Europarecht

Honorarkürzung wegen fehlender Genehmigung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung

Aktenzeichen  S 38 KA 305/17

Datum:
21.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5824
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 106a Abs. 2 S. 1, § 135 Abs. 2
BMV-Ä § 45 Abs. 3
SGB X § 33

 

Leitsatz

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, auch im Sozialrecht, dass Willenserklärungen generell nach dem „Empfängerhorizont“ eines verständigen (objektiven) Beteiligten auszulegen sind (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.1.2018, Az L 16 R 945/16). (Rn. 19)
2. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde. Gerade in Statussachen ist seitens der Behörde eine besondere Sorgfalt erforderlich. Die Behörde hat alles zu tun bzw. zu unterlassen, damit durch Handlungen/Schreiben keine Missverständnisse und Zweifel entstehen. Dies gilt auch, wenn mit einem Verwaltungsverfahren mehrere Abteilungen innerhalb einer Behörde befasst sind.  (Rn. 22)
3. Im Hinblick auf die „Einheitlichkeit“ der Behörde und die „Einheitlichkeit“ der Behördenentscheidung sind unklare Äußerungen einer Abteilung der Behörde insgesamt zuzurechnen. (Rn. 22)

Tenor

I. Die sachlich-rechnerische Berichtigung der Beklagten vom 15.02.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die vor dem 13.09.2016 gestrichenen MRT-Leistungen nachzuvergüten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung ist § 106a Abs. 2 S 1 HS 1 SGB V i.V.m. § 45 Abs. 3 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 EKV-Ä. Danach ist die Beklagte berechtigt und verpflichtet, die sachlich und rechnerische Richtigstellung der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtig zu stellen.
Streitgegenständlich sind hier die Leistungen für die Magnet-Resonanz-Tomographie aus Abschnitt 34.4 des EBM, die unter der LANR der Herren Privatdozent Dr. Sch. und Dr. H. in der Filiale G.-Straße in N. angesetzt, jedoch wegen fehlender Genehmigung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung abgesetzt wurden.
Die Leistungen können nur dann abgerechnet werden, wenn ihr Leistungsinhalt erfüllt ist. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden maßgeblich. Handelt es sich um genehmigungspflichtige Leistungen, wie dies bei den Leistungen für die Magnet-Resonanz-Tomographie aus Abschnitt 34.4 des EBM der Fall ist (Präambel vor Abschnitt 34.4 des EBM Ziff. 3 i.V.m. § 135 Abs. 2 SGB V), sind diese erst dann abrechnungsfähig, wenn eine Genehmigung erfolgt ist. Hierbei handelt es sich um einen statusbegründenden Akt, so dass Leistungen erst nach der Genehmigung erbracht und abgerechnet werden können. Eine Rückwirkung ist damit ausgeschlossen.
Fakt ist, dass die Klägerin am 13.09.2016 einen formalen Genehmigungsbescheid, betreffend die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Kernspintomographie – ausgenommen der Mamma sowie der Angiographie – im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für ihre angestellten Ärzte erhielt. Vorausgegangen war der Filialgenehmigungsbescheid vom 15.09.2015.
Maßgeblich ist, wie das Schreiben der Beklagten vom 12.08.2016 auszulegen ist. Während die Beklagte der Auffassung ist, dieses Schreiben sollte nur bestätigen, dass Dr. H und Dr. Sch. in der Filiale tätig werden dürfen, vertritt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, dieses Schreiben sei als Genehmigung anzusehen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, auch im Sozialrecht, dass Willenserklärungen generell nach dem „Empfängerhorizont“ eines verständigen (objektiven) Beteiligten auszulegen sind, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen (oder mutmaßlichen) Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Zur Erforschung dieses Willens sind die Begründung der Entscheidung (sofern vorhanden), aber auch sonstige Umstände heranzuziehen, die erkennbar im Zusammenhang mit der getroffenen Regelung stehen. Unklarheiten gehen zu ihren Lasten (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az. L 16 R 945/16).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gericht aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere aber aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 12.08.2016 der Auffassung, die Klägerin habe davon ausgehen können, sie sei zur Erbringung und Abrechnung der in der Filiale erbrachten MRT-Leistungen berechtigt. Zwar handelt es sich bei dem Schreiben vom 12.08.2016 um keinen formalen Genehmigungsbescheid. Dieser ist erst mit Datum vom 13.09.2016 ergangen. Es ist aber nicht völlig ausgeschlossen, dass Verwaltungsakte nicht in Bescheidform nach §§ 33 ff. SGB X erlassen werden, insbesondere, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung:nach § 36 SGB X fehlt. Ebenfalls kann das Schreiben vom 12.08.2016 auch inhaltlich von einem verständigen objektiven Beteiligten so verstanden werden, dass die Beklagte hiermit eine Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Kernspintomographie erteilt hat. Denn dort wird ausdrücklich festgestellt, dass die angestellten Ärzte auch in dieser Filiale beschäftigt werden können. Ferner wird ausgeführt, sofern Leistungen durch Herrn PD Dr. S Sch. und Dr. F.H. erbracht werden, müssten diese Leistungen durch die LANR des angestellten Arztes und der NBSNR der Filiale gekennzeichnet werden.
Das Schreiben vom 12.08.2016 stammt zwar von der Abteilung „Sicherstellung“, wie sich aus dem Adressfeld ergibt. Auf das Schreiben der Klägerin vom 28.07.2016 wird, anders als im Schreiben der Beklagten von der Abteilung „Qualitätssicherung“ vom 24.08.2016, nicht Bezug genommen. Dies ändert aber nach Auffassung des Gerichts an dem Auslegungsergebnis nichts, zumal zwar Vertragsärzten die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche innerhalb der Beklagten grundsätzlich bekannt sind bzw. bekannt sein müssten. So differenziert auch die Klägerin mit ihren Schreiben, jeweils vom 28.07.2016 zwischen „Sicherstellung“ und „Qualitätssicherung“. Trotzdem ist nicht auszuschließen und durchaus üblich, dass eine Abteilung die Bearbeitung federführend und koordinierend übernimmt. Der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, ihr habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 24.08.2016, also noch vor der Leistungserbringung bewusst sein müssen, dass noch keine Genehmigung für die Erbringung und Abrechnung von MRT-Leistungen vorlag. Denn es ist nicht außergewöhnlich, dass auch bei einer vorliegenden Genehmigung nachträglich zusätzliche Unterlagen angefordert werden. Hinzu kommt, dass es die Beklagte in der Hand gehabt hätte, in dem Schreiben vom 24.8.2016 klarzustellen, dass erst mit einer vorliegenden Genehmigung die Abrechnung von MRTLeistungen möglich ist. Dies wurde jedoch unterlassen.
Zweifel gehen letztendlich zulasten der Behörde, hier der Beklagten (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az. L 16 R 945/16). Erschwerend kommt hinzu, dass es sich im streitgegenständlichen Verfahren um Statusangelegenheiten handelt. Hier ist seitens der Behörde eine besondere Sorgfalt erforderlich. Die Behörde hat alles zu tun bzw. zu unterlassen, damit durch Handlungen/Schreiben keine Missverständnisse und Zweifel entstehen. Dies gilt auch, wenn mit einem Verwaltungsverfahren mehrere Abteilungen innerhalb einer Behörde befasst sind. Das Schreiben der Abteilung „Sicherstellung“ muss sich die Beklagte daher im Hinblick auf die „Einheitlichkeit“ der Behörde und die „Einheitlichkeit“ der Behördenentscheidung zurechnen lassen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

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