Verwaltungsrecht

Beseitigungsanordnung für einen an einer Zaunanlage angebrachten Stacheldraht

Aktenzeichen  M 11 K 15.2011

Datum:
28.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Die Anbringung eines Stacheldrahts an einen Zaun kann zwar grundsätzlich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen. Sind die Dornen eines an einem Zaun angebrachten Stacheldrahtes aber stumpf und nicht geeignet, selbst bei kräftigem Körperkontakt auch nur ansatzweise Verletzungen zu verursachen, weist er keine nennenswerte Gefährlichkeit auf, weshalb eine Beseitigungsanordnung im Wege der Bauaufsicht nicht in Betracht kommt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 21. April 2015 wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Dabei legt das Gericht den vom Klägerbevollmächtigten gestellten Antrag so aus, dass nur die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids beantragt ist (vgl. die Antragstellung des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, S. 3 des Sitzungsprotokolls), nicht dagegen, das zusätzlich noch der Antrag gestellt sein soll, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt wird (vgl. den Klageschriftsatz vom 20. Mai 2015), was seit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens für Fälle wie den vorliegenden seit dem 1. Juli 2007 nicht mehr zulässig ist; Kosten eines Vorverfahrens i. S. v. § 162 Abs. 1 VwGO können nur dort entstehen, wo ein solches Vorverfahren geschwebt hat, was hier nicht der Fall ist, § 68 Abs. 1 Satz 2 Einleitungssatz VwGO i. V. m. Art. 15 Abs. 2 AGVwGO.
Die Klage ist begründet. Die Beseitigungsanordnung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 76 Satz 1 BayBO.
Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichteten oder geänderten Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Beseitigungsanordnung gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO setzt dabei grundsätzlich die formelle und materielle Rechtswidrigkeit der jeweiligen Anlage voraus (BVerwG, U. v. 10.12.1982 – 4 C 52/78 -, juris Rn. 13; BayVGH, B. v. 20.01.2003 – 20 ZB 99.3616 -, juris Rn. 3; Decker in: Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 79 m. w. N.). Das heißt, eine genehmigungsbedürftige Anlage ist dann im Sinne von Art. 76 Satz 1 BayBO im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, wenn sie ohne die hierfür erforderliche Baugenehmigung errichtet oder geändert wurde und sie gleichzeitig auch so wie sie errichtet oder geändert wurde nicht (nachträglich) genehmigungsfähig ist. Ob eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde über die Beseitigungsanordnung (vgl. nur BayVGH, U. v. 17.10.2006 – 1 B 05.1429 -, juris Rn. 24). Im Falle einer verfahrensfreien baulichen Anlage wie hier (Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a BayBO), bei der es naturgemäß keine sog. formelle Illegalität geben kann, kommt es nur darauf an, ob die bauliche Anlage materiell illegal ist.
Das ist nicht der Fall. Als Vorschrift, gegen die der mit dem Stacheldraht umwickelte Zaun verstoßen soll, ist vom Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid Art. 3 BayBO angegeben. Eine andere öffentlich-rechtliche Vorschrift, zu der der mit dem Stacheldraht umwickelte Zaun in Widerspruch stehen könnte, gibt es nicht, insbesondere existiert in der Gemeinde … keine örtliche Bauvorschrift, die das Anbringen eines Stacheldrahts in einen Zaun verbieten würde.
Ein Widerspruch zu Art. 3 BayBO liegt jedoch nicht vor. Gemäß dem hier in Betracht kommenden Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind Anlagen unter Berücksichtigung der Belange der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.
Die vom Landratsamt geltend gemachte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit liegt nicht vor. Zwar ist dem Landratsamt im Grundsatz darin Recht zu geben, dass die Anbringung eines Stacheldrahts an einen Zaun eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen kann. Wegen der Beschaffenheit des hier von der Klägerin angebrachten Stacheldrahts ist das im zu beurteilenden konkreten Einzelfall aber hier nicht so. Sowohl aus den vom Landratsamt vorgelegten Lichtbildern als auch aus den Feststellungen im gerichtlichen Augenscheinstermin ergibt sich, dass der konkret von der Klägerin verwendete Stacheldraht keine nennenswerte Gefährlichkeit aufweist. Die Dornen des Stacheldrahts sind tatsächlich stumpf und nicht geeignet, selbst bei kräftigem Körperkontakt auch nur ansatzweise Verletzungen zu verursachen. Dabei kommt es auf die von der Klägerin aufgesteckten grünen Styroporkugeln, die ohne weiteres ohne Kraftaufwand entfernt werden können, nicht an. Denn auch nach Entfernung der Styroporkugeln bleibt beispielsweise eine Fingerkuppe, selbst wenn man sie mit erheblichem Kraftaufwand auf eine Dorne drückt, völlig unverletzt. Auch eine Verletzung von Passanten oder spielenden Kindern, die zufällig gegen den Zaun stoßen, ist praktisch nicht vorstellbar, zumal die Dornen nicht besonders abstehen; jedenfalls sind diese aber wegen ihrer Stumpfheit auch in dieser Konstellation nicht geeignet, Verletzungen hervorzurufen. Selbst beim Überklettern des Zauns erscheint es nicht als realistisch, dass es durch den Stacheldraht zu Verletzungen kommen kann. Dass der Stacheldraht ganz offensichtlich für den von der Klägerin damit verfolgten Zweck vollkommen nutzlos ist, ist für die Beurteilung seiner Gefährlichkeit vor dem Hintergrund der Regelung in Art. 3 Abs. 1 BayBO unerheblich, da dies mit dem Tatbestand der Eingriffsnorm nichts zu tun hat. Diesem Umstand käme erst bei der Überprüfung einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung Bedeutung zu, zu der man aber nicht gelangt, da es bereits am Tatbestand des Art. 76 Satz 1 BayBO fehlt.
Aus der vom Landratsamt angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz (U. v. 28.11.2006 – 7 K 2595/05.KO -, juris) lässt sich für das streitgegenständliche Verfahren nichts herleiten, weil der dort entschiedene Fall sich von dem hiesigen in mehreren wesentlichen Punkten unterscheidet. Dort war der Stacheldraht auf der Oberseite des Zauns und noch dazu so angebracht, dass er von einem herannahenden Störer nicht erkannt werden konnte, insofern spricht das Verwaltungsgericht Koblenz von einer „Falle“ (a. a. O. juris Rn. 19). Vor allem aber kommt es darauf an, dass jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall den Stacheln aufgrund ihrer Stumpfheit keinerlei Gefährlichkeit zukommt.
Auf die übrigen, nicht zutreffenden Argumente der Klägerseite kommt es nicht an, weil jedenfalls der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 BayBO nicht zu bejahen ist, weshalb es an den Voraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsanordnung fehlt.
Nach alledem ist der Bescheid aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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