Europarecht

Soldatenrecht – Rückforderung von Ausbildungskosten durch öffentlich zugestellten Bescheid

Aktenzeichen  6 ZB 15.20

Datum:
2.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50133
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZG aF § 15 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 S. 2
SG § 49 Abs. 4
BGB § 162, § 242
WehrPflG § 3 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2
ZDG § 23 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die öffentliche Zustellung des Leistungsbescheids wirksam war, da die Beklagte ihren Ermittlungspflichten genügt hat.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Behörde genügt ihrer Prüfungspflicht in aller Regel, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch das Einwohnermeldeamt oder die Polizei zu ermitteln und sich gegebenenfalls bei einem Bevollmächtigten erkundigt. Darf die Behörde davon ausgehen, dass sich der Adressat in einem bestimmten ausländischen Staat aufhält, ohne dessen dortige Adresse zu kennen, muss sie im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts versuchen, die gültige ausländische Adresse im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches zu ermitteln. Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung auf diesem Wege nicht möglich oder fehlgeschlagen ist, darf die Behörde zur öffentlichen Zustellung übergehen (Bestätigung BFH NVwZ 2010, 1384). (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Beklagte kann sich zudem nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht darauf berufen, dass ihm der Rückforderungsbescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden sei. Dies erwiese sich vielmehr als unzulässige Rechtsausübung, weil er die Zustellung des Bescheids unter Verstoß gegen seine wehrrechtlichen bzw. zivildienstrechtlichen Melde- und Mitwirkungspflichten schuldhaft vereitelt hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 12.1616 2014-11-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. November 2014 – M 21 K 12.1616 – wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 94.589 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. November 2014 bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich aus den Darlegungen des Klägers nicht.
Solche Zweifel sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel.
Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Leistungsbescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 18. Juli 2002, mit dem die Kosten einer militärfachlichen Ausbildung des Klägers zum Luftfahrzeugführer nach dessen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und der darauf folgenden Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Berufssoldaten gemäß § 49 Abs. 4 Satz 1 SG teilweise von diesem zurückgefordert wurden, zu Recht als unzulässig angesehen, weil sie nicht rechtzeitig erhoben wurde.
a) Der Kläger meint, der Leistungsbescheid sei nicht wirksam geworden, da es an einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe gemangelt habe. Die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung im Jahr 2002 hätten nicht vorgelegen, da die Beklagte keine hinreichenden Bemühungen an den Tag gelegt hätte, den Wohnsitz des Klägers zu ermitteln.
Aus diesem Vortrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die öffentliche Zustellung des Leistungsbescheids wirksam war. Die Beklagte hat ihren Ermittlungspflichten entgegen der Auffassung des Klägers genügt. Zwar ist die Zustellungsfiktion des § 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 25.6.2001, BGBl I S. 1206, nunmehr § 10 VwZG) wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist, weshalb § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG 2001 voraussetzt, dass nicht nur die betreffende Behörde die Anschrift nicht kennt, sondern der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers allgemein unbekannt ist (vgl. Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 7). Die öffentliche Zustellung ist somit grundsätzlich nur als „letztes Mittel“ zulässig, d. h. wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. BFH, U.v. 13.1.2005 – V R 44/03 – juris Rn. 16 m. w. N.).
Die Anforderungen an die Behörde dürfen jedoch im Einzelfall nicht überspannt werden. Unzumutbare Anforderungen sind an den Zustellenden nicht zu stellen. Es genügt der Nachweis, dass dieser alle der Sache nach möglichen und geeigneten Nachforschungen angestellt hat. Die Behörde genügt ihrer Prüfungspflicht in aller Regel, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch das Einwohnermeldeamt oder die Polizei zu ermitteln und sich gegebenenfalls bei einem Bevollmächtigten erkundigt (vgl. BFH, U.v. 13.1.2005, a. a. O. Rn. 17 m. w. N.). Darf die Behörde davon ausgehen, dass sich der Adressat in einem bestimmten ausländischen Staat aufhält, ohne dessen dortige Adresse zu kennen, muss sie im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts versuchen, die gültige ausländische Adresse im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches zu ermitteln. Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung auf diesem Wege nicht möglich oder fehlgeschlagen ist, darf die Behörde zur öffentlichen Zustellung übergehen (BFH, U.v. 9.12.2009 – X R 54/06 – NVwZ 2010, 1384).
Nach diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die öffentliche Zustellung wirksam war. Dieser Bewertung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Entlassungsverfügung mitsamt der Belehrung über die Pflichten nach der Entlassung aus der Bundeswehr sowie über die aus § 49 Abs. 4 SG folgende Kostenerstattungspflicht konnte dem Kläger laut Aktenvermerk vom 6. Juni 2000 nicht bei seiner Einheit in W. übergeben werden, weil er sich nach Auskunft des OLt M. „vorübergehend an einem nicht bekannten Ort im Ausland“ befinden sollte. Aufgrund dessen wurde die Entlassungsverfügung am 29. Mai 2000 an die im Kriegsdienstverweigerungsverfahren als Bevollmächtigte des Klägers aufgetretene Kanzlei zugestellt, die diese Unterlagen laut Mitteilung von Rechtsanwalt W. vom 2. Juni 2000 auch an den Kläger weitergeleitet hatte. Auf die telefonische Frage des Personalamts der Bundeswehr am 10. Juli 2000 nach der aktuellen Adresse des Klägers teilte Rechtsanwalt W. jedoch mit Schreiben vom 7. August 2000 mit, dass die Kanzlei vom Kläger für das Rückforderungsverfahren nicht bevollmächtigt worden sei. Eine aktuelle Anschrift sei leider nicht bekannt. Letzteres erscheint allerdings rückblickend wenig nachvollziehbar, weil die Kanzlei dem Kläger nur wenige Wochen zuvor im Juni 2000 die Entlassungsunterlagen offensichtlich zu einem Zeitpunkt erfolgreich weitergeleitet hatte, an dem dieser nach eigenen Angaben bereits seit einem Monat in H. wohnhaft war.
Daraufhin wurde seitens des Bundesministeriums der Verteidigung zunächst versucht, das Anhörungsschreiben vom 16. August 2000 zur beabsichtigten Rückforderung der Ausbildungskosten nach § 49 Abs. 4 Satz 1 SG dem Kläger an dessen zuletzt bekannter Wohnadresse zuzustellen. Dieses Schreiben kam mit dem Postvermerk „unbekannt verzogen“ zurück. Die Anfrage beim zuständigen Einwohnermeldeamt ergab, dass der Kläger sich dort zum 1. Februar 2000 an eine Adresse in C. (Kanada) abgemeldet hatte. Die Zustellung des Schreibens an diese Adresse in Kanada scheiterte jedoch ebenfalls und konnte in der Folgezeit auch unter Zuhilfenahme des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Vancouver nicht erfolgreich durchgeführt werden, da die vom Kläger angegebene Anschrift in der kanadischen Provinzhauptstadt C. nicht existierte und der Wohnsitz des Klägers in Kanada nicht zu ermitteln war.
Zu weiteren Ermittlungen war die Beklagte nicht verpflichtet. Soweit der Kläger einwendet, allein die ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt des letzten Wohnsitzes genüge in der Regel nicht, verkennt er, dass sich die Ermittlungsbemühungen der Beklagten – wie oben ausgeführt – gerade nicht auf die Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Samtgemeinde S. beschränkt haben. Im Übrigen ist es auch nicht von Belang, dass evtl. (irgend-)ein Angehöriger oder Bekannter den Aufenthaltsort des Empfängers kennt; dies reicht nicht aus, um das Vorliegen der Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung in Frage zu stellen, denn die Möglichkeit, dass der Aufenthaltsort einer Person irgendjemandem bekannt ist, liegt stets vor (BFH, U.v. 13.1.2005, a.a.O Rn. 17).
Davon unabhängig hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auch zu Recht ausgeführt, dass es aufgrund einer Zusammenschau der dargelegten Umstände unbillig und ungerechtfertigt wäre, weitere besonders eingehende Ermittlungen der Beklagten zu fordern, da vorliegend hinreichende Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger seine späteren Wohnsitze in Deutschland vor der Beklagten verheimlichen wollte, um die zu erwartende Zustellung des Rückforderungsbescheids an ihn zu verhindern. Hierfür spricht nicht nur die Tatsache, dass der Kläger seinen angeblichen Irrtum bei der Angabe einer falschen Wohnanschrift in Kanada nicht umgehend nach seiner Ankunft in Kanada durch eine entsprechende Mitteilung an das Einwohnermeldeamt korrigiert hat, sondern auch die extrem kurze Verweildauer dort, die der Kläger im Übrigen auch in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht nachvollziehbar erklären konnte: Es erscheint wenig nachvollziehbar, dass sich ein 27-jähriger Bundeswehrpilot ohne die dafür erforderliche Genehmigung ins Ausland abmeldet, angeblich um dort als Pilot in der zivilen Luftfahrt zu arbeiten, ohne dass er sich zuvor genau nach den dortigen Einstellungsvoraussetzungen erkundigt hätte. Erneute Nachforschungen der Beklagten waren auch nicht etwa deshalb erforderlich, weil – wie vom Kläger geltend gemacht – zwischen den ersten Zustellbemühungen der Beklagten hinsichtlich des Anhörungsschreibens und der öffentlichen Zustellung des Leistungsbescheids ein längerer Zeitraum liegt. Denn es haben sich bis zum Erlass des Rückforderungsbescheids im Juli 2002 für die Beklagte keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger sich inzwischen wieder in Deutschland aufhalten könnte.
b) Selbst wenn man aber mit dem Kläger davon ausgehen würde, dass die Beklagte die zur Verfügung stehenden Mittel zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Klägers nicht voll ausgeschöpft hätte und daher die Bekanntgabe des Leistungsbescheids durch die öffentliche Zustellung an den Kläger nicht wirksam erfolgt wäre, könnte sich dieser nach den anerkanntermaßen auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben darauf nicht berufen. Seine Rüge, der Rückforderungsbescheid sei ihm nicht wirksam bekannt gegeben worden, erwiese sich dann vielmehr als unzulässige Rechtsausübung, weil er die Zustellung des Bescheids unter Verstoß gegen seine wehrrechtlichen bzw. zivildienstrechtlichen Melde- und Mitwirkungspflichten schuldhaft vereitelt hat (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.1990 – 8 C 22/89 – BVerwGE 85, 213 bis 220).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung und auch im Schrifttum ist seit langem anerkannt, dass (nicht nur eine verspätet zugegangene, sondern auch) eine (überhaupt) nicht in den Empfangsbereich des Adressaten gelangte empfangsbedürftige Willenserklärung im Falle einer schuldhaften Vereitelung des Zugangs durch den Erklärungsempfänger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausnahmsweise als (gegebenenfalls rechtzeitig) zugegangen angesehen werden kann. Zwar besteht keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen zu treffen. Im Einzelfall kann sich jedoch aus besonderen – gesetzlichen oder vertraglichen – Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und dem Adressaten ergeben, dass dieser sich zum Empfang von Erklärungen bereithalten und bei einem schuldhaften Verstoß gegen jene Vorsorgepflicht nach den Rechtsgrundsätzen der §§ 162, 242 BGB so behandeln lassen muss, als sei ihm die Erklärung wie im Falle seines pflichtgemäßen Verhaltens zugegangen (BVerwG, U.v. 29.6.1990, a. a. O., m. w. N.). So verhält es sich hier.
aa) Der Kläger unterlag als Berufssoldat gemäß § 3 Abs. 2, § 24 Abs. 1 Satz 1 WehrpflG bis zu seiner Entlassung aus der Bundeswehr der Wehrüberwachung bzw. nach seiner Entlassung der Zivildienstüberwachung gemäß § 23 Abs. 1 ZDG, wonach er kraft ausdrücklichen gesetzlichen Gebots jede Änderung seines ständigen Aufenthalts oder seiner Wohnung binnen einer Woche der zuständigen Wehrersatzbehörde bzw. Zivildienstbehörde seines Weg- und Zuzugsorts zu melden hatte, es sei denn, er sei innerhalb dieser Frist seiner Anmelde- oder Abmeldepflicht nach den Landesgesetzen über das Meldewesen nachgekommen.
Seinen melderechtlichen An- und Abmeldepflichten ist der Kläger vorliegend aber vor Übersiedelung nach Kanada nicht nachgekommen, da er bei dem Einwohnermeldeamt seines bisherigen Wohnsitzes eine nicht existierende Adresse in Kanada als nächste Wohnortadresse angegeben hatte. Dass die Meldepflichten mit falschen Angaben nicht erfüllt werden können, versteht sich von selbst. Die Ausführungen des Klägers, er habe beim Einwohnermeldeamt die nach seinem Kenntnisstand korrekte kanadische Adresse angegeben, ändert daran nichts, insbesondere weil er diesen Fehler weder umgehend korrigiert hatte, nachdem er nach Ankunft in Kanada seinen Irrtum bemerkt haben musste, noch seine erste erneute Inlandsadresse beim Einwohnermeldeamt der Samtgemeinde S. mitgeteilt hat, um so die bei Ummeldungen im Inland gegebene Nachvollziehbarkeit der „Wohnsitzkette“ wiederherzustellen.
Die spätere Anmeldung seiner Wohnsitznahme in M. bzw. H. bei dem jeweils zuständigen Einwohnermeldeamt (nach seiner Wiedereinreise aus Kanada) kann über diese objektive Pflichtverletzung nicht hinweghelfen.
bb) Des Weiteren hat der Kläger seine aus § 3 Abs. 2 Satz 1 WehrpflG folgende Pflicht verletzt, vor seiner Auswanderung nach Kanada (1.2.2000) eine Genehmigung seiner Einheit/Dienststelle einzuholen, nachdem er nach seinem Vortrag den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes länger als drei Monate verlassen wollte. Eine etwaige Suspendierung vom Waffendienst änderte an dieser Pflicht nichts. Denn während einer Suspendierung ruht lediglich die Dienstleistungspflicht des Soldaten. Seine übrigen Pflichten bestehen fort. Auch diese Pflichtverletzung hatte zur Folge, dass der Beklagten der Wohnsitz des Klägers nicht bekannt war.
cc) Nach einem zusätzlichen eindeutigen Gesetzesbefehl hatte der Kläger darüber hinaus Vorsorge zu treffen, dass Mitteilungen der Wehrersatzbehörden bzw. der Zivildienstbehörde ihn unverzüglich erreichten (§ 24 Abs. 6 Nr. 2 WehrpflG, § 23 Abs. 2 Satz 3 ZDG).
Auch gegen diese Pflicht hat der Kläger verstoßen, weil er nicht dafür Sorge getragen hat, dass an die bis zum 1. Februar 2000 gültige Anschrift adressierte Post ihn auch dann noch erreichen konnte, als er nach seinem Aufenthalt in Kanada wieder in Deutschland einen Wohnsitz angemeldet hatte. Gerade weil der Kläger durch die ihm über seine damaligen und heutigen Bevollmächtigten übermittelten Entlassungsunterlagen darüber informiert war, dass die Beklagte ihm in absehbarer Zeit als Folge der Entlassung einen gesonderten Leistungsbescheid über die gemäß § 49 Abs. 4 SG zu erstattenden Kosten seiner Fachausbildung zustellen würde, hat sich die Pflicht des § 24 Abs. 6 WehrpflG bzw. § 23 Abs. 2 ZDG in besonderer Weise konkretisiert und verdichtet. Vorliegend hätte der Kläger z. B. einen Nachsendeantrag bei der Deutschen Post AG stellen können, Bekannte oder Nachbarn darum bitten können, dass ihm noch an die alte Adresse eingehende Post unverzüglich übermittelt würde oder dem Dienstherrn bzw. dem Bundesamt direkt die Anschriftenänderung mitteilen können. Er hätte sogar eine relativ einfache Vorsorgemaßnahme treffen können: nachdem er bereits im Entlassungsverfahren einen Bevollmächtigten eingeschaltet hatte, wäre es am zweckmäßigsten und einfachsten gewesen, diesem Prozessbevollmächtigten alle Mitteilungen der Beklagten zustellen zu lassen. Dies hat er jedoch offensichtlich nicht getan. Vielmehr ist auch in der Zusammenschau mit den oben beschriebenen Umständen durchaus die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger die Weitergabe seiner Anschrift durch seine Bevollmächtigten trotz seiner Vorsorgeverpflichtung ausdrücklich nicht wollte.
Es ist dem Verwaltungsgericht nach alledem darin zuzustimmen, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, sich vor jeder weiteren Zustellung an den Kläger erneut etwa durch Nachfrage bei (verschiedenen?) Einwohnermeldeämtern oder gar Verwandten oder ehemaligen Kameraden zu vergewissern, ob er inzwischen wieder irgendwo in der Bundesrepublik Deutschland einen Wohnsitz angemeldet haben könnte. Die Vorschriften der Wehrüberwachung bzw. der Zivildienstüberwachung verpflichten gerade den Wehrpflichtigen bzw. Zivildienstpflichtigen, der seine konkrete Lebenssituation am besten kennt, zu vorgenannten Vorsorge- und Mitteilungspflichten. Diese dienen dazu, der Bundeswehr ihre Aufgabenerfüllung zu ermöglichen, was nur dann zu erreichen ist, wenn ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent bzw. erreichbar sind. Die Bundeswehr soll damit von der nicht praktikablen Obliegenheit freigestellt werden, selbst Nachforschungen nach der aktuellen Anschrift von Soldaten bzw. Wehrpflichtigen anstellen zu müssen.
Da der Kläger gegen sämtliche bezeichneten wehrrechtlichen bzw. zivildienstrechtlichen Pflichten verstoßen und dadurch, dass er die ihm von Rechts wegen obliegende Vorsorge für seine jederzeitige Erreichbarkeit auf dem Postwege nicht getroffen hatte, eine Bekanntgabe des Rückforderungsbescheids treuwidrig vereitelt hat, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm der Leistungsbescheid wie im Falle seines pflichtgemäßen Verhaltens zugegangen. Eines zielgerichteten Verhaltens des Klägers, die Zustellung gerade dieses Rückforderungsbescheids zu verhindern, bedarf es hierbei nicht. Namentlich setzt der Tatbestand des § 162 Abs. 1 BGB nicht die Absicht des Handelnden oder (zum Handeln verpflichteten) Unterlassenden voraus, den Eintritt der Bedingung zu vereiteln. Ebenso wenig ist Vorsatz erforderlich. Verstöße gegen die in den §§ 162 Abs. 1, 242 BGB niedergelegten allgemeinen Gebote von Treu und Glauben können vielmehr auch fahrlässig erfolgen (vgl. BGH, U.v. 13.2.1989 – II ZR 110/88 – NJW-RR 1989, 802 m. w. N.).
Auch ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO kann nicht mit Erfolg gerügt werden, wenn das rechtliche Gehör nur deshalb nicht wirksam gewährt werden konnte, weil der Betroffene seinen gesetzlichen Mitwirkungspflichten – namentlich der Obliegenheit, sich auf dem Postwege erreichbar zu halten – nicht nachgekommen ist (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1983 – 9 B 10275.83 – Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 9 S. 1 – 4).
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
Voraussetzung für die Zulassung nach dieser Vorschrift ist, dass der Kläger mit seinen Angriffen gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Fragen aufwirft, die von solcher Schwierigkeit sind, dass sich die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht im Zulassungsverfahren, sondern erst im Rechtsmittelverfahren selbst klären und entscheiden lassen. Unabhängig davon, dass vorliegend der vom Kläger hierzu ins Feld geführte „erhöhte Begründungsaufwand“ im Urteil nicht ersichtlich ist, ergäben sich daraus allein jedenfalls keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Sache. Der Sachverhalt ist überschaubar und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen lassen sich ohne weiteres anhand der anzuwendenden Rechtvorschriften und der höchstrichterlichen Rechtsprechung klären.
3. Der Rechtssache fehlt auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen sind, soweit sie überhaupt einer über die Umstände des Einzelfalls hinausgehenden Klärung zugänglich sein sollten, entweder nicht entscheidungserheblich oder lassen sich bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten, ohne dass hierfür ein Berufungsverfahren nötig wäre. Weder die Frage, „ob aus dem bloßen Umstand, dass ein ehemaliger Soldat, der möglicherweise nach seiner noch nicht erfolgten Entlassung seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt und die angegebene Adresse sich als fehlerhaft erweist, auf eine Auslandsflucht mit allen Konsequenzen geschlossen werden kann“ noch die Frage, „ob eine Behörde bei einem gescheiterten Zustellversuch in einer anderen Angelegenheit bei der späteren Angelegenheit keinerlei Aufklärungspflichten mehr bzgl. des Wohnsitzes des Betroffenen mehr hat“, ist vorliegend entscheidungserheblich. Der Kläger übersieht dabei die Folgen der bestehenden gesetzlichen Melde- und Vorsorgepflichten eines Berufssoldaten, der er sowohl zum Zeitpunkt der Abmeldung nach Kanada (1.2.2000) als auch zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Deutschland (1.3.2000) und auch bei seiner Übersiedlung nach H. zum 1. Mai 2000 noch war, nachdem er erst mit Ablauf des 29. Mai 2000 aus dem Dienstverhältnis eines Berufssoldaten entlassen worden ist.
Die gesetzlichen Melde- und Vorsorgepflichten eines Berufssoldaten werden auch nicht durch eine etwaige Fürsorgepflicht der Bundeswehr gegenüber ihren Soldaten ausgehebelt, so dass auch die dritte in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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