Verwaltungsrecht

Entlassung eines Beamten auf Probe bei Verdacht einer pädophilen Neigung

Aktenzeichen  3 B 14.1431

Datum:
28.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50748
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 10 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Entscheidung über die gesundheitliche Eignung für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist ohne Beurteilungsspielraum gerichtlich überprüfbar (ebenso: BVerwG BeckRS 2014, 45916). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen bestimmter Verhaltensmängel erfordert eine vorherige “Abmahnung”, wenn einerseits die Entlassung für den Beamten überraschend käme und andererseits die Mängel grundsätzlich behebbar erscheinen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird die mangelnde charakterliche Eignung an einer Gefahrenprognose festgemacht, bedarf es eines belastbaren Hinweises auf ein etwaiges Gefährdungspotential des Beamten; eine rein spekulative Annahme oder die Darlegung von Umständen, für die die Unschuldsvermutung gilt, wie zB ein strafrechtlicher Freispruch in der zweiten Instanz, genügt für die Bewertung der charakterlichen Eignung nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 10.5125 2012-03-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. März 2012 und der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. September 2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 17. August 2011 und unter Berücksichtigung der vom Beklagten zu Protokoll gegebenen Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2012 werden aufgehoben.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung … in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Entlassungsbescheid vom 16. September 2010 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 17. August 2011 und der weiteren Ergänzung vom 27. März 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte durfte den Kläger nicht wegen mangelnder gesundheitlicher bzw. charakterlicher Eignung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen.
1. Rechtsgrundlage für die Entlassung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG. Danach kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Der Entlassungstatbestand steht im Zusammenhang mit § 10 Satz 1 BeamtStG, wonach in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nur berufen werden darf, wer sich in der Probezeit hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat (BayVGH, B. v. 15.4.2011 – 3 CS 11.5 – juris). Steht die fehlende Bewährung fest, ist der Beamte zu entlassen (Art. 12 Abs. 5 LlbG, vgl. BVerwG, U. v. 31.5.1990 – 2 C 35/88 – BVerwGE 85, 177; BayVGH, B. v. 29.7.2014 – 3 CS 14.917; BayVGH, B. v.16.3.2011 – 3 CS 11.13; BayVGH, B. v. 16.12.2015 – 3 CS 15.2220 – jeweils in juris).
2. Im Falle des Klägers bestehen weder gesundheitliche noch charakterliche Eignungsmängel, die eine Entlassung rechtfertigen würden.
2.1. Der Kläger leidet nicht an einer sexuellen Präferenzstörung im Form der Pädophilie (F 65.4 ICD-10).
2.1.1 Die Entscheidung über die gesundheitliche Eignung für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist ohne Beurteilungsspielraum gerichtlich voll überprüfbar (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 11/17 ff. zu § 31 BBG a. F.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der gesundheitlichen Eignung ist der Ablauf der Probezeit, nicht der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. In die Entscheidung dürfen nur solche Umstände Eingang finden, die während der Probezeit bekannt geworden sind oder die zwar nach Ablauf dieser Zeit eingetreten sind, aber Rückschlüsse auf die Bewährung des Beamten in der laufbahnrechtlichen Probezeit zulassen (vgl. erneut BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 12 und 14 m. w. N.). Die Prognose, ob der Probebeamte dem angestrebten Amt in körperlicher und psychischer Hinsicht gewachsen sein wird und damit für die Übernahme ins Lebenszeitbeamtenverhältnis geeignet ist, muss aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage getroffen werden, die im Regelfall die besondere medizinische Sachkunde eines Arztes bzw. Amtsarztes voraussetzt (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 30). Lassen sich solchermaßen gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung des Probebeamten nicht treffen, geht das zulasten des Dienstherrn (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 10, 20, 29 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung z. B. im U. v. 18.7.2001 – 2 A 5/00 – ZBR 2002, 184 – juris). Gelangt der Dienstherr dagegen aufgrund objektiver und belastbar festgestellter Umstände zur Überzeugung, dass der Beamte nicht behebbare Eignungsmängel aufweist, so muss er ihn, ohne dass hierfür ein Ermessensspielraum verbleibt, aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen (vgl. BVerwG, U. v. 19.3.1998 – 2 C 5.97 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Senat aufgrund der ihm obliegenden Bewertung und unter Berücksichtigung der nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen im vorliegenden Fall zur Überzeugung, dass im Falle des Klägers keine gesundheitlichen Eignungsmängel bestehen.
Der gerichtliche Sachverständige hat ausgehend von den Diagnoseschlüsseln der ICD-10 und der DMS-5 eine sexuelle Präferenzstörung in Form der Pädophilie verneint, die der Beklagte ausweislich seines Ergänzungsbescheids vom 17. August 2011 zur Begründung der aus seiner Sicht nicht gegebenen gesundheitlichen Eignung als ausschließlich tragende Erwägung angegeben hat. Auch die weitere Ergänzung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung am 27. März 2012 begründet die Zweifel an der gesundheitlichen Eignung des Klägers mit der behaupteten Pädophilie.
Laut ICD-10 bedarf es für die Diagnose einer Pädophilie zunächst des Vorliegens der allgemeinen Kriterien für die Störung der Sexualpräferenz (F 65). Diese Kriterien lauten wie folgt:
G 1. Wiederholt auftretende intensive sexuelle Impulse (dranghaftes Verlangen) und Fantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen.
G 2. Handelt entsprechend den Impulsen oder fühlt sich durch die deutlich beeinträchtigt.
G 3. Diese Präferenz besteht seit mindestens sechs Monaten.
Für die Pädophilie (F 65.4 ICD-10) gelten folgende Kriterien:
A. Die allgemeinen Kriterien für eine Störung der Sexualpräferenz (F 65) müssen erfüllt sein.
B. Anhaltende und dominierende Präferenz für sexuelle Handlungen mit einem oder mehreren Kindern vor deren Pubertät.
C. Die Betroffenen müssen mindestens 16 Jahre und mindestens 5 Jahre älter sein als das Kind oder die Kinder.
Der Sachverständige konnte anhand dieser Kriterien das Vorliegen einer Pädophilie beim Kläger nicht feststellen. Es lägen, so der Sachverständige Prof. Dr. L., bereits die allgemeinen Kriterien für eine Störung der Sexualpräferenz bei dem Kläger nicht vor. Der Kläger verspüre gerade keine intensiven sexuellen Impulse und berichte nicht von wiederholt auftretenden sexuellen Fantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten bezögen.
Im DSM-5 werden für die Diagnose der Pädophilie folgende diagnostische Kriterien angegeben:
A. Über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wiederkehrende intensive sexuell erregende Fantasien, sexuelle Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sexuelle Handlungen mit einem präpubertären Kind oder Kindern (in der Regel 13 Jahre oder jünger) beinhalten.
B. Die Person hat die sexuell dranghaften Bedürfnisse ausgelebt oder die sexuell dranghaften Bedürfnisse oder Fantasien verursachen deutliches Leiden oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten.
C. Die Person ist mindestens 16 Jahre und mindestens 5 Jahre älter als das Kind oder die Kinder nach Kriterium A.
Auch hier lasse sich, so Prof. Dr. L., anhand der vorliegenden Informationen weder das Kriterium A noch das Kriterium B feststellen. Der Kläger habe seinen Angaben nach nie entsprechende sexuelle Fantasien gehabt und nie dranghafte Bedürfnisse nach sexuellen Handlungen mit Kindern verspürt. Dabei könne zwar laut Erläuterungen im DSM-5 die Diagnose der Pädophilie auch dann gestellt werden, wenn die Personen ihr Interesse an Kindern leugneten, sofern sie sich „mehreren Kindern bei verschiedenen Gelegenheiten sexuell genähert haben“. Dies treffe aber auf den Kläger nicht zu. Die inkriminierten Sachverhalte müssten außer Betracht bleiben.
Prof. Dr. L. kommt daher zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich anhand beider Klassifikationssysteme die Diagnose der Pädophilie beim Kläger nicht stellen lasse. Es gebe auch anhand der vorliegenden Informationen keinen konkreten Hinweis darauf, dass bei dem Kläger eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer solchen Störung bestünde.
2.1.2 Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, dass sich gerade im Bereich sexueller Präferenzstörungen insbesondere dann diagnostische Probleme ergeben, wenn sich die fragliche Präferenz nicht bereits in entsprechenden Handlungen geäußert hat. Insoweit hat auch der gerichtliche Sachverständige darauf hingewiesen, dass der hier entscheidende Bereich der sexuellen Wünsche und Fantasien keiner direkten Beobachtung zugänglich sei.
Gleichwohl folgt der Senat den gutachterlichen Ausführungen, zumal auch der Beklagte mit seinen Parteigutachten keine gesicherten Feststellungen im Sinne der eingangs zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich einer sexuellen Präferenzstörung in Form der Pädophilie treffen konnte. Lassen sich aber gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung des Probebeamten nicht treffen, geht dies zulasten des Dienstherrn (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 29).
Der Sachverständige des Freistaats Bayern, Prof. Dr. O., hat zwar zur Kenntnis genommen, dass der Kläger in den Anamnesegesprächen angegeben hat, bisher „keine sexuell orientierte Partnerschaft“ gehabt zu haben und sich in seiner Fantasie nicht mit Sexualität beschäftige („Nein, da bin ich eher uninteressiert. Das ist für mich absolut nebensächlich, mir fehlt auch gar nichts“.). Letztlich wenig überzeugend formuliert Prof. Dr. O. in seinem forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 19. Mai 2011 die These, dass hinter der vorgegebenen Asexualität des Klägers das subjektive Erleben einer pädophilen Neigung seit der Pubertät eine Rolle spiele und sich der Kläger diese Neigung nicht eingestehen wolle. Einen Nachweis für seine Hypothese lässt der Sachverständige freilich missen. Überhaupt fällt bei seinen gutachterlichen Stellungnahmen auf, dass er ausgehend von den inkriminierten Sachverhalten ein Hypothesengebäude aufzubauen versucht, das nicht überzeugt.
Auch Prof. Dr. L. erscheinen die von Prof. Dr. O. angeführten Argumente für das Vorliegen einer Pädophilie beim Kläger „sämtlich recht konstruiert“. Er führt zur Hypothese des Studienfachwechsels aus:
„Der durch Herrn … erfolgte Wechsel seines Studienfachs hatte einen sachlichen Hintergrund (endgültiges Nichtbestehen des Vordiploms). Den anschließenden Wechsel auf ein Lehramtsstudium als solchen bereits als Hinweis auf eine pädophile Orientierung zu werten, erscheint ausgesprochen spekulativ. Auch wenn sich unter Lehrern tatsächlich statistisch gehäuft Menschen mit einer pädophilen Neigung befinden sollten, wofür es bislang nach Kenntnis des Unterzeichners nur wenig empirisch ermittelte Hinweise gibt, ist es angesichts der Vielzahl nicht-pädophiler Lehrer wohl kaum als Indiz für eine pädophile Orientierung zu werten, dass sich jemand für den Lehrerberuf entschieden hat.“
Dem tritt der Senat bei. Insbesondere auch deshalb, weil der Sachverständige Prof. Dr. O. die Hypothese des Studienwechsels „zumindest … im Kontext der damals inkriminierten Sachverhalte“ für diskussionswürdig gehalten hat. Mit der Einschränkung „zumindest“ gibt er deutlich zu verstehen, dass der Wechsel des Studienfachs für sich genommen keinerlei Bedeutung hat. Der Parteisachverständige verkennt mit dem Beklagten, dass die inkriminierten Sachverhalte gutachterlich keine Berücksichtigung mehr finden dürfen. Eine entsprechende Berücksichtigung verstößt gegen das Gebot der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK).
Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts … vom 1. März 2010 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Strafkammer konnte nicht mit der im Strafverfahren erforderlichen Sicherheit feststellen, dass es bei den jeweiligen Handballturnieren zu sexuellen Übergriffen des Klägers auf den jugendlichen Zeugen gekommen war. Der Tatvorwurf konnte mithin nicht bewiesen werden.
Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK zugleich Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfG, B. v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – NJW 2002, 3231 – juris Rn. 9). Der Schutzbereich der Unschuldsvermutung endet erst dann, wenn ein Beschuldigter der ihm zur Last gelegten Straftaten für schuldig befunden wurde, was bei einem Freispruch niemals der Fall sein kann (vgl. EGMR, U. v. 15.1.2015 – 48144/09 – juris Rn. 64; BVerfG, B. v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – NJW 2002, 3231 – juris Rn. 11).
Nach einem rechtskräftigen Freispruch (und sei es ein Freispruch, bei dem die Zweifel nach Art. 6 Abs. 2 EMRK zugunsten des Angeklagten gewertet wurden) ist das Äußern eines Schuldverdachts gegen den Betroffenen – einschließlich der in den Gründen für den Freispruch geäußerten Verdächtigungen – mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung unvereinbar. Der Tenor eines freisprechenden Urteils ist von allen staatlichen Stellen, die direkt oder indirekt auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit der betroffenen Person Bezug nehmen, zu achten (vgl. EGMR, U. v. 15.1.2015 – 48144/09 – juris Rn. 58 m. w. N.; einschränkend BVerfG: B. v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – NJW 2002, 3231 – juris Rn. 11: Freispruch, der ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgte).
Hinsichtlich der weiteren Indizien als Hypothesen, die der Sachverständige des Beklagten zur Begründung der von ihm angenommenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine Pädophilie aufgezählt hat, macht sich der Senat die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu eigen, die auch aus der Laiensphäre ohne weiteres nachvollziehbar sind. Weder der Umstand, dass der Kläger Nachhilfeunterricht erteilt, noch dass er ein „außerordentliches pädagogisches Engagement im Sportbereich“ gezeigt hat, vermag bei verständiger Würdigung den Rückschluss auf eine pädophile Neigung des Klägers zu rechtfertigen. Angesichts der Vielzahl nicht-pädophiler Jugendtrainer ist es wohl kaum als Indiz für eine pädophile Orientierung zu werten, dass jemand auch Jugendmannschaften trainiert hat. Wieso ein Gespräch mit Eltern, um einem Schüler eine Teilnahme an einem Handballturnier zu ermöglichen, als ein für einen Lehrer „außergewöhnliches Engagement“ anzusehen ist, mit dem sich „Herr … in unnatürlicher Weise mit dem betroffenen Kind … auseinandergesetzt hat und sich weit über seine Verantwortung als Trainer bzw. Lehrer in die Erlebniswelt des betroffenen Kindes hineinversetzte“, erschließt sich dem Senat nicht. Der Kläger war selbst seit seiner Jugend dem Handball sehr zugetan, er hat aktiv gespielt, hat Mannschaften trainiert, u. a. auch die Schulmannschaft. Von daher mag er durchaus auch ein eigenes Interesse daran gehabt haben, Schüler für diesen Sport zu gewinnen, was aber für sein Interesse an diesem Sport und nicht für eine Pädophilie sprechen würde. Eine „unnatürliche“ Verhaltensweise vermag der Senat insoweit nicht ansatzweise zu erkennen.
Auch das Ergebnis des Affinity-Testverfahrens spricht nicht für eine Pädophilie des Klägers.
Zwischen den Sachverständigen ist streitig, ob das sogenannte Affinity-Verfahren für die gutachterliche Beurteilung im Einzelfall in Betracht kommen kann. Der Senat schließt sich insoweit dem gerichtlichen Sachverständigen an, der unter Hinweis auf die Beitrag von Müller/Fromberger/Jordan, Wie können psychophysiologische Techniken zu Diagnose und Prognose beitragen am Beispiel der Pädophilie?, dargelegt hat, dass gegen die forensisch psychiatrische Nutzung des Affinity-Verfahrens starke methodische Bedenken bestehen. Das Verfahren sei bislang nie für eine Einzeldiagnose verwendet worden, es gebe keine Normwerte. Dem ist der Parteisachverständige Prof. Dr. O. nicht substantiiert entgegen getreten. Dass im Rahmen des Projekts „Kein Täter werden“ bundesweit elf Klinken beteiligt sind und dort das Affinity-Verfahren im Rahmen der Diagnose mit berücksichtigt wird, vermag angesichts der dortigen Probanden keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ bietet ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und deshalb therapeutische Hilfe suchen (vgl. https://www.kein-taeter-werden.de/, zuletzt besucht am 9.8.2016). Insoweit werden dort Probanden untersucht, die sich zumindest in der eigenen Wahrnehmung zu Kindern hingezogen fühlen. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, das Verfahren sei bei Probanden mit einer verminderten sexuellen Appetenz für eine Einzelfalldiagnose geeignet.
Aber selbst wenn man vorliegend die im Affinity-Verfahren gewonnenen Ergebnisse im Falle des Klägers verwerten wollte, ergeben sich daraus keinerlei Anhaltspunkte für eine sexuelle Präferenzstörung. Im Gegenteil: Ausweislich des testpsychologischen Zusatzgutachtens der Diplompsychologin D. vom 27. Mai 2011, das erst im Berufungsverfahren vorgelegt worden ist, zeigte der Kläger bei dem indirekten Verfahren die längsten Betrachtungszeiten für Bilder von erwachsenen Frauen und Männern, worauf lediglich in sehr kurzem Abstand Jugendliche beiderlei Geschlechts folgten. Zusammenfassend wird in dem testpsychologischen Zusatzgutachten festgestellt, dass die Ergebnisse für eine bisexuelle Orientierung mit einer Präferenz für Erwachsene und Jugendliche sprechen. Dies könne zwar ein Hinweis darauf sein, dass beim Kläger zumindest eine hebephile (sexuelle Präferenz für pubertierende Jungen und Mädchen) Nebenströmung vorliege. Es sei aber auch nicht ungewöhnlich, dass hetero- und homosexuelle Männer auch sexuelles Interesse für ältere Jugendliche zeigten. Da der Kläger selbst hierzu jedoch nur verneinende Angaben gemacht habe, könne dies nicht abschließend beurteilt werden. Eine pädophile Neigung habe aber aus testpsychologischer Sicht nicht bestätigt werden können.
Herr Prof. Dr. O. hat die o.g. Feststellungen in seinem forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 19. Mai 2011 nur unvollständig übernommen. Insbesondere hat er die entscheidende Feststellung, dass bei dem Kläger keine pädophile Neigung festgestellt werden konnte, unterschlagen. Aufgrund der unvollständigen Übernahme und des Verschweigens einer für den Kläger günstigen Feststellung, vermag der Senat eine unabhängige bzw. unparteiische und vorurteilsfreie Begutachtung nicht mehr zu erkennen. Das Sachverständigengutachten trägt den Makel eines Parteigutachtens, das ersichtlich von einem gewünschten Ergebnis getragen ist, und zudem mit dem Manko behaftet ist, dass es in unzulässiger Weise maßgeblich an die inkriminierten Sachverhalte anknüpft.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass valide Anhaltspunkte für eine sexuelle Präferenzstörung in Form der Pädophilie im Falle des Klägers nicht gegeben sind, so dass die gesundheitliche Eignung des Klägers zu bejahen ist. Gleiches gilt für eine etwaige pädo-hebephile Orientierung. Auch insoweit liegen keine objektiven und belastbaren Umstände vor.
2.2 Der Beklagte hat die Entlassung des Beamten neben der fehlenden gesundheitlichen Eignung selbstständig tragend auch auf die fehlende charakterliche Eignung gestützt. In Bezug auf die Feststellung der fehlenden charakterlichen Eignung erweist sich die Entlassungsverfügung ebenfalls als rechtsfehlerhaft, weil sich die Zweifel an der charakterlichen Eignung ausschließlich im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen.
Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob der Beamte sich in der Probezeit nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis seines für diese Beurteilung zuständigen Organs. Dabei genügen bereits begründete ernsthafte Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet oder sachfremde Erwägungen vermieden worden sind (BVerwG, Urteil vom 18.7.2001 – BVerwG 2 A 5.00 – juris Rn. 15). Die Zweifel müssen jedoch auf tatsächlichen Feststellungen und Erkenntnissen basieren und dürfen sich nicht im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen. Zweifel an der charakterlichen Eignung können sich grundsätzlich auch aus einem einzigen gravierenden Vorfall ergeben (vgl. BayVGH, U. v. 13.1.2016 – 3 B 14.1487 – juris Rn. 34).
Gemessen ab diesen Grundsätzen erweist sich die Entlassung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen Zweifeln an der charakterlichen Eignung als rechtswidrig.
2.2.1 Die Prognoseentscheidung fehlender charakterlicher Eignung wurde in der Entlassungsverfügung vom 16. September 2010 mit pädophiler Veranlagung und darauf beruhender Neigung des Antragstellers zu „Grenzverletzungen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses“ begründet. Eine pädophile Neigung konnte beim Kläger nicht festgestellt werden (vgl. 2.1). Im Übrigen fehlte es dieser Begründung an tatsächlichen Feststellungen und Erkenntnissen für die behaupteten Zweifel an der charakterlichen Eignung. Der Begriff „Grenzverletzungen“ bleibt blass und eröffnet eine große Spanne möglicher Szenarien, ohne auf tatsächliche Vorkommnisse abzustellen. Letztlich wurden unreflektiert Einschätzungen dritter Personen übernommen. Auf welche tatsächlichen Erkenntnisse und Feststellungen sich die im Entlassungsbescheid genannten „Grenzverletzungen“ bezogen, hat der Beklagte erst im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach erfolgter Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 29. November 2010 dargelegt. Er hat ausgeführt, dass im Rahmen der Urteilsbegründung als „grenzüberschreitend“ bzw. tätertypisch für pädophile Täter gewertet worden sei, dass
– der Kläger seine Freizeit in großen Teilen mit dem Umgang mit Jugendlichen und Kindern verbracht habe, wohingegen ein erwachsenes Umfeld kaum zu erkennen gewesen sei,
– es dem Kläger im Rahmen der durchgeführten Handballlager darauf angekommen sei, mit einem oder mehreren der Jungen in einem Zelt zu übernachten,
– er eigenes kinder- bzw. jugendtypisches Verhalten gezeigt habe, sich also mehr mit den Schülern denn mit seiner Altersklasse solidarisiert habe, was z. B. darin zum Ausdruck gekommen sei, dass er jugendtypische Kartenspiele selbst gekauft und mitgebracht habe, sich nachts über lange Zeit mit den Jungen unterhalten habe, statt sie zum Schlafen anzuhalten und
– die Kinder und Jugendlichen regelmäßig zu seinen Geburtstagsfeiern eingeladen habe, bei denen dann auch Übernachtungen in seinem Haus erwünscht gewesen wären.
Soweit aus diesen Verhaltensweisen auf eine pädophile Neigung geschlossen wird, ist dies angesichts der gutachterlichen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen widerlegt. Dass in den genannten Verhaltensweisen des Klägers vom Beklagten „Grenzverletzungen“ im Lehrer-Schüler-Verhältnis (also unterhalb etwaiger pädophiler Neigungen) erkannt werden, vermag eine Entlassung wegen mangelnder charakterlicher Eignung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Zwar ist es dem Dienstherrn grundsätzlich überlassen, zu beurteilen, welches Näheverhältnis im Lehrer-Schüler-Verhältnis für ihn (noch) tolerabel ist. Hierfür müssen aber eindeutige Vorgaben mittels entsprechender Weisungen (für den Einzelfall oder Allgemein) geschaffen werden. Für sich genommen rechtfertigt das Verhalten ohne vorherige „Abmahnung“ keine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Eine Abmahnung ist erforderlich, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich einerseits die Entlassung für den Beamten überraschend käme und andererseits die Mängel grundsätzlich behebbar erscheinen (vgl. BayVGH, B. v. 10.9.2009 – 3 ZB 07.2118 – juris Rn. 16). Die dem Kläger nunmehr vorgeworfene Distanzlosigkeit im Rahmen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses war zuvor nicht thematisiert worden, so dass dem Kläger nicht deutlich war, dass entsprechende Verhaltensweisen nicht erwünscht sind. Insoweit ist der Überraschungsmoment zu bejahen. Hinsichtlich der vorgeworfenen Verhaltensweisen geht der Senat davon aus, dass diese grundsätzlich aufgegeben bzw. geändert werden können und somit ein behebbarer Mangel vorliegt.
2.2.2 Die Vertreterin der Landesanwaltschaft Bayern ließ in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anklingen, die inkriminierten Vorwürfe reichten für die Annahme der mangelnden charakterlichen Eignung des Klägers aus. Diese Annahme trägt der Unschuldsvermutung (s.o.) nicht Rechnung und ist daher mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
2.2.3 Soweit die Landesanwaltschaft Bayern in der mündlichen Verhandlung den Artikel „Täter sind nicht zwingend pädophil“ vorlegte und nunmehr die mangelnde charakterliche Eignung an einer Gefahrenprognose festzumachen versuchte, fehlt ein belastbarer Hinweis auf ein etwaiges Gefährdungspotential des Klägers. Selbst der Sachverständige des Beklagten ist in seinen Stellungnahmen nicht davon ausgegangen, dass von dem Kläger eine konkrete Gefahr für die Schülerinnen und Schüler ausgeht. Auch hier bewegt sich die Landesanwaltschaft in einem ausgesprochen spekulativen Bereich, der wiederum den strafrechtlichen Freispruch negiert und an Umstände anzuknüpfen versucht, für die die Unschuldsvermutung gilt. Die Überlegung „Irgendetwas wird schon dran sei an den Vorwürfen“ reicht für die Bewertung der charakterlichen Eignung des Klägers bei weitem nicht aus.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG nicht erfüllt sind.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des anderen Oberverwaltungsgerichts (Verwaltungsgerichtshofs), des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die angefochtene Entscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 27.631,24 € festgesetzt (§ 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG).

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