Aktenzeichen 16 UF 134/16
Leitsatz
1. Die Einräumung eines Umgangsrechts für die Großeltern entspricht insbesondere dann in der Regel nicht dem Kindeswohl, wenn zwischen den Eltern und den Großeltern ein unüberwindbares Zerwürfnis besteht oder die Beziehung zwischen diesen empfindlich gestört ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ist eine Entscheidung des Beschwerdegerichts auch gegen den Willen eines Beteiligten ohne erneute Durchführung einer mündlichen Verhandlung zulässig, wenn diese bereits in erster Instanz erfolgt ist und neue Erkenntnisse aus deren Wiederholung in der zweiten Instanz nicht zu erwarten sind. (Rn. 20) (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
2 F 724/14 2015-12-08 Bes AGERDING AG Erding
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht – Erding, Az. 2 F 724/14 wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000.- € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer sind die Großeltern mütterlicherseits der Kinder K. H., geboren am … 2006 und M. H., geboren am … 2008. Die Kinder wachsen bei ihren leiblichen Eltern T. H. und B. W.-H. auf.
Nach der Geburt hatten die Kinder zunächst regelmäßigen Kontakt mit den Großeltern. 2009 kam es zu einem Kontaktabbruch. 2011 wurde der Kontakt wieder aufgenommen. Dem lag unter anderem eine Vereinbarung zu Grunde, die die Eltern und die Großeltern der betroffenen Kinder am 10.08.2011 bzw. 27.08.2011 geschlossen haben.
In dieser Vereinbarung verpflichteten sich die Großeltern den Eltern ein zinsloses Darlehen zur Verfügung zu stellen.
Umgekehrt wurde ihnen hinsichtlich der Kinder ein Umgangsrecht eingeräumt. Das Darlehen sollte sofort zur Rückzahlung fällig sein, sofern durch die Eltern das Umgangsrecht nicht mehr gewährt würde.
Seit 08.07.2014 lehnten die Eltern den Umgang ihrer Kinder mit den Großeltern (Beschwerdeführer) ab. Hintergrund hierfür war, dass ihnen ein Schreiben der Großeltern an das zuständige Jugendamt vom 03.07.2014 bekannt geworden war, in dem diese diverse Vorwürfe und Bedenken in Bezug auf die Erziehung der Kinder durch die leiblichen Eltern überschrieben mit den Worten „Vorfälle von seelischer Mißhandlung der Enkelkinder K. und M.“ vorbringen.
Seitdem ist das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern endgültig zerrüttet.
Mit Schriftsatz vom 26.11.2014 beantragten die Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht Erding die Einräumung eines Umgangsrechtes hinsichtlich der Kinder K. und M. H.
Das Amtsgericht hat die Eltern und die Großeltern persönlich angehört. Weiterhin hat es für die Kinder einen Verfahrensbeistand bestellt und auch die Kinder persönlich angehört. Es hat die Stellungnahme des zuständigen Jugendamtes eingeholt. Schließlich hat es ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.
Im Ergebnis hat das Amtsgericht – Familiengericht – Erding den Antrag auf Einräumung eines Umgangsrechts zurückgewiesen. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Umgang der Kinder mit den Großeltern nicht dem Wohl der Kinder diene. Das Verhältnis zwischen den Großeltern und den Eltern sei zerrüttet. Würde ein Umgang durch das Gericht angeordnet bzw. erzwungen werden, würden die Kinder in einen massiven Loyalitätskonflikt gestürzt. Durch die Spannungen zwischen Eltern und Großeltern seien die Kinder überfordert. Der Sohn K. habe auf die Spannungen mit einer depressiven Symptomatik reagiert, der Sohn M. mit Wut.
Mit der Beschwerde verfolgen die Großeltern den Antrag auf Gewährung eines Umgangsrechts weiter. Sie machen geltend, dass die Kinder durch die Eltern beeinflusst worden seien.
Durch den Ausschluss des Umgangs würde nicht nur der Kontakt zwischen den Kindern und den Großeltern mütterlicherseits, sondern auch der Kontakt zu den Verwandten und Bekannten der Großeltern mütterlicherseits unterbrochen.
Weiterhin sei besorgniserregend, dass die Kinder insgesamt eine negative Entwicklung durchmachten, von der die Umgangsproblematik nur einen kleinen Ausschnitt bilde.
Durch die Anordnung einer Umgangspflegschaft könnten die Kinder in dem Loyalitätskonflikt entlastet werden. Im übrigen sei davon auszugehen, dass bereits die gerichtliche Anordnung des Umgangs zu einer Entspannung der Situation führe.
Die Antragsgegner weisen den Vorwurf zurück, dass sie die Kinder gegen den Umgang beeinflusst hätten.
Seit Aussetzung des Umgangs habe sich das Familienleben entspannt. Im übrigen sei das Grundvertrauen zwischen Eltern und Großeltern zerstört. Auf dieser Grundlage könnten die Eltern ihren Kindern auch keinen Umgang mit den Großeltern vermitteln.
Das Landratsamt Jugendamt E. hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ebenfalls darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern definitiv zerrüttet sei. Durch die Anordnung eines Umganges würden die Kinder in einen Loyalitätskonflikt gestürzt.
Insoweit könnten sie auch nicht ausreichend entlastet werden, wenn der Umgang gerichtlich angeordnet werden und zum Schutz der Kinder ein Umgangspfleger eingesetzt werde. Vielmehr wären die Kinder darauf angewiesen, dass der Umgang durch die Eltern auch innerlich befürwortet werde. Davon sei aufgrund des definitiv zerrütteten Verhältnisses zwischen Eltern und Großeltern jedoch nicht auszugehen.
Die Verfahrensbeiständin analysiert in ihrer Stellungnahme vom 2.5.2016 die erhebliche Belastung der Kinder durch den Konflikt zwischen den Eltern und den Großeltern. Weiterhin kommt sie zu der Einschätzung, dass Konzentrationsprobleme und Ablenkbarkeit des Sohnes K. mit inneren, nicht auflösbaren Spannungen im Zusammenhang stehen könnten. Sie stellt den derzeit bestehenden Abbruch des Kontaktes zwischen den Kindern und den Großeltern in Frage, ohne eine abschließende Handlungsempfehlung geben zu können.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Großeltern sind als Antragsteller beschwerdebefugt, weil ihr Antrag auf Einräumung eines Rechts zum Umgang mit den Kindern K. und M. H. zurückgewiesen wurde.
Weiterhin ist eine Entscheidung ohne erneute Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zulässig. Das Amtsgericht hat bereits wiederholt mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und sowohl die Eltern als auch die Großeltern und die betroffenen Kinder und deren Verfahrensbeistand persönlich angehört. Weiterhin hat es ein umfangreiches Sachverständigengutachten eingeholt, zu dem die Beteiligten ebenfalls angehört wurden. Von einer erneuten mündlichen Verhandlung und persönlichen Anhörung der Beteiligten wären keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten. Dies ergibt sich auch aus der Stellungnahme der Antragsteller zu dem Hinweisbeschluss des Senates vom 10.5.2016, in der sie eine Entscheidung ohne erneute mündliche Verhandlung ablehnen. Anhaltspunkte, welche weiteren Erkenntnisse aus einer erneuten mündlichen Erörterung gewonnen werden könnten, ergeben sich aus dieser Stellungnahme nicht. Vielmehr zeigt sie, dass die Spannungen zwischen den Großeltern und Eltern weiter anhalten. Diese respektieren nach wie vor nicht, dass für das Wohl der Kinder allein die sorgeberechtigten Eltern verantwortlich sind, sondern äußern sich kritisch zur Behandlungsbedürftigkeit des Enkels M. und versuchen an den Eltern vorbei über den Therapeuten Informationen über den Enkel K. zu erlangen, in Kauf nehmend, dadurch auch diesen geschützten Raum für das ohnehin belastete Kind zu entwerten.
2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Den Großeltern steht ein Recht auf Umgang mit ihren Enkelkindern zu, wenn dieser dem Wohl der Enkelkinder dient (§ 1685 Abs. 1 BGB). Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ist nicht feststellbar, dass die Anordnung des Umgangs dem Wohl der Kinder K. und Maximilan H. dienen würde.
Die Einräumung eines Umgangsrechts für die Großeltern entspricht nach gefestigter Rechtsprechung insbesondere dann in der Regel nicht dem Kindeswohl, wenn zwischen den Eltern und den Großeltern ein unüberwindbares Zerwürfnis besteht oder die Beziehung zwischen diesen empfindlich gestört ist (OLG Celle NJW-RR 2011, Seite 1512; OLG Hamm FamRZ 2010, Seite 909; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, Seite 915; OLG Koblenz NJW-RR 2000, Seite 883).
Das Umgangsrecht der in § 1685 BGB genannten Personen findet dann seine Grenze, wenn die Kinder aufgrund eines Zerwürfnisses zwischen Eltern und Großeltern einem erheblichen Loyalitätskonflikt ausgesetzt werden (OLG Hamm FamRZ 2010, Seite 909).
Dann bewirkt der Umgang nicht eine Förderung der Kinder, sondern schlägt vielmehr in eine Belastung der Kinder um.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Erding ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einräumung eines Umgangsrecht für die Antragsteller die aufgrund der bisherigen Spannungen ohnehin belasteten Kinder M. und K. zusätzlich belasten würde.
Die Sachverständige M. ist mit überzeugender und nachvollziehbarer Begründung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kinder eine gute Beziehung zu ihren leiblichen Eltern aufgebaut haben. Die Kritik der Großeltern an der Erziehung der Eltern hat sich insoweit nicht bestätigt.
Weiterhin ist die Sachverständige ebenfalls mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gekommen, dass ein erzwungener Kontakt zwischen den Kindern und den Großeltern gegen den Widerstand der Eltern zu weiteren erheblichen Belastungen und einem massiven Loyalitätskonflikt der Kinder führen würde. Auf dieser Grundlage ist die Sachverständige nicht nur zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Kontakt zwischen den Kindern und den Großeltern dem Wohl der Kinder nicht diene, sondern darüber hinaus, dass ein erzwungener Kontakt zwischen Enkelkindern und Großeltern aus psychologischer Sicht mit den Kindesbedürfnissen nicht vereinbar sei.
Ein weiterer gewichtiger Gesichtspunkt, der gegen die Gewährung von Umgang für die Großeltern spricht, ist es, wenn die Enkelkinder selbst den Umgang mit den Großeltern ablehnen.
Bereits bei der Anhörung durch die Sachverständige gaben beide Kinder an, dass sie einen Kontakt mit den Großeltern nur wünschten, wenn der Streit zu Ende sei.
Einen entsprechenden Wunsch äußerten die Kinder auch gegenüber dem Verfahrensbeistand.
Gegenüber dem Verfahrensbeistand und gegenüber dem Gericht lehnten beide Kinder Kontakte mit den Großeltern ab.
Sie verwiesen auf den Streit zwischen den Eltern und den Großeltern. Unabhängig davon, inwieweit dies dem Kindeswillen oder auch antizipierten (gegebenenfalls auch vermeintlichen) Erwartungen der Eltern entspricht, bleibt jedenfalls festzuhalten, dass sich die Kinder gegen einen Umgang mit den Großeltern ausgesprochen haben.
Schließlich widerspricht die Gewährung eines Umgangsrechtes dem Wohl der Kinder, wenn die Großeltern den Erziehungsprimat der Eltern nicht uneingeschränkt anerkennen (OLG Hamm, FamRZ 2010, Seite 909; NJW 2000, Seite 2684). Die Beschwerdeführer haben mehrfach gezeigt, dass sie grundsätzlich nicht bereit sind, die primäre Verantwortung der leiblichen Eltern für das Wohl ihrer Enkelkinder M. und K. zu respektieren.
Hierfür spricht bereits das Schreiben der Großeltern an das Jugendamt vom 03.07.2014, in dem sie zum Ausdruck gebracht haben, dass die familiäre Situation bei den leiblichen Eltern instabil sei und die Kinder dort (so wörtlich) „seelisch misshandelt“ würden.
Aber auch in der Beschwerdebegründung äußern sich die Großeltern in Bezug auf die Situation der Kinder bei ihren leiblichen Eltern kritisch.
In einem persönlichen Schreiben thematisieren sie die Sorge, dass sich die Situation der Kinder, zu denen sie seit Oktober 2014 keinerlei persönlichen Kontakt mehr gehabt hätten, immer weiter verschlimmere.
Das Interesse an dem Umgang begründen sie mit dem Wunsch, sich durch die Umgangskontakte vom Wohlergehen und der Entwicklung ihrer Enkel überzeugen zu können. Immer wieder sprechen sie von einer besorgniserregenden Entwicklung auf Seiten der Kinder.
Wie sie selbst im Schriftsatz vom 13.6.2016 ausführen lassen, habe sich der Therapeut von K. ihnen gegenüber nicht äußern können, da er „nachhaltig durch die Eltern nicht von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit“ entbunden worden sei. Die Antragsteller wollen oder können nicht erkennen, dass sie durch solche Versuche nicht nur die letzten Ansatzpunkte zerstören, die vielleicht vorhanden wären, um eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern 16 uf 134/16 – Seite 7 wieder herzustellen, sondern auch für das Kind die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen die Belastungen und Konflikte der Vergangenheit aufzuarbeiten, vereiteln, indem sie die empfindliche Beziehung zwischen Kind und Therapeut mit den Konflikten zwischen ihnen und den leiblichen Eltern des Kindes belasten.
Aus Sicht der erziehungsberechtigten Eltern können diese Äußerungen und Versuche, über Dritte Informationen über die Enkelkinder zu erlangen, nur als Versuch der Kontrolle in Bezug auf die Ausübung der elterlichen Sorge verstanden werden.
Insbesondere ist die Ergänzung des Sachverständigengutachtens nicht veranlasst.
Das Sachverständigengutachten beruht auf der Annahme, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Großeltern nachhaltig zerrüttet ist. Den im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätzen lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich an diesem Befund etwas zum Positiven gewandelt haben könnte. Die Ergänzung des Gutachtens wurde vor allem im Hinblick auf eine aus Sicht der Antragsteller „besorgniserregende Entwicklung“ der Kinder seit der Exploration durch die Sachverständige M. angeregt. Selbst wenn sich diese Einschätzung der Antragsteller im Rahmen der ergänzenden Begutachtung bestätigen sollte, würde dies allerdings nichts an der bereits vorliegenden Einschätzung der Sachverständigen ändern, dass der Umgang mit den Antragstellern angesichts der Konflikte zwischen diesen und den leiblichen Eltern der Kinder für diese nicht nur nicht kindeswohldienlich wäre, sondern diesen im Gegenteil nicht zugemutet werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 40, 45 FamGKG.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 FamFG.
Die Frage, ob gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG auch gegen den Willen eines Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ist das Einverständnis der Beteiligten (anders als etwa im Fall des § 128 ZPO) nicht erforderlich. Vielmehr kann das Beschwerdegericht nach pflichtgemäßem Ermessen von einer erneuten Anhörung und Erörterung der Sache mit den Beteiligten absehen, wenn diese Verfahrenshandlungen bereits in erster Instanz erfolgt sind und neue Erkenntnisse aus deren Wiederholung in der zweiten Instanz nicht zu erwarten sind. Demgegenüber sieht Art. 6 EMRK grundsätzlich vor, dass jeder Beteiligte ein Recht auf eine Verhandlung hat. Nach Auffassung des Senates ist diesem Anspruch allerdings Genüge getan, wenn die Verhandlung bereits in erster Instanz durchgeführt wurde.
Vorsitzende Richterin Richterin Richter am Oberlandesgericht am Oberlandesgericht am Oberlandesgericht Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 21.06.2016.