Arbeitsrecht

Fremdenfeindliche Äußerung am Arbeitsplatz und das Erfordernis einer dringlichen Abmahnung bei Kündigung

Aktenzeichen  8 Ca 3303/15

Datum:
9.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130220
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 174, § 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1
GewO § 109
ZPO § 138 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 02.06.2015 nicht aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schichtführer weiter zu beschäftigen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung während des Arbeitsverhältnisses erstreckt, zu erteilen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 503,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.06.2015 zu zahlen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Der Streitwert wird auf € 13.400,18 festgesetzt.
7. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet und das Arbeitsgericht Nürnberg im Urteilsverfahren örtlich zuständig ( §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a und b, 46 Abs. 2 ArbGG, 12, 17 ZPO).
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Die rechtzeitig erhobene Feststellungsklage ( § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG) ist begründet.
Die Beklagte hat die fristlose Kündigung rechtzeitig innerhalb der materiellen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die fristlose Kündigung stellt das unausweichlich letztes Mittel dar, um das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. Sie greift bei schwerwiegenden Gründen durch und kommt in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen angemessenen und möglichen Mittel erschöpft sind. Das geltende Recht kennt keine absoluten Kündigungsgründe. Vielmehr bedarf es stets der Abwägung aller im Einzelfall für und gegen die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände. Der Kündigende hat den Sachverhalt, der das Arbeitsverhältnis objektiv mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet, darzulegen und zu beweisen. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ( BAG EzA Nr. 22 und 71 zu § 626 BGB Nr. 70; KR-Fischermeier, 10. Auflage, Rz. 81 und 251 zu § 626 BGB). Die Rechtsprechung prüft den wichtigen Grund abgestuft in zwei systematisch selbständigen Abschnitten. Es wird zunächst geprüft, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Sodann wird untersucht, ob bei Berücksichtigung dieser Umstände und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist ( vgl. BAG vom 07.05.1984 AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4).
Eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ist dann gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und damit rechtmäßig, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht – in der Regel schuldhaft – erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit anderer Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint. Es ist mithin ebenso zunächst zu prüfen, ob ein abstrakter Sachverhalt überhaupt geeignet ist, einen Kündigungsgund darzustellen. Der Kündigende ist für alle Umstände, die als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB oder als verhaltensbedingter Grund iSd § 1 Abs. 1 KSchG geeignet sein können, darlegungs- und beweisbelastet. Diesen Nachweis hat die Beklagte nicht erbracht. Für die Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt dann vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Aus diesem Grund setzt die Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann in der Regel davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Die Abmahnung ist insoweit notwendiger Bestandteil bei der Anwendung des Prognoseprinzips ( BAG, Urteil vom 31.05. 2007, 2 AZR 200/06- AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57; BAG, Urteil vom 12.01.2006- 2 AZR 179/05- AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54) . Sie ist zugleich auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Soweit ein steuerbares Verhalten betroffen ist, muss der Kündigung grundsätzlich eine erfolglose Abmahnung vorausgehen, es sei denn, sie ist nicht erfolgversprechend oder die Pflichtverletzung ist so schwer, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber von vornherein ausgeschlossen ist ( BAG, Urteil vom 17.06.2003 – 2 AZR 62/02). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen im Bereich der auf verhaltensbedingte Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung ( BAG Urteil vom 26.06.2008- 2 AZR 190/07- AP BGB § 626 Nr. 213; BAG, Urteil vom 19.04.2007- 2 AZR 180/06- AP BGB § 174 Nr. 20) . Nach dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Verletzung solcher vertraglicher Pflichten nach vorheriger Abmahnung grundsätzlich geeignet, die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Aber auch bei Störungen im Vertrauensbereich ist eine Abmahnung dann erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann ( BAG Eza § 626 BGB n.F. Nr. 68; KREtzel a.a.O. Rz. 425; von HoyningenHüne/Link KSchG 14. Auflage Rz.
283). Ob in Anwendung dieser Grundsätze es demnach vor Ausspruch der Kündigung einer Abmahnung bedurft hätte, kann vorliegend dahinstehen. Die Kündigung ist rechtsunwirksam und weder als fristlose noch als vorsorglich ordentliche verhaltensbedingte gerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.
Die Beklagte beruft sich zur Begründung der Kündigung darauf, dass der Kläger zwei polnische Mitarbeiter beleidigt habe. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Wortwahl „Polaken“ die der Kläger am 02.06.2015 um 6.00 Uhr morgens bei der Frühschicht an der Maschine in der Produktionshalle beleidigend gebraucht haben soll, mag nach Sachlage wohl eher als eine spontane Unmutsäußerung wegen aufkommender Verärgerung über die abwesenden polnischen Mitarbeiter schließen lassen als auf eine vorsätzliche strafbare Beleidigung dieser Personen, mit denen der Kläger nach eigener Bekundung und konkret unwidersprochen ( § 138 Abs. 3 ZPO) ein gutes Verhältnis gehabt habe. Demgegenüber hat die beweispflichtige Beklagte in keiner Weise zwingend dargetan, dass er eine gezielte abwertende Herabsetzung dieser Mitarbeiter beabsichtigte. Zwar wäre auch eine ausländerfeindliche Reaktion im Selbstgespräch in Anwesenheit anderer Personen nicht billigenswert und kann von einem fürsorglichen Arbeitgeber im Allgemeinen und der Beklagten im Hinblick auf die Verpflichtungserklärung in Ziffer 7 AVE nicht toleriert werden. Ihr kommt aber vorliegend unter Berücksichtigung des Einzelfalles nicht das Gewicht einer bewussten abwertenden Äußerung zu, die „ein Betriebsklima und der Nährboden für Fremdenfeindlichkeit“ schafft. Dafür spricht auch nicht die bestrittene unsubstanziierte Behauptung der Beklagten, dass der Kläger im Juni 2013 einen dunkelhäutigen Mitarbeiter als „Baumwollzupfer“ bezeichnet habe. Auch die Annahme, dass verbale Attacken auf Mitarbeiter eine Grundhaltung des Klägers dokumentieren würden, erscheint ohne weiteren Tatsachenvortrag nicht überzeugend, zumal die Beklagte, sich selbst dazu in Widerspruch setzend, den Kläger ab dem 07.01.2015 sogar zum Schichtführer für 10-15 Mitarbeiter beförderte und damit gerade seine Verlässlichkeit anerkannte. Der Vorfall vom 02.06.2015 erscheint, selbst unterstellt er habe sich genau wie von der Beklagten geschildert zugetragen, erscheint daher nicht so schwerwiegend, dass er eine fristlose oder verhaltensbedingte fristgerechte Kündigung rechtfertigen könnte. Eine ein dringliche Abmahnung hätte dem Verhalten des Klägers nach dem das Kündigungsrecht beherrschenden ultimaratio- Grundsatz hinreichend Rechnung getragen und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Genüge getan.
Die zulässiger Weise vom Prokuristen Bernd Schreiner ausgesprochene Kündigung ( BAG, Urteil vom 11.07.1991, Az.: 2 AZR 107/91 = AP Nr. 9 zu § 174 BGB; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl., § 123 Rn. 22) erweist sich somit als rechtsunwirksam. Der Kündigungsschutzklage war daher stattzugeben.
Nach alldem ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zur Rechtskraft zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Einzelhandelskaufmann weiter zu beschäftigen. Gemäß der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts ( BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) hat ein Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits einen Beschäftigungsanspruch, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf entsprechende Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hin feststellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst ist. Besondere Umstände, die ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung begründen könnten, hat die Beklagte nicht dargetan.
Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung zumindest eines ( Zwischen-) Zeugnisses. Diesen Anspruch ( § 109 GewO bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. als sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Nebenpflicht des Arbeitgebers) hat die Beklagte nicht bestritten.
Der Kläger hat weiter Anspruch auf Zahlung von 505,03 € brutto für 34,15 Stunden Guthaben aus dem Arbeitszeitkonto ausweislich der Lohnabrechnung Mai 2015 in rechnerisch unstreitiger Höhe ( § 138 Abs. 3 ZPO). Die Erfüllung ( § 362 Abs. 1 BGB) des nicht fälligen und damit nicht nach § 19 AV verfallenen Anspruchs ist von der insoweit beweispflichtigen Beklagten nicht nachgewiesen.
Nach alldem war der Klage vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 42 Abs. 2 GKG, 495, 3ff. ZPO. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist zusätzlich mit einem Monatsgehalt zu berücksichtigen. Der Streitwert für die Forderungsklage richtet sich nach dem Wert der eingeklagten Forderungen.
Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da diese bereits nach allgemeinen Vorschriften eingelegt werden kann ( § 64 Abs. 2 c ArbGG).

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