Arbeitsrecht

Örtliche Zuständigkeit für Klage auf Fristsetzung im Disziplinarverfahren

Aktenzeichen  B 5 K 17.1058

Datum:
12.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24030
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 52 Nr. 4, § 83
GVG § 17a Abs. 2
BDG § 62 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ab dem Eintritt in den Ruhestand leistet ein Beamter auf Dauer keinen Dienst mehr, sodass mit der Ruhestandsversetzung der dienstliche Wohnsitz entfällt; eine möglicherweise in der Zukunft denkbare Reaktivierung – zB durch Wiedererlangung der Dienstfähigkeit – begründet insoweit keinen dienstlichen Wohnsitz. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 52 Nr. 4 S. 2 VwGO ist als Ausnahme eng auszulegen; existiert gerade keine Behördenentscheidung, greift die Vorschrift nicht (hier: begehrte Fristsetzung nach § 62 Abs. 1 S. 1 BDG). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein zunächst zu Unrecht angerufenes Gericht kann im Laufe des Verfahrens noch zuständig werden, wenn sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften oder die tatsächlichen Verhältnisse vor einer Verweisungsentscheidung des Gerichts ändern. Diese Grundsätze müssen im Interesse der Prozessökonomie auch dann Anwendung finden, wenn das zunächst angerufene, aber unzuständige Gericht unter Berücksichtigung der veränderten Umstände nicht selbst zuständig geworden ist, sondern ein drittes Gericht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist die Verwaltungsstreitsache an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt eine gerichtliche Fristsetzung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) für das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren.
Der Kläger ist Beamter des Beklagten und war zuletzt beim Jobcenter Berlin … tätig. Gegen ihn wurde am 25. August 2016 ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das bislang noch nicht abgeschlossen wurde. Durch Bescheid vom 5. Dezember 2017 wurde der Kläger mit Ablauf des 31. Dezember 2017 in den Ruhestand versetzt. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26. Dezember 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 28. Dezember 2017, ließ der Kläger Klage zur Bestimmung einer Frist für den Abschluss des Disziplinarverfahrens nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BDG erheben.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. Januar 2018 zur beabsichtigten Verweisung angehört. Der Bevollmächtigte des Klägers stimmte der Verweisung mit Schriftsatz vom 12. Januar 2018 zu. Für den Beklagten erwiderte die Prozessvertretung Personal Ost der Bundesagentur für Arbeit mit Schriftsatz vom 31. Januar 2018 und führte aus, der Kläger sei zwar wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden, es werde aber in regelmäßigen Abständen überprüft, ob die Voraussetzungen der Dienstunfähigkeit noch fortbestünden. Deshalb verfüge der Kläger nach wie vor über einen dienstlichen Wohnsitz am Sitz seiner letzten Beschäftigungsbehörde. Selbst wenn man auf den privaten Wohnsitz des Klägers abstelle, ergäbe sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Berlin aus § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO. Auch der Wortlaut des § 52 Nr. 4 VwGO spreche dafür, dass für alle Klagen auch aus einem früheren Beamtenverhältnis in erster Linie der dienstliche Wohnsitz für die örtliche Zuständigkeit entscheidend sein solle.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Das Verwaltungsgericht Bayreuth spricht nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) seine örtliche Unzuständigkeit aus und verweist den Rechtsstreit an das gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 45 Sätze 1 und 4 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) i.V.m. Art. 42 Abs. 2 Nr. 2 des Bayerischen Disziplinargesetzes (BayDG) örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach.
a) Nach § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO ist für Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamtenverhältnis grundsätzlich das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Dienstlicher Wohnsitz ist dabei der Ort, an dem die Behörde oder ständige Dienststelle des Beamten ihren Sitz hat, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG).
b) Hier hatte der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung am 28. Dezember 2017 zwar noch einen dienstlichen Wohnsitz in Berlin. Dieser entfiel aber mit seiner Ruhestandsversetzung ab dem 1. Januar 2018; ab diesem Zeitpunkt verfügte der Kläger nur noch über einen bürgerlichen Wohnsitz in … Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde und die Frage seiner fortbestehenden Dienstunfähigkeit in regelmäßigen Abständen überprüft wird, wie es § 46 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) grundsätzlich vorsieht. Denn ab dem Eintritt in den Ruhestand leistet der Kläger auf Dauer keinen Dienst mehr; eine möglicherweise in der Zukunft denkbare Reaktivierung begründet insoweit keinen dienstlichen Wohnsitz (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.2.2013 – Au 2 K 13.205 – juris Rn. 5). Im Zeitpunkt der Klageerhebung wäre demnach unter Zugrundelegung von § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO das Verwaltungsgericht Berlin örtlich zuständig gewesen.
c) Ohne Berücksichtigung der Ruhestandsversetzung des Klägers mit Ablauf des 31. Dezember 2017 wäre das Verfahren demnach nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) an das Verwaltungsgericht Berlin zu verweisen gewesen. Eine solche Verweisungsentscheidung erging aber vor dem 1. Januar 2018 nicht mehr. Ab diesem Tag ergibt sich jedoch die örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach für das Verfahren aus § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 45 Sätze 1 und 4 BDG i.V.m. Art. 42 Abs. 2 Nr. 2 BayDG.
Die von Beklagtenseite angeführte Vorschrift des § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO ist in der vorliegenden Konstellation schon dem Wortlaut nach nicht einschlägig. Eine Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach dieser Norm würde voraussetzen, dass eine Behörde einen „ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat“. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO kann auch nicht so verstanden werden, dass in einer solchen Fallgestaltung auf die Behörde abzustellen ist, die mit der Klage als zuständig in Anspruch genommen wird (so aber P. Schmidt in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., § 52 Rn. 22). Die Vorschrift ist vielmehr als Ausnahme eng auszulegen; existiert – wie bei der hier begehrten Fristsetzung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BDG – gerade keine Behördenentscheidung, greift § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO nicht (vgl. – für die insoweit vergleichbare Konstellation eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO – Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2014, § 52, Rn. 9; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 52 Rn. 36).
Satz 1 des § 52 Nr. 4 VwGO begründet die allgemeine, vom dienstlichen bzw. bürgerlichen Wohnsitz des Klägers innerhalb des Gerichtsbezirks ausgehende Regel, Satz 2 enthält hiervon eine Ausnahme (BVerwG, B.v. 11.6.1981 – 2 ER 401/81 – Buchholz 310 § 52 VwGO Nr 22). Ist die Ausnahme des Satzes 2 – wie hier – nicht einschlägig, verbleibt es somit bei der Grundregel des Satzes 1. Für eine analoge Anwendung von § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO (dafür wohl: Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 52 Rn. 18) ist mangels einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum (ebenso Schenk in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 33. EL Juni 2017, § 52 Rn. 42; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 52 Rn. 36).
Auch kann dann nicht auf den Auffangtatbestand des § 52 Nr. 5 VwGO zurückgegriffen werden (so aber Schenk in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 33. EL Juni 2017, § 52 Rn. 42; v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl. 2014, § 52 Rn. 33). Denn diese Vorschrift ist nur „in allen anderen Fällen“, also nur dann, wenn sich aus den Nrn. 1 bis 4 des § 52 VwGO keine örtliche Zuständigkeit ergibt, einschlägig (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.1971 – VIII ER 400.70 – BVerwGE 39, 94). Mit § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO liegt hier nach oben gesagtem aber eine Zuständigkeitsbestimmung vor.
Zwar können über die Verwaltungstätigkeit eines Landes im Zusammenhang mit Dienstverhältnissen im Sinne des § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO nicht Gerichte eines anderen Landes befinden (BVerwG, B.v. 11.6.1981 – 2 ER 401/81 – Buchholz 310 § 52 VwGO Nr 22; vgl. Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 52 Rn. 37). Da der Kläger aber als Beamter im Dienst der Bundesagentur für Arbeit stand, steht dies der Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach nicht entgegen, da insoweit nicht die Tätigkeit einer Landesbehörde infrage steht.
d) Dass die Klage zu einem Zeitpunkt erhoben wurde, zu dem noch das Verwaltungsgericht Berlin zuständig war, ändert an der nunmehr eingetretenen örtlichen Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach nichts. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem Grundsatz der perpetuatio fori. Dieser Grundsatz wirkt lediglich rechtswegerhaltend, nicht rechtswegvernichtend. Ein zunächst zu Unrecht angerufenes Gericht kann deshalb im Laufe des Verfahrens noch zuständig werden, wenn sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften oder die tatsächlichen Verhältnisse vor einer Verweisungsentscheidung des Gerichts ändern (vgl. Ehlers in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 33. EL Juni 2017, § 17 GVG, Rn. 5; Wittschier in: Musilak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 17 GVG, Rn. 4; Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 17 GVG, Rn. 2; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze müssen im Interesse der Prozessökonomie auch dann Anwendung finden, wenn das zunächst angerufene, aber unzuständige Gericht unter Berücksichtigung der veränderten Umstände nicht selbst zuständig geworden ist, sondern ein drittes Gericht. Denn die Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth ergibt sich weder unter Berücksichtigung des bis zum 31. Dezember 2017 vorhandenen dienstlichen Wohnsitzes des Klägers, noch aus seinem ab dem 1. Januar 2018 allein zu Grunde zu legen den bürgerlichen Wohnsitz. Eine Verweisung an das nunmehr nicht mehr zuständige Verwaltungsgericht Berlin scheidet vor diesem Hintergrund aus. Vielmehr ist im jetzigen Zeitpunkt die sich aus den genannten Vorschriften ergebende Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach zu berücksichtigen.
2. Kosten, die im Verfahren vor dem angerufenen Verwaltungsgericht entstanden sind, werden gemäß § 17b Abs. 2 GVG als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird.
Dieser Beschluss ist nach § 83 Satz 2 VwGO entsprechend § 17a Abs. 2 GVG unanfechtbar.

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