Aktenzeichen 11 Sa 42/18
StVO § 21
BGB § 288 Abs. 5
ArbGG § 12a
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4.7.2002 (BRTV Bau) § 5 Nr. 7, § 7 Nr. 3.1 Abs. 1, § 7 Nr. 3.2
Leitsatz
1. Erfolglose Berufung der Beklagten, da nach Auskunft der Tarifvertragsparteien der Begriff „Fahrzeug“ auch ein Fahrrad erfasst. Bzgl. Verzugspauschale Anschluss an LAG Niedersachsen (5 Sa 1863/16) und LAG Baden-Württemberg (3 Sa 34/16).
2. Ein Arbeitnehmer hat nach § 7 Nr. 3.1 Abs. 1 BRTV Bau auch dann einen tariflichen Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung (Kilometergeld) für mit einem von ihm gestellten Fahrzeug zurückgelegte Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wenn er die Fahrten nicht mit einem Kraftfahrzeug, sondern mit seinem Fahrrad zurückgelegt. (Rn. 23 – 33) (red. LS Alke Kayser)
3. Der tarifliche Anspruch des Arbeitnehmers nach § 7 Nr. 3.2 BRTV Bau auf Verpflegungszuschuss bei einer Abwesenheit von seiner Wohnung aus beruflichen Gründen von mehr als 10 Stunden entfällt nicht deshalb, weil der Arbeitnehmer über die 10-Stunden-Grenze möglicherweise nur wegen der Verwendung eines Fahrrades hinauskommt. (Rn. 35 – 37) (red. LS Alke Kayser)
4. § 288 Abs. 5 BGB findet auch im Arbeitsrecht Anwendung und wird nicht durch § 12a ArbGG verdrängt (Anschluss an LAG Niedersachsen BeckRS 2017, 113805; LAG Baden-Württemberg BeckRS 2016, 73949). (Rn. 39) (red. LS Alke Kayser)
Verfahrensgang
24 Ca 495/17 2017-12-13 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München (Az.: 24 Ca 495/17) vom 13.12.2017 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird, soweit sich die Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung der Verzugspauschale (Ziff. 3. des Endurteils des Arbeitsgerichts München) richtet, zugelassen, im Übrigen nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520, 524 ZPO). Sie ist daher zulässig. Insbesondere findet eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil statt. Zwar muss eine Berufungsbegründung auf den jeweiligen Fall und das ergangene Urteil zugeschnitten sein, sich mit den Urteilsgründen auseinandersetzen und darf nicht nur erstinstanzlichen Vortrag wiederholen (vgl. BAG v. 27.07.2010 – 1 AZR 186/09). Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichtes aufgrund des bereits früher zwischen den Parteien verhandelten Falls gleichen Themas absehbar war und die vorgebrachten Argumente der Beklagten daher auch auf den Urteilsinhalt zugeschnitten sind. Sie setzen sich daher mit den Urteilsgründen auseinander, weil auch das Arbeitsgericht vor allem die Begründung aus dem Verfahren 11 Sa 58/17 vor dem LAG München übernommen hat, das zum Zeitpunkt der Erstellung des erstinstanzlichen Schriftsatzes, der in die Berufungsbegründung übernommen wurde, bereits vorlag. Es kann aber keine Unterschied machen, ob die Argumente, auf denen die Beklagte beharrt, mit gleichem Wortlaut übernommen werden oder umformuliert erneut vorgebracht werden.
II.
Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet.
1. Der Kläger hat gem. § 7 Ziff. 3.1 Abs. 1 BRTV Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung i.H.v. € 0,20 je gefahrenen Kilometer für die von ihm angegebenen Monate Februar bis September 2017 in dem von ihm angegebenen Umfang, der insoweit unstreitig ist.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch des Klägers auf Fahrtkostenabgeltung nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger ein Fahrrad für seine Fahrten von der Wohnung zur jeweiligen Baustelle benutzt hat. Dies ergibt die Auslegung von Ziff. 3.1 des § 7 BRTV.
aa) Haben die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag mit Rechtsnormen vereinbart, sind diese nach der objektiven Methode auszulegen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge, weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil v. 23.06.2016 – 8 AZR 643/14; Urteil v. 14.07.2015 – 3 AZR 903/13).
bb) Danach ergibt die Auslegung, dass auch die Nutzung eines Fahrrades eine Nutzung eines Fahrzeuges i.S.v. Ziff. 3.1 des § 7 BRTV darstellt.
Zunächst ergibt dies bereits die Auslegung des Wortlauts. Denn die Rede ist in dieser Ziff. 3.1 lediglich von einem Fahrzeug. Insoweit erscheint bereits der Wortlaut als eindeutig und insoweit nicht auslegungsfähig, als zwischen den Parteien völlig unstreitig auch ein Fahrrad ein Fahrzeug darstellt. Dabei ist es auch gleichgültig, ob es sich um ein Fahrzeug i.S.v. § 21 StVO handelt, da jedenfalls auch ein Fahrrad ein Fahrzeug im allgemein gebrauchten Wortsinne ist. Insoweit stellt sich bereits die Frage, ob aufgrund des eindeutigen Wortlauts überhaupt eine weitere Auslegung erforderlich ist. Zwar beinhaltet § 7 BRTV in Ziff. 3.1 keine ausdrückliche Erwähnung des Fahrrades, so dass die Vorschrift an sich auslegungsbedürftig sein könnte dahingehend, ob sie auch den Begriff des Fahrrades erfasst. Die Wortlautauslegung, die aber primär vorzunehmen ist, spricht an sich bereits eindeutig auch für die Einbeziehung des Fahrrades.
Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgt und man eine Unklarheit bejahen würde, insbesondere unter Einbeziehung von Ziff. 2.1 des § 7 BRTV, wo die Entfernungsbemessung der kürzesten Strecke anhand der Fahrtstrecke mit einem PKW vorgenommen wird, so wäre nach den o.g. Auslegungsgrundsätzen jedenfalls der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen. Dieser muss sich auch aus den tariflichen Normen insoweit ergeben, als er dort seinen Niederschlag gefunden haben muss.
Aufgrund der von Seiten des Gerichts eingeholten Tarifauskunft der Tarifvertragsparteien ist aber von diesen eindeutig ein Wille dahingehend geäußert worden, dass die Tarifnorm auch das Fahrrad mit erfassen soll. Dies zeigen die eingeholten Auskünfte der tarifschließenden Parteien, in denen explizit dargelegt ist von allen drei Parteien, dass der Begriff des Fahrzeuges auch das Fahrrad mit erfassen sollte, insbesondere im Hinblick auf die Abänderung des Tarifwortlauts im Jahre 2002. Dies sollte eine Vereinheitlichung und Verkürzung insoweit darstellen, dass lediglich noch die „Fahrzeuge“ erwähnt werden und keine Differenzierung mehr vorgenommen werden sollte, so dass eine Vereinheitlichung und Verschlankung des Tarifvertrages eintreten sollte. Dieser tatsächlich geäußerte Wille der Tarifvertragsparteien findet auch seinen Niederschlag im Wortlaut in dem Begriff Fahrzeug, der wie oben erwähnt, auch das Fahrrad mit erfasst. Dabei wird auch nicht etwa durch die Auskunft eine Auslegung aus Sicht der jeweiligen Tarifpartei vorgenommen, sondern mitgeteilt, dass man durch die Vereinfachung die Fahrtkostenerstattung auch auf das Fahrrad erstrecken wollte. Besonders deutlich wird dies in der Auskunft des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (Bl. 24 d.A.), in der es heißt, dass der Wille der Tarifvertragsparteien mit dem Begriff Fahrzeug auch Fahrräder erfassen wollte.
Schließlich ergibt sich dieses Auslegungsergebnis insoweit von der Systematik her, als der Tarifvertrag in § 7 Ziff. 2.1 BRTV zwar vom Personenkraftwagen spricht, aber ansonsten in der Regelung Ziff. 3.1 den Begriff Fahrzeug verwendet, wobei es nahegelegen hätte, hätte die Tarifregelung lediglich etwa motorgetriebene Fahrzeuge umfassen sollen, diesen Begriff zu verwenden und nicht den Begriff des Fahrzeuges, der völlig allgemein sämtliche Fahrzeuge aller Art erfasst.
Insofern ist, nachdem die Wortlautauslegung eindeutig ist, auch der Wille der Tarifvertragsparteien eindeutig geäußert wurde und vorliegt, eine weitere Auslegung entbehrlich. Insoweit ist insbesondere auch der tarifliche Gesamtzusammenhang nur für die Auslegung heranzuziehen, um den Anhaltspunkt für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien und den Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend zu ermitteln. Nachdem aber insbesondere der Wille der Tarifvertragsparteien eindeutig bestimmbar ist, kommt es auf den näheren Gesamtzusammenhang nicht mehr an.
Auch der Sinn und Zweck der Fahrtkostenerstattung spricht im Übrigen nicht gegen dieses Ergebnis. Sicher ging es primär um die Erstattung entstehender Kosten. Aber diese entstehen auch bei Nutzung eines Fahrrades, infolge des Verschleißes etwa für Wartung, Bremsen Reifen usw. Auch wenn man also vor allem PKW-Kosten im Auge hatte, steht der Sinn und Zweck der Auslegung nicht entgegen. Dies wäre nur anzunehmen, falls überhaupt keine Kosten bei Fahrradnutzung entstünden. Die Höhe der entstehenden Kosten hingegen spielt aufgrund der vorgenommenen Pauschalierung keine Rolle. Selbst wenn es insoweit zwar nachvollziehbar erscheint, dass es merkwürdig wäre, dass der Arbeitgeber durch das Zurverfügungstellen eines Fahrrades bereits die Fahrtkostenabgeltung ausschließen könnte, da auch im weiteren Text der Ziff. 3.1 des § 7 BRTV die Formulierung Fahrzeug verwendet wird, so spricht dies grundsätzlich nicht gegen diesen Inhalt der Tarifnorm. Denn insoweit dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass die Zurverfügungstellung eines Fahrrades für den Weg von der Wohnung zur Baustelle und auch die Nutzung des Fahrrades einen absoluten Ausnahmefall darstellen dürfte und daher von den Tarifvertragsparteien vernachlässigbar erschien, zumal dies auch nur dann in Betracht käme, wenn tatsächlich die Fahrradnutzung auch dem Arbeitnehmer zumutbar ist, wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger selbst dieses Fahrzeug gewählt hat.
Eine Tarifauslegung gegen den ausdrücklichen Willen der Tarifvertragsparteien ist zudem auch deshalb gehindert, weil dies einen Eingriff in die Tarifautonomie darstellen würde. Denn das Gericht würde seine Ansicht an die Stelle der übereinstimmenden Äußerungen der Tarifvertragsparteien stellen. Dies ist nicht Aufgabe der Gerichte. Lediglich bei unklaren Regelungen und unklarem Willen der Tarifvertragsparteien, insbesondere etwa auch divergierendem Willen der Tarifvertragsparteien, kann allenfalls über die Auslegung ein bestimmtes Ergebnis herbeigeführt werden, jedoch nicht gegen den Willen der Tarifvertragsparteien (vgl. z.B. BAG 24.09.2008 – 4 AZR 642/07)
Insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
2. Die weitere Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet, da der Kläger Anspruch auf den Verpflegungszuschuss hat.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger grundsätzlich die Voraussetzungen von Ziff. 3.2 des § 7 BRTV unstreitig erfüllt hat. Dabei spielt es des Weiteren auch keine Rolle, dass der Kläger über die 10-Stunden-Grenze möglicherweise nur wegen der Verwendung eines Fahrrades hinauskommt.
Da wie vorhin dargelegt, auch ein Fahrrad i.S.d. Ziff. 3.1 des § 7 BRTV ein Fahrzeug darstellt, kann es dem Arbeitnehmer nicht genommen werden, ein entsprechenden Fahrzeug zu nutzen. Vielmehr hätte gegebenenfalls von Seiten der Tarifvertragsparteien eine entsprechende Nutzung ausgeschlossen werden müssen. Jedenfalls war der Kläger i.S.d. Tarifnorm lediglich ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als 10 Stunden von seiner Wohnung abwesend. Denn der Kläger hat sich, um sich auf die Baustelle zu begeben, mit dem Fahrrad dorthin begeben. Dass der Kläger dies aus gesundheitlichen oder sportlichen Gründen gemacht hätte, ist eine reine Vermutung der Beklagten. Jedenfalls kann bei Einbeziehung des Fahrrades in den Begriff des Fahrzeuges dem Kläger die Nutzung dieses Fahrrades dann nicht entgegengehalten werden. Insoweit konnte die Berufung auch insoweit keinen Erfolg haben und war diese zurückzuweisen.
3. Schließlich war die Berufung auch im Hinblick auf die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 zurückzuweisen. Die Beklagte befand sich in Verzug mit den o.g. Leistungen, da diese monatlich nach dem Tarifvertrag zum Fünfzehnten des Monats geschuldet waren, § 5 Nr.7 BRTV Bau.
§ 288 Abs. 5 BGB kommt auch im Arbeitsrecht zur Anwendung. Die Regelung des § 288 Abs. 5 BGB wird nicht durch § 12 a ArbGG verdrängt. Insoweit fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der eindeutige Wortlaut des § 288 Abs. 5 BGB spricht für diesen Anspruch, zumal er keine Ausnahmeregelung enthält. Gleichermaßen wäre es systemwidrig die Möglichkeit von Verzugszinsen zuzulassen und die Geltendmachung eines weiteren Verzugsschadens, aber die Pauschale auszuschließen ( vgl. ebenso LAG Niedersachsen 20.04.2017 – 5 Sa 1263/16; LAG Baden-Württemberg 13.10.2016 – 3 Sa 34/16; Germelmann/Künzel in Germelmann ArbGG 9. Aufl. § 12 a Rnr.39).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
5. Anlass, die Revision auch bezüglich der Fahrtkostenerstattung und des Verpflegungszuschusses zuzulassen, besteht nicht. Dem Rechtsstreit kommt keine grundlegende Bedeutung zu. Die Frage der Auslegung des Tarifvertrages ist kein Zulassungsgrund gem. § 72 Abs. 2 ArbGG. Angesichts des hier vorliegenden Einzelfalls kann, auch wenn theoretisch die Möglichkeit einer unbestimmten Anzahl von betroffenen Fällen besteht, von einer grundsätzlichen Bedeutung der Frage nicht die Rede sein, da die tatsächlich vorliegenden Fälle und die Relevanz selbst nach Ansicht der Beklagten absolut gering sind. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird insoweit verwiesen. Bezüglich der Frage der Verzugspauschale und ihrer Anwendbarkeit im Arbeitsrecht liegt die grundsätzliche Bedeutung vor. Insoweit war diesbezüglich die Berufung zuzulassen.