Aktenzeichen 3 ZB 16.938
VwGO § 86 Abs. 1, Abs. 2, § 124 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2
Leitsatz
1. Der Beamte trägt für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Körperschaden die materielle Beweislast. Lässt sich der Kausalzusammenhang trotz Ausschöpfung aller Mittel nicht klären, geht dies zu Lasten des Beamten. Dies gilt auch im Fall der Rücknahme der Anerkennung von Unfallfolgen, die nicht zu einer Beweislastumkehr führt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage der Kausalität im Dienstunfallrecht ist der Wahrnehmung durch Zeugen nicht zugänglich. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein durch einen Rechtsanwalt vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Etwas anderes gilt nur, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 1 K 15.2328 2016-04-05 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert des Antragsverfahrens wird auf 12.650,89 Euro festgesetzt.
Gründe
Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Es begegnet keinen ernstlichen Zweifeln, dass das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid des Landesamt für Finanzen – Dienststelle R… Bezügestelle Dienstunfall – vom 14. Oktober 2015 abgewiesen hat, in dem die Anerkennung einer „Nasenrückenabweichung nach links“ als Dienstunfallfolge des Dienstunfallereignisses vom 7. Dezember 2010 zurückgenommen, diesbezügliche Unfallfürsorgeanträge vom 15. August 2014, 21. Oktober 2014, 26. November 2014, 21. Dezember 2014 und 2. September 2015 abgelehnt und vorläufig gewährte Heilbehandlungskosten in Höhe von 7650,89 Euro zurückgefordert worden waren.
1.1 Das Verwaltungsgericht ist aufgrund des im Verwaltungsverfahren eingeholten fachärztlichen Gutachtens (Dr. H………) vom 15. Mai 2015 zur Überzeugung gelangt, dass beim Kläger zwar unbestritten ein Körperschaden in Form einer „Nasenrückenabweichung nach links“ vorliege, dieser sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den anerkannten Dienstunfall vom 7. Dezember 2010 zurück führen ließe. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen, Dienststelle R… vom 8. Juni 2011 erweise sich insoweit als rechtswidrig. Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Im Rahmen eines vom Beklagten mit Schreiben vom 26. Januar 2015 beauftragten fachärztlichen Gutachtens sollte geklärt werden, ob die Operation des Klägers vom 2. Oktober 2014 ursächlich auf die anerkannten Dienstunfallfolgen zurück zu führen ist bzw. ob und welche Folgen des Dienstunfalls vom 7. Dezember 2010, bei dem der Kläger im Rahmen eines dienstlichen Selbstverteidigungstrainings von seinem Kollegen G… einen Faustschlag auf die Nase erhalten hatte, überhaupt beim Kläger festzustellen sind.
In seinem Gutachten vom 15. Mai 2015 kam Dr. H… unter Zugrundelegung der vorliegenden Unterlagen und aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Klägers zum Ergebnis, dass zwar eine Nasenprellung durchaus mit den vom Kläger geschilderten Beschwerden nach dem Ereignis vom 7. Dezember 2010 in Einklang zu bringen sei, nicht jedoch eine ebenfalls zunächst anerkannte Dienstunfallfolge „Nasenrückenverschiebung nach links“. Vom Kläger seien bis auf das nach dem Schlag aufgetretene Nasenbluten keinerlei Symptome einer mit einer Nasenrückenabweichung nach links einhergehenden Nasengerüstveränderung geschildert worden. In der Regel würden jedoch bei einer solchen Verletzung sowohl an der knöchernen als auch an der knorpeligen Nase zusätzliche Symptome auftreten, wie z.B. eine massive Schwellung und eine unmittelbar oder im Verlauf von einigen Tagen entstehende erhebliche Nasenatmungsbehinderung durch Hämatome an der Nasenscheidewand. Eine Nasenrückenabweichung setze ein massives Trauma voraus, das Strukturveränderungen im Sinne einer Nasenbeinfraktur hervorrufe, was vorliegend radiologisch nach dem Unfall nicht belegt sei. Da primäre Befunde nach dem Dienstunfall fehlten, erscheine auch bei der anamnestischen Symptomatik die erhebliche Nasengerüstverletzung nicht schlüssig nachvollziehbar. Auch dass bei einer solchen Verletzung keine unmittelbare ärztliche Konsultation erfolgt sei und die erste Befunderhebung erst zwei Monate später stattgefunden habe, lasse Zweifel aufkommen, ob tatsächlich das Unfallereignis einen solchen, sowohl das knöcherne als auch das knorpelige Nasengerüst betreffenden Schaden an der Nase des Klägers verursacht habe. Auch der Operationsbericht vom 2. Oktober 2014 (Prof. Dr. W………), der multiple Frakturlinien durch Knorpel und die Lamina als Zustand vor der Durchführung der Operation beschreibe, würde ein massives Septumhämatom mit unmittelbar auftretender erheblicher Nasenatmungsbehinderung erwarten lassen, das in der Regel eine unmittelbare operative Revision erforderlich gemacht hätte. Eine Operation sei aber erst knapp vier Jahre nach dem Unfallereignis erfolgt. Aus den Akten ergäben sich keine Unterlagen oder Angaben, die belegen würden, dass die von Dr. W… im OP-Bericht beschriebene Situation beim Kläger nach dem Ereignis vom 7. Dezember 2010 vorgelegen habe. Die multiplen Frakturlinien könnten sich zudem auch mit der vorangegangenen Operation von 2006 erklären lassen, da dort beim Kläger eine Korrektur des Septums erfolgt sei, die in der Regel mit einer Durchtrennung des Knorpels einhergehe. Ferner werde noch eine Entnahme und ausgedünnte und begradigte Reimplantation der knöchernen Bestandteile berichtet. Insofern fehlten eindeutige Belege dafür, dass die vor der Operation 2014 beschriebene Strukturveränderung durch den Dienstunfall vom 7. Dezember 2010 verursacht worden sei. Weitere Aufzeichnungen oder Befunde aus der Zeit vor dem Unfallereignis seien nicht vorhanden. Die aktuellen Beschwerden, wie eine behinderte Nasenatmung (sowie die Formveränderung der äußeren Nase), ließen sich deshalb nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auf das Dienstunfallereignis vom 7. Dezember 2010 zurückführen.
Soweit das Verwaltungsgericht – gerade auch im Hinblick auf die beim Kläger bestehende Vorschädigung – auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens deshalb zum Ergebnis kommt, dass die aktuellen Beschwerden, wie eine behinderte Nasenatmung (sowie die Formveränderung der äußeren Nase), nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Dienstunfallereignis vom 7. Dezember zurückzuführen seien, ist dies nicht zu beanstanden. Der Beamte trägt für den Nachweis des Kausalzusammenhangs die materielle Beweislast. Lässt sich der Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Körperschaden trotz Ausschöpfung aller Mittel nicht klären, geht dies zu Lasten des Beamten. Dies gilt auch im Fall der Rücknahme der Anerkennung von Unfallfolgen, die nicht zu einer Beweislastumkehr führt (BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 3 ZB 14.1047 – juris Rn. 5; U.v. 21.9.2011 – 3 B 09.3140 – juris Rn. 36). Die Behörde genügt ihrer Beweislast vielmehr schon dadurch, indem sie nachweist, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben (BayVGH, B.v. 4.8.2014 – 3 ZB 12.2647 – juris Rn. 7).
Das Verwaltungsgericht ist vor diesem Hintergrund zu Recht davon ausgegangen, dass die Anerkennung der Dienstunfallfolge „Nasenrückenabweichung nach links“ vom 8. Juni 2011 rechtswidrig war und deshalb gemäß Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVwVfG zurückgenommen werden konnte. Die Ermessenserwägungen, insbesondere dass im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einer Aufhebung der als rechtswidrig erkannten Anerkennung, das auch die sparsame Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel umfasse, das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand einer für ihn günstigen Regelung überwiege, lassen keine Ermessenfehler erkennen (BayVGH, B.v. 6.3.2017 a.a.O. Rn. 7). Solche wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 S. 1 BayVwVfG ist ebenfalls gewahrt, nachdem der Beklagte erst aufgrund des Gutachtens vom 15. Mai 2015 Kenntnis von allen entscheidungserheblichen Tatsachen erlangte.
Der Kläger hat deshalb auch keinen Anspruch auf Übernahme der Behandlungs- und Operationskosten gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 BayBeamtVG.
1.2 Die hiergegen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebrachten Einwände des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils.
Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugungsbildung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte fachärztliche Gutachten vom 15. Mai 2015 gestützt. Unlösbare Widersprüche oder Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters Dr. H… hat der Kläger nicht aufgezeigt.
Der Gutachter ist auch nicht deshalb von einem unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen, weil der Zeuge G… nicht vor Erstellung des Gutachtens gehört worden war.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ausführt, dass für eine Einvernahme des Zeugen G… im Verwaltungsverfahren schon deshalb kein Anlass bestanden habe, weil der Zeuge für die unter Beweis gestellte Tatsache, „dass als adäquat-kausale Folge des Dienstunfalls eine Nasenrückenabweichung nach links und eine Nasenspitzenabweichung nach rechts eingetreten ist“, ein ungeeignetes Beweismittel darstelle. Die Frage der Kausalität im Dienstunfallrecht sei der Wahrnehmung durch Zeugen nicht zugänglich. Der Tathergang (Schlag auf die Nase des Klägers mit anschließendem Nasenbluten) habe festgestanden und eine weitere Aufklärung des Unfallhergangs sei vom Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens aufgrund der ihm vorliegenden Akten nicht für erforderlich gehalten worden. Dr. H… habe in seinem fachärztlichen Gutachten vom 15. Mai 2015 ausdrücklich festgestellt, dass eine knöcherne Verletzung des Nasenrückens nach dem Faustschlag radiologisch nicht nachweisbar gewesen sei (Bl. 18) und auch die anamnestische Symptomatik nicht für ein derartiges Nasentrauma spreche. Einen Bruch des knöchernen Nasengerüsts habe auch der erstmals am 15. Februar 2011 untersuchende Arzt, Dr. K… nicht feststellen können und ergänzend zu seiner ärztlichen Stellungnahme bezüglich des Dienstunfalls vom 7. Dezember 2010 seine Diagnose „posttraumatische Nasendeformität“ dahingehend ergänzt, dass beim Kläger wegen Nasendeformität am 28. April 2006 eine Septorhinoplastik erfolgt sei und er über den bis zum Dienstunfallereignis bestehenden Verlauf keine Aussage treffen könne. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Aus der Rüge, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ohne weitere Aufklärung auf das Gutachten des Dr. H… stützen dürfen, folgt kein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO). Zwar kann ein Verfahrensfehler Richtigkeitszweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen. Verfahrensfehler sind Verstöße gegen die Regelungen des Verwaltungsprozessrechts, wozu auch ein Verstoß gegen die in § 86 Abs. 1 VwGO normierte gerichtliche Aufklärungspflicht gehört. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts aber grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein durch einen Rechtsanwalt vertretener Beteiligter – wie hier der Kläger – nicht ausdrücklich beantragt hat. Soweit, wie im Zulassungsantrag vorgetragen, der Zeuge G… geschildert hätte, dass nach seinem Schlag vom 7. Dezember 2010 beim Kläger im Vergleich zum vorigen Zustand eine Nasenrückenabweichung nach links vorgelegen hätte, hätte es dem anwaltlich vertretenen Kläger oblegen, durch Stellung eines entsprechenden Beweisantrags (§ 86 Abs. 2 VwGO) auf eine aus seiner Sicht notwendige Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken (BayVGH, B.v. 6.5.2016 – 3 ZB 15.924 – Rn. 13). Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um die in erster Instanz unterlassene Stellung eines förmlichen Beweisantrags im Berufungsverfahren nachzuholen (BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 7.12.2016 – 3 ZB 13.1735 – juris Rn. 21).
Etwas anderes gilt nur, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre (BayVGH, B.v. 15.6.2015 – 5 ZB 14.1919 – juris Rn. 29). In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es nach den Vorberatungen das von der Behörde eingeholte Gutachten des Dr. H… vom 15. Mai 2015 als ausreichende Entscheidungsgrundlage ansehe. Soweit daraufhin von der Klägerseite deutlich gemacht worden war, dass dem Gutachten keine ausreichend ermittelte Tatsachengrundlage zu Grunde läge, da der Beklagte den Zeugen G… nicht einvernommen hätte, obwohl dieser genaue Angaben zu der Art und Intensität des von ihm geführten Schlags auf die Nase des Klägers hätte machen können, was notwendigerweise vom Gutachter zu berücksichtigen gewesen wäre, so ergibt sich hieraus nichts anderes. Die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil es nach seinem Rechtsstandpunkt auf das Ermittlungsergebnis für den Ausgang des Rechtsstreits nicht ankommt (BVerwG, B.v. 26.9.2012 – 2 B 97/11 – juris Rn. 13). Das Verwaltungsgericht hat sich in überzeugender Weise mit dem Gutachten des Dr. H… vom 15. Mai 2015 auseinander gesetzt und dieses als widerspruchsfrei und nachvollziehbar angesehen. Ausdrücklich hat es in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass der Gutachter aus seiner Sicht auch nicht von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei. Der Tathergang (Schlag auf die Nase mit nachfolgendem Nasenbluten) habe festgestanden, die Kausalitätsfrage sei der Wahrnehmung des Zeugen nicht zugänglich. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts musste sich dem Verwaltungsgericht deshalb nicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO aufdrängen.
Nach alledem war der Zulassungsantrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 und 3 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).