Verwaltungsrecht

Folgeantrag – Kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens – Psychische Erkrankung

Aktenzeichen  M 24 S 16.31643

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
AsylG AsylG § 71
VwVfG VwVfG § 51
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Es bestehen Zweifel an der für eine belastbare Diagnostik erforderlichen fachlichen Qualifikation des Verfassers eines psychologischen Attestes, der sich als „Primär- und Traumatherapeut, Psychotherapie und Heilpraktiker“ bezeichnet. Im Übrigen lässt sich dem psychologischen Attest nicht entnehmen, weshalb eine Behandlung der Antragstellerin in Mazedonien nicht möglich sein sollte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die am … 1973 geborene Antragstellerin ist ihren Angaben im Asylverfahren zufolge mazedonische Staatsangehörige islamischen Glaubens.
Ihre in der Vergangenheit gestellten Asylanträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom … Oktober 2012 und … Oktober 2014 unter Androhung der Abschiebung nach Mazedonien unanfechtbar abgelehnt.
Am … Oktober 2015 beantragte die Antragstellerin erneut ihre Anerkennung als Asylberechtigter. Hierzu gab sie an, dass sie sich bereits seit einem Jahr in Deutschland aufhalte. Sie sei erneut nach Deutschland gekommen, weil ihre Kinder hier leben würden. Neue Beweismittel oder Dokumente könne sie nicht vorlegen.
Mit Schreiben vom … Dezember 2015 legte die Zustellungsbevollmächtigte der Antragstellerin ein psychologisches Attest eines „Primär- und Traumatherapeuten, Heilpraktikers und Psychotherapie“ vom … November 2015 vor, wonach die Antragstellerin seit der Scheidung von ihrem Ehemann in permanenter nervlicher Überanstrengung lebe. Sie leide an einer Belastungsstörung bis beginnender Burn-Out, mittlere bis schwere Depression mit gelegentlichen Halluzinationen und Benzodiazepin-Abhängigkeit.
Mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … Februar 2016 wurde der Antragstellerin als künftiger Wohnsitz die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung … in … zugewiesen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen diese Zuweisungsentscheidung erhobenen Klage wurde mit Beschluss vom … Juni 2016 (…) abgelehnt.
Mit Bescheid vom … Mai 2016 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom … Oktober 2014 (Az. …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Nr. 2) ab. Zugleich wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 3) und gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4) befristet.
Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Gründe, die unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Die Antragstellerin habe bei der schriftlichen Antragstellung keine krankheitsbedingten Asylgründe erwähnt, geschweige denn ein Attest eines behandelnden Psychiaters oder eine ärztliche Bescheinigung eines Facharztes in Deutschland über ihren Gesundheitszustand vorgelegt. Es sei bei der Antragstellerin nicht erkennbar, dass sich der Gesundheitszustand bei Rückkehr nach Mazedonien wesentlich oder lebensbedrohlich verändern würde, weil für die Erkrankung eine erforderliche medizinische Behandlung nicht gewährleistet wäre oder aus finanziellen Gründen scheitern könnte. Des Weiteren sei nicht nachvollziehbar, warum die Antragstellerin – trotz ihres Aufenthaltes in Deutschland seit Oktober 2015 – bisher keinen Facharzt aufgesucht habe. Dies führe zu dem Schluss, dass es sich bei der Erkrankung um keine solche handele, die eine erhebliche Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG beinhalte. Vom Erlass einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wurde gemäß § 71 Abs. 5 des Asylgesetzes (AsylG) abgesehen.
Dieser Bescheid wurde der Zustellungsbevollmächtigten der Antragstellerin am 22. Juni 2016 zugestellt.
Am … Juli 2016 erhob die Antragstellerin durch ihre Zustellungsbevollmächtigte Klage und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom … Juni 2016, zugestellt am … Juni 2016, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG bei der Klägerin festzustellen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei der Klägerin festzustellen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom … Juni 2016 wird angeordnet.
Am … Juli 2016 und am … Juli 2016 übersandte die Antragsgegnerin die Behördenakte zum Asylfolgeverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens des Antragstellers (M 24 S 16.31643 und M 24 K 16.331642) und die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
1. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz örtlich zuständig (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO), auch wenn die Antragstellerin noch im Regierungsbezirk … wohnhaft ist. Denn sie hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG -) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz aufgrund der Zuweisungsentscheidung vom … Februar 2016 im Regierungsbezirk Oberbayern …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen. Zur Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
2. Der streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom … Mai 2016 enthält keine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, hinsichtlich derer die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden könnte. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom … Juni 2016 anzuordnen, ist demzufolge bereits unzulässig.
3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen, wäre der statthafte Rechtsbehelf, um das Ziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, zu erreichen (§ 123 Abs. 5 VwGO).
Eine Auslegung (§ 88 VwGO) des ausdrücklich als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrags zugunsten der Antragstellerin als einen solchen nach § 123 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht, weil auch ein Antrag nach § 123 VwGO in der Sache keinen Erfolg hätte.
Die Antragstellerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Anordnungsanspruch ist der materiellrechtliche Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend zu machen ist und der im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig gesichert oder geregelt werden soll. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. § 71 Abs. 1, § 13 Abs. 2 AsylG) oder auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat.
3.1. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hat.
§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt unter anderem, dass im Falle eines Folgeantrags nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asyl(erst)antrages ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG verpflichtet den Ausländer zu Angaben über seine Anschrift sowie zu Tatsachen und Beweismitteln, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG ergibt.
Gemäß § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG sind die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Zwar befassen sich §§ 34, 35 und 36 AsylG mit Fällen der Abschiebungsandrohung, die im streitgegenständlichen Bescheid im Hinblick auf § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG gerade nicht ausgesprochen worden ist. Die entsprechende Anwendung ist in solchen Fällen aber gleichwohl im Hinblick auf § 36 Abs. 4 AsylG insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber dadurch den Maßstab der gerichtlichen Prüfung spezialgesetzlich vorgegeben hat. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22).
Der Vortrag der Antragstellerin, sie sei erneut nach Deutschland gekommen, weil ihre Kinder hier leben würden, enthält keine Angaben, die darauf schließen lassen, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 und 3 AsylG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind. Neue Beweismittel oder Dokumente, die belegen könnten, dass ihr im Herkunftsland Gefahren drohen würden, wurden nicht vorgelegt. Es fehlt somit an einem glaubhaften Vortrag der Antragstellerin, dass Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf seine Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung internationalen Schutzes (vgl. § 13 Abs. 2, § 1 Abs. 1 AsylG, § 3 ff. AsylG) vorliegen.
3.2. Auch im Hinblick auf die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat.
Hat das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Befassung mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erst dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (vgl. BVerwG, U. v. 21.03.2000 – 9 C 41/99 – juris Rn. 9; BVerwG, B. v. 15.01.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das Bundesamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG vom 15.01.2001, a.a.O, Rn. 5).
Auch in Bezug auf § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist das Bundesamt in seinem Bescheid vom … Mai 2016 zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Eine maßgebliche Änderung oder Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland gegenüber dem vorherigen Asylfolgeantrag wurde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
Das Bundesamt lehnte es auch ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) ab, die bestandskräftige frühere Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten zurückzunehmen oder zu widerrufen (vgl. § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG). Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfordern würden, sind nicht ersichtlich.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem psychologischen Attest vom … November 2015. Insoweit bestehen bereits Zweifel an der für eine belastbare Diagnostik erforderlichen fachlichen Qualifikation des Verfassers des psychologischen Attestes, der sich als „Primär- und Traumatherapeut, Psychotherapie und Heilpraktiker“ bezeichnet. Zur Diagnostik psychischer Erkrankungen befugt sind neben Fachärzten nur approbierte Psychologische Psychotherapeuten (vgl. BayVGH, B. v. 28.7.2015 – 13a /B 15.30073 – juris Rn. 8). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verfasser des psychologischen Attestes über eine entsprechende Approbation verfügt. Im Übrigen lässt sich dem psychologischen Attest nicht entnehmen, weshalb eine Behandlung der Antragstellerin in ihrem Heimatland nicht möglich sein sollte.
Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 23. Mai 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Der Antrag ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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