Verwaltungsrecht

Zur Differenzierung zwischen Abbruch des Bewerbungsverfahrens und Erlöschen des Bewerbungsverfahrensanspruchs

Aktenzeichen  M 5 E 17.4628

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11375
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Im Falle eines abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens ist bei einem unterlegenen Bewerber die Eilbedürftigkeit und damit ein Anordnungsgrund grundsätzlich zu bejahen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Auswahlverfahren zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens kann durch einen Abbruch beendet werden, wenn der Dienstherr die Stelle zwar weiterhin vergeben will, hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich hält. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Bewerbungsverfahrensanspruch erlischt, wenn sich das Auswahlverfahren erledigt, weil die Ämtervergabe nicht mehr stattfinden soll. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 15.716,14 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Fortführung eines vom Antragsgegner abgebrochenen Auswahlverfahrens.
Der Antragsteller steht als Verwaltungsamtsrat (Besoldungsgruppe A12) in Diensten des Antragsgegners. Letzterer schrieb die Stelle eines/r „Arbeitsgebietsleiter/in für das Arbeitsgebiet … „Steuerungsunterstützung“ im Organisationsreferat“ aus. Die Tätigkeiten seien nach Entgeltgruppe 12 TVöD bzw. Besoldungsgruppe A13 BayBesG bewertet. Organisatorisch untersteht das Arbeitsgebiet … dem Referat … „Organisation“. Der Antragsteller und zwei weitere Beamte bewarben sich auf diese Stelle. Der Antragsgegner entschied sodann, die Stelle mit einer Mitbewerberin zu besetzen. Dies teilte er dem Antragsteller mit Schreiben vom „…06.2016“, in das Postfach des Antragstellers gelegt am … März 2017, mit. Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und stellte beim Verwaltungsgericht München einen Antrag auf einstweilige Anordnung (M 5 E 17.1539). Der zu diesem gerichtlichen Verfahren beigeladenen ausgewählten Bewerberin wurde die Funktion der ausgewählten Stelle vom Antragsgegner kommissarisch übertragen. Mit Schreiben vom … August 2017 zog die ausgewählte Beamtin ihre Bewerbung zurück und erklärte, dass sie nicht mehr bereit sei, das Arbeitsgebiet kommissarisch zu leiten. Aus einem Aktenvermerk der Personalreferates … des Antragsgegners vom … August 2017 geht hervor, dass nach Rücksprache mit dem Leiter des Referates … die Arbeitsgebietsleiterstelle nicht neu besetzt werde. Der Referatsleiter … werde dauerhaft die alleinige Leitung des Arbeitsgebiets … ausüben.
Mit Beschluss vom 25. August 2017 im Verfahren M 5 E 17.1539 untersagte das Verwaltungsgericht München dem Antragsgegner, die Stelle „Arbeitsgebietsleiter/in für das Arbeitsgebiet … „Steuerungsunterstützung“ im Organisationsreferat“ mit einem Mitbewerber zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers bestandskräftig entschieden ist. Dieser Beschluss wurde den Bevollmächtigten des Antragsgegners am 4. September 2017 zugestellt.
Mit Schreiben vom 7. September 2017 teilten die Bevollmächtigten des Antragsgegners den Bevollmächtigten des Antragstellers unter Beifügung des Aktenvermerks vom … August 2017 mit, dass auf Grund der Rücknahme der Bewerbung der eigentlich ausgewählten Beamtin nach Rücksprache mit dem zuständigen Referatsleiter 11 entschieden worden sei, die A. AG … nicht neu zu besetzen. Der Referatsleiter … werde künftig die Leitung des Referates … und die des Arbeitsgebietes … in Personalunion wahrnehmen. Der Antragsgegner habe diese Entscheidung bereits vor Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und unabhängig von diesem getroffen und es sei beabsichtigt gewesen, die geänderte Sachlage dem Verwaltungsgericht mitzuteilen. Der Beschluss sei dem jedoch zuvorgekommen. Mangels Neubesetzung der ausgeschriebenen Stelle habe sich der vom Antragsteller gegen die Ablehnung seiner Bewerbung erhobene Widerspruch erledigt.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers haben mit Schriftsatz vom 28. September 2017, beim Verwaltungsgericht München eingegangen tags darauf, beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, das Auswahlverfahren über die Stelle Leitung des Arbeitsgebietes „Steuerungsunterstützung“ im Organisationsreferat fortzuführen.
Der Abbruch des Auswahlverfahrens sei rechtswidrig, denn es liege kein sachlicher Grund vor. Der Dienstherr könne das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft sei und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen könne oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich werde, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Genüge die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, sei sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren nach dessen Maßgaben fortzuführen. Es komme also gar nicht mehr darauf an, dass die Rechtmäßigkeit des Abbruchs darüber hinaus voraussetze, dass der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert werde. Der Antragsgegner verweise dazu auf „schriftlich fixierte Gründe“. Solche ergäben sich aber aus dem Aktenvermerk vom … August 2017 nicht – schon gar nicht sachliche. Aus diesem Aktenvermerk gehe auch nicht hervor, weshalb der streitgegenständliche Dienstposten, für dessen Besetzung der Antragsgegner sich mehr als zwei Jahre Zeit gelassen habe und für die er dann auch noch gegenüber dem Gericht hartnäckig gekämpft habe, nun plötzlich innerhalb von nur sieben Tagen nicht mehr benötigt werden solle.
Die Bevollmächtigten des Antragsgegners haben mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2017 die Verfahrensakte vorgelegt und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Durch das Schreiben vom 7. September 2017 sei der Antragsteller darüber informiert worden, dass der Antragsgegner unter Ausübung seiner Organisationsgewalt entschieden habe, das ausgeschriebene und vom Antragsteller erstrebte Amt nicht mehr zu vergeben, da der Referatsleiter … künftig die Leitung des Referates … und die des Arbeitsgebietes … in Personalunion wahrnehmen werde. Infolgedessen bestehe kein Bedarf mehr an der Ausschreibung der streitgegenständlichen Stelle. Dies sei durch den dem Antragsteller ebenfalls übersandten Aktenvermerk vom … August 2017 mit den darin schriftlich fixierten Gründen vom Antragsgegner auch hinreichend dokumentiert worden. Damit sei der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers untergegangen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 5 E 17.1539 sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerpartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
2. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Im Falle eines abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens ist bei einem unterlegenen Bewerber die Eilbedürftigkeit grundsätzlich zu bejahen, weil der Beamte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sein Recht auf Beantragung einer einstweiligen Anordnung zu verwirken droht, wenn er seinen Antrag nicht innerhalb eines Monats stellt (Zängl in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2017, § 9 BeamtStG Rn. 186; BVerwG, B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2/15 – juris Rn. 10; U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 14, 21; BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 3 CW 15.1606 – juris Rn. 21).
3. Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch betreffend die Fortführung des Auswahlverfahrens glaubhaft gemacht
a) Ein Auswahlverfahren zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens kann durch einen Abbruch beendet werden, wenn der Dienstherr die Stelle zwar weiterhin vergeben will, hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich hält. Wirksam ist diese Entscheidung indes nur, wenn sie rechtmäßig ist. Prüfungsmaßstab hierfür ist Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz / GG. Der in einem solchen Fall vorgenommene Abbruch eines Auswahlverfahrens bedarf daher eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt. Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren nach dessen Maßgaben fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf nicht erfolgen (BVerwG, B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2/15 – juris Rn. 16 ff; U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 17).
b) Der Bewerbungsverfahrensanspruch erlischt aber, wenn sich das Auswahlverfahren erledigt, weil die Ämtervergabe nicht mehr stattfinden soll. Die in Art. 33 Abs. 2 GG normierten Auswahlgrundsätze sind auf eine Auswahlentscheidung bezogen. Dementsprechend ist der Bewerbungsverfahrensanspruch auf ein konkretes Stellenbesetzungsverfahren gerichtet und besteht grundsätzlich nur, wenn eine Ernennung oder eine diese vorherbestimmende Dienstpostenvergabe vorgenommen werden soll. Entfällt der Bezugspunkt der Auswahlentscheidung, weil die Planstelle nicht mehr zur Verfügung steht oder weil sich der Dienstherr in Ausübung seiner Organisationsgewalt entschieden hat, das ausgeschriebene Amt so nicht zu vergeben, wird das hierauf bezogene Auswahlverfahren gegenstandslos (BVerwG, B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2/15 – juris Rn. 16; U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 16).
c) Vorliegend ist die Situation rechtlich entsprechend den unter b) dargestellten Grundsätzen zu beurteilen. Denn der Antragsgegner hat sich ausweislich des Aktenvermerks vom … August 2017 dazu entschlossen, die Arbeitsgebietsleiterstelle … nicht neu zu besetzen, sondern die Leitung des Arbeitsgebietes … dauerhaft durch den Referatsleiter … ausüben zu lassen. Gegen diese organisatorische Entscheidung ist rechtlich nichts zu erinnern. Sie unterliegt der Organisationsgewalt des Antragsgegners. Er hat hierbei ein Ermessen, das über jenes bei Auswahlentscheidungen weit hinausgeht. Sachfremde Erwägungen sind nicht ersichtlich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in der Verwaltung die Leitungsstellen einer Ebene und der darunterliegenden Hierarchieebene in Personalunion von einem Beamten ausgeübt werden.
Es trifft auch nicht zu, dass der Antragsgegner zum Ausdruck gebracht hätte, den streitgegenständlichen Dienstposten plötzlich nicht mehr zu benötigen. Er soll zukünftig lediglich nicht mehr von einem eigens nur hierfür bestellten Beamten bekleidet werden.
Der Aktenvermerk stellt eine hinreichende Dokumentation dieses für den endgültigen Abbruch des Besetzungsverfahrens maßgeblichen Grundes dar (BayVGH, B.v. 11.8.2015 – 6 CE 15.1379 – BayVBl 2016, 166, juris Rn. 15).
Die unter a) dargestellten engeren Voraussetzungen für den Abbruch eines Auswahlverfahrens bei weiterhin bestehender Absicht, die Stelle zu vergeben, sind dagegen hier nicht einschlägig.
4. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 4, Sätze 1 bis 3, § 40 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Maßgeblich sind zunächst die für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge im angestrebten Amt mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen. Im bayerischen Landesbeamtenrecht ist dabei die jährliche Sonderzahlung nach Art. 82 ff. Bayerisches Besoldungsgesetz / BayBesG (in Höhe von 65 v.H. bei einem Amt der Besoldungsgruppe A 13) mit zu berücksichtigen (anders im Bundesbesoldungsrecht, das eine jährliche Sonderzahlung wegen deren Einarbeitung in die Grundgehaltstabelle seit dem 1.1.2012 nicht mehr vorsieht). Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr, wobei für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend ist, die den Rechtszug einleitet. Der so ermittelte Betrag ist sodann in einem beamtenrechtlichen Konkurrenteneilverfahren zu vierteln (BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 3 CE 17.2188; B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – juris), was für das vorliegende Verfahren auf Fortsetzung eines Auswahlverfahrens ebenfalls gilt.
Bei der vorliegenden Antragstellung am … September 2017 ist daher das Kalenderjahr 2017 maßgeblich, woraus sich für das vom Antragsteller angestrebte Amt der Besoldungsgruppe A 13 in der (End-) Stufe 11 nach den ab 1. Januar 2017 geltenden Grundgehaltssätzen der Besoldungsordnung A ein Betrag von monatlich 4.969,53 EUR ergibt. Die fiktiven Jahresbezüge inkl. jährlicher Sonderzahlung belaufen sich somit auf 62.864,55 EUR, wovon ein Viertel 15.716,14 EUR betragen.

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