Aktenzeichen B 4 K 15.921
Leitsatz
Wird die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Zustellung des Befristungsbescheides verkürzt, ist dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts liegt (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 52673). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Ziffern 2 und 3 des Bescheides der Beklagten vom 25.11.2015 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin ¾ und die Beklagte ¼.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2015 ist rechtmäßig, soweit die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nachträglich auf den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides verkürzt wurde (nachfolgend 1.). Dagegen ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit der Klägerin die Abschiebung angedroht wird, falls sie das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht einen Monat nach Unanfechtbarkeit des Bescheides verlässt (nachfolgend 2.).
1. Die Beklagte hat zu Recht gemäß § 7 Abs. 2 Satz AufenthG nachträglich die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin auf den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides verkürzt (Ziff. 1 des Bescheides).
Ist eine für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind das Interesse des Ausländers, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen. Keine Bedeutung für die Ermessensentscheidung hat dabei das Interesse des Ausländers an einem Verbleib in Deutschland über die reguläre ursprüngliche Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hinaus. Dieses Interesse ist erst im Rahmen der Prüfung eines anschließenden Aufenthaltsrechts zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 09.06.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124/128f. = NVwZ 2009, 1432/1433 jew. Rn. 13 – 15).
Wird die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Zustellung des Befristungsbescheides verkürzt, ist dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts liegt. (BVerwG, B. v. 22.05.2013 – 1 B 25/12 – BayVBl 2014, 56/57, Rn. 6).
(a) Nachdem sich die Klägerin und ihr Ehemann nach übereinstimmenden Angaben im April 2015 auf Dauer getrennt haben, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entfallen und damit die tatbestandliche Voraussetzung für die nachträgliche Verkürzung erfüllt. Denn die Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann im Bundesgebiet war der Aufenthaltszweck, aufgrund dessen die Beklagte der Klägerin die Aufenthaltserlaubnis erteilt und einmal verlängert hatte.
(b) Die Beklagte hat das ihr durch § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gemäß Art. 40 BayVwVfG dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt Das öffentliche Interesse an der Beendigung des rechtswidrig gewordenen Aufenthalts überwog zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Befristungsbescheides am 27.11.2015 das Interesse der Klägerin, bis zum 11.07.2016 in Deutschland zu bleiben.
Die Beklagte hat dabei zu Recht entscheidend auf das öffentliche Interesse abgestellt, mit der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer eine weitere Verfestigung des Aufenthalts der Klägerin in Deutschland während der achtmonatigen Restlaufzeit ihrer Aufenthaltsdauer zu verhindern.
Demgegenüber hat die Klägerin keine gewichtigen Gründe für einen vorläufigen weiteren Verbleib in Deutschland bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer ihrer Aufenthaltserlaubnis vorgetragen. Weder das Fernstudium an der … School, das sie nach eigenem Bekunden auch von ihrem Heimatland aus hätte betreiben können, noch die damalige Teilzeitbeschäftigung im … Schwimmbad stellten anerkennenswerte Hinderungsgründe für eine Rückkehr nach Südafrika dar.
Die erst nach dem maßgeblichen Zeitraum eingetretenen Umstände, der berufsbezogene Sprachkurs, die Beschäftigung als Kellnerin und das anhängige Scheidungsverfahren, haben außer Betracht zu bleiben.
Dies gilt auch für die Belange, die für die von der Beklagten noch zu treffende Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG eine Rolle spielen, insbesondere die angeblich erlittene häusliche Gewalt. Auch die in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragene Schwangerschaft und die beabsichtigte Eheschließung mit dem neuen Lebensgefährten sind hier nicht entscheidungsrelevant.
Die nachträgliche Verkürzung wahrt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der damals 36jährigen Klägerin, die sich Ende November 2015 erst 2 ½ Jahre im Bundesgebiet aufhielt, war es zumutbar, baldmöglichst in ihr Heimatland zurückzukehren. Denn in Südafrika, wo ihre 1995 geborene Tochter lebt, hatte sie sich zuvor weitaus die längste Zeit ihres Lebens aufgehalten und einen Studienabschluss erworben, so dass einer raschen Wiedereingliederung in die dortigen Verhältnisse nichts entgegenstand.
Hinsichtlich der Ziff. 1 des Bescheids war die Klage somit abzuweisen.
2. Die Klage hat aber Erfolg, soweit sie gegen die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist gerichtet ist (Ziff. 2 und 3 des Bescheides).
Nachdem die Beklagte über den am 11.08.2015 gestellten Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG noch nicht entschieden hat, kommt diesem rechtzeitig gestellten Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu (so BayVGH, B. v. 12.05.2016, a. a. O., Beschlussabdruck S. 5/6). Eine Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung und -frist hätte in dem streitgegenständlichen Bescheid nicht ergehen dürfen, weil die nach §§ 58, 59 AufenthG vorauszusetzende vollziehbare Ausreisepflicht der Klägerin nicht vorlag.
II.
Da die Klägerin teils obsiegte, teils unterlag, waren die Kosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.