Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem

Aktenzeichen  M 6 S 16.2862

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, § 65 Abs. 3 Nr. 3,

 

Leitsatz

Bei gravierende Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch innerhalb geschlossener Ortschaften müssen die persönlichen Interessen des Antragstellers am Erhalt der Fahrerlaubnis hinter den Interessen der Allgemeinheit – hier insbesondere an der Sicherheit des Straßenverkehrs – zurücktreten. (redaktioneller Leitsatz)
Die Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, hat an der sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis teil. Wird hinsichtlich letzterer die sofortige Vollziehung angeordnet, ist dies hinsichtlich der Ablieferungspflicht nicht mehr erforderlich, aber unschädlich. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S.
Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf die Sachdarstellung unter Gründe I. im Bescheid des Landratsamts … vom 30. Mai 2016 zur Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers Bezug genommen, insbesondere dort auf die Tabelle zu den einzelnen Zuwiderhandlungen.
Unter Gründe II. führt die Behörde aus, dass dem Antragsteller nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG i. V. m. § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen sei, da er zum (letzten bekannten) Tattag … Oktober 2015 mit 8 Punkte im Fahreignungsregister als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte. Die vorangestellten Maßnahmen Ermahnung und Verwarnung seien ergriffen worden.
Mit Schriftsatz vom … Juni 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 (M 6 K 16.2861) und beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 wiederherzustellen.
Der Antragsteller habe noch keine 8 Punkte erreicht, weil der Verstoß vom … März 2014 mit 2 Punkten bereits getilgt sei. Der Antragsteller habe daher nur 6 Punkte. Die Ahndung dieser Tat sei am … April 2014 und damit vor der Punktereform zum 1. Mai 2014 rechtskräftig geworden. Am … April 2016 sei daher die Tilgungsfrist von 2 Jahren abgelaufen gewesen. Auf die Speicherung beim Kraftfahrt-Bundesamt erst am … Juni 2014 könne es nicht ankommen.
Der Antragsgegner legte mit Schriftsatz vom 7. Juli 2016 seine Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Für die Bewertung der Punkte – so der Antragsgegner in der Klageerwiderung zu M 6 K 16.2861 ebenfalls vom … Juli 2016 – komme es nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft an, sondern auf den Zeitpunkt der Speicherung im Fahreignungsregister. Aber selbst wenn man bei der Tat vom … März 2014 eine zweijährige Tilgungsfrist ab Rechtskraft am … April 2014 annehmen wollte, wäre diese am letzten Tattag … Oktober 2015 noch nicht abgelaufen gewesen.
Mit Beschluss vom 11. Juli 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 K 16.2861 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen. Der Führerschein wurde nach Aktenlage noch nicht abgegeben.
II.
Der uneingeschränkt gestellte Antrag ist gemäß § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom … Juni 2016 gegen die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 30. Mai 2016 enthaltene Entziehung seiner Fahrerlaubnis (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz – StVG), hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheids enthaltenen, fristmäßig konkretisierten, Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (die an der sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis teilhat; insoweit ist die erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids in dessen Nr. 3 unschädlich), hinsichtlich der in Nr. 4 enthaltenen Zwangsgeldandrohung (welche gemäß Art. 21 a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes -VwZVG – bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist; § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) und auch hinsichtlich der in Nr. 5 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verfahrens (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) begehrt.
Der so ausgelegte Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, jedoch unbegründet und daher ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch dann, wenn dies gesetzlich angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO).
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem gesetzgeberischen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom 30. Mai 2016 enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung nimmt die erkennende Kammer vollumfänglich Bezug auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen unter Gründe I. und II. des Bescheids vom 30. Mai 2016 und macht sich diese zur Begründung der vorliegenden Entscheidung zu Eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Dem Antragsteller war die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ohne jegliches Ermessen zu entziehen.
Das Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Nach dem klaren Wortlaut des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG kommt es hinsichtlich der Tat vom … März 2014 weder auf diesen Tattag noch auf den Eintritt der Rechtskraft am … April 2014 sondern allein auf die Speicherung im Fahreignungsregister am … Juni 2014 an.
Daher müssen die persönlichen Interessen des Antragstellers hinter den Interessen der Allgemeinheit – hier insbesondere an der Sicherheit des Straßenverkehrs – zurücktreten, zumal es sich bei den Zuwiderhandlungen des Antragstellers bislang um zum Teil gravierende Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch innerhalb geschlossener Ortschaften gehandelt hat, gerade auch bei der Tat am … März 2014.
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Rechtliche Bedenken gegen die in Nr. 4 des Bescheids enthaltene – im Übrigen hinsichtlich der Höhe sehr moderate – Zwangsgeldandrohung oder die in Nr. 5 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).

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