Verwaltungsrecht

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundesamtsbescheids im Eilverfahren

Aktenzeichen  M 21 S 17.43138

Datum:
29.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4688
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
AsylG § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 6

 

Leitsatz

Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Art. 16a Abs. 4 GG iVm § 36 Abs. 4 ASylG auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht bestehen, nach § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die bislang keine Personalpapiere ihres Herkunftslands vorlegte, ist nach letzten, eigenen Angaben eine ledige, in Oshodi geborene Staatsangehörige der Bundesrepublik Nigeria muslimischen Glaubens. Sie soll die Mutter des am 22. Februar 2016 in München geborenen Faruq Odei Mangovwa (Kläger des Verfahrens M 7 K 17.44795) sein.
Die Antragstellerin stellte für sich und ihren angeblichen Sohn am 17. Juni 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in Manching einen Asylantrag, nachdem sie insbesondere laut der von ihr am 11. Januar 2016 unterzeichneten Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender insbesondere angegeben hatte, Taki Uthman, geboren am 4. August 1978, zu sein.
Zur Niederschrift über ihre informatorische Anhörung im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG bei der Außenstelle des Bundesamts in München am 28. November 2016 gab die Antragstellerin insbesondere an, sich bis zur Ausreise in Lagos aufgehalten zu haben. Ihr Vater lebe dort noch und befinde sich seit drei Monaten im Krankenhaus. Ihre Mutter sei verstorben. Sie habe noch eine Schwester, einen Bruder und auch Onkel und Tanten im Heimatland. Einige lebten in Lagos, einige anderswo in Nigeria. Sie habe Friseurin gelernt und auch in diesem Beruf gearbeitet. Das Hauptproblem der polygamen Familie sei die Nahrungsverteilung gewesen. Nachdem sich ihre Mutter, welche die erste von drei Frauen des Vaters gewesen sei, bei diesem deswegen beschwert gehabt habe, habe ihr Vater mit ihrer Familie nichts mehr zu tun haben wollen. Er habe ihr dann das Geld gegeben. Sie seien von ihm sehr abhängig gewesen. Nach dem Tod der Mutter habe sich ihr Vater bzw. seine Familie nicht mehr um die Antragstellerin gekümmert. Eines Tages habe man ihr Zimmer angezündet. Nachdem sie in dem Haus um ihr Leben gefürchtet habe, habe sie bei ihrem Verlobten, einem Tischler, unterkommen können. Bei einem Unfall habe sein Geschäft Feuer gefangen und er habe dabei alles verloren. Nachdem ihr Verlobter nach Libyen ausgereist sei, habe sie kein Geld gehabt, um die Miete zu bezahlen und sei am Ende zu ihrer Schwester gegangen. Dort habe sie zwei Jahre auch mit ihren Kindern gelebt. Ihre Schwester habe sie dann nicht mehr bei sich behalten wollen. Sie habe letztlich ihre beiden Kinder bei ihrer Schwester zurückgelassen und sei dann nach Libyen gegangen. Ihre Geschwister hätten ihr mit Geld geholfen. In Libyen habe sie herausgefunden, dass ihr Mann nochmals geheiratet und eine neue Familie gegründet gehabt habe. Er habe nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. In Libyen habe sie eine sehr gute Stelle als Dienstmädchen gefunden. Dann habe der Krieg ihr Leben wieder zerstört. Nach dem Asylantrag in Italien am 26. November 2014 habe sich an ihren Asylgründen nichts geändert. Sie habe vergessen, was sie den italienischen Behörden vorgetragen habe. Sie sei alleinerziehende Mutter und habe viele Kinder zu ernähren. Sie habe keine Verwandten, die ihr helfen könnten. Ihre Schwester kümmere sich um die beiden Kinder in Nigeria. Sie habe einen Hautausschlag und ein trockenes Auge. Das sei alles.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge der Antragstellerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihr mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Nigeria an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Vorbringen sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Wunsch, der wirtschaftlich schlechten Situation in Nigeria zu entkommen, sei flüchtlingsrechtlich unbeachtlich. Der Antragstellerin drohe ebenfalls offensichtlich kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Antragstellerin sei jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfüge neben einer neunjährigen Schulausbildung sowie eine Ausbildung zur Friseurin auch über entsprechende Berufserfahrung. Daneben verfüge sie über einen sehr guten Familienrückhalt. Das sei insbesondere daran festzumachen, dass sich ihre Schwester um die beiden in Nigeria zurückgelassenen Kinder kümmere. Somit könne die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt im Falle ihrer Rückkehr auch wieder selbstständig bestreiten. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 30. Mai 2017 ließ die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 22. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Über die Klage (M 21 K 17.43134) ist noch nicht entschieden.
Am 30. Mai 2017 ließ die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gesondert beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 30. Mai 2017 im Wesentlichen auf die Ausführungen der Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt verwiesen und hervorgehoben, es sei offensichtlich übersehen worden, dass sie Mutter eines Kleinkindes sei. Als alleinerziehende Mutter wäre sie auch in Anbetracht ihrer familiären Situation in Nigeria offensichtlich nicht in der Lage, für sich und das Kind den Lebensunterhalt zu sichern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere in Fällen, die offensichtlich unbegründet sind, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Im Anschluss an Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG bestimmt § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG, § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Ernstliche Zweifel bestehen insbesondere nicht an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur näheren Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen. Da die Asylklage des angeblichen Sohnes der Antragstellerin noch bei Gericht anhängig ist, ist derzeit von der alleinigen Rückkehr der Antragstellerin nach Nigeria auszugehen (vgl. nur BVerwG, B.v. 12.4.2001 – 1 B 124/01 – juris Rn. 2 m.w.N.). Da sie jung, gesund und erwerbsfähig ist, über eine Berufsausbildung als Friseurin verfügt, eine entsprechende Berufserfahrung in Nigeria hat und sie nach ihrem Vorbringen zudem in Libyen als Dienstmädchen für ihr Auskommen gesorgt hat, spricht nichts dafür, dass der Antragstellerin dies durch eigene Arbeit nicht auch wieder in Nigeria gelingen würde. Zudem verfügt sie nach eigenem Vorbringen in der Tat jedenfalls nach wie vor über die Unterstützung ihres Familienverbands, insbesondere ihrer Schwester. Diese Schwester würde der Antragstellerin einerseits durch die Versorgung ihrer beiden in Nigeria verbliebenen Kinder eine eigene Erwerbstätigkeit ermöglichen. Andererseits würde die Antragstellerin so auch weiterhin beim Unterhalt dieser beiden Kinder entlastet und könnte ihrerseits im Notfall auch (wieder) auf die Unterstützung ihrer Familie zählen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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