Aktenzeichen 10 ZB 17.31304
VwGO § 138, § 154 Abs. 2, § 173
ZPO § 227 Abs. 1
Leitsatz
1. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs wegen fehlender tatsächlicher Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in erster Instanz kommt nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung iSv § 173 VwGO iVm § 227 Abs. 1 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Inhaftierung ist grundsätzlich kein erheblicher Grund für eine Terminverschiebung. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erscheint der Bevollmächtigte des Klägers nicht in der mündlichen Verhandlung, ohne dass für ihn selbst eine Verhinderung behauptet oder ersichtlich war und ist, vereitelt dieser selbst seine Möglichkeit, rechtliches Gehör zu finden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 4 K 17.30004 2017-08-09 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, nämlich die Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), nicht vorliegt.
a) Hat ein Rechtsmittelführer tatsächlich nicht an der mündlichen Verhandlung in erster Instanz teilnehmen können – so wie es der Kläger wegen seiner Inhaftierung geltend macht –, muss dargelegt werden, dass das Erstgericht einen Terminsverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kommt nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung i.S.v. § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist (BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9/06 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 16).
Die Möglichkeit der Teilnahme eines Beteiligten an der mündlichen Verhandlung trägt dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung. Hat der Beteiligte einen Prozessbevollmächtigten, der ihn im Termin vertreten kann, ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör regelmäßig genügt, wenn dieser an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann (BVerwG, B.v. 4.8.1998 – 7 B 127/98 – juris Rn. 2; Brüning in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2017, § 102 Rn. 8.2). Insbesondere verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, dem Beteiligten neben seinem Rechtsanwalt die Möglichkeit zu persönlichen Erklärungen zu geben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen (BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 18).
Eine Verschiebung oder Vertagung des Termins zur mündlichen Verhandlung ist nur dann erforderlich, wenn der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche getan hat, um sich durch Wahrnehmung des Verhandlungstermins rechtliches Gehör zu verschaffen, hieran jedoch ohne Verschulden gehindert worden ist (BVerwG, U.v. 29.9.1994 – 3 C 28/92 – juris Rn. 48 m.w.N.; Brüning in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2017, § 102 Rn. 9). Eine Inhaftierung ist grundsätzlich kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung; es ist zunächst Sache des Strafgefangenen, Ausgang, Urlaub oder Ausführung zu beantragen (BVerwG, B.v. 26.8.1992 – 5 ER 698/91 – juris Rn. 5; Brüning in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2017, § 102 Rn. 8.1).
b) Im vorliegenden Fall hat der Kläger bereits nicht alles dafür getan, um sich in der mündlichen Verhandlung rechtliches Gehör zu verschaffen.
Das Verwaltungsgericht hatte auf den Antrag vom 28. Juli 2017 auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 1. August 2017 geantwortet, es sehe keine Veranlassung für eine Terminsverlegung, da dem Gericht seitens der Justizvollzugsanstalt versichert worden sei, es sei möglich, den Kläger rechtzeitig aus der Justizvollzugsanstalt zum Gerichtsort zu verbringen. Eine Reaktion des Klägerbevollmächtigten erfolgte hierauf nicht mehr; zur mündlichen Verhandlung am 9. August 2017 sind weder der Kläger noch sein Bevollmächtigter erschienen.
Es hätte dem Bevollmächtigen des Klägers oblegen, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und darzulegen, welche Schritte unternommen wurden, um ein Erscheinen des Klägers zu ermöglichen, und warum dies – entgegen der durch die Justizvollzugsanstalt gegenüber dem Gericht erteilten Zusicherung – ohne Verschulden des Klägers nicht möglich gewesen war. Ferner wäre darzulegen gewesen, was der Kläger vortragen wollte, um zur Aufklärung des Sachverhalts oder zu seiner effektiven Rechtsverfolgung beizutragen, um eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu rechtfertigen.
Durch sein Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte des Klägers – ohne dass für ihn selbst eine Verhinderung behauptet oder ersichtlich war und ist – seine Möglichkeit, rechtliches Gehör finden, selbst vereitelt. Er hat sich auch nach dem Schreiben des Gerichts vom 1. August 2017 nicht mehr schriftsätzlich an das Gericht gewandt und etwa geltend gemacht, dass die Zusicherung der Justizvollzugsanstalt gegenüber dem Gericht nicht eingehalten werde. Auch in der Begründung des vorliegenden Zulassungsantrags werden keinerlei Angaben dazu gemacht, welche Schritte unternommen wurden, um ein Erscheinen des Klägers zu ermöglichen, und warum dies ohne Verschulden des Klägers nicht möglich gewesen sein sollte.
c) Darüber hinaus sind die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht erfüllt, weil dem Zulassungsantrag nicht entnommen werden kann, was der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs – bei Teilnahme an der mündlichen Verhandlung – noch vorgetragen hätte.
Die Gehörsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was der Beteiligte bei Gewährung des Gehörs noch vorgebracht hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr; siehe z.B. BVerwG, B.v. 28.1.2003 – 4 B 4/03 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 11 ZB 17.31632 – juris 5 m.w.N.). Nur auf der Grundlage eines solchen Vortrags kann geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, dem Rechtsmittelführer günstigeren Entscheidung geführt hätte (BVerfG, B.v. 13.3.1993 – 2 BvR 1988/92 – juris Rn. 34).
Die bloße Behauptung in dem Berufungszulassungsantrag „Hätte der Kläger Gelegenheit gehabt, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern, hätte das Gericht zumindest weitere Rückkehrhindernisse festgestellt.“ genügt diesen Anforderungen nicht. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Sachverhaltswürdigung nicht auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Klägers bzw. die Glaubhaftigkeit seines Sachvortrags abgestellt, sondern seinen Vortrag als wahr unterstellt hat (UA S. 4 unten).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).