Aktenzeichen Verg 3/16
GWB GWB § 72, § 165, § 171
Leitsatz
1 Die von der Vergabekammer verfügte Einsichtnahme in die Vergabeakte ist durch den betroffenen Bieter selbständig anfechtbar, wenn nach seinem Vortrag die Gewährung der Akteneinsicht zu einer ungerechtfertigten Offenbarung seiner Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse führt, die nicht wiedergutzumachende Nachteile nach sich zieht (ebenso OLG Jena BeckRS 2016, 02749). (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Frage, ob Akteneinsicht gemäß § 111 Abs. 1, 2 GWB aF zu gewähren ist, ist entsprechend den Maßstäben des § 72 Abs. 2 S. 4 GWB eine Abwägung vorzunehmen zwischen den Belangen des Akteneinsicht begehrenden Bieters und des Konkurrenten, der seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt wissen will (OLG Düsseldorf BeckRS 2008, 00742). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Z3-3-3194-1-65-12/15 2016-02-15 Bes VKSUEDBAYERN Vergabekammer München
Tenor
I.
Auf sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 15.2.2016 dahingehend abgeändert, dass in dem Vergabevermerk und in den Gutachten der M.R. GmbH vom 30.11.2015 und der B. C. GmbH weitere Schwärzungen vorzunehmen sind und der Antragstellerin Akteneinsicht in die oben genannten Teile der Vergabeakten zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses zu gewähren ist. Die genannten Teile der Vergabeakte sind in der vom Senat geschwärzten Form als Anlagen Bestandteil des Beschlusses.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zurückgewiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird als unzulässig verworfen.
III.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin ½ und die Beigeladene und die Antragstellerin je ¼.
IV.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf €175.000,00 festgesetzt.
Gründe
Die Antragsgegnerin betreibt die Vergabe der Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf den Strecken der S-Bahn N. mit Leistungsbeginn zum 9.12.2018 und beabsichtigt, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.
Mit Beschluss vom 17.9.2015 (Az. Verg 3/15) untersagte der Senat der Antragsgegnerin, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und verpflichtete die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, die Eignungsprüfung der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu wiederholen.
Die Antragsgegnerin erholte zur Frage, ob die Beigeladene auf Grundlage eines Verkehrsvertrages im Ruhrgebiet (VRR Vertrag) als finanziell leistungsfähig eingestuft werden kann, ein Gutachten der M. R. GmbH vom 30.11.2015 und ein Gutachten der B. C. GmbH vom 9.11.2015 ein.
Nach Auswertung der beiden Gutachten bejahte die Antragsgegnerin die finanzielle Leistungsfähigkeit der Beigeladenen und teilte der Antragstellerin am 15.12.2015 mit, dass (wiederum) beabsichtigt sei, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen.
Nachdem die Antragsgegnerin der Rüge der Antragstellerin vom 16.12.2015 nicht abgeholfen hatte, reichte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.12.2015 einen Nachprüfungsantrag ein und beantragte, ihr Einsicht in die Vergabeakten gemäß § 111 Abs. 1 GWB zu gewähren.
Mit Beschluss vom 7.1.2016 erfolgte die Beiladung.
Die Antragsgegnerin wandte sich mit Schriftsatz vom 18.1.2016 gegen den Nachprüfungsantrag und beantragte, der Antragstellerin die Akteneinsicht in die Vergabeakten zu verweigern, soweit diese über die Kapitel 27 – 33 des Vergabevermerks hinausgehen.
Die Beigeladene beantragte mit Schriftsatz vom 1.2.2016, das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin zurückzuweisen.
Mit E-Mail vom 5.2.2016 teilte die Vergabekammer der Beigeladenen und der Antragsgegnerin unter Übersendung der betreffende Unterlagen mit, in welchem Umfang sie beabsichtigt, der Antragstellerin Akteneinsicht zu gewähren.
Die Beigeladene nahm mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 Stellung und forderte die weitere Schwärzung von mehreren Stellen sowie der gesamten Seiten 17 – 19 im Gutachten der M. R. GmbH und von weiteren Passagen im Gutachten der B. C. GmbH.
Die Antragsgegnerin erhob mit Schriftsatz vom 10.2.2016 keine Bedenken in die Einsicht des Vergabevermerks, und forderte hinsichtlich des Gutachtens der M. R. und des Gutachtens B. GmbH weitere Schwärzungen.
Die Vergabekammer erließ am 15.2.2016 folgenden Beschluss:
1. Der Antragstellerin wird nach Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses gemäß § 111 Abs. 1 GWB aufgrund ihres Antrages vom 22.12.2015 Akteneinsicht in folgende Teile der Vergabeakte der Antragsgegnerin gewährt:
a. den Vergabevermerk, S. 49 – 59, jedoch ohne Anlagen,
b. das zum Teil geschwärzte Gutachten der M. R., GmbH vom 30.11.2015, jedoch ohne Anlagen
c. das zum Teil geschwärzte Gutachten der B. C. GmbH vom 9.11.2015, jedoch ohne Anlagen.
2. Die oben genannten Teile der Vergabeakte in der von der Vergabekammer geschwärzten Form sind als Anlage Bestandteil dieses Beschlusses. Der genaue Umfang der gewährten Akteneinsicht und die vorgenommenen Schwärzungen ergeben sich aus diesen Anlagen.
3. Eine Kostenentscheidung ist dem derzeitigen Verfahrensstadium nicht veranlasst.
Zur Begründung führte die Vergabekammer u. a. aus, dass das gesamte von der Beigeladenen stammende Zahlenwerk bezüglich der Kalkulation des VRR Vertrags und des Angebots zum Vergabeverfahren S – Bahn N. geschwärzt worden sei, wobei nicht verkannt werde, dass die Antragstellerin an diesen Zahlenwerk durchaus ein anerkennenswertes Interesse habe. Da aber in der Auftragsbekanntmachung keine zahlenmäßigen Mindestanforderungen für die finanzielle Eignung vorgegeben worden seien, könne diese auch nicht überprüft werden. Die Prognoseentscheidung der Antragsgegnerin könne insoweit ohnehin nur auf Ermessensfehler untersucht werden. Anders beurteile die Vergabekammer die Rechtslage jedoch in Bezug auf die von den Gutachtern zur Bewertung selbstgeschaffenen Zahlenwerke. Hier überwiege das Interesse der Antragstellerin auf Offenlegung, da sie nur dadurch das methodische Vorgehen der Begutachtung und die Vertretbarkeit von deren wirtschaftlichen Annahmen beurteilen könne. Sofern dadurch ein mittelbarer Rückschluss auf das Kalkulationsverhalten der Beigeladenen möglich sei, sei dies im Interesse des grundrechtlich geschützten, europarechtlich gewährleisteten effektiven Rechtschutzes hinzunehmen. Zu beachten sei auch, dass die Ausführungen der Gutachter keine zwingenden Rückschlüsse auf die Kalkulation des Angebots der Beigeladenen im konkret streitgegenständlichen Vergabeverfahren oder anderen künftigen Vergabeverfahren zuließen.
Die Beigeladene und die Antragsgegnerin legten mit Schriftsatz 7.3.2016 bzw. vom 8.3.2016 gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein.
Die Beigeladene führte zur Begründung aus:
Die Beschwerde sei zulässig, da § 111 Abs. 4 GWB einen Zwischenstreit nur bei Versagung der Akteneinsicht ausschließe. Eine Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer Südbayern wäre nicht geeignet, die durch die Akteneinsicht bewirkte Verletzung der Rechte des Beigeladenen und die damit einhergehende Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen.
Die Abwägung der Vergabekammer zwischen dem Interesse am Geheimnisschutz und dem Interesse an der Gewährung effektiven Rechtschutzes sei fehlerhaft. Die Vergabekammer habe zunächst verkannt, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ins Blaue hinein erfolgt sei. Die Vergabekammer habe unzutreffend angenommen, dass die Antragstellerin aus den nicht geschwärzten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen keine Rückschlüsse auf das Kalkulationsverhalten der Beigeladenen bei künftigen Ausschreibungen ziehen könne. Die Vergabekammer habe weiter die Intensität der Betroffenheit der Beigeladenen in ihrer Wettbewerbsposition im Fall einer Akteneinsicht völlig falsch eingeschätzt und rechtsfehlerhaft gemeint, dass gerade im Fall von unsubstantiierten Anträgen ein besonders hohes Akteneinsichtsinteresse bestehe. Zudem sei die Vergabekammer unzutreffend davon ausgegangen, dass das methodische Vorgehen der Gutachter nicht überprüfbar sei, ohne zugleich Betriebs – und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen in erheblichem Umfang offenzulegen. Außerdem gehe die Vergabekammer fälschlicherweise von der Prämisse aus, dass dem Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht gemäß § 111 Abs. 1 GWB ein prinzipieller Vorrang zukomme.
Die Vergabekammer gehe unzutreffend davon aus, dass die Antragstellerin durch die Einsicht in Geschäftsgeheimnisse, die keine Zahlenangaben enthielten, keine Rückschlüsse auf das generelle Kalkulationsverhalten der Beigeladene in einer Vielzahl von künftigen Vergabeverfahren ziehen könne. Es komme hinzu, dass die Antragstellerin das Angebotsverhalten ihrer Konkurrenz genau beobachte.
Die Vergabekammer habe bei ihrer Abwägung nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis bestehe, wie es intensiver nicht sein könne. Auch habe die Vergabekammer das Akteneinsichtsinteresse der Antragstellerin völlig falsch gewichtet. Auch sei eine Überprüfung des methodischen Vorgehens und der Vertretbarkeit der Wertungen der beiden Gutachter ohne die Offenlegung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen möglich. Das methodische Vorgehen der Gutachter sei ausreichend zusammenfassend im Vergabevermerk beschrieben worden. Die Auffassung der Vergabekammer, dass einem Antragsteller grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren sei und diese nur versagt werden dürfe, wenn die Versagungsgründe des § 111 Abs. 2 GWB vorlägen, treffe in dieser Form nicht zu. Die widerstreitenden Interessen stünden gleichgewichtig nebeneinander.
Selbst, wenn der Akteneinsichtsantrag nichts in Gänze abgelehnt werden könne, müssten hilfsweise durch den Vergabesenat nach Maßgabe der von der Beigeladenen vorgelegten Anlage NX 2 weitere Schwärzungen erfolgen. Sämtliche dort vorgeschlagenen zusätzlichen Schwärzungen seien erforderlich, um die Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Beigeladenen zu wahren. Es sei dabei zu beachten, dass nicht nur aus Zahlenangaben, sondern auch aus verbalen Formulierungen Rückschlüsse auf das Kalkulationsverhalten und damit auf die Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen gezogen werden können.
Die Beigeladene beantragt:
1. Den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 15.2.2016 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 22.12.2015 auf Einsicht in die Vergabeakten abzulehnen.
2. Hilfsweise weitere Schwärzungen vorzunehmen nach Anlage NX 2
Die Antragsgegnerin führte zur Begründung ihrer selbstständigen sofortigen Beschwerde aus:
Die Beschwerde sei zulässig und begründet. Die Entscheidung der Vergabekammer leide unter durchgreifenden Abwägungsmängeln. Die Vergabekammer habe völlig außer Acht gelassen, dass es sich nicht Sinn und Zweck des Akteneinsichtsrechts sei, dass sich ein Antragsteller durch die Akteneinsicht diejenigen Informationen verschaffe, die ihn erst in die Lage versetzten, seinen bis dahin lediglich aus Unterstellungen und Behauptungen bestehenden Vortrag zu substantiieren. Genau dies bezwecke die Antragstellerin mit der von ihr begehrten Akteneinsicht. Die Vergabekammer gehe irrig davon aus, dass dem Interesse auf Akteneinsicht gegenüber dem Interesse auf Geheimnisschutz der Vorrang einzuräumen sei. Weiter sei die Bewertung der Vergabekammer, dass die Akteneinsicht in dem von ihr beabsichtigten Umfang erforderlich sei, um der Antragstellerin den erforderlichen Rechtsschutz zu gewähren, unzutreffend. Vorliegend würde eine Akteneinsicht in einem deutlich geringeren Umfang ausreichen. Schließlich sei die Annahme der Vergabekammer unzutreffend, dass die Ausführungen der Gutachter keine zwingenden Rückschlüsse auf die Kalkulation und das Angebot der Beigeladenen im konkret streitgegenständlichem Vergabeverfahren oder anderen künftigen Vergabeverfahren zulassen würden. Richtigerweise hätte die Vergabekammer daher die begehrte Akteneinsicht versagen müssen, soweit diese über die Einsicht in die Seiten 49 – 59 des Vergabevermerks hinausgehe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer vom 15.2.2016 (Z3-3-3194-1-65-12/15) aufzuheben, und die Vergabekammer zu verpflichten, über den Umfang der Akteneinsicht der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenats erneut zu entscheiden.
Die Antragstellerin beantragt,
Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 15.2.2016 (Z3-3-3194-1-65-12/15) zurückzuweisen.
Zur Begründung führte die Antragstellerin aus:
Die Beschwerden seien zurückzuweisen, da die Vergabekammer der Antragstellerin zu Recht Einsicht in den Vergabevermerk und die beiden Gutachten mit den vorgenommenen Schwärzungen gewähren wolle. Durch die Schwärzungen sei dem Anspruch der Beigeladenen auf Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hinreichend Rechnung getragen worden. Der Einwand der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, dass die Antragstellerin ihre Beanstandungen ins Blaue hinein aufgestellt habe, gehe fehl, vielmehr habe die Antragstellerin in ihrer Rüge und in dem Nachprüfungsantrag nachvollziehbar konkrete Wertungs- und Dokumentationsfehler der Antragsgegnerin dargelegt. Die Antragstellerin habe einen Vergaberechtsverstoß im Zusammenhang mit der Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen hinreichend dargelegt. Weitere Schwärzungen seien nicht erforderlich. Die Antragstellerin benötige die Einsichtnahme in den Vergabevermerk der Antragsgegnerin und in die eingeholten Gutachten im von der Vergabekammer festgestellten Umfang, um überprüfen zu können, ob die Antragsgegnerin das Prüfprogramm des Vergabesenats im Beschluss vom 17.9.2015 korrekt und vollständig umgesetzt habe. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene könnten dieser Überprüfung nicht dadurch entgehen, dass sie diese Informationen als nicht offenlegungsfähig deklarierten.
B. Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen erwies sich teilweise als begründet.
I. Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig.
1. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebietet, dass die von der Vergabekammer verfügte Einsichtnahme in die Vergabeakten selbstständig anfechtbar ist, sofern durch einen Vollzug Rechte des von der Akteneinsicht Betroffenen in einer durch die Hauptsacheentscheidung nicht wieder gut zu machenden Weise beeinträchtigt werden können (OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08 VergabeR 2008, 281; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.12.2014 – 11 Verg 8/14 VergabeR VergabeR 2015, 476; OLG Jena Beschluss v. 8.10.2015 2 Verg 4/15 BeckRS 2016, 02749; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 111 GWB Rn. 13; a:A. OLG Hamburg: Beschluss vom 02.12.2004 – 1 Verg 2/04 ). Dies ist vorliegend der Fall. Dem betroffenen Bieter können unwiederbringliche Nachteile drohen, wenn die von der Vergabekammer bewilligte Akteneinsicht zur ungerechtfertigten Offenbarung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen führt. Hiergegen muss ihm eine Beschwerdemöglichkeit offen stehen. Über die Beschwerde kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (vgl. die zitierte Rechtsprechung, a.a.O).
2. Die Beigeladene hat hinreichend plausibel dargelegt, dass durch die Akteneinsicht Betriebsgeheimnisse bzw. Geschäftsgeheimnisse offenbart werden (OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08, VergabeR 2008, 281).
II. Die Beschwerde erwies sich aber nur insoweit als begründet, als dass weitere Schwärzungen vorzunehmen waren. Mit dem Hauptantrag, eine Akteneinsicht gänzlich zu versagen, konnte die Beigeladene nicht durchdringen.
1. Die Frage, ob Akteneinsicht zu gewähren bzw. zu versagen ist, richtet sich nach § 111 Abs.1, Abs.2 GWB. Nach § 111 Abs. 2 GWB ist die Einsicht in Unterlagen dann zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist.
In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf hält der Senat eine Abwägung zwischen den Belangen des Akteneinsicht begehenden Bieters und des Konkurrenten, der seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt wissen will, für erforderlich. Kriterien für die gebotene Abwägung enthält § 111 GWB indes nicht. Der vom Oberlandesgericht Düsseldorf entwickelte Lösungsweg, bei dem Abwägungsvorgang und den Prüfungsmaßstäben auf die unmittelbar nur für das kartellverwaltungsrechtliche Beschwerdeverfahren anwendbare Regelung des § 72 GWB unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zielrichtungen und Zwecke des Kartell- und des Vergaberechts zurückzugreifen, ist überzeugend. Er ermöglicht eine Strukturierung und Objektivierung des Abwägungsvorgangs und verhindert, dass die Akteneinsicht von der Vergabekammer aufgrund anderer Vorschriften erteilt wird als vom Beschwerdegericht (OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08 VergabeR 2008, 281). Dabei kommt – entgegen der Ansicht der Vergabekammer – bei der Abwägung keiner der widerstreitenden Interessen generell der Vorrang zu, sondern es ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Angesichts der Wertigkeit der widerstreitenden Interessen – einerseits das Recht auf effektiven Rechtsschutz und anderseits das Recht auf Schutz und Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen – kann alleine aus der systematischen Stellung des Versagungsgrundes in § 111 Abs. 2 GWB nicht der Schluss gezogen werden, dass das Recht auf Akteneinsicht in Zweifelsfragen vorrangig ist (OLG Düsseldorf Beschl. v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08 VergabeR 2008, 281; a.A. OLG Jena Beschl. v. 8.10.2015 2 Verg 4/15).
Zusammengefasst bedeutet dies, dass derjenige, der an einen Aktenbestandteil ein Geheimhaltungsinteresse in Anspruch nimmt oder nehmen kann, dies nachvollziehbar zu begründen hat, und dass dann unter Berücksichtigung dieser Begründung die widerstreitenden Belange, unter Berücksichtigung des Zwecks der Akteneinsicht gegeneinander abzuwägen sind, mit der Folge, dass je nach Sachlage ein Fall gegeben sein kann, in denen ein Geheimnisschutz zurückzutreten hat und eine Offenlegung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen anzuordnen ist, weil es darauf für die Entscheidung ankommt und anderen Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 111 GWB Rn. 13).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Untersagung einer vollständigen Akteneinsicht gemäß § 111 Abs. 2 GWB nicht gerechtfertigt.
Eine vollständige Untersagung der Akteneinsicht in den Vergabevermerk und in die beiden Gutachten ist nicht gerechtfertigt, da sowohl dem Vergabevermerk als auch den beiden Gutachten zentrale Bedeutung für die Entscheidung der Vergabestelle, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu bejahen, zukommt. Zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes sind für die Antragstellerin die Kenntnis der tragenden Gründe und der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen der Vergabestelle erforderlich. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Vergabestelle ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen muss. Nur so ist die Entscheidung hinreichend transparent.
Entgegen dem Vorwurf der Beigeladenen und der Antragsgegnerin erfolgt das Akteneinsichtsgesuch auch nicht ins Blaue hinein, um ggf. weitere Rechtsfehler des Vergabeverfahrens feststellen zu können, sondern die Akteneinsicht wird begehrt, um den Vorwurf, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit beurteilungsfehlerhaft festgestellt wurde, zu vertiefen. Die Antragstellerin kann sich die notwendigen Informationen, um ihre Bedenken und Gründe zu vertiefen und zu belegen, nicht anderweitig beschaffen und ist daher grundsätzlich auf die Einsicht in die begehrten Unterlagen angewiesen. Seitens der Beigeladenen und der Antragsgegnerin ist auch nicht dargetan, dass der Vergabevermerk und die beiden Gutachten ausschließlich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten.
3. Es war daher im Einzelnen zu prüfen, ob die von der Beigeladenen beantragten weiteren Schwärzungen vorzunehmen sind.
Der Senat hat bei der Prüfung, ob weitere Schwärzungen vorzunehmen sind, sich von den oben dargestellten Abwägungsgrundsätzen leiten lassen. Es wurde geprüft, ob und wie weitgehend Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse betroffen sind, inwieweit die Offenlegung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist und schließlich wurde abgewogen, welchen Interessen der Vorrang einzuräumen ist. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass zwischen der Beigeladenen und der Antragstellerin ein intensives Wettbewerbsverhältnis besteht und dass kein berechtigtes Interesse an einer Offenbarung etwaiger Vertragspartner der Beigeladenen anzuerkennen ist. Als besonders sensibel erachtet der Senat auch Kalkulationen, Details der finanziellen Ausstattung der Beigeladenen, ihre Kostenstrukturen sowie Informationen über deren marktstrategische Vorgehensweise.
Die Vergabestelle hat diese Gesichtspunkte insoweit beachtet, als dass sie im großen Umfang sämtliche Zahlenangaben der zu erwartenden Umsätzen und einzelner Kalkulationsposten geschwärzt hat. Da aber auch verbale Umschreibungen und Wertungen der Kalkulationsposten durch die beiden Gutachter Dritten bzw. der Antragstellerin bedenkliche Einblicke in die Kalkulationsgrundlagen ermöglichen, waren weitere Schwärzungen vorzunehmen. Umgekehrt war zugunsten der Antragstellerin zu erwägen, inwieweit sie hinreichende Informationen zur Methodik und den wesentlichen Aspekten der Gutachten erlangt, um ihre Rechte im Verfahren gelten machen zu können. Der Senat hat daher nicht sämtliche von der Beigeladenen beantragten Schwärzungen vorgenommen, sondern diejenigen Passagen, die für das Verständnis der Methodik oder Vorgehensweise der beiden Gutachter erforderlich sind und die keine oder nur unerhebliche Hinweise auf das kalkulatorische Vorgehen der Beigeladenen bieten, nicht unkenntlich gemacht.
Dementsprechend war der Vergabevermerk bis auf eine Passage auf Seite 54 vollständig zugänglich zu machen. Bei den beiden Gutachten war den Interessen der Beigeladenen der Vorrang zu gewähren, soweit Schwärzungen bzw. Unkenntlichmachungen erfolgt sind.
C. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin war als unzulässig zu verwerfen.
Die Beschwerde ist unzulässig, da die Antragsgegnerin keine eigene Rechtsverletzung geltend gemacht hat. Voraussetzung ist, das eigene Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Antragsgegnerin durch die Akteneinsicht berührt werden. Die Antragsgegnerin macht geltend, dass durch die Akteneinsicht Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beigeladenen offenbart werden müssten und dadurch das Interesse der Antragstellerin an einem durch Geheimnisschutz gewährleistenden lauteren Wettbewerb in den von ihr künftig durchzuführenden Vergabeverfahren beeinträchtigt wird.
Es ist nicht ersichtlich, dass die begehrte Akteneinsicht Unterlagen, Informationen und Sachdarstellungen betreffen, an denen ein eigenes Geheimhaltungsinteresse der Antragsgegnerin besteht. Es obliegt der Beigeladenen, über ihre Rechte und ggf. über die sie selbst betreffenden Geheimnisse zu disponieren. Der vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedene Fall (Beschluss vom 28.07.2007, VII Verg 40/07) betraf die Akteneinsicht in die Kostenkalkulation des Auftraggebers und somit eigene Geschäftsgeheimnisse des Auftraggebers, so dass die Wertung, dass in diesem Fall die Bekanntgabe dieser Informationen künftige Vergabeverfahren möglicherweise beeinträchtigen kann, gerechtfertigt war. Vorliegend sind jedoch ausschließlich auftragsbezogene Wertungen betroffen, die Einblicke in Betriebsgeheimnisse und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen ermöglichen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit durch die Offenbarung dieser Informationen künftige Vergabeverfahren der Antragsgegnerin als Auftraggeberin beeinträchtigt werden können.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Bei der Kostenquotelung war berücksichtigen, dass die sofortige Beschwerde der Beigeladenen nur teilweise erfolgreich war und dass die Beschwerde der Antragsgegnerin vollumfänglich als unzulässig zu verwerfen war.
E. Der Streitwertfestsetzung nach § 50 Abs. 2 GKG hat der Senat ein 1/20 des am Auftragswert auszurichtenden Gegenstandswert zugrunde gelegt und dabei berücksichtigt, dass der Umfang der Akteneinsicht als solcher nur bedingt über den Erfolg oder Misserfolg des Nachprüfungsantrages entscheidet und deshalb auch nur einen Bruchteil des Gesamtstreitwertes der Hauptsache betragen darf. Hinsichtlich des Streitwertes der Hauptsache ist auf die Streitwertentscheidung des Senats im Vergabeverfahren Verg 3/15 zu verweisen.