Baurecht

Erschließungsbeitrag und Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten

Aktenzeichen  6 B 15.1834

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a
AO AO § 42

 

Leitsatz

1. Eine rechtliche Gestaltung ist dann unangemessen, wenn der Beitragspflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzes das Ziel nicht erreichbar sein soll. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein gewichtiges Indiz für die Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung kann in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Gemeinde, Beiträge zu erheben und einem Grundstücksteilungsantrag gesehen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 13.102 2014-09-10 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 10. September 2014 – B 4 K 13.102 – wird zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber nicht begründet.
Zwar sind einzelne Begründungselemente des angegriffenen Urteils rechtlich nicht zutreffend. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom heutigen Tag im Parallelverfahren des Schwiegervaters des Klägers (- 6 B 15.1833 -) Bezug genommen. Auch können die Grundstücke FlNr. 317/1 und 1025, die zusammen eine Zufahrt zu dem mit einem größeren Schuppen bebauten Grundstück FlNr. 316/3 bilden, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zusammen als wirtschaftliche Grundstückseinheit und damit als bebaut im Sinn des § 133 Abs. 1 BauGB angesehen werden (vgl. zuletzt BVerwG, B. v. 21.12.2015 – 9 B 46.15 – juris Rn. 3). Allerdings sind diese Gesichtspunkte nicht entscheidungserheblich, weil das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis zutrifft. Der Kläger darf nicht zu einem Erschließungsbeitrag nach Art. 5a Abs. 1, Abs. 9 KAG (nunmehr geltend in der Fassung vom 8.3.2016, GVBl S. 36) in Verbindung mit §§ 128 ff. BauGB und der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 20. Oktober 2006 für die Herstellung der „nordöstlichen“ Erschließungsanlage im Baugebiet Reifenberg-Ost herangezogen werden. Die am 21. August 2012 im Grundbuch vollzogene Grundstücksteilung stellt nämlich einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinn des Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b KAG in Verbindung mit § 42 AO dar und ist deshalb beitragsrechtlich unbeachtlich. Als Konsequenz ist nicht der Kläger als Grundstückserwerber, sondern der frühere Grundstückseigentümer und Veräußerer des Gesamtgrundstücks FlNr. 317 (alt) zum Erschließungsbeitrag heranzuziehen. Der Erschließungsbeitragsbescheid vom 17. Januar 2013 ist daher dem Kläger gegenüber wegen falscher Adressatenwahl rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b KAG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Gesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Beitragsanspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Missbrauch liegt gemäß § 42 Abs. 2 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Beitragspflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Beitragsvorteil führt (Satz 1); dies gilt nicht, wenn der Beitragspflichtige für die gewählte Gestaltung außerhalb des Beitragsrechts liegende Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (Satz 2). Eine rechtliche Gestaltung ist dann unangemessen, wenn der Beitragspflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzes das Ziel nicht erreichbar sein soll (ständige Rechtsprechung, etwa BayVGH, B. v. 9.7.2012 – 6 ZB 12.185 – juris Rn. 4; B. v. 14.8.2015 – 6 CS 15.1396 – juris Rn. 9; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 102, 103). Es ist demnach zu prüfen, ob – abgesehen von der Beitragsvermeidung oder -verminderung – ein wirtschaftlich sinnvoller oder ein sonstwie einleuchtender Grund für die Grundstücksteilung spricht. Ein gewichtiges Indiz für die Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung kann in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Gemeinde, Beiträge zu erheben und einem Grundstücksteilungsantrag gesehen werden. Der Abgabenpflichtige muss bei der Aufklärung, ob der Gestaltung vernünftige wirtschaftliche Gründe zugrundeliegen, mitwirken. Versagt er sich oder kann er keine vernünftigen Gründe nennen, so ist grundsätzlich ein Missbrauch im Sinn des § 42 AO anzunehmen (BayVGH, B. v. 20.8.2012 – 6 CS 12.970 – juris Rn. 8). Der Verdacht eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten kann sich im Erschließungsbeitragsrecht insbesondere dann aufdrängen, wenn ein nicht selbstständig bebaubarer und somit auch wirtschaftlich kaum selbstständig verwertbarer Grundstücksteil in zeitlicher Nähe zu einer Beitragserhebung von einem Anliegergrundstück abgetrennt wird und – gegebenenfalls sogar unentgeltlich und an nahe Angehörige – übertragen und damit einzig die Vermeidung oder Verminderung einer Erschließungsbeitragspflicht verfolgt wird (BVerwG, U. v. 24.2.2010 – 9 C 1.09 – juris Rn. 36).
In Anwendung dieses Maßstabs ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts von einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten auszugehen. Die Schwiegereltern des Klägers haben als Miteigentümer des – ursprünglich 837 m² großen – Grundstücks FlNr. 317 (alt) und des 11 m² großen Grundstücks FlNr. 1025 einen entlang der Grenze zur neuen Erschließungsstraße gelegenen, etwa 3,30 m breiten, 26,5 m langen und insgesamt nur 62 m² großen unbebauten Grundstücksstreifen (FlNr. 317/1 neu mit 51 m² und FlNr. 1025 mit 11 m²) aus ihrem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück dem Kläger übereignet. Dieser dient als Zufahrt und Zugangsmöglichkeit zu dem dahinter gelegenen 108 m² großen Grundstück FlNr. 316/3, das mit einem größeren Schuppen bebaut ist und dem Kläger von dessen Schwiegermutter aus deren Grundstück FlNr. 316 übereignet worden war. Diese Grundstücksteilung und Übereignung dreier kleiner Grundstücks(teil-)flächen erfolgte ersichtlich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Beitragserhebung. Mit Bescheid vom 8. August 2011 war der Schwiegervater des Klägers für die neue Erschließungsstraße zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag herangezogen worden. Mit notariellen Verträgen vom 21. Oktober 2011 veräußerten der Schwiegervater bzw. dessen Ehefrau Teilflächen aus den Grundstücken FlNr. 317 und 316 sowie das Grundstück FlNr. 1025 dem Kläger. Am 21. August 2012 wurden die Änderungen der Grundstücks- und Eigentumsverhältnisse im Grundbuch eingetragen. Der Erschließungsbeitragsbescheid wiederum datiert vom 17. Januar 2013. Damit drängt sich ein zeitlicher (und sachlicher) Zusammenhang zwischen drohender Beitragspflicht und Grundstücksteilung auf.
Die bei dieser Fallgestaltung indizierte tatsächliche Vermutung, dass die Grundstücksteilung und Übereignung von kleinen Grundstücks(teil-)flächen der Beitragsumgehung bzw. Beitragsminderung dient, hat der Schwiegervater des Klägers nicht durch den Nachweis außerbeitragsrechtlicher, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlicher Gründe (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO) widerlegen können. Er macht für die von ihm und seiner Ehefrau gewählte Gestaltung geltend, dass er zugunsten des Klägers eine dauerhaft gesicherte Fläche zur Bearbeitung und Lagerung von Brennholz für den Fall eines Verkaufs seines Grundstücks FlNr. 317 habe schaffen wollen; der Kläger und dessen Ehefrau hätten von ihren (Schwieger-)Eltern im südöstlichen Teil des Baugebiets Reifenberg-Ost das Baugrundstück FlNr. 1016 übertragen bekommen, auf dem die Lagerung und Bearbeitung von Brennholz nur äußerst eingeschränkt möglich sei. Außerdem sei durch den Neubau der Erschließungsstraße ein bis dahin vorhandenes Geh- und Fahrtrecht zum Erreichen des Grundstücks FlNr. 316 erloschen. Dies kann nicht überzeugen. Zum einen gibt es keinerlei greifbaren Anhaltspunkt, dass eine Veräußerung des mit dem Wohnhaus der Schwiegereltern bebauten Grundstücks FlNr. 317 in absehbarer Zeit zu erwarten ist, zum anderen ist das dem Kläger überlassene Grundstück FlNr. 1016 derzeit unbebaut und es ist nicht nachvollziehbar, warum auf dem ca. 774 m² großen Baugrundstück eine Lagerung und Bearbeitung von Brennholz nur eingeschränkt möglich sein soll. Der derzeitige Wohnort des Klägers liegt etwa 42 km von den übereigneten Grundstücksflächen entfernt. Das Grundstück FlNr. 316 ist auch nach den durchgeführten Grundstücksteilungen nicht mehr erschlossen. Eine von der neuen Erschließungsanlage erschlossene, aus drei Grundstücken bestehende Fläche von insgesamt lediglich 170 m² in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Beitragserhebung grundbuchmäßig zu verselbstständigen, stellt auch unter Berücksichtigung der Einwände des Schwiegervaters des Klägers sowie des Klägers selbst ohne jeden Zweifel eine unangemessene Gestaltung dar.
Der Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO lässt zwar die zivilrechtliche Wirksamkeit der unangemessenen Gestaltung unberührt, doch ist der Sachverhalt beitragsrechtlich so zu bewerten, als ob die Teilung und Übereignung nicht stattgefunden hätten und der ursprüngliche Eigentümer des Gesamtgrundstücks weiterhin Eigentum auch an der abgeteilten Fläche besäße. An die Stelle der tatsächlichen Gestaltung tritt die angemessene Gestaltung, sie wird der Erhebung des Beitrags zugrunde gelegt. Da in Fällen der hier in Rede stehenden Art die „angemessene Gestaltung“ im Unterlassen der Grundstücksteilung einschließlich des nachfolgenden Übereignungsakts besteht, ist der Eigentümer des früheren Gesamtgrundstücks FlNr. 317 (alt) mit dessen gesamter ursprünglicher Fläche und nicht der Kläger als Erwerber der Grundstücke heranzuziehen (BayVGH, B. v. 14.7.2005 – 6 B 02.2128 – juris Rn. 32; B. v 10.9.2009 – 6 CS 09.551 – juris Rn. 11; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 103).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.958,11 € festgesetzt (§ 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).

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