Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis – Anforderungen an den Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung

Aktenzeichen  11 ZB 16.1124

Datum:
28.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50736
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1, Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.2, 9.5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Den Nachweis zur Wiedererlangung der Fahreignung im Hinblick auf die erforderliche, mindestens einjährige Drogenabstinenz hat der (vormalige) Fahrerlaubnisinhaber zu führen (vgl. VGH München BeckRS 2016, 50106). Die bloße Behauptung der Abstinenz reicht insofern nicht aus; vielmehr müssen Umstände hinzutreten, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. VGH München BeckRS 2015, 53539).  (redaktioneller Leitsatz)
2 Geldmangel ist kein tauglicher Entschuldigungsgrund für die Nichtdurchführung eines Drogenkontrollprogramms, da dieser Umstand in den Verantwortungsbereich des vormaligen Fahrerlaubnisinhabers fällt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 8 K 15.1726 2016-05-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (einschließlich Unterklassen).
Am 13. Februar 2013 gegen 19.44 Uhr wurde der Kläger einer Verkehrskontrolle unterzogen; der dabei durchgeführte Urinschnelltest verlief positiv auf Tetrahydrocannabinol – THC. Der Kläger gab laut Polizeibericht vom 14. April 2013 an, am Vortag ca. 1,5 g Marihuana geraucht zu haben und ein bis zwei Mal wöchentlich drei bis vier Gramm Marihuana zu kaufen. In seiner Wohnung wurden eine geringe Menge von Marihuanarückständen aus einem Handstaubsauger und eine Glasbong aufgefunden. Die dem Kläger um 20.14 Uhr entnommene Blutprobe enthielt 33,8 ng/ml THC, 11,4 ng/ml 11-OH-THC und 100 ng/ml THC-COOH.
Laut dem auf Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegten Gutachten der TÜV SÜD Life Service GmbH vom 20. September 2013 hat der Kläger den Konsum von Cannabis beginnend 2008 langsam gesteigert bis mindestens drei bis vier Mal pro Woche; vor der Verkehrskontrolle im Februar 2013 habe es eine Phase mit intensivem, täglichem Konsum von bis zu zwei Gramm Cannabis gegeben. Seit Ende März 2013 habe er keine Drogen mehr genommen. An anderen Drogen habe er einmalig Speed genommen.
Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Kläger daraufhin zur Durchführung eines Drogenkontrollprogramms auf. Nachdem der Kläger das zweite Urinscreening krankheitsbedingt nicht fristgerecht vorgelegt hatte, entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 26. Februar 2014 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), gab ihm auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe ein Zwangsgeld in Höhe von 300,- Euro an (Nr. 4).
Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Nachdem die Widerspruchsbehörde der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt hatte, dass durch ein Drogenkontrollprogramm zu prüfen sei, ob der Kläger die Fahreignung wieder erlangt habe, weil er geltend mache, seit Ende März 2013 keine Drogen mehr zu nehmen, ordnete die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 ein solches an. Mit Schreiben vom 23. März 2015 teilte die TÜV Süd Live GmbH, die offenbar vom Kläger mit der Durchführung des Drogenkontrollprogramms beauftragt worden war, der Fahrerlaubnisbehörde mit, der Kläger sei zum Termin unentschuldigt nicht erschienen. Mit E-Mail vom 13. April 2015 teilte der Kläger der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass er das Urinscreening aus Geldmangel nicht habe antreten können.
Die Regierung von Niederbayern wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2015 zurück. Die gegen Bescheid und Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 9. Mai 2016 ab.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E. v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E. v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B. v. 21.12.2009 – 1 BvR 812.09 – NJW 2010, 1062/1063; B. v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057.11 – BVerfGE 134, 106/118). Das ist vorliegend nicht der Fall.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36).
Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer regelmäßig Cannabis konsumiert. Der Kläger hat im Rahmen der Begutachtung durch die TÜV Süd Live Service GmbH den gelegentlichen Konsum von Cannabis beginnend im Jahr 2008 bis zum Februar 2013 eingeräumt. Im Februar 2013 habe es eine Phase mit intensivem, täglichem Konsum von bis zu zwei Gramm Cannabis gegeben. Damit steht fest, dass der Kläger regelmäßig Cannabis konsumierte, wie auch das Gutachten des TÜV Süd Live Service GmbH vom 20. September 2013 (S. 8) feststellt. Schon aus diesem Grund war dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen.
b) Im Übrigen hat der Kläger mit einem THC-Wert von 33,8 ng/ml ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt. Dieser Wert liegt weit oberhalb des Grenzwerts von 1,0 ng/ml, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zugrunde gelegt werden kann (BVerwG, U. v. 23.10.2014 a. a. O. Rn. 37 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht damit auch fest, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug nicht trennen kann (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV). Der Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht.
d) Der Kläger hat die Fahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13), hier also bei Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von Niederbayern vom 16. September 2015, auch noch nicht wieder erlangt. Die Wiedererlangung der Fahreignung kommt grundsätzlich frühestens nach einjähriger Abstinenz in Betracht (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung) und setzt eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung voraus.
Der Kläger macht zwar geltend, seit Februar 2013 keine Drogen mehr zu nehmen. Abgesehen davon, dass die bloße Behauptung der Drogenabstinenz gerade auch angesichts der hier festgestellten Werte von 33,8 ng/ml THC, 11,4 ng/ml 11-OH-THC und 100 ng/ml THC-COOH regelmäßig nicht ausreicht, sondern Umstände hinzutreten müssen, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 18), hat der Kläger, obwohl ihm hierzu mehrfach Gelegenheit gegeben worden ist, die Drogenabstinenz für ein Jahr nicht nachgewiesen. Es kann offenbleiben, ob dem Kläger die nicht fristgerechte Vornahme der zweiten Urinuntersuchung am 23. Januar 2014 im Rahmen des ersten Drogenkontrollprogramms vorgeworfen werden kann. Denn dem Kläger wurde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erneut Gelegenheit gegeben, ein Drogenkontrollprogramm durchzuführen. Dieses Drogenkontrollprogramm hat der Kläger nicht aufgenommen. Der vom Kläger geltend gemachte Geldmangel entschuldigt das nicht. Es liegt in seiner Verantwortung, den Nachweis der Wiedererlangung seiner Fahreignung im Hinblick auf die erforderliche Abstinenz zu führen (vgl. BayVGH B. v. 20.7.2016 – 11 CS 16.1157 – juris Rn. 21).
2. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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