Aktenzeichen M 9 S 16.50074
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, § 34a Abs. 2
VwGO VwGO § 60 Abs. 1
Leitsatz
1. Es liegen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien vor, die einen Selbsteintritt erfordern würden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Anzeige eines Wohnungswechsels nicht nachgekommen, muss er die Zustellung des Bescheides an die bisherige Anschrift gegen sich gelten lassen. Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist kann nicht gewährt werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der am … 1996 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger von Sierra Leone.
Er reiste vermutlich am 10. Mai 2015 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 23. Juli 2015 die Anerkennung als Asylberechtigter. Nachdem eine EURODAC- Abfrage ergab, dass der Antragsteller bereits in Italien ein Asylverfahren angestrengt hatte, richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom … Dezember 2015 wurde der Antrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids) und die Abschiebung nach Italien angeordnet (Nr. 2 des Bescheids). In Nr. 3 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Bescheid sollte dem Antragsteller unter der Adresse, …-Straße …, … … zugestellt werden. Ausweislich der PZU vom 4. Dezember 2015 scheiterte die Zustellung indes, da der Antragsteller unter der angegebenen Adresse nicht zu ermitteln war (Bl. 72 der Behördenakte).
Die Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit einem am 3. Februar 2016 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage (M 9 K 16.50073) gegen den vorgenannten Bescheid und beantragte vorsorglich für den Fall der Fristversäumung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie beantragt zugleich im vorliegenden Verfahren, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sowie für den Fall der Versäumung der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Antragsteller ab dem 9. November 2015 in die Unterkunft …r Straße …, … … umverteilt worden sei und nur vor diesem Zeitpunkt unter der Adresse …-Straße … zu erreichen gewesen sei. Von der Existenz des streitgegenständlichen Bescheids habe er erst am 1. Februar 2016 durch eine Ausreiseaufforderung der Landeshauptstadt München vom 26. Januar 2016 erfahren. In einer eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 2016 (Bl. 6 der Gerichtsakte) erklärt der Antragsteller, dass er seinen Wohnsitzwechsel zum 9. November 2015 dem Bundesamt mitgeteilt habe. Der Bescheid vom … Dezember 2015 sei ihm nicht bekannt gegeben worden.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat den Eilantrag nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom … Dezember 2015 und damit nicht fristgerecht im Sinne von § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt. Wiedereinsetzung in die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG ist nicht zu gewähren.
Der streitgegenständliche Bescheid gilt spätestens am 4. Dezember 2015 als zugestellt. Die Antragsfrist endete folglich spätestens mit Ablauf des 11. Dezember 2015 (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB). Im Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht am 3. Februar 2016 war die Antragsfrist somit bereits abgelaufen.
Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können. Insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.
Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist.
Im vorliegenden Fall wurde dem Bundesamt die Anschrift „…-Str. …, … …“ mitgeteilt (Bl. 28, 76 der Behördenakte). Dies war die Adresse des Antragstellers im Zeitpunkt der Asylantragstellung. An diese Anschrift ist der streitgegenständliche Bescheid auch adressiert worden. Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch glaubhaft vom Antragsteller vorgetragen, dass die Adressänderung zum 9. November 2015 dem Bundesamt zur Kenntnis gebracht wurde. Hierüber existiert weder ein Vermerk noch eine schriftliche Mitteilung. Der Antragsteller hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 2016 lediglich behauptet, er habe den neuen Wohnsitz dem Bundesamt mitgeteilt. Nachdem er weder vorträgt, wann dies geschehen sein soll noch in welcher Form eine solche Mitteilung an das Bundesamt gegangen sein soll, ist die Behauptung angesichts der klaren Aktenlage nicht glaubhaft.
Der Bescheid vom … Dezember 2015 wurde dem Antragsteller wirksam zugestellt.
Kann eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung – wie im vorliegenden Fall – als unzustellbar zurückkommt. Aufgrund dieser Bestimmung gilt der Bescheid des Bundesamtes vom … Dezember 2015 als spätestens am 4. Dezember 2015 an den Antragsteller zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist an diesem Tag ein erfolgloser Zustellversuch erfolgt, weil der Antragsteller unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war.
Der Antragsteller ist ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes auch hinreichend über seine Mitwirkungspflichten, insbesondere darüber belehrt worden, dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und im Falle eines Gerichtsverfahrens auch dem Verwaltungsgericht jeden Wohnungswechsel umgehend mitzuteilen. Der Antragsteller hat anlässlich der Asylantragstellung am 23. Juli 2015 den Gesetzestext u.a. des § 10 AsylG sowie eine ausführliche schriftliche Erläuterung sowohl in deutscher Sprache als auch in englischer Sprache erhalten. Damit ist er ordnungsgemäß im Sinne von § 10 Abs. 7 AsylG auf seine Obliegenheiten im Asylverfahren hingewiesen worden. Die Belehrung ist in verständlicher Sprache abgefasst und weist ausdrücklich auf die Pflicht hin, Adressänderungen – auch bei behördlich veranlasstem Umzug – mitzuteilen. Auch die Möglichkeit der Zustellung an die zuletzt mitgeteilte Adresse wird erwähnt.
Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass nach dem oben Gesagten auch die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 AsylG) bereits abgelaufen und damit auch die Klage unzulässig ist.
Die hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Dies würde gem. § 60 Abs. 1 VwGO voraussetzen, dass der Antragsteller ohne Verschulden gehindert war, die Antragsfrist einzuhalten. Von fehlendem Verschulden kann dann nicht ausgegangen werden, wenn der Asylantragsteller seiner Pflicht zur Mitteilung des Wohnsitzwechsels nicht nachkommt und auch an seinem bisherigen Wohnsitz keine Maßnahmen trifft, um die zu erwartende Zustellung eines Bescheid sicherzustellen (VG München, U. v. 09. August 2007 – M 24 K 07.50513 – juris, Rn. 22). Dies ist hier nicht erfolgt. Wie bereits ausgeführt ist die Behauptung, der Wohnsitzwechsel sei dem Bundesamt mitgeteilt worden nicht glaubhaft dargelegt.
Selbst wenn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte wäre der Antrag als unbegründet abzulehnen.
Die Klage hätte im Fall ihrer Zulässigkeit voraussichtlich keinen Erfolg weshalb auch der vorliegende Antrag im Fall seiner Zulässigkeit abzulehnen wäre.
Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig, insbesondere hat die Antragsgegnerin zu Recht ein Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO abgelehnt. Auf die zutreffenden Gründe des Bescheids wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien, die einen Selbsteintritt der Antragsgegnerin erfordern würden, liegen nicht vor (BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U.v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12.A – juris). Diese Einschätzung wird insbesondere durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13.01.2015 (Nr. 51428/10) und vom 30.06.2015 (Nr. 39350/13) bestätigt. Italien wäre für die Durchführung des Asylverfahrens weiter zuständig, da der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO im Fall der Wiedereinsetzung gem. § 34 a Abs. 2 AsylG aufschiebende Wirkung hat und die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO erst nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf neu zu laufen beginnt.
Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch ohne Erfolg, soweit Abschiebungshindernisse zu prüfen sind.
Persönliche Vollstreckungshindernisse, die über die allgemeinen Verhältnisse für Asylbewerber in Italien hinausgehen hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen nicht.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
…