Familienrecht

Kindergeld: Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung nur bei andauernder Ausbildung

Aktenzeichen  7 K 2457/17

Datum:
27.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14286
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist, ob die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld aufheben durfte.
Die Klägerin ist die Mutter des am 15. April 1993 geborenen X. Sie erhielt laufend Kindergeld für ihren Sohn und teilte der Familienkasse am 31. Februar 2015 mit, dass X im Oktober 2015 mit dem Medizinstudium beginnen werde. Da die Klägerin der Aufforderung der Familienkasse vom 27. Januar 2017 zur Vorlage von Studiennachweisen nicht nachgekommen war, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 27. Februar 2017 die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab März 2017 auf. Mit Verfügung vom 27. März 2017 wurde die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum August 2015 bis einschließlich Februar 2017 aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld in Höhe von 3.604 € zurückgefordert.
Mit Schreiben vom 29. März 2017 teilte die Klägerin der Familienkasse mit, dass ihr Sohn im Zeitraum August bis September 2015 nicht gearbeitet habe und sie für seinen Lebensunterhalt aufgekommen sei. Im Zeitraum Oktober 2015 bis Mai 2016 habe er in A studiert, von Juli 2016 bis Dezember 2016 sei er in der Klinik zur Therapie gewesen (vgl. Immatrikulationsbescheinigung für den Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016, Attest der Klinik vom 20. Januar 2017 über den stationären Aufenthalt von X im Zeitraum 13. Juli bis 19. Dezember 2016, Attest von Dipl. med. S vom 28. Juli 2017 über die Erkrankung von X im Zeitraum Juli 2016 bis September 2017).
Ab Januar 2017 sei sie allein für seinen Lebensunterhalt aufgekommen. Ab September 2017 werde ihr Sohn ein Medizinstudium in B aufnehmen. Die Familienkasse wertete das Schreiben vom 29. März 2017 als Einspruch und forderte die Klägerin zur Vorlage weiterer Nachweise auf. Daraufhin teilte die Klägerin mit, dass X nach dem zweiten Semester (im April 2016) das Studium aufgrund seiner Erkrankung abgebrochen habe und die Weiterführung des Studiums ab September 2017 plane.
Die Familienkasse hob am 25. August 2017 den Bescheid vom 27. März 2017 insoweit auf, als er die Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum August 2015 bis März 2016 betroffen hatte. Der Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016 wurde als Ausbildungszeit der Zeitraum August 2015 als Zeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (Ende der Schulausbildung im Juli 2015 und Beginn des Studiums im Oktober 2015) als Übergangszeit berücksichtigt. Außerdem wurde mit Bescheid vom 1. September 2017 Kindergeld ab Mai 2017 festgesetzt. Der Einspruch betreffend den Zeitraum April 2016 bis Februar 2017 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 11. September 2017 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen Klage wiederholt und vertieft die Klägerin ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren. Nach der stationären Behandlung bis Dezember 2016 habe X seinen Studienort wegen der Nähe zu seiner Familie nach B verlegt. Ein Studium sei jedoch erst im Wintersemester 2017 wieder möglich gewesen. Bis dahin habe er aus gesundheitlichen Gründen weder gearbeitet oder sonst eine Tätigkeit aufgenommen. Er habe seit Dezember 2016 in ihrem Haushalt gelebt. Da sie alleinerziehend sei und nur ein begrenztes Einkommen habe, sei sie auf das Kindergeld angewiesen. Die Rückzahlung des Kindergelds auch in kleinen Raten sei praktisch unmöglich, zumal sie auch noch Krankheitskosten tragen müsse. Da ihr Sohn psychisch erkrankt sei, habe er die teilweise sehr verwirrenden und schwer verständlichen Schreiben der Familienkasse nicht beantworten können.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 27. März 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 11. September 2017 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Einspruchsentscheidung.
Mit gerichtlicher Anordnung vom 23. November 2017 wurde die Klägerin aufgefordert, für den Zeitraum April, Mai und Juni 2016 anhand geeigneter Unterlagen darzulegen, dass X entweder studiert bzw. sonstige Ausbildungsmaßnahmen unternommen hat bzw. aufgrund seiner Erkrankung zu einem Studium nicht in der Lage gewesen ist. Auf das Schreiben der Klägerin vom 20. Dezember 2017 wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten sowie auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Absatz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse hat die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum April 2016 bis Februar 2017 zu Recht aufgehoben, da kein Anspruch auf Kindergeld bestand.
1. Ein Kind wie X wird für Zwecke des Kindergeldes über das 18. Lebensjahr hinaus nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1, 32 Abs. 4 EStG berücksichtigt, wenn einer der in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Tatbestände vorliegt. Danach wird ein Kind beim Kindergeld unter anderem dann berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG), sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Nr. 2 b), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG), wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG) oder nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die objektive Beweislast dafür trägt der Kindergeldberechtigte.
2. Zu Recht ist die Familienkasse davon ausgegangen, dass sich X ab April 2016 nicht in einer Berufsausbildung befunden hat.
In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, etwa BFH-Urteile vom 10. Mai 2012 VI R 72/11, BFHE 237, 499, BStBl. II 2012, 895, m.w.N.; vom 17. Juni 2010 III R 49/09, BFH/NV 2010, 2244), und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind (BFH-Urteile vom 18. März 2009 III R 26/06, BFHE 225, 331, BStBl. II 2010, 296; vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl. II 1999, 701). Bei dem Begriff der Berufsausbildung handelt es sich um einen eigenständigen Begriff, der grundsätzlich weit auszulegen ist (BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl. II 2010, 298). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem zukünftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet.
Eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft ist grundsätzlich unschädlich. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 69/04, Rn. 14, BFH/NV 2006, 2067). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Kind in solchen Fällen den Willen hat, sich der Ausbildung zu unterziehen, aber aus objektiven Gründen -wegen Erkrankungdaran gehindert ist, weil ihm die Durchführung der Ausbildungsmaßnahme nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Im Streitfall hat X entsprechend der vorgelegten Immatrikulationsbescheinigung der Universität A im Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016 studiert. Nach Ende des Wintersemesters 2015/2016 hat er sich ab April 2016 jedoch keinen weiteren Ausbildungsmaßnahmen unterzogen. Insbesondere hat er sich weder an der Universität A für das Sommersemester rückgemeldet noch sich an einer anderen Universität für einen Studienplatz beworben. Trotz entsprechender Aufforderung hat die Klägerin, die insoweit beweispflichtig ist, keine Nachweise vorgelegt. Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass X bereits im April 2016 zwar ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber nicht in der Lage gewesen ist, sein Studium fortzusetzen oder sich ausbilden zu lassen. Denn durch das Attest der Klinik vom 20. Januar 2017 ist nur der stationäre Aufenthalt von X im Zeitraum 13. Juli bis 19. Dezember 2016 bzw. durch das Attest von Dipl. med. S vom 28. Juli 2017 die Erkrankung von X im Zeitraum Juli 2016 bis September 2017 belegt.
Damit liegt im Streitfall nicht die Konstellation einer Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung vor. Erforderlich ist ein tatsächlich im Klagezeitraum ab April 2016 bestehendes Ausbildungsverhältnis, bei dem dann gegebenenfalls wegen Erkrankung keine aktive Studientätigkeit stattfindet.
2. Auch die Voraussetzungen der übrigen in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Tatbestände liegen nicht vor, insbesondere ist auch die Voraussetzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift wird ein Kind berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetreten ist. Im Streitfall ergibt sich zwar aus dem Vortrag der Klägerin und dem Schreiben der Klinik vom 20. Januar 2017, dass X bereits vor seinem stationären Aufenthalt ab Juli 2016 an einer rezidivierenden depressiven Störung und Alkoholabhängigkeit gelitten hatte. Der Nachweis einer Behinderung gemäß der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), nach der Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, wird dadurch jedoch nicht erbracht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen