Aktenzeichen 9 ZB 14.1147
Leitsatz
Zur Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Vermittlungsstelle für Sportwetten bedarf es konkreter Angaben zu den angebotenen Wettmöglichkeiten und zur Ausstattung des Betriebs, weil eine Vermittlungsstelle für Sportwetten – anders als die klassische Annahmestelle für Lotto und Toto – in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ihrer Art als Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte betrieben werden kann (vgl. VGH München BeckRS 2016, 46964). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 K 13.985 2014-03-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.412 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die bauaufsichtliche Genehmigung einer Nutzungsänderung von einem Laden zu einem Ladengeschäft für „Lotto-, Toto- Wettannahmen“. Die Beklagte hat den Bauantrag mit Bescheid vom 3. September 2013 abgelehnt, weil das Vorhaben nicht ausreichend erschlossen sei und als Vergnügungsstätte nicht über die nach der städtischen Garagen-, Stellplatz- und Abstellplatzsatzung erforderliche Anzahl an Stellplätzen verfüge. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. März 2014 abgewiesen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Der Kläger wendet sich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einstufung seines Vorhabens als Vergnügungsstätte. Er beruft sich für seine Rechtsansicht auf den Wortlaut des Bauantrags und die Rechtsprechung zur „Qualifizierung eines Geschäftsbetriebs, der Sportwetten vermittelt“. Das zur Begründung seiner Rechtsansicht Dargelegte lässt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aufkommen.
a) Das Vorbringen, wonach das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf den (Anm.: bereits aufgenommenen) „angeblichen“ aktuellen Betrieb des Ladenlokals und nicht auf den allein maßgeblichen Bauantrag abgestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
aa) Soweit sich der Kläger auf den Wortlaut seines Bauantrags beruft, ist das Zulassungsvorbringen unschlüssig. Denn der Vortrag im Zulassungsverfahren zur „Qualifizierung eines Geschäftsbetriebs, der Sportwetten vermittelt“ lässt sich mit dem Wortlaut des im klägerischen Bauantrag bezeichneten Vorhabens als „Ladengeschäft für Lotto-, Toto- Wettannahmen“ nicht in Einklang bringen. Da Lotto ein Losspiel ist, bei dem auf bestimmte Zahlen getippt wird, unterfällt es schon nicht dem Begriff der Sportwette. Toto ist zwar eine Sportwette, der Begriff „Lotto- und Toto- Wettannahme“ bezeichnet aber im Allgemeinen die für den Deutschen Lotto- und Totoblock bzw. die Lottogesellschaften der Bundesländer spielvermittelnden Annahmestellen, in denen in der Regel gleichzeitig Zeitungen, Schreib- und Tabakwaren verkauft werden (vgl. OVG NW, U.v. 27.1.2016 – 7 A 1899.14 – juris Rn. 34 f.; Fickert/Fieseler, BauNVO. 12. Auflage 2014, § 4a Rn. 23.69 m. w. N.; König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Auflage 2013, § 4 Rn. 21). Dass der Kläger beabsichtigt, tatsächlich den Betrieb einer derartigen Lotto- und Toto- Wettannahmestelle aufzunehmen, wird im Zulassungsvorbringen nicht dargelegt.
bb) Wird mit dem Zulassungsvorbringen davon ausgegangen, dass der Kläger den Laden als Vermittlungsstelle für Sportwetten nutzen will und sein Bauantrag dahin zu verstehen sei, so wäre der Bauantrag ohne die Berücksichtigung sonstiger Umstände nicht genehmigungsfähig. Denn zur Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Vermittlungsstelle für Sportwetten bedarf es konkreter Angaben zu den angebotenen Wettmöglichkeiten und zur Ausstattung des Betriebs, weil eine Vermittlungsstelle für Sportwetten – anders als die klassische Annahmestelle für Lotto und Toto – in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ihrer Art als Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte betrieben werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – NVwZ-RR 2015, 774 = juris Rn. 14; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand Februar 2016, § 6 BauNVO Rn. 43, jeweils m. w. N.). Derartige konkretisierende Angaben fehlen jedoch im Bauantrag und in den Bauvorlagen. Die Darstellung einer Theke und die Beschreibung des Betriebs, „die Leute können dort ihre Scheine ausfüllen und abgeben“, reicht nicht, um den Vergnügungsstättencharakter des Vorhabens mit der zu fordernden Bestimmtheit ausschließen zu können.
cc) Angesichts der wenig aussagekräftigen Angaben im klägerischen Bauantrag begegnet es keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht sonstige objektive Umstände, insbesondere den bereits ohne Genehmigung aufgenommenen Betrieb zur Auslegung des mit dem klägerischen Bauantrag verfolgten Begehrens herangezogen hat. Denn mit der noch vor Abschluss des Genehmigungsverfahrens aufgenommenen Nutzung eines Wettbüros gibt der Kläger als Bauherr hier eindeutig zu erkennen, welche Art von Betrieb er genehmigt haben will.
(1) Der Kläger führt zwar zutreffend aus, dass das im Bauantrag und in den Bauvorlagen zur Genehmigung gestellte Vorhaben Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens ist (vgl. Gaßner in Simon/Busse, BayBO, Stand Januar 2016, Art. 64 Rn. 21 m. w. N.). Er verkennt aber, dass auch Bauanträge der Auslegung zugänglich sind. Als empfangsbedürftige Willenserklärung des öffentlichen Rechts sind für die Wirksamkeit des Bauantrags mangels besonderer Rechtsvorschriften die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts über Willenserklärungen – etwa zur Auslegung – entsprechend anzuwenden. Maßgebend ist demnach nicht allein der Wortlaut des im Bauantrag bezeichneten Vorhabens im buchstäblichen Sinn, sondern der erklärte Wille, wie er bei objektiver Würdigung zu verstehen ist (§ 133 BGB entsprechend). Etwas im Bauantrag nicht oder anders Bezeichnetes ist deshalb dann nicht maßgeblich, wenn sich durch objektive Umstände eine anderweitige Deutung ergibt (vgl. Gaßner ebd., Art. 64 Rn. 9, 13 ff.; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 8. Auflage 2014, § 22 Rn. 45 ff. m. w. N.). So liegt es offenkundig hier. Mit der Ausstattung des Ladenlokals und dessen Nutzungsaufnahme als Wettbüro bekundet der Kläger nachvollziehbar, welches Vorhaben er mit seinem Bauantrag tatsächlich (und nicht nur „angeblich“) verfolgt.
(2) Noch während des laufenden Genehmigungsverfahrens wurde u. a. für das gegenständliche Ladenlokal in der L. Straße 11 in der Ausgabe der Sonntagszeitung „P…“ vom 1. September 2013 eine ganzseitige Anzeige zur Neueröffnung von „T…-Shops“ veröffentlicht („Öffnungszeiten: Mo-So 10:00 – 23:00 Uhr“), in denen auch „Live Sky Übertragungen“ („1 + 2. Bundesliga, Europäische Ligen, Championsleague & Euroleague“) ausgestrahlt werden. Anlässlich einer daraufhin von der Beklagten am 5. September 2013 durchgeführten Ortseinsicht wurde festgestellt, dass in dem bereits in Betrieb genommenen Wettbüro an den Wänden des Ladenlokals acht Bildschirme und an den Schaufenstern entsprechende Werbungen („T…“, „Sportwetten“, „Livewetten“, „Bundesliga Live“) angebracht wurden. Auf den bei der Ortsbesichtigung von außen gefertigten Fotografien sind neben Monitoren bzw. Bildschirmen mehrere Tische und Stühle im Laden zu sehen. Weiterhin hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 25. März 2014 tags zuvor gefertigte Lichtbilder übergeben, die zeigen, dass das Ladenlokal nach wie vor im bisher ausgeübten Umfang als Wettbüro betrieben wurde. Hiervon ausgehend ist der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss gerechtfertigt, dass die Nutzung der Wettvermittlungsstelle im tatsächlich vorhandenen Umfang Gegenstand des klägerischen Genehmigungsantrags sein soll.
Das hiergegen gerichtete Zulassungsvorbringen, „maßgeblich ist allein der Bauantrag und nicht eine angebliche Nutzung der Geschäftsräume“, beschränkt sich auf die Vorhabenbezeichnung im Bauantrag als „Lotto-, Toto- Wettannahmestelle“ und die fehlende Darstellung der vorgefundenen Einrichtung in den Bauvorlagen. Der Kläger legt aber weder dar, wie die aufgenommene weitergehende Nutzung des Ladenlokals als Wettbüro im Zusammenhang mit dem laufenden Genehmigungsverfahren sonst interpretiert oder erklärt werden könnte, noch distanziert er sich von der formell und materiell illegal aufgenommenen Nutzung. Es wird auch nicht dargelegt, dass sich seit der Nutzungsaufnahme des Wettbüros hieran etwas geändert hätte. Dass die aufgenommene Vermittlung von Live-Wetten, die angebrachten Monitore und Werbeanlagen, die Sitzgruppen und die beworbenen Fernsehübertragungen im Bauantrag und in den Bauvorlagen nicht beschrieben oder dargestellt sind, mag ggf. die Unbestimmtheit des Bauantrags für eine Sportwettvermittlung belegen, nicht aber, dass der Kläger die Aufnahme einer bloßen Wettannahmestelle ohne Monitore, Sitzgelegenheiten und Sportübertragungen beabsichtigt hat. Auch die nichtssagende Beschreibung des Vorhabens, „die Leute können dort ihre Scheine ausfüllen und abgeben“, schließt die tatsächlich verfolgte Absicht, das beantragte Vorhaben als Vergnügungsstätte zu betreiben, nicht aus; in Wettbüros werden ebenfalls Wettscheine ausgefüllt und abgegeben.
b) Angesichts dieser tatsächlichen Umstände, die bei der Auslegung des klägerischen Bauantrags zu berücksichtigen waren, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Vorhaben eine Vergnügungsstätte zum Gegenstand hat.
aa) Das Zulassungsvorbringen, eine für die Dauer eines Monats durchgeführte Kundenauswertung an anderer Stelle in einem vergleichbaren Fall habe eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer pro Besucher von unter 5 Minuten ergeben, was gegen einen Verweilcharkter spreche, führt schon deshalb zu keiner vom Verwaltungsgericht abweichenden Bewertung, weil die Kundenauswertung mangels näherer Angaben weder auf ihre Plausibilität noch auf ihre Übertragbarkeit hin überprüfbar ist. Insbesondere fehlte es von vornherein an der Vergleichbarkeit der Untersuchung, wenn das Untersuchungsobjekt eine bloße Wettannahmestelle zum Gegenstand hat. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Kläger ein Ambiente geschaffen hat, welches jedenfalls auf ein längeres Verweilen der Wettkunden abzielt.
bb) Davon abgesehen gibt es keine allgemeingültige zeitliche Grenze für den durchschnittlichen Kundenaufenthalt, die zur Abgrenzung der typisierenden Nutzungsbegriffe des Gewerbebetriebs und der Vergnügungsstätte herangezogen werden könnte. Der Verweilcharakter eines Wettbüros – wie hier (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – juris Rn. 14, jeweils m. w. N.) – folgt aus der Möglichkeit, sich während des Laufs der Sportveranstaltungen in den Räumen des Wettbüros aufzuhalten, um die über Wandmonitore ausgestrahlten aktuellen Quoten und Ergebnisse der Wettkämpfe live zu verfolgen und noch während der laufenden Sportveranstaltungen in schneller Abfolge auf bestimmte Ereignisse zu wetten (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 8 m. w. N.). Eine derartige Möglichkeit besteht vorliegend. Ein bestimmter Mindestzeitraum des Verweilens, ab dem erst vom Vorliegen einer Vergnügungsstätte ausgegangen werden kann, ist aber ebenso wenig zu fordern wie eine möglichst angenehme oder gesellige Atmosphäre (vgl. zum „geselligen Beisammensein“ auch Fickert/Fieseler, a. a. O. § 4a Rn. 22.6). Auch die jeweilige Ausstattung eines Wettbüros mit Sitzgruppen oder TV-Bildschirmen, das Bereitstellen von Getränken und Speisen oder das Vorhalten von Unterhaltungsspielen etc. sind lediglich Indizien für das Vorliegen einer Vergnügungsstätte, aber keine unabdingbare Voraussetzung hierfür. Die Größe eines Betriebs ist schließlich ein Kriterium zur Unterscheidung von kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten. Eine Vergnügungsstätte liegt aber nicht erst ab einer bestimmten Flächengröße vor (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2016, a. a. O.).
c) Entgegen dem Vorbringen des Klägers verfügt das zu Recht als Vergnügungsstätte beurteilte Vorhaben demnach nicht über eine ausreichende Anzahl von Stellplätzen, weil für „sonstige Vergnügungsstätten“ nach § 2 i. V. m. Nr. 7.3 der Anlage 1 der Garagen-, Stellplatz- und Abstellplatzsatzung der Beklagten mindestens 3 Stellplätze vorhanden sein müssen, an denen es fehlt. Ob es dem Vorhaben auch an einer ausreichenden wegemäßigen Erschließung fehlt, bedarf keiner Klärung.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage, „sind bei der (gerichtlichen) Prüfung der Genehmigungsfähigkeit eines Bauantrags die Bauvorlagen im Sinne des Art. 64 Abs. 2 Satz 1 maßgeblich oder die aktuelle Nutzung der Räumlichkeiten, für die der Bauantrag gestellt worden ist“, lässt sich für den gegenständlichen Fall nach den obigen Ausführungen ohne weiteres und mit zweifelsfreien Ergebnissen klären. Von einem Berufungsverfahren ist daher kein weiterer Ertrag zu erwarten (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 16).
3. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Rechtsfrage, „liegt bei einem Bauantrag über eine Wettannahmestelle mit ca. 34 Quadratmetern Nutzfläche für Besucher und einem Tresen, keinen TV-Bildschirmen, keinen Sitzgelegenheiten, keinen Geldspielgeräten oder anderen Spielgeräten, keinem Getränkeausschank und keinem Speiseangebot eine Vergnügungsstätte vor“, ist nicht klärungsfähig, weil der Bauantrag des Klägers nach Vorstehendem als Antrag auf Genehmigung eines Wettbüros im tatsächlich ausgeübten Umfang auszulegen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).