Verwaltungsrecht

Senegal als sicheres Herkunftsland

Aktenzeichen  M 4 S 16.31017

Datum:
8.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 33 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein Abschiebungsschutz wegen harter Existenzbedingungen im Senegal kann nicht beansprucht werden, wenn bei der Rückkehr keine extreme Gefahrenlage erkennbar ist, die im Falle der Abschiebung gleichsam „sehenden Auges“ zum sicheren Tod oder schwersten Verletzungen führen würde (ebenso BVerwG BeckRS 2001, 30193074). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der keinerlei Papiere vorlegt, behauptet, unter seinem angegebenen Namen am … 1996 geboren und senegalesischer Staatsangehöriger zu sein. Er beantragte am … 2015 Asyl, nachdem er eigenen Angaben zufolge am … 2015 nach Deutschland eingereist war. In seiner Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am … 2015, dem Tag seiner Asylantragstellung, gab er an, im April 2014 sein Heimatland verlassen zu haben und über Mali, Burkina Faso und Niger, Libyen und Italien nach Deutschland gereist zu sein. Wegen Ablauf der Frist nach Art. 23 Abs. 2 DUBLIN-III-Verordnung wurde das Asylverfahren in nationaler Zuständigkeit weitergeführt.
Einer Ladung für den … 2016 zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG kam der Antragsteller zunächst nach. Er gab jedoch auf Nachfrage an, heute gesundheitlich nicht in der Lage zu sein, die Anhörung durchzustehen. Er fühle sich miserabel. Er habe morgen einen Arzttermin. Seit er hier sei, sei er in Behandlung. Er habe Herzprobleme. Er bekomme Medikamente.
Der Anhörer des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wies den Antragsteller darauf hin, dass er bis zum … 2016 eine ärztliche Bescheinigung über den heutigen Tag vorzulegen habe. Die Anhörung wurde abgebrochen.
Nachdem in der Folge vom Antragsteller keine derartige Bestätigung beim Bundesamt vorgelegt wurde, erließ das Bundesamt am 26. April 2016 einen Bescheid, wonach der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt wird (Ziff. 1) sowie festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff.2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; die Abschiebung in den Senegal oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat wurde angedroht (Ziff.3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). Die Begründung stützt sich auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wonach der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. Diese Voraussetzung liege im Falle des Antragstellers vor, da er die geforderte ärztliche Bescheinigung bis zum heutigen Tage nicht vorgelegt habe und somit ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. Mai 2016 Anfechtungsklage (M 4 K 16.31016) erheben.
Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Gleichzeitig ließ er nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen
die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller eingelegten Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. April 2016 anzuordnen.
Zur Begründung führte der Bevollmächtige aus, beim Antragsteller sei am … 2016 (also am Tag nach der abgebrochen Anhörung vor dem Bundesamt) eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, also eine Speiseröhrenspiegelung, vorgenommen worden. Ein entsprechender Arztbericht wurde vorgelegt. Weiterhin wurde vorgelegt die eidesstattliche Versicherung einer ehrenamtlichen Asylbetreuerin des Antragstellers und ihres Ehemannes. Danach hatte die ehrenamtliche Asylbetreuerin Kenntnis von dem Erfordernis, diese Dokumente fristgerecht beim Bundesamt einzureichen. Sie bestätigt in der eidesstattlichen Versicherung, die Unterlagen mit zu sich nach Hause genommen, in einen frankierten und an das Bundesamt adressierten Umschlag gesteckt und diesen ihrem Ehemann zur Aufgabe bei der Post mitgegeben zu haben. Ihr Ehemann versichert an Eides Statt, diesen Umschlag am 6. oder 7. Februar 2016 in den Briefkasten geworfen zu haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Akte des Bundesamtes sowie die Gerichtsakten verwiesen, insbesondere auf das Arztschreiben der gastroenterologischen Praxis vom … 2016, indem dem Antragsteller ein makroskopisch unauffälliger Befund an Ösophagus, Magen und Duodenum, allenfalls eine nicht erosive Refluxkrankheit sowie eine funktionelle Dyspepsie (Verdauungsstörung im Oberbauch, Reizmagen) attestiert wird.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt erfolglos.
Die Einstellung des Verfahrens aufgrund einer gesetzlichen Vermutung der Zurücknahme des Asylantrags ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten ist nicht erkennbar, so dass eine Aussetzung der Abschiebung im Ergebnis nicht geboten ist.
1. Das Gericht geht gemäß § 122 Abs. 1 i. V. m. § 88 VwGO in sachgerechter Auslegung des Antrags davon aus, dass sich der Eilantrag nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot nach der Abschiebung (Ziffer 7. des Bescheids) richtet. Ein derartiger Antrag wäre mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig (NdsOVG, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; ausführlich ebenso VG München, B.v. 19.1.2016 – M 21 S 16.30019 – S. 8 f. des BA zur Notwendigkeit einer Verpflichtungsklage für die Befristungsentscheidung m. umfangr. Nachw.).
2. Im Übrigen ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Er ist aber nicht begründet.
2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (z. B. BVerwG, B. v. 25.3.1993 – Az. 1 ER 301/92 – juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
2.2 Dabei kann vorliegend dahin stehen, ob der Ehemann der ehrenamtlichen Asylbetreuerin des Antragstellers die ärztliche Bescheinigung in dessen Auftrag fristgemäß an das Bundesamt weiter geleitet hat, wie er dies an Eides Statt versichert hat, und ob die Briefsendung auf dem Postweg möglicherweise verloren gegangen ist. Selbst wenn davon auszugehen sein sollte, dass sich der Sachverhalt wie vom Bevollmächtigten des Klägers in Verbindung mit den beiden eidesstattlichen Versicherungen darstellt (woran zu zweifeln das Gericht keinen Anlass sieht), ist dieses Vorbringen nicht geeignet, ein Betreiben des Verfahrens im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu begründen. Der Antragsteller kann nicht glaubhaft machen, an der Durchführung des für den … 2016 anberaumten Termins zur Anhörung nach § 25 AsylG aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen zu sein.
Dies ergibt sich nach einem Abgleich des vom Antragsteller ins Feld geführten schlechten Gesundheitszustandes am … 2016 mit dem Inhalt des Arztbriefes der gastroenterologischen Praxis vom … 2016. Aus letzterem ergibt sich, dass der Antragsteller seit rund einem Jahr an epigastrischen und im Liegen auch retrosternalen brennenden Schmerzen leidet. Dem Antragsteller wird bei makroskopisch unauffälligen Befund an Ösophagus (Speiseröhre, Magen und Duodenum) allenfalls eine nicht erosive Refluxkrankheit mit Reizmagen attestiert. Der Antragsteller leidet also im Wesentlichen an Sodbrennen, welches bislang keine äußerlich erkennbaren Schäden an der Speiseröhre hervorgerufen hat.
Weshalb der Antragsteller bei dieser Diagnose am Tag vor der Speiseröhrenspiegelung nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Anhörung vor dem Bundesamt wahrzunehmen, erschließt sich in keinster Weise. Dies umso mehr, als der Antragsteller, zur Begründung für den Abbruch der Anhörung angegeben hat, Herzprobleme zu haben und Medikamente zu bekommen. Hierfür legt er keinerlei Nachweise vor. Der Antragsteller hat die Beamten des Bundesamtes durch die Behauptung von Herzproblemen und die Berufung auf einen für den nächsten Tag geplanten Arzttermin sowie Medikamenteneinnahme über den wahren Gesundheitszustand (allenfalls unauffälliges Sodbrennen in Verbindung mit Reizmagen) getäuscht und damit zum Abbruch der Anhörung veranlasst, also manipuliert. Der Asylantrag gilt also auch dann als zurückgenommen, wenn man einen rechtzeitigen Zugang des ärztlichen Attestes beim Bundesamt unterstellt.
2.3 Die Ablehnung mit der Folge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung erfasst auch die Verneinung des Vorliegens von (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Auch zum Vorliegen von Abschiebungsverboten hat der Antragsteller bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nichts vorgetragen, was ein Abweichen von der Bewertung im angegriffenen Bescheid rechtfertigt.
(1) Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar ist nach der Auskunftslage (Bericht des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 21.11.2015 (Stand August 2015), dort zu Ziffer IV.1 – S. 15) davon auszugehen, dass die Versorgungslage im Senegal schlecht ist. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen kann der zurückkehrende Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aber nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei seiner Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, d. h. gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – BVerwGE 115, 1 m. w. N.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – NVwZ 2012, 451 Rn. 20).
(2) Das kann beim Antragsteller nicht angenommen werden.
Dieser ist als junger arbeitsfähiger Mann in der Lage, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, seinen Lebensunterhalt im Senegal durch eigene Tätigkeit sicherzustellen. Eine drohende Lebensgefahr ist bei einer Rückkehr nach der Auskunftslage nicht erkennbar
Damit ist insgesamt die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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