Der Verurteilte hat die ihm dort zur Last gelegten Verstöße gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auch nicht vollumfänglich eingeräumt. Das Landgericht Kempten ist im Urteil vom 19.09.2017 zum Teil der Einlassung des Verurteilten gefolgt und insoweit von dessen straffreiem Verhalten ausgegangen. Soweit es von einem strafbaren Verhalten des Verurteilten und von bloßen Schutzbehauptungen des Verurteilten ausgegangen ist, bedurfte es einer Beweisaufnahme und im Urteil einer ausführlichen Beweiswürdigung. Eingeräumt hat der Verurteilte lediglich den Besitz der 53 in der Sitzbank in seiner Wohnung verwahrten DVDs. Er habe diese jedoch – nicht wissend, dass es sich um Pornofilme handele – als Gegenleistung für ein Geschäft erhalten und habe diese weder selbst angesehen noch selbst ansehen, sondern wieder weiterverkaufen wollen. Die Strafkammer sah es demgegenüber weit darüber hinausgehend als erwiesen an, dass er sich diese Filme, deren Inhalt seinem früheren Tatmuster entsprach (Missbrauch widerstandsunfähiger oder bewusstloser junger Frauen), im Hinblick auf seine sexuelle Präferenz bewusst verschafft und zur jederzeitigen Verfügbarkeit besessen habe. Das ist relevant für die nachfolgend zu erörternde Frage, ob auch konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Hinsichtlich der 9 VHS-C-Kassetten in der alten Lautsprecherbox, auf denen sich unter anderem Aufnahmen von ihm selbst begangener Missbrauchshandlungen befanden, hat der Verurteilte bestritten, deren Existenz überhaupt gekannt zu haben. Sexuelle Kontakte mit der Zeugin J. – für die Strafkammer ein weiterer wesentlicher Umstand im Hinblick auf die Prognose der Rückfallgefährlichkeit – hat der Verurteilte nur in Form von Petting eingeräumt, während die Strafkammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme Oralverkehr als erwiesen angesehen hat. Nachdem dem Verurteilten insoweit zunächst sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zur Last gelegt worden waren, hat die Staatsanwaltschaft Kempten das entsprechende Ermittlungsverfahren (Az.: 200 Js 9340/15) mit Verfügung vom 09.03.2016 wegen zweifelhafter Glaubwürdigkeit der Zeugin J. nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Schließlich hat der Verurteilte bestritten, dass er im Internet für zukünftige Taten Chloroform habe erwerben wollen, wovon die Strafkammer aber ebenfalls überzeugt war.
Die vom Verurteilten lediglich in sehr abgeschwächter Form eingeräumten Umstände (bloßes Verwahren der 53 DVDs ohne Nutzungsabsicht; geringe Intensität der sexuellen Kontakte mit der Zeugin J.) bilden jedoch keine ausreichend tragfähige Tatsachengrundlage für die an einen festgestellten Weisungsverstoß oder an festgestellte andere bestimmte Tatsachen anschließende Prüfung, ob sich daraus konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist. Die Strafkammer sah, dem Sachverständigen folgend, die besondere Rückfallgefährlichkeit des Verurteilten nämlich gerade darin, dass dieser eine sexuelle Präferenz für Missbrauchshandlungen an schlafenden, betrunkenen oder sonst wie narkotisierten Frauen habe. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe letztlich fest, dass der Verurteilte wieder in altbewährter Weise Vorbereitungsmaßnahmen getroffen habe, um junge Frauen willenlos zu machen und dann zu missbrauchen.
Die vom Verurteilten eingeräumten Umstände (bloßes Verwahren der 53 DVDs ohne Nutzungsabsicht; geringe Intensität der sexuellen Kontakte mit der Zeugin J.) sind dabei nur zwei eher untergeordnete Gesichtspunkte. Bei der erforderlichen Gesamtbewertung sind von entscheidender Bedeutung vielmehr die vom Verurteilten nicht eingeräumten Umstände (insbesondere das bewusste sich Verschaffen pornografischen Materials zur jederzeitigen Verfügbarkeit, das sowohl den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger oder bewusstloser junger Frauen als auch Aufnahmen von ihm selbst begangener Missbrauchshandlungen enthielt, und der Versuch, im Internet Chloroform zu erwerben). Nur dies würde nämlich einen drohenden Rückfall in frühere Tatmuster belegen und deshalb auch im Rahmen des § 68c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a) StGB für eine negative Prognoseentscheidung maßgeblich sein.
b) Unmittelbar aus dem fachpsychiatrischen Gutachten ergibt sich keine andere Beurteilung. Der Verurteilte hatte sich vom Sachverständigen nicht explorieren lassen. Zutreffend führt die Strafkammer im Beschluss vom 19.09.2017 aus, dass der Sachverständige mangels rechtskräftiger Tatsachenfeststellungen, die dann das Gericht zu treffen habe, für die von ihm zu treffende Zukunftsprognose zunächst nur die noch nicht festgestellten Tatsachen unterstellen könne; zudem lägen hinsichtlich der Rückfallwahrscheinlichkeit unterschiedliche Einschätzungen zu früher erstatteten Gutachten vor, wobei eine differenziertere prognostische Beurteilung an der fehlenden persönlichen Mitwirkung des Verurteilten scheitere. Eine vom Sachverständigen zu treffende Prognose der Rückfallwahrscheinlichkeit wird erst aufgrund der von der großen Strafkammer des Landgerichts Kempten neu durchzuführenden Hauptverhandlung und der dann festgestellten Tatsachen möglich sein.
III.
Da die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kempten keinen Erfolg hat, hat sich der Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers erledigt.