Steuerrecht

Ausschüttung von Kapitalerträgen an die Gesellschafter

Aktenzeichen  6 K 97/15

Datum:
26.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2017, 1401
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
KStG § 27 Abs. 2 S. 1, § 28 Abs. 1 S. 3, § 38 Abs. 1
EStG § 44 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Bescheide vom 2008 und vom 2013 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

II.
Die Klage ist begründet. Nach dem für das Finanzgericht bindenden Beschluss des BFH vom 9. Dezember 2014 (Az.: I B 43/14) ist der nach § 129 AO geänderte Haftungsbescheid vom 2013 Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, da er den Nachforderungsbescheid vom 2008 ersetzt. Der Haftungsbescheid vom 2013 ist indes rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das FA kann den Haftungsbescheid vom 2013 nicht auf die Änderungsvorschrift des § 129 AO stützen.
1. Der dem Steuerpflichtigen bekanntgegebene Bescheid kann nach der ständigen Rechtsprechung des BFH wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO korrigiert werden, wenn der Fehler auf einem Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten beruht.
a) Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, mit dem Inhalt wirksam, mit dem er ihm bekannt gegeben wird. Zum Inhalt des Verwaltungsakts gehört neben der Angabe des Adressaten der Verfügungs- oder Entscheidungssatz -sog. Ausspruch oder Tenor- (BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 66/07, BStBl II 2009, 185).
Ein Nachforderungsbescheid über Kapitalertragsteuer, durch den materiell-rechtlich ein Haftungsanspruch geltend gemacht wird, ist nicht zeitraum-, sondern sachverhaltsbezogen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2014 II R 18/12, BStBl II 2015, 619 und BFH-Urteil vom 8. April 2014 I R 51/12, BStBl II 2014, 982). Ein Haftungsbescheid ist dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn für den Betroffenen erkennbar ist, was von ihm, auch der Höhe nach, verlangt wird. Dabei ist es ausreichend, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über das Verlangte gewonnen werden kann (BFH-Urteil vom 27. August 2009 V B 76/08, BFH/NV 2010, 8). Für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids reicht es aus, wenn sich aus ihm die konkreten Sachverhalte, die zur Haftung geführt haben, ohne weiteres zweifelsfrei entnehmen lassen (vgl. BFH-Urteil 17. Dezember 2014 II R 18/12, BStBl II 2015, 619). Ein Haftungsbescheid muss jedoch die ihn erlassende Behörde, den Haftungsschuldner, die Haftungsschuld und/oder die Art der Steuer angeben, für die der Haftungsschuldner haften soll (BFH-Beschluss vom 3. Dezember 1996 I B 44/96, BStBl II 1997, 306). Steueranspruch und Haftungsanspruch sind wesensmäßig verschieden. Die Stellung als Steuerschuldner ist mit der eines für fremde Schuld Haftenden nicht vereinbar. Die Inanspruchnahme eines Haftenden für fremde Schuld ist in der Regel von anderen strengeren Voraussetzungen abhängig als die Inanspruchnahme eines Steuerschuldners. Für den Betroffenen muss deshalb eindeutig aus dem Verwaltungsakt zu entnehmen sein, ob er als Haftender oder als Steuerschuldner in Anspruch genommen wird. Ein Haftungsbescheid ist nur dann hinreichend bestimmt i.S. des § 119 Abs. 1 AO, wenn die Überschrift und der verfügende Teil (Tenor) des Bescheids erkennen lassen, dass der Adressat als Haftender für fremde Schuld einstehen soll (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 I R 139/85, BFH/NV 1991, 497).
Da für die Auslegung von Verwaltungsakten der “objektive Verständnis- bzw. Empfängerhorizont” maßgebend ist, ist ein Bescheid so auszulegen, wie der Empfänger ihn verstehen konnte und musste. Für die mit der Wirksamkeit des Bescheides verbundenen Rechtsfolgen kommt es damit nicht auf das von der Behörde Gewollte an, sondern darauf, wie der Empfänger nach den ihm im Laufe des Veranlagungsverfahrens bekannt gewordenen Umständen den materiellen Gehalt (objektiven Inhalt) der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen konnte. Dabei kommt dem Kopf des Bescheides besondere Bedeutung zu (so beim Vorläufigkeitsvermerk vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 II R 39/07, BFH/NV 2010, 821). Unklarheiten gehen zulasten der Behörde; im Zweifel ist das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen (BFH-Urteil vom 25. November 2008 II R 11/07, BStBl II 2009, 287). Es ist daher gegebenenfalls unter Rückgriff auf die Veranlagungsakten zu klären, wie der Empfänger den Bescheid verstehen konnte (vgl. etwa BFH-Urteil vom 12. September 2013 III R 16/11, BFH/NV 2014, 320 und BFH-Beschluss vom 18. März 2015 I B 47/14, BFH/NV 2015, 808).
b) Beim Entstehungsvorgang eines Verwaltungsakte können auch Störungen auftreten, die nicht die Willensbildung, sondern die Umsetzung der Willensbildung betreffen, indem deren Ergebnis auf Grund mechanischer Fehler nicht so ausfällt, wie es zutreffend wäre, Wille und Erklärung also unbewusst auseinanderfallen (von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO, § 129 Rz. 2). Die Vorschrift des § 129 AO erfasst die Fälle, in denen der bekanntgegebene Inhalt des Verwaltungsakts aus Versehen vom offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt abweicht und die Möglichkeit eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf den Fehler ausgeschlossen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 2012 VIII R 15/10, BStBl II 2013, 307). Berichtigen im Sinne des § 129 AO bedeutet Ersetzen des Erklärten durch das Gewollte. Der Begriff der „(Berichtigung einer) ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit“ (§ 129 Satz 1 AO) erfasst auch sprachliche Klarstellungen und Präzisierungen ohne materielle Änderung einer zunächst bekannt gegebenen Regelung, mittels derer ein bisher auslegungsbedürftiger Verfügungssatz in einem nunmehr zweifelsfreien Sinne zum Ausdruck gebracht wird (BFH-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 49/08, BStBl II 2010, 726). Aufgrund des § 129 AO kann der Ist-Inhalt eines Verwaltungsaktes indes nicht durch den gesetzmäßigen Soll-Inhalt ersetzt werden (vgl. Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 129 Rz. 9).
In den Bereich der Willensbildung fallende Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung des § 129 Satz 1 AO aus. Besteht eine mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so liegt kein bloßes mechanisches Versehen und damit auch keine offenbare Unrichtigkeit mehr vor.
„Offenbar“ ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Darauf, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte, kommt es nicht an. „Offenbar“ ist ein Fehler indes immer nur dann, wenn er als solcher „auf der Hand liegt“ und aus sich heraus offen zutage tritt, nicht aber, wenn er erst durch Abfrage subjektiver Einschätzungen seinerzeit Beteiligter ermittelt und damit „offenbart“ wird. Etwaige entgegenstehende innere Absichten des beteiligten Verwaltungsbeamten müssen sich sonach in einer irgendwie nach außen tretenden, „offenbaren“ Handlungsweise „beim Erlass“ des betreffenden Bescheides oder auch „im Vorfeld“ der Steuerfestsetzung niederschlagen; spätere Bekundungen des Beamten können dies nur verifizieren. Fehlt es daran, so gelten die allgemeinen Beweislastregeln, hier zu Lasten des FA als desjenigen, der sich auf die Unrichtigkeit beruft (BFH-Urteil vom 29. Januar 2003 I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139).
Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (BFH-Urteil vom 1. Juli 2010 IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004; BFH-Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BStBl II 2015, 1040 und BFH-Beschluss vom 28. Mai 2015 VI R 63/13, BFH/NV 2015, 1078).
2. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist der Bescheid vom 2008 nach dem objektiven Empfängerhorizont als Nachforderungsbescheid auszulegen, für den nach der Regelung des § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG keine Rechtsgrundlage besteht. Der „Nachforderungsbescheid“ kann nicht nach § 129 AO in einen „Haftungsbescheid“ berichtigt werden.
a) Der Bescheid vom 2008 ist nach dem objektiven Empfängerhorizont als Nachforderungsbescheid auszulegen. Dies ergibt sich aus der Bezeichnung des Verwaltungsaktes als „Nachforderungsbescheid“ im Kopf des Bescheides und dem Hinweis, dass die Klägerin die Kapitalertragsteuer schulde (nicht hafte). Zudem führt das FA im Tenor ausdrücklich aus, dass der Anspruch auf Kapitalertragsteuer durch
„Nachforderungsbescheid“ geltend gemacht wird.
In der Begründung des streitigen Bescheides wird zwar darauf hingewiesen, dass auf den überhöht ausgewiesenen Betrag der Einlagenrückgewähr Kapitalertragsteuer durch Haftungsbescheid geltend zu machen sei; im folgenden Satz nimmt das FA die Klägerin indes wiederum ausdrücklich durch Nachforderungsbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch.
Der Bescheid vom 2008 ist damit im Tenor nach den eindeutigen und nicht auslegbaren Formulierungen als „Nachforderungsbescheid“ bezeichnet. Die Begründung des Bescheides ist hingegen widersprüchlich, wobei Unklarheiten darüber, ob nun ein Haftungs- oder ein Nachforderungsbescheid erlassen werden sollen, zu Lasten der Behörde gehen. Danach ist die Behörde an den eindeutigen Formulierungen im Tenor des Bescheides festzuhalten und der Bescheid vom 2008 als „Nachforderungsbescheid“ auszulegen.
Eine Auslegung des Bescheids vom 2008 als Haftungsbescheid ist nicht deshalb geboten, weil im Falle des § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG nur ein Haftungsbescheid zulässig ist. Die zutreffende Rechtsgrundlage, auf die sich ein Bescheid stützt, ist eine Frage der Rechtmäßigkeit und nicht der Auslegung des Bescheids.
b) Der „Nachforderungsbescheid“ kann nicht nach § 129 AO in einen Haftungsbescheid geändert werden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestattet es diese Änderungsvorschrift, sprachliche Klarstellungen und Präzisierungen ohne materielle Änderung vorzunehmen, auch wenn der Inhalt eines Bescheides durch Auslegung zu ermitteln ist. Eine Korrektur nach § 129 AO des Nachforderungs-bescheides in einen Haftungsbescheid und damit eine materielle Änderung des Bescheides geht darüber hinaus.
Im Übrigen war der Fehler nicht offenbar im Sinne des § 129 AO. Für die Offenbarkeit des Fehlers trägt das FA die Feststellungslast. Aus den Akten ist nicht eindeutig erkennbar, dass der Bearbeiter des FA beim Erlass des Bescheides vom 2008 einen Haftungsbescheid erlassen wollte. Aus dem Umstand, dass nur ein Haftungsbescheid der Rechtslage entsprochen habe, lässt sich nicht ableiten, dass auch ein solcher Haftungsbescheid gewollt war. Der Vortrag des Beklagten, bei Verwendung eines bestehenden und aufgrund einer Gesetzesänderung überholten Word-Vordruckes seien versehentlich manche Textstellen übernommen und manche der Rechtslage entsprechend geändert worden, jedoch eindeutig ein Haftungsbescheid gewollt gewesen, lässt sich nicht aufgrund des Akteninhalts nachvollziehen. Für einen entsprechenden Willen des Finanzamtes könnte der Text des maschinellen Prüfhinweises, der von der Körperschaftsteuerstelle weitergegeben letztlich zum Nachforderungsbescheid führte, sprechen. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auf den überhöht ausgewiesenen Betrag der ELK-Rückgewähr …durch Haftungsbescheid geltend zu machen ist“. Entscheidend für eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO ist der Wille des Bearbeiters bei Erlass des Nachforderungsbescheides. Aus den Akten ist nicht erkennbar, welche rechtlichen Erwägungen bei Erlass dieses Bescheides angestellt worden sind. Der betreffende Bearbeiter hat jedenfalls einen bestehenden Vordruck teilweise abgewandelt und dabei sich widersprechende Formulierungen gewählt. Ein Rechtsfehler hierbei ist nicht ausgeschlossen, da aufgrund der Änderung der Gesetzeslage bis zum Jahr 2005 für die Nachforderung von Kapitalertragsteuer sowohl ein Nachforderungsals auch ein Haftungsbescheid möglich waren (Heger in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, 2. Auflage, § 27 Rz. 47 und Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 26. Auflage, § 44 Rz. 10). Der Vortrag des Beklagten, dass bei Erlass des Bescheides die Willensbildung auf einen Haftungsbescheid und nicht auf einen Nachforderungsbescheid gerichtet war, ist aufgrund des Akteninhalts nicht nachvollziehbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Formulierung im Tenor stellt für beide Parteien klar, dass das FA aus keinem Verwaltungsakt einen Anspruch ableiten kann.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m.
§ 708 Nr. 10 Zivilprozessordnung (ZPO) und § 711 ZPO.
5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

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