Aktenzeichen 38 BV 332/17
ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 1, § 82 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Dem Betriebsrat steht in der vorliegenden Konstellation, dass bereits bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern feststeht, in welche Schicht diese eingeteilt werden sollen, kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu. Zwar können die Mitbestimmungsrechte des § 87 BetrVG und des § 99 BetrVG nebeneinander bestehen, das heißt, die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung ist ebenso erforderlich wie die Zustimmung des Betriebsrats zum Dienstplan, in den der neu eingestellte Arbeitnehmer erstmals eingeteilt wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der vorliegenden Konstellation hat jedoch das Mitbestimmungsrecht des § 99 BetrVG hinsichtlich der Einstellung der Leiharbeitnehmer Vorrang vor § 87 BetrVG hinsichtlich der Einteilung in die Dienstpläne, da bereits bei der Einstellungsentscheidung feststeht, in welcher Schicht der jeweilige Leiharbeitnehmer arbeiten soll. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um einen Unterlassungsanspruch – die Unterlassung der erstmaligen Zuordnung von Leiharbeitnehmern im Bereich Lager im Rahmen der jeweiligen Schichtpläne ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder Spruch der Einigungsstelle.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1 ist der bei der Beteiligten zu 2 gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat und Arbeitgeberin).
Bei der Arbeitgeberin besteht eine „Betriebsvereinbarung Arbeitszeiten vom 15./16.12.2015“ (vgl. Bl. 18 ff. d.A.). Im Bereich Lager Warehouse (ohne Abteilung MHS) wird in Schichten gearbeitet. Hierbei handelt es sich um Dauerschichten, derzeit ohne Nachtschicht, das heißt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wechseln nicht zwischen den Schichten.
Die Betriebsvereinbarung sieht unter Nummer 3.2 b) (vgl. Bl. 23 d.A.) vor, dass es für alle Bereiche der Zustimmung des Betriebsrats bedarf, wenn ein Mitarbeiter dauerhaft oder vorübergehend seine Schicht wechseln soll. Widerspricht der Betriebsrat frist- und ordnungsgemäß, entscheidet die Einigungsstelle. Unter Nummer 3.3 der Betriebsvereinbarung ist geregelt, dass die Absage einzelner Arbeitsschichten der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
Die Arbeitgeberin setzt auch Leiharbeitnehmer ein; dies erfolgt mit kurzfristiger Dauer.
Streit entbrannte vorliegend zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin bei der Einstellung und Schichteinteilung von 47 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern ab dem 08.09.2017, die bis längstens 31.10.2017 eingesetzt werden sollten und eingesetzt wurden.
Die Arbeitgeberin hörte den Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG zur beabsichtigten Einstellung der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer an. Nach dem Widerspruch des Betriebsrats hiergegen, führte die Arbeitgeberin die Maßnahmen gemäß § 100 BetrVG vorläufig durch.
Eine Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfolgte nicht. Der Betriebsrat ist der Auffassung, eine solche Mitbestimmung müsse auch bei der Ersteinteilung der Leiharbeitnehmer in die Arbeitsschicht erfolgen.
Großteils hatte die Arbeitgeberin bereits in den Ausschreibungen angegeben, für welche Schicht der Einsatz erfolgen soll. Spätestens beim Gespräch mit dem Leiharbeitnehmer wird dies laut Arbeitgeberin thematisiert. In der Anhörung gemäß § 99 BetrVG ist jeweils die Schicht angegeben, in der der Leiharbeitnehmer eingesetzt werden soll.
Seit 20.11.2017 beteiligt die Arbeitgeberin den Betriebsrat „vorsorglich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“ gemäß § 87 BetrVG. Der Betriebsrat lehnte jeweils die Zustimmung – soweit ersichtlich – ab.
Der Betriebsrat trägt vor, die Arbeitgeberin habe ihn auch bei der jeweiligen Einteilung der Leiharbeitnehmer in die einzelne Schicht zu beteiligen.
Der Betriebsrat beruft sich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.08.2017, Az. 1 ABR 5/16, wonach bei erstmaliger Schichtzuteilung § 99 BetrVG und § 87 BetrVG nebeneinander stehen.
Der Betriebsrat leitet seinen Anspruch auf Unterlassung aus § 87 BetrVG, § 77 BetrVG wegen Durchführung der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit und aus § 23 Abs. 3 BetrVG ab.
Der Betriebsrat beantragt zuletzt,
1. der Beteiligten zu 2 aufzugeben, es zu unterlassen, im Bereich Lager (Warehouse), ohne der Abteilung M., Leiharbeitnehmer, mit Ausnahme für die Funktionen „Director“ oder „Manger M.“, im Rahmen der jeweiligen Schichtpläne nach Ziffer IV.2.1 i.V.m. mit Anlage 3 der Betriebsvereinbarung Arbeitszeiten vom 15.12.2015/16.12.2015 erstmalig zur Arbeitsleistung einzusetzen oder die Erbringung der Arbeitsleistung durch diese zu dulden, ohne dass zuvor über deren Schichteinteilung mit dem Betriebsrat eine Einigung erzielt oder durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder die Anordnung der Arbeitszeiten gegenüber Leiharbeitnehmern wäre durch eine Arbeitskampfmaßnahme bedingt oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kollektiven Bezug hat;
2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1. und bezogen auf jeden Tag der Beteiligten zu 2 ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 € anzudrohen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dem Betriebsrat stehe in den streitigen Fällen kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 BetrVG zu.
Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, § 99 BetrVG sei bei der erstmaligen Einteilung in Schichten vorrangig gegenüber § 87 BetrVG.
Zudem bestreitet die Arbeitgeberin einen kollektiven Bezug.
Die Arbeitgeberin bestreitet die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens und die ordnungsgemäße Mandatierung des Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist örtlich zuständig gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 ArbGG. Das Arbeitsgericht entscheidet gemäß § 80 Abs. 1 ArbGG im Beschlussverfahren.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Dem Betriebsrat steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu.
a) Der Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht als allgemeiner Unterlassungsanspruch aus § 87 BetrVG.
Es ist allgemein anerkannt, dass der Betriebsrat sich gegen zu erwartende weitere Verstöße der Arbeitgeberin gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs wehren kann. Vorliegend hat die Arbeitgeberin jedoch keinen Verstoß gegen § 87 Abs. 1 BetrVG begangen und ein weiterer Verstoß ist aus dem vergangenen Verhalten nicht zu erwarten.
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats steht diesem in der vorliegenden Konstellation, bei der bereits bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern feststeht, in welche Schicht diese eingeteilt werden sollen, kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu. Zwar können grundsätzlich die Mitbestimmungsrechte des § 87 BetrVG und des § 99 BetrVG nebeneinander bestehen, das heißt die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung ist ebenso erforderlich wie die Zustimmung des Betriebsrats zum Dienstplan, in den der neu eingestellte Arbeitnehmer erstmals eingeteilt wird (vgl. BAG, Beschlüsse vom 22.08.2017, 1 ABR 1/16, 1 ABR 3/16 und 1 ABR 5/16).
In der vorliegenden Konstellation hat jedoch das Mitbestimmungsrecht des § 99 BetrVG hinsichtlich der Einstellung der Leiharbeitnehmer V. vor § 87 BetrVG hinsichtlich der Einteilung in die Dienstpläne, da bereits bei der Einstellungsentscheidung feststeht, in welcher Schicht der jeweilige Leiharbeitnehmer arbeiten soll. Soweit ersichtlich wurde vom Bundesarbeitsgericht in den genannten Beschlüssen vom 22.08.2017 über eine andere Konstellation entschieden, in der über die Einteilung in den Dienstplan seitens des Arbeitsgebers erst nach der Einstellungsentscheidung und der diesbezüglichen Beteiligung des Betriebsrats entschieden wurde.
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats wird diesem durch den Vorrang des § 99 BetrVG im vorliegenden Fall auch nicht unberechtigt sein Mitbestimmungsrecht entzogen. Der Betriebsrat hat die gleichen Möglichkeiten, seine Rechte über § 99 BetrVG zu wahren, wie er dies beim Mitbestimmungsrecht des § 87 BetrVG hat, so dass das weitere Mitbestimmungsrecht des § 87 BetrVG vorliegend nicht erforderlich ist, um die Rechte des Betriebsrats zu wahren. Der Betriebsrat kann im Rahmen des Mitbestimmungsrechts des § 99 BetrVG sowohl die Rechte des eingestellten bzw. einzustellenden Leiharbeitnehmers wahren. Das Zustimmungsverweigerungsrecht ergibt sich diesbezüglich aus § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG. Zudem kann der Betriebsrat auch die Rechte von anderen im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern wahren. Wenn etwa ein anderer Arbeitnehmer beantragt hat, die Schicht zu wechseln, kann der Betriebsrat aus diesem Grund wegen Besorgnis einer Benachteiligung von beschäftigten Arbeitnehmern die Zustimmung zur Einstellung des konkreten Leiharbeitnehmers gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG verweigern. Durch den Vorrang des § 99 BetrVG in den vorliegenden Konstellationen ist der Betriebsrat somit nicht in seinen Rechten abgeschnitten.
b) Dem Betriebsrat steht kein Unterlassungsanspruch gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu.
Zwar hat der Betriebsrat grundsätzlich einen Durchführungsanspruch bei Betriebsvereinbarungen, aus dem sich, sofern der Arbeitgeber gegen eine Betriebsvereinbarung verstößt, auch ein Unterlassungsanspruch ergibt.
Die Betriebsvereinbarung Arbeitszeiten regelt jedoch die Vorgehensweise bei Neueinstellungen von Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern und die Zuordnung zum Schichtsystem nicht. Um den in der Betriebsvereinbarung geregelten Fall von dauerhaftem oder vorübergehendem Schichtwechsel eines Mitarbeiters oder der Absage einer Arbeitsschicht handelt es sich nicht.
c) Dem Betriebsrat steht auch kein Unterlassungsanspruch gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG wegen groben Verstoßes der Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu.
Da die Arbeitgeberin durch ihre Handlungsweise in der vorliegenden Konstellation den Betriebsrat bei Neueinstellungen von Arbeitnehmern gemäß § 99 BetrVG anzuhören hat und ihn auch anhört, ihn jedoch nicht bei der Dienstplaneinteilung gemäß § 87 BetrVG zu beteiligen hat, verstößt sie nicht gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, so dass mangels Verstoßes auch kein Unterlassungsanspruch vorliegt.
Aus den genannten Gründen war der Antrag zurückzuweisen.