Medizinrecht

Plausibilitätsprüfung – Neufestsetzung der Honorare auf Grundlage der ärztlichen Leistungen

Aktenzeichen  L 12 KA 123/16

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15087
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AbrPr-RL § 7 Abs. 2, § 8, § 8a
Ärzte-ZV § 32, § 33 Abs. 2
SGB V § 106a Abs. 2 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

1. Maßgeblich für die Errechnung des Zeitaufwandes bei Tages- und Quartalsprofilen sind allein die in Anhang 3 des EBM zugrunde gelegten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen. (Rn. 46)
2. Bei der Berechnung der Überschreitung der Quartalsarbeitszeiten ist nicht die genehmigte Arbeitszeit, sondern bei den mit einem Berdarfplanungsfaktor von 0,5 angestellten Ärzten eine höchstzulässige Quartalsarbeitszeit von 390 Stunden zugrunde zu legen. (Rn. 51)
3. Bei einer Vertretung innerhalb eines MVZ durch den MVZ angehörige Ärzte handelt es sich – unter Beachtung der Fachgebietsgrenzen – um eine “interne” Vertretung, für die die Regelung des § 32 Ärzte-ZV nicht gilt. (Rn. 63 – 65)

Verfahrensgang

S 38 KA 1611/14 2016-10-11 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2016, S 38 KA 1611/14 insoweit abgeändert, als die Beklagte verpflichtet wird, über den Widerspruch der Klägerin entsprechend der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 9/10, die Beklagte 1/10.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die nach § 143 Sozialgesetzbuch (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet.
1) Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides sind § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V sowie § 106a Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB V. Danach prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Einzelheiten der Plausibilitätsprüfung ergeben sich aus den „Abrechnungsprüfungs-Richtlinien“ (AbrechnPr-RL; idF vom 1.1.2005 bzw. 1.7.2008), die die Partner der Bundesmantelverträge auf der Grundlage von § 106a Abs. 6 Satz 1 SGB V vereinbart haben.
Die regelhafte Plausibilitätsprüfung erstreckt sich auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten durch Überprüfung des Umfangs der abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand (§ 7 Abs. 2 AbrechnPr-RL). Hierfür sind die im Anhang 3 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zugrunde zu legen (§ 8 Abs. 1 AbrechnPr-RL). Für jeden Tag der ärztlichen Tätigkeit wird im Hinblick auf die angeforderten Leistungen ein Tageszeitprofil und ein Quartalszeitprofil ermittelt (§ 8 Abs. 2 AbrechnPr-RL). Die „Aufgreifkriterien“ regelt § 8 Abs. 3 AbrechnPr-RL: Beträgt bei Vertragsärzten die auf der Grundlage der Prüfzeiten ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tagesprofilzeiten an mindestens drei Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden, führt die Kassenärztliche Vereinigung weitere Prüfungen auf der Grundlage von § 12 AbrechnPr-RL durch. Ergänzend hierzu enthält § 8a AbrechnPr-RL (in der ab dem 1.7.2008 geltenden Fassung) ergänzende Regelungen für Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten. Danach kann bei angestellten Ärzten die genehmigte Arbeitszeit zugrunde gelegt werden, § 8a Abs. 3 AbrPr-RL.
Auf der Grundlage von § 106a Abs. 5 SGB V hat die Beklagte mit den Landesverbänden der Krankenkassen eine Vereinbarung zur Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 5 SGB V (Vereinbarung zur Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 5 SGB V über Inhalt und Durchführung der Abrechnungsprüfungen nach § 106a Abs. 2 und Abs. 3 SGB V) getroffen, die zum 1.1.2006 in Kraft getreten ist und für die Prüfung von Abrechnungen ab dem Quartal 2/05 gilt. Ab dem Quartal 3/08 gilt die Vereinbarung vom 15.10.2009. Die Vereinbarungen samt Anlagen enthalten nähere Regelungen zu Inhalt und Verfahrensweise der Plausibilitätsprüfung.
Das Richtigstellungsverfahren wird durchgeführt, wenn die Plausibilitätsprüfung zu dem Ergebnis geführt hat, dass Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind (§ 5 Abs. 2 AbrechnPr-RL).
2) Streitgegenständlich im Berufungsverfahrens ist nur noch die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Beklagten vom 22.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2014, soweit sich dieser nicht auf die Absetzung der GOP 31920 EBM bezieht. Soweit das SG auch den Bescheid vom 16.12.2011 (Quartal 3/07) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2014 aufgehoben hat, geht diese Aufhebung ins Leere, denn die im Widerspruchsbescheid ausgewiesene Rückforderung für das Quartal 3/07 basierte allein auf der fehlerhaften Abrechnung der GOP 31920 EBM. Hinsichtlich dieser GOP war die Klage jedoch mit Schreiben vom 27.11.2015 zurückgenommen worden.
3) Die sodann noch streitgegenständlichen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen aufgrund implausibler Arbeitszeiten für die Quartale 4/07 bis 2/09 sind teilweise zu beanstanden. Die Berufung ist insoweit begründet, als die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nochmals zu entscheiden hat.
a) Für das zunächst geprüfte Quartal 3/07 war das Aufgreifkriterium des Überschreitens der Quartalsarbeitszeit bei angestellten Ärzten (§ 8 Abs. 3 iVm § 8a Abs. 3 AbrPr-RL) erfüllt. Denn der genehmigte Tätigkeitsumfang von Frau I. von 500,5 Std. war bei einem Quartalsprofil von brutto 758,22 Stunden überschritten. Damit durfte die Beklagte weitere Überprüfungen nach § 12 AbrechnPr-RL vornehmen und die Prüfung auf die Quartale 4/07 bis 4/09 ausdehnen. Das im Widerspruchsbescheid vom 10.09.2014 der Bescheid vom 16.12.2011 für das Quartal 3/07 insoweit abgeändert wurde, dass keine Überschreitung des Quartalsprofils mehr angenommen wurde und die Rückforderung auf die (unstreitige) Falschabrechnung der GOP 31920 beschränkt wurde, ändert nichts daran, dass das Aufgreifkriterium zunächst vorlag und die Beklagte dementsprechend ihre Prüfung ausdehnen durfte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geht fehl, wenn er meint, durch die Aufhebung der Kürzung im Widerspruchsbescheid sei das Aufgreifkriterium nachträglich entfallen und die Ausdehnung der Prüfung auf die Quartale 4/07 bis 4/09 rechtswidrig. Er verkennt bei dieser Argumentation insbesondere, dass das Vorliegen eines Aufgreifkriteriums nicht zwangsläufig zu einer nachfolgenden Honoraraufhebung und -neufestsetzung führen muss, sondern eben – wie schon der Wortlaut „Aufgreifkriterium“ nahelegt – nur der Anlass für eine weitergehende Prüfung darstellt.
b) Auch für die Quartale 4/07 bis 2/09 haben die bei der Klägerin angestellten Ärzte Frau I., Dr. B. sowie Dr. K. die nach § 8 Abs. 3, § 8a Abs. 3 AbrechnPr-RL als Aufgreifkriterium formulierte Quartalszeit von 780 Stunden bzw. den genehmigten Tätigkeitsumfang um die im Tatbestand wiedergegebenen Werte (Überschreitung des Tätigkeitsumfangs in Stunden) überschritten. Damit durfte die Beklagte weitere Überprüfungen nach § 12 AbrechnPr-RL vornehmen.
aa) Quartalsprofile, die Behandlungszeiten für Leistungen dokumentieren, die der Arzt in einem Quartal abgerechnet hat, eignen sich als Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung. Tages- und Quartalsprofil stehen nach § 8 Abs. 3 AbrechnPr-RL alternativ als Indizien für eine implausible Abrechnung nebeneinander. Die Eignung von Tagesprofilen als Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung hat das BSG bereits bejaht (BSGE 73, 234, 238 f = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4 S. 13 ff). Für Quartalsprofile, die Behandlungszeiten für Leistungen dokumentieren, die der Arzt in einem Quartal und damit in einem deutlich längeren Zeitraum abgerechnet hat, gilt nichts anderes (BSG, Beschluss vom 17.8.2011 – B 6 KA 27/11 B -, Rn. 6, juris; Clemens in jurisPK-SGB V, Rn. 144 zu § 106a; Engelhardt, a.a.O., Rn. 47 zu § 106a).
Wird einer der in § 8 Abs. 3 der AbrechnPr-RL genannten Werte überschritten, liegen Abrechnungsauffälligkeiten vor und die KÄV führt eine Prüfung nach § 12 AbrechnPr-RL durch. Diese Prüfung dient nicht mehr der Ermittlung von Auffälligkeiten, sondern der Feststellung, ob die anhand der Zeitprofile zu Tage getretenen Abrechnungsauffälligkeiten auf einer nicht ordnungsgemäßen Abrechnung beruhen. Geprüft wird, wie § 12 Abs. 3 Satz 1 AbrechnPr-RL ausdrücklich feststellt, ob sich die Auffälligkeiten zugunsten des Arztes erklären lassen.
bb) Die von der Beklagten erstellten Quartals- bzw. Tagesprofile sind nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Quartalsprofile entsprechend der Regelungen in § 7 Abs. 2 AbrPr-RL, § 8 Abs. 1 AbrechnPr-RL auf der Grundlage der Zeitangaben im EBM (Anhang 3 zum EBM) erstellt. Ob das von der Klägerin verwendete Abrechnungsprogramm abweichende Tageszeit – und Quartalszeitprofile errechnet, bleibt ohne Auswirkungen, denn maßgeblich für die Errechnung des Zeitaufwandes sind allein die in Anhang 3 des EBM zugrunde gelegten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen. Darauf hat das SG mit zutreffender Begründung hingewiesen.
Die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Auszüge aus ihrem Praxisverwaltungsprogramm führen ebenfalls nicht dazu, die Richtigkeit der von der Beklagten errechneten Quartalsarbeitszeitprofile zu erschüttern und die von der Klägerin nach ihrem Praxisverwaltungsprogramm ausgewiesenen Zeiten zugrunde zu legen. Soweit die Klägerin meint, mit der Vorlage der Auszüge belegen zu können, dass die von der Beklagten ermittelten Zeitprofile unzutreffend seien und sie die höchstzulässigen Quartalsprofilzeiten nicht überschritten hat, geht sie mit dieser Annahme fehl. Zum einen handelt es sich bei den als Anlage K5 vorgelegten Auszügen nur um Auszüge für den Monat Juli 2007, die schon aus diesem Grund nicht die Quartalsarbeitszeiten belegen können. Außerdem ergibt die Addition der in den Unterlagen ausgewiesenen Einzelminuten der Ärzte für diesen Monat nicht den Wert, der als Summe im Programm der Klägerin für alle Ärzte für diesen Monat angegeben wird. Zudem hat der Klägerbevollmächtigte nicht näher dargelegt, auf welche konkreten Leistungen sich die angeblich effektivere Arbeitsweise der klägerischen Praxis beziehen soll. Richtig ist zwar, dass es sich bei den EBM-Minutenwerten um Durchschnittszeiten handelt, die im Einzelfall auch unterschritten werden können. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar, der auch schwere Fälle berücksichtigt, wie sie in jeder Praxis vorkommen.
Der Senat sieht daher keinen Anlass, an der Tragfähigkeit der von der Beklagten verwendeten Daten zu zweifeln und legt diese der weiteren Prüfung zugrunde.
cc) Nicht zu beanstanden ist die Folgerung der Beklagten, dass bei einem Quartalsarbeitszeitprofil von über 780 Stunden eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr vorliegt. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass bei Überschreiten bestimmter zeitlicher Vorgaben die Leistung nicht mehr oder nicht mehr vollständig erbracht werden kann bzw. nicht erbracht worden ist. Das Quartalsprofil von 780 Stunden geht von einer durchgehenden Fünf-Tage-Woche für 52 Wochen im Jahr aus (3220 Stunden), die auf die vier Quartale gleichmäßig umgelegt werden.
dd) Hinsichtlich der Überschreitung der Quartalsarbeitszeiten hat das SG zutreffend ausgeführt, dass bei der Berechnung der Überschreitung nicht die genehmigte Arbeitszeit, sondern bei den mit einem Bedarfsplanungsfaktor von 0,5 angestellten Ärzten eine höchstzulässige Quartalsarbeitszeit von 390 Stunden zugrunde gelegt werden muss. Dies wird von der Beklagten, die ihrerseits nicht in Berufung gegangen ist, auch nicht mehr bestritten.
c) Damit ist durch die – auch unter Berücksichtigung einer Quartalsarbeitszeit von 390 Stunden bei angestellten Ärzten mit einem Bedarfsplanungsfaktor von 0,5 – von der Beklagten festgestellten bzw. bei einer Neuverbescheidung zugrunde zulegenden Quartalsarbeitszeiten von über 780 bzw. 390 Stunden ein hinreichend tauglicher Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung zur Überzeugung des Senats erbracht.
Wenn eine Honorarabrechnung des Vertragsarztes auch nur einen Fehlansatz aufweist, bei dem dem Arzt grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, so erfüllt die jeder Quartalsabrechnung beizufügende sog. Abrechnungssammelerklärung nach der Rechtsprechung des BSG nicht mehr ihre Garantiefunktion. Die Folge ist, dass diese als nicht wirksam abgegeben gilt, sodass das gesamte Quartalshonorar zu Fall kommt (vgl. hierzu grundlegend das Urteil des BSG vom 17.9.1997, 6 RKa 86/95). Mithin kann der gesamte Quartalshonorarbescheid aufgehoben werden, d.h. es kann eine sachlich-rechnerische Richtigstellung mit Folgen weit über das sonst mögliche Ausmaß hinaus erfolgen. Dies ist gerechtfertigt, denn es handelt sich durch das Vorliegen grober Fahrlässigkeit um einen atypischen Fall besonders gravierenden Fehlverhaltens. Auch die falsche grob fahrlässige Abrechnung nur einzelner GOP – hier für alle Quartale die mittlerweile unstreitige GOP 31920 – führt dazu, dass die Sammelerklärung für das entsprechende Quartal ihre Wirkung verliert und die Honorarbescheide aufgehoben werden können.
d) Ihr weites Kürzungsermessen (vgl. hierzu Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 25.3.2015, L 7 KA 19/12, juris, unter Verweis auf Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 10.10. 2007, L 7 KA 56/03, zitiert nach juris, dort
Rn. 34) im Rahmen der Neufestsetzung des Honorars hat die Beklagte nach alledem allerdings in rechtlich zu beanstandender Weise ausgeübt. Es liegt in der Natur der Sache, dass im Rahmen der Plausibilitätsprüfung anhand von Zeitprofilen nicht eindeutig feststellbar ist, welche der abgerechneten Leistungen mängelbehaftet sind, während gleichzeitig feststeht, dass die Gesamtheit der abgerechneten Leistungen so nicht erbracht worden sein kann.
aa) Bei der Berechnung der Zeitüberschreitungen als Grundlage für eine Neuberechnung des Honorars hat die Beklagte zunächst zutreffend auf die Einzelüberschreitungen der Ärzte abgestellt und eine Verrechnung der Unter- und Überschreitungen der einzelnen Ärzte – abgesehen von Vertretungen – zu Recht abgelehnt. Auffällig ist die enorme Überschreitung einzelner Ärzte mit weit über 780 Stunden im Quartal. Diese Zeiten sind plausibel durch den einzelnen Arzt nicht erbringbar, so dass eine Verrechnung schon aus tatsächlichen Gründen ausscheidet.
bb) Ebenfalls zutreffend hat die Beklagte die auf die sachlich-rechnerische Richtigstellung der GOP 31920 entfallenden Zeitanteile bei der Überschreitung nicht mehr zugrunde gelegt.
cc) Die Berechnung des Berichtigungsbetrages ist jedoch abweichend von der Auffassung der Beklagten und des SG im Hinblick auf die Anwendung des § 32 Ärzte-ZV zu beanstanden. Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV können sich Vertragsärzte bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, ist sie der KÄV anzuzeigen, § 32 Abs. 1 Satz 4 Ärzte-ZV. Die Beklagte und ihr zustimmend das SG haben für die Vertretung durch Dr. B. die Vertretungsregelung des § 32 Ärzte-ZV auf MVZ anwendbar erklärt hat. Dies hatte zur Folge, dass die über drei Monate hinausgehenden Vertretungen bei der Berechnung der Überschreitungen nicht berücksichtigt wurden.
Bei einer Vertretung innerhalb eines MVZ durch dem MVZ angehörige Ärzte handelt es sich nach Auffassung des Senats jedoch um eine „interne“ Vertretung, für die die Regelung des § 32 Ärzte-ZV nicht gilt.
Die Vertretungsregelung des § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV findet auf die in einer Berufsausübungsgemeinschaft – BAG – (vormals Gemeinschaftspraxis) tätigen Partner insoweit keine Anwendung, als die Behandlung durch einen anderen Arzt der BAG keine „Vertretung“ des Vertragsarztes darstellt. Dies hat das BSG bereits wiederholt entschieden (zuletzt BSG, Urteil vom 14.11.2011, B 6 KA 31/10 R) und entspricht auch der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, 9. Aufl. 2018, § 32 RdNr. 17; Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Komm zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, 2007, § 32 RdNr. 12; Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 20 RdNr. 6).
Das BSG hat dies damit begründet, dass die Gemeinschaftspraxis der KÄV gegenüber wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit auftritt (BSG SozR 4-1930 § 6 Nr. 1 RdNr. 14) und sich die für Vertragsärzte geltenden Vertretungsregelungen auf die Praxis als Gesamtheit beziehen (BSG MedR 1993, 279 = USK 92205 S. 1052). „Behandelnder Arzt“ in einer Gemeinschaftspraxis ist „die“ Gemeinschaft und nicht der einzelne Arzt, der ihr angehört (Wenner a.a.O. § 20 RdNr. 6). Einer Vertretung bedarf es in einer Gemeinschaftspraxis nur, wenn der Ausfall eines Partners nicht durch die weiterhin tätigen anderen Partner aufgefangen werden kann (vgl BSG MedR 1993, 279 = USK 92205 S. 1052; BSG SozR 4-1930 § 6 Nr. 1 RdNr. 14) und deshalb ein externer Arzt – evtl. Vertragsarzt – herangezogen werden muss.
Das BSG führt hierzu mit Urteil vom 14.11.2011, B 6 KA 31/10 R aus: „Gegen die Annahme eines Vertretungsfalles innerhalb einer Gemeinschaftspraxis sprechen auch praktische Erwägungen. Zum einen kommt eine Vertretung nur bei Vorliegen der in § 32 Abs. 1 Satz 2 und 3 Ärzte-ZV genannten Gründe (Urlaub, Krankheit, Fortbildung, Wehrübung und Schwangerschaft) in Betracht. Der keineswegs seltene Fall, dass Ärzte einer Gemeinschaftspraxis jeweils nur an bestimmten Wochentagen in der Praxis tätig werden (sei es, um hierdurch längere Sprechzeiten je Wochentag zu erzielen, sei es, um Zeit für andere Tätigkeiten zu haben), wird hiervon nicht erfasst. Zum anderen ist nach § 32 Abs. 1 Satz 4 Ärzte-ZV eine Vertretung der KÄV mitzuteilen, wenn sie länger als eine Woche dauert; auch gewährt § 32 Abs. 1 Satz 6 Ärzte-ZV der KÄV ein Prüfrecht, wenn die Vertretung innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraums länger als einen Monat dauert. Damit wäre der reguläre Urlaub der Gemeinschaftspraxispartner in allen Fällen anzeigepflichtig und Prüfungsgrund. All dies ist mit dem Grundgedanken einer gemeinschaftlich ausgeübten vertragsärztlichen Tätigkeit nicht vereinbar.
Dies gilt auch für fach- und versorgungsbereichsübergreifende Gemeinschaftspraxen. Die einzige Abweichung zu fachgleichen Gemeinschaftspraxen besteht darin, dass das Spektrum der vertragsärztlichen Tätigkeiten, die wechselseitig von den Partnern der Gemeinschaftspraxis wahrgenommen werden können, hier naturgemäß geringer ist. Zu beachten ist jedoch, dass fachübergreifende Gemeinschaftspraxen (jedenfalls) dann zulässig sind, sofern sich die verschiedenen Fachgebiete teilweise decken und in sinnvoller Weise für eine gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit eignen (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 47 S. 398 unter Bezugnahme auf BSGE 55, 97, 105 = SozR 5520 § 33 Nr. 1 S. 9).“
Diese Erwägungen sind auf ein MVZ – unabhängig von dessen Historie – übertragbar. Auch das MVZ rechnet unter einer eigenen Abrechnungsnummer gegenüber der KÄV ab und steht dieser als eine Rechtspersönlichkeit gegenüber. In Teilzeit tätige Ärzte, die nur an bestimmten Tagen arbeiten, sind in einem MVZ keine Seltenheit. Behandler ist nicht der einzelne Arzt, sondern das MVZ. Mehrere Arztfälle in einem MVZ stellen nur einen Behandlungsfall dar. Soweit daher bei Ausfall eines im MVZ arbeitenden Arztes ein anderer im MVZ tätiger Arzt unter Beachtung der Fachgebietsgrenzen diesen Ausfall auffängt, handelt es sich nicht um eine Vertretung nach § 32, sondern um eine MVZinterne Vertretung, für die die Regelung des § 32 Ärzte-ZV nicht gilt (so auch Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, 9. Aufl. 2018, § 32 RdNr. 17; Ladurner, 2017, Komm. zur Ärzte-ZV, § 32 RdNr. 26).
Auch mit dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 21.3.2012, B 6 KA 22/11 R kann die gegenteilige Auffassung nicht gestützt werden. Das BSG führt dort (Juris, RdNr. 27) aus, dem MVZ obliege die Überprüfung, ob für die Ärzte bereits eine Anstellungsgenehmigung vorliegt, die Organisation der Behandlungen und zB auch die Anzeige notwendiger Vertretungen bei Urlaub, Fortbildung und Krankheit, sowie weiterhin die Korrektheit der Leistungsabrechnung und die Wirtschaftlichkeit der Behandlungen und Verordnungen sowie auch die Abgabe einer wahrheitsgemäßen Abrechnungssammelerklärung. Denn § 32 Ärzte-ZV ist auch nach hiesiger Auffassung nur nicht für die MVZinterne Vertretung anwendbar. Soweit eine Vertretung aber durch nicht dem MVZ angehörige Ärzte notwendig ist – etwa, weil eine Vertretung intern wegen Überschreitung der Fachgebietsgrenzen nicht zulässig wäre – fällt eine „externe“ Vertretung in den Anwendungsbereich des § 32 Ärzte-ZV.
dd) Die vorgenannten Überlegungen bedeuten für die Berechnung der Rückforderungssumme, dass keine Beschränkung der Vertretung auf drei Monate wegen mangelnder Genehmigung anzunehmen ist, da Dr. B. die übrigen als Orthopäden vertragsärztlich zugelassenen oder angestellten Ärzte, insbesondere Frau I., ohne Rücksicht auf die Beschränkungen des § 32 Ärzte-ZV vertreten durfte. Um einen Missbrauch durch die Aufteilung der Arztstelle zu verhindern, ist aber auch bei zwei Arztstellen im Umfang von je 0,5 eine Grenze von insgesamt 780 Stunden als Obergrenze anzunehmen.
Zum Tragen kommt die vom SG abweichende Berechnung aber nur in den Quartalen 1 und 2/08, in denen nach Angabe der Klägerin Dr. B. Frau I. im Zeitraum 25.1. bis 25.5.2011 vertreten hatte. Im Quartal 1/08 beträgt die Nettoarbeitszeit für Frau I. 100,35 Stunden, im Quartal 2/08 hat sie nur wenige Leistungen abgerechnet, die nicht zeitbewertet waren. Die Nettoarbeitszeit beträgt daher für sie in diesem Quartal 0 Stunden.
Eine (zusätzliche) Berücksichtigung der Vertretung in dem Quartale 3/08 für Dr. K. kommt nicht in Betracht, da Dr. B. auch unter Berücksichtigung der Vertretung eine implausible Arbeitszeit von über 780 Stunden aufweist. Gleiches gilt für die Vertretung von dem als Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin zugelassenen Dr. K. im Quartal 1/09. Dieser Vertretung stehen zudem die Fachgebietsgrenzen entgegen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 6.12.2017, L 12 KA 132/15).
ee) Nicht zu beanstanden im Rahmen des Schätzungsermessens der Beklagte ist, dass die Beklagte die Vertretungszeiten mit lediglich 20 Stunden pro Woche angesetzt hat. Allerdings beträgt die Vertretungszeit im Quartal 2/08 mangels Begrenzung auf 3 Monate innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten nicht nur 3 Wochen, sondern vielmehr 8 Wochen (gesamter Zeitraum 1.4. bis 25.5.2008). Zusätzlich sind für den 25.1.2008 im Quartal 1/08 12 Stunden anzusetzen, neben 9 Wochen Vertretung. Die Beklagte wird ihr Berechnung entsprechend anzupassen haben.
Nicht ermessensfehlerhaft wäre auch, insgesamt bei der zulässigen Gesamtquartalszeit für beide Teilzeitkräfte von 780 Stunden auszugehen, die Dr. B. in Vertretung von Frau I. hätte ableisten dürfen, abzüglich der von Frau I. geleisteten Nettoarbeitszeit im Quartal 1/08 von 100,35 Stunden. Dies würde aber bedeuten, dass die Überschreitung der genehmigten Arbeitszeit von der Beklagten in keinster Weise berücksichtigt würde. Die Beklagte wäre zwar nicht gehindert, so zu verfahren, die Berechnung anhand der genehmigten Arbeitszeit ist aber nicht ermessensfehlerhaft.
Der Berufung war daher insoweit stattzugeben, als die Neuverbescheidung nach Auffassung des Senats zu erfolgen hat.
4) Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
5) Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 zugelassen.

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