Verwaltungsrecht

Erfolgloses Eilbegehren bzgl. eines unzulässigen Asylzweitantrages eines Staatsangehörigen aus Nigeria

Aktenzeichen  M 21 S 17.42900

Datum:
24.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 720
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34, § 36, § 71a
VwGO § 80 Abs. 5
VwVfG § 51
Dublin III-VO Art. 34
AufenthG § 59

 

Leitsatz

Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach eigenen Angaben ein lediger, in Uromi geborener Staatsangehöriger der Bundesrepublik Nigeria.
Er stellte am 12. Mai 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in München einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller am 12. Mai 2016 gegenüber dem Bundesamt insbesondere an, er habe er im Februar 2015 in Griechenland und im März 2015 in Ungarn internationalen Schutz beantragt. Neue Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigen, habe er nicht.
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in München am 16. September 2016 äußerte sich der Antragsteller zu seinem Verfolgungsschicksal und gab insbesondere an, Ende 2015 in Ungarn einen Asylantrag gestellt zu haben. Nigeria habe er verlassen, weil sein Onkel seinen Vater umgebracht habe und auch den Antragsteller habe umbringen wollen.
Am 30. März 2017 übermittelte das Bundesamt der zuständigen ungarischen Behörde ein auf Art. 34 Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl EG Nr. L 180 S. 31) – Dublin III-VO – gestütztes Informationsersuchen hinsichtlich des Antragstellers.
Mit englischsprachigem Schreiben vom 5. April 2017 (Bl. 59 der Bundesamtsakte) teilte die zuständige ungarische Dublin-Koordinierungseinheit dem Bundesamt insbesondere mit, der Antragsteller habe am 16. März 2015 in Ungarn Asyl beantragt. Die zuständige Behörde habe seinen Antrag am 14. Juli 2015 abgelehnt. Nach Anfechtung dieser Entscheidung habe das Gericht das Verfahren am 17. November 2015 eingestellt, nachdem der Antragsteller untergetaucht sei. Er habe keinen internationalen Schutz in Ungarn erhalten.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2017 teilte das Bundesamt dem Antragsteller mit, nach den vorliegenden Erkenntnissen habe er bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das weitere Vorgehen richte sich nach dem Ergebnis dieses Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat. Daher werde binnen zwei Wochen um Mitteilung des Sachstands dieses Verfahrens und um Vorlage aller vorhandenen Dokumente zu diesem Verfahren gebeten.
Im diesbezüglichen, deutschsprachigen Fragebogen wurde handschriftlich unter dem 8. Mai 2017 eingefügt, der Antragsteller habe neue Beweise für seinen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1.), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 2.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Nigeria an (Ziffer 3.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Ungarn habe dem Bundesamt mit Schreiben vom 5. April 2017 mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Antragstellers dort erfolglos abgeschlossen worden sei. Daher handle es sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik um einen Zweitantrag. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn wie hier im Falle eines Antrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor. Der Antragsteller habe Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor der Ausreise aus seinem Heimatland lägen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 29. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 18. Mai 2017 aufzuheben und festzustellen, dass er asylberechtigt ist, die Flüchtlingseigenschaft bei ihm vorliegt, der subsidiäre Schutzstatus bei ihm vorliegt und Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihm vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.42896) ist noch nicht entschieden.
Am 29. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zugleich sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Klage- und Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 5. Oktober 2017 im Wesentlichen vorgetragen, es sei nicht sicher, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliege. Nach Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie sei ein Antragsteller im Falle einer stillschweigenden Rücknahme oder eines Nichtbetreibens des Verfahrens berechtigt, um eine Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag geprüft werden dürfe. Somit sei der angegriffene Bescheid rechtswidrig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Eilantrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Wird in einer „Zweitantragssituation“ ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt, so darf die Aussetzung der Abschiebung im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, hier der Abschiebungsandrohung, bestehen. Solche „ernstlichen Zweifel“ liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Eine solche Einschätzung ist hier nicht gerechtfertigt.
§ 34 AsylG, der den Erlass einer Abschiebungsandrohung regelt, ist über § 71a Abs. 4 AsylG nur dann entsprechend anzuwenden, wenn eine „Zweitantragssituation“ im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren rechtmäßiger Weise nicht durchgeführt wird. Nur dann ist der Asylantrag auch nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Nach hinreichender Sachverhaltsermittlung hat das Bundesamt hier eine „Zweitantragssituation“ im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG annehmen dürfen. Ein weiteres Asylverfahren ist nicht durchzuführen. Im Einzelnen:
Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Leitsatz 2). Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen. Bei der Prüfung nach § 71a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedstaaten stützen. Denn diese haben in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können dazu deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen (vgl. nur BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 22 m.w.N.). Mit dem vom Bundesamt grundsätzlich zu nutzenden, sogenannten Info-Request nach Art. 21 Dublin-II-VO bzw. Art. 34 Dublin-III-VO ist unter den Mitgliedstaaten ein beschleunigtes Informationsaustauschsystem eingeführt worden, dessen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung den Verwaltungsgerichten nicht offen stehen (vgl. nur BayVGH, U.v. 20.10.2016 – 20 B 14.30320 – juris Rn. 29, 41 m.w.N.).
Zudem kann das Bundesamt das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nur beurteilen, wenn es Kenntnis des Vorverfahrens, der dort angeführten Gründe und des dortigen Verfahrensablaufs einschließlich der jeweiligen Entscheidungen besitzt (vgl. nur Schönenbroicher/Dickten in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1. November 2017, § 71a AsylG Rn. 2 m.w.N.).
Demnach beruht die Annahme des Bundesamts, es liege der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vor, auf zureichender Tatsachenbasis.
Die Antwort der zuständigen ungarischen Dublin-Koordinierungseinheit auf das Informationsersuchen des Bundesamts belegt, dass in Ungarn hinsichtlich des Antragstellers bereits ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen worden ist. Aus dieser Antwort ergibt sich, dass das gegen die Ablehnung internationalen Schutzes gerichtete Klageverfahren, welches der Antragsteller in Ungarn betrieben hatte, wegen seines Untertauchens (endgültig) eingestellt worden ist. In diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall bedeutsam von der Fallkonstellation, über die das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 14. Dezember 2016 (- 1 C 4/16 – juris) zu entscheiden hatte. Dort war das behördliche ungarische Asylverfahren der dortigen Kläger nach deren Untertauchen nur „beendet“ worden und die ungarischen Behörden hatten – ebenfalls anders als im vorliegenden Fall – ihr Einverständnis erklärt, die Familie wieder aufzunehmen, um über deren Asylbegehren zu entscheiden.
Zudem liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG nicht vor.
Der Antragsteller kann insbesondere keinen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 VwVfG für sich in Anspruch nehmen. In der Tat bezieht sich sein Vorbringen gegenüber dem Bundesamt auf Umstände, die sich bereits im Herkunftsland ereignet haben sollen. Damit können diese Umstände mit Blick auf das in Ungarn erfolglos abgeschlossene Asylverfahren insbesondere keine nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers begründen. Er selbst hat zudem zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 12. Mai 2016 gegenüber dem Bundesamt insbesondere angegeben, neue Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Verfahren von ihm geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigten, habe er nicht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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