Verwaltungsrecht

Offensichtlichkeitsurteil wegen fehlender Mitwirkung – Zustellungsfiktion

Aktenzeichen  M 16 S 16.30747

Datum:
21.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 5, § 10 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Der Asylsuchende kann sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet wegen gröblicher Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe die Ladung zur Anhörung nicht erhalten, wenn er über seine Verpflichtung, die Anschriftsänderung dem Bundesamt mitzuteilen, belehrt wurde. Zudem muss er die Ladung zur Anhörung unter der dem Bundesamt auf Grund einer Mitteilung einer öffentlichen Stelle bekannten letzten Anschrift gegen sich gelten lassen (Zustellungsfiktion). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist senegalesischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben reiste er am 8. Oktober 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23. Oktober 2013 Asylantrag.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2016, zugestellt am 2. April 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1 und Nr. 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Senegal oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat angedroht (Nr. 5). Außerdem wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei unbegründet und darüber hinaus gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 Asylgesetz – AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, da der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten gröblich verletzt habe. Der Antragsteller sei zum Anhörungstermin am 2. Dezember 2015 ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Daher sei ihm gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monat gegeben worden. Da sich der Antragsteller nicht geäußert habe, sei über seinen Asylantrag nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der Nichtmitwirkung entschieden worden.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 8. April 2016 Klage (M 16 K 16.30746) erhoben und gleichzeitig beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in den Senegal die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Ablehnungsbescheid sei ergangen, ohne ihm im Rahmen einer Anhörung Gelegenheit zu geben, seine Fluchtgründe persönlich darzulegen. Die Ladung zur Anhörung habe er nicht erhalten, weil er seit November 2015 in Fürstenfeldbruck untergebracht sei. Das Bundesamt habe offenbar noch seine frühere Adresse in Olching gespeichert.
Das Bundesamt legte die Behördenakten vor; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte dieses und des Klageverfahrens M 16 K 16.30746 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Dabei ist im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 40).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils. Das Bundesamt stützt die entsprechende Bewertung neben der Einordnung des Heimatlandes des Antragstellers als sicheren Herkunftsstaat i. S. des § 29a AsylG auf eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten des Antragstellers nach § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG, weil der Antragsteller zum Anhörungstermin nicht erschienen sei und sich auch innerhalb der Frist des § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG nicht geäußert habe. Diese Bewertung des Bundesamts begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, die Ladung zur persönlichen Anhörung nicht erhalten zu haben. Ein Ausländer hat während der Dauer des Asylverfahrens dafür vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamts, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen (§ 10 Abs. 1 AsylG). Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss er Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann eine Sendung dem Asylbewerber nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt.
In der vorgelegten Akte des Bundesamts befindet sich eine Umzugsaufforderung der Regierung von Oberbayern vom 28. August 2014, mit der dem Antragsteller, der bis zu diesem Zeitpunkt in Fürstenfeldbruck untergebracht war, ein Wohnsitz in einer Unterkunft in Olching zugewiesen wird. An die in diesem Bescheid genannte Anschrift wurde die Ladung zur persönlichen Anhörung adressiert und ausweislich der Leitwegseinträge des Bundesamts am 20. November 2015 versandt. An diese Anschrift war auch das Schreiben des Bundesamts vom 2. Dezember 2015, mit dem dem Antragsteller gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats gegeben wurde, gerichtet. Dieses Schreiben wurde am 2. Dezember 2015 mit Postzustellungsauftrag versandt und konnte ausweislich der Zustellungsurkunde nicht zugestellt werden, da der Empfänger unbekannt verzogen war. Da dem Bundesamt die Anschrift in Olching durch Übermittlung eines Abdrucks des Zuweisungsbescheides der Regierung von Oberbayern und damit durch eine öffentliche Stelle im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG mitgeteilt wurde und der Antragsteller keinen Bevollmächtigten im Asylverfahren und auch keinen Empfangsberechtigten benannt hat, hat er Mitteilungen und Zustellungen des Bundesamts an diese Anschrift gegen sich gelten zu lassen. Dabei kann offen bleiben, weshalb der Antragsteller sich nunmehr wieder in der ursprünglichen Unterkunft in Fürstenfeldbruck befindet. Denn selbst wenn dieser erneute Umzug behördlich veranlasst gewesen sein sollte, bestand für den Antragsteller die Obliegenheit, dem Bundesamt seine Adressänderung mitzuteilen (vgl. VG Berlin, B.v. 22.9.2015 – 33 L 276.15 A – juris). Der Antragsteller wurde auch über das Mitwirkungserfordernis bei Adressänderungen belehrt (§ 10 Abs. 7 AsylG). Er wurde am 23. Oktober 2013 im Zusammenhang mit seiner Asylantragstellung insbesondere darauf hingewiesen, dass er u. a. dem Bundesamt jeden Wohnungswechsel mitzuteilen hat und dies auch dann gilt, wenn ihm von einer staatlichen Stelle ein neuer Wohnort und eine neue Unterkunft zugewiesen werden. Der Antragsteller hat durch Unterschrift bestätigt, dass ihm diese Belehrung übersetzt wurde und er sie auch verstanden hat.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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