Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes und Feststellung nationaler Abschiebungsverbote betreffend Herkunftsregion Mogadischu in Somalia

Aktenzeichen  Au 2 K 16.30021

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 I
AufenthG AufenthG § 60 II, V, VII
VwGO VwGO § 113 I 1 u. V
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die Schutzgewähr nach § 4 I AsylG wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebiets erstreckt. Für die in diesem Fall anzustellende Gefahrenprognose hinsichtlich des Zielorts der Abschiebung kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein objektiver Betrachter entscheiden würde, noch in welche Region der Betroffene strebt, vielmehr ist auf die Herkunftsregion des Betroffenen abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird (wie BVerwG BeckRS 2013, 49252). (red. LS Clemens Kurzidem)
Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von § 4 I 2 Nr. 3 AsylG reicht es nicht aus, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Es bedarf vielmehr einer individuellen Verdichtung, die sich bei einem hohem Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben kann (wie BVerwG BeckRS 2012, 45614). (red. LS Clemens Kurzidem)
Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann ohne das Fehlen gefahrerhöhender Umstände auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Zur Feststellung der Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung bedarf es jedenfalls auch einer näherungsweisen quantitativen Ermittlung der Zivilpersonen wie auch der Anzahl der Akte willkürlicher Gewalt sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer, die Schwere der Schädigungen und die medizinische Versorgungslage (wie BVerwG BeckRS 2012, 45614). (red. LS Clemens Kurzidem)
Es ist fraglich, ob in der Region Mogadischu, Somalia, derzeit noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt. Jedenfalls ist die erforderliche Gefahrendichte für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr bei einer Rückkehr dorthin aktuell nicht gegeben. (red. LS Clemens Kurzidem)
Liegen die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 II 1 AufenthG nicht vor, scheidet aus den gleichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen regelmäßig auch die Annahme eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 V AufenthG iVm Art. 3 EMRK aus. Die gegenwärtige Situation in Mogadischu rechtfertigt darüber hinaus weder die Annahme einer Verletzung von Art. 3 EMRK aus sonstigen humanitären Gründen noch die Feststellung eines Abschiebungsverbots wegen einer Extremgefahr nach § 60 VII AufenthG. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2016 entschieden werden, obwohl kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. In der form- und fristgerecht erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung war darauf hingewiesen worden, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, noch auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes – AsylG -) keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, da die Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen.
Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebietes erstreckt (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U. v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bezüglich der anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ein Abweichen von dieser Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ihm Schutz gewähren soll (BVerwG, U. v. 31.1.2013, a. a. O.; B. v. 14.11.2012 – 10 B 22.12 – juris; zur Frage der „tatsächlichen Zielregion“ OVG NW, B. v. 15.10.2012 – 13 A 2010/12.A – juris; VGH BW, U. v. 6.3.2012 – A 11 S 3177/11 – juris).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.) anzunehmen ist (BVerwG, U. v. 24.6.2008, a. a. O.; U. v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris; U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; B. v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris; U. v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris). Danach genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, U. v. 13.2.2014, a. a. O.). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (BVerwG, U. v. 24.6.2008, a. a. O.). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z. B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (BVerwG, U. v. 17.11.2010, a. a. O., Rn. 18 m. w. N.). Gefahrerhöhende individuelle Umstände dieser Art liegen beim Kläger nicht vor.
Fehlen – wie hier – individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U. v. 17.11.2011, a. a. O.). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, U. v. 17.11.2011, a. a. O.). Für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U. v. 17.11.2011, a. a. O.; U. v. 13.2.2014, a. a. O.; NdsOVG, U. v. 7.9.2015 – 9 LB 98/13 – juris). Allerdings sieht das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125%), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.) nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011, a. a. O.).
Gemessen an diesen Kriterien besteht für den Kläger bezogen auf seine Herkunftsregion in Somalia keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Dabei kann offen bleiben, ob in seiner Herkunftsregion Mogadischu noch ein innerstaatlicher Konflikt vorliegt, denn es fehlt an der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben bei einer Rückkehr in den Raum Mogadischu. Die erforderliche Gefahrendichte ist in Mogadischu derzeit nicht (mehr) gegeben.
Die Al-Shabaab übernahm bis Ende 2010 die Kontrolle in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias. Seither unterstützen Truppen der Afrikanischen Union (African Union Mission in Somalia – AMISOM) aus Uganda und Burundi die somalische Übergangsregierung. Im August 2011 zog sich die Al-Shabaab aus Mogadischu zurück – der letzte von der Al-Shabaab gehaltene Distrikt Daynile wurde im Mai 2012 befreit – und kam auch in anderen Landesteilen unter Druck. Im Zuge der im März 2014 begonnenen „Operation Eagle“ und der nachfolgenden „Operation Indian Ocean“ ab September 2014 ist es der somalischen Armee (Somali National Army – SNA) und Truppen der Afrikanischen Union (African Union Mission in Somalia – AMISOM) bis Oktober 2014 gelungen, weitere Städte zu befreien und 80% des somalischen Staatsgebiets unter Kontrolle zu bringen (VG Aachen, U. v. 13.4.2015 – 7 K 711/14.A – juris; VG Stade, U. v. 5.10.2015 – 3 A 3658/13 – juris Rn. 37). Seit 2012 gibt es eine politische Entwicklung in Somalia, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markieren könnte.
Auf dieser Grundlage ist fraglich, ob für die Region Mogadischu, in der es nicht mehr zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, überhaupt noch das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu bejahen ist. Allerdings wird der erreichte Zustand in nahezu allen Berichten als fragil bezeichnet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu, Stand: 25.10.2013, m. w. N.; EASO, Country of Origin Information report: South and Central Somalia – Country Overview, Stand: August 2014, jeweils abrufbar im Internet) und er kann nur durch den Einsatz ausländischer und internationaler Truppen aufrechterhalten werden. Die Al-Shabaab hat auf die durch das offensive Vorgehen von SNA und AMISOM bewirkten erheblichen Territorialverluste mit einem Wechsel in der Strategie reagiert. Sie präferiert nunmehr eine asymmetrische Kriegführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (sog. IED – Improvised Explosive Device) und überfallartige Angriffe (hit and run) umfasst (VG Aachen, U. v. 13.4.2015, a. a. O.; U. v. 9.11.2015 – 7 K 53/15.A – juris Rn. 68).
Zur allgemeinen Sicherheitslage in Mogadischu und Somalia ist auf die umfassenden Darstellungen in den Urteilen des VG Aachen vom 13. April 2015 (a. a. O., Rn. 34 ff.) und vom 9. November 2015 (a. a. O. Rn. 42 ff.), des VG Stade im Urteil vom 5. Oktober 2015 (3 A 3658/13, a. a. O. Rn. 37 ff.), des VG Regensburg im Urteil vom 8. Januar 2015 (RO 7 K 13.30801 – juris Rn. 18 ff.), des OVG RhPf (U. v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 33 ff.) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U. v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris) zu verweisen. Es ist weder der aktuellen medialen Berichterstattung noch den in das Verfahren eingeführten amtlichen Informationsquellen zu entnehmen, dass seitdem eine wesentliche Änderung der Situation eingetreten wäre. Vielmehr lassen diese auf eine gewisse Stabilisierung schließen (vgl. zuletzt z. B. Frankfurter Rundschau v. 28.10.2015, S. 6 „Ein Hoffnung namens Mogadischu“).
Nach Auswertung der in den vorgenannten Entscheidungen eingeführten Erkenntnismittel ist nicht festzustellen, dass praktisch jede Zivilperson bei Rückkehr allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region Mogadischu einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Der Kläger zählt zu keiner Risikogruppe. In wertender Gesamtbetrachtung aller Gesichtspunkte der dortigen Sicherheitslage kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Konflikt in Mogadischu keine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Über das allgemeine Risiko hinausgehende, persönliche gefahrerhöhende Merkmale des Klägers wurden nicht vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
Ferner liegen die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse).
Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz – und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG – vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG, U. v. 31.1.2013, a. a. O.). Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht nur bei Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, in Betracht, sondern auch extreme Gefahren, die sich z. B. aus einer katastrophalen Versorgungslage ergeben können, können unter § 60 Abs. 5 AufenthG fallen (BVerwG, U. v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris; EGMR, U. v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi – NVwZ 2012, 681 ff.). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn nämlich die gegen die Ausweisung sprechenden humanitären Gründe als zwingend anzusehen sind (EGMR, U. v. 28.06.2011, a. a. O.).
Derartige Verhältnisse liegen im Falle der somalischen Hauptstadt Mogadischu nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht vor. Für den Lebenserhalt im wirtschaftlichen Sinne braucht es in erster Linie die Kernfamilie. Der größere Familienkreis wird den Lebenserhalt nur kurzfristig garantieren. Im Fall des Klägers bietet seine Kernfamilie ein hinreichendes Unterstützungsnetzwerk. Außerdem gibt es lokale NGOs, die den Neuankömmlingen helfen können (EASO, a. a. O., S. 117 ff.). Zudem unterstützt der UNHCR die Pläne der somalischen Regierung, im Jahr 2015 zehntausend somalische Flüchtlinge aus Kenia im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr zurückzuführen und für die Reintegration in neun Distrikten, darunter auch in Mogadischu, zu sorgen (UNHCR Joint Communiqué vom 30.7.2015: Tripartite Commission for the Voluntary Repatriation of Somali Refugees from Kenya, abrufbar im Internet), was ebenfalls für eine hinreichend sichere Rückkehrsituation in Mogadischu spricht.
Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Grundsätzlich sind das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte an diese gesetzgeberische Kompetenzentscheidung gebunden. Sie dürfen Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht besteht, nur dann im Einzelfall ausnahmsweise Schutz vor einer Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zusprechen, wenn eine Abschiebung Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzen würde. Dies ist nach der Rechtsprechung des BVerwG nur dann der Fall, wenn der Ausländer im Zielstaat der Abschiebung einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die landesweit besteht oder der der Ausländer nicht ausweichen kann (grundlegend BVerwG, U. v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; U. v. 12.7.2011 – 1 C 2.01 – juris; OVG NW, B. v. 10.9.2014 – 13 A 984/14.A – juris).
Wann danach allgemeine Gefahren aus verfassungsrechtlichen Gründen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (OVG NW, B. v. 13.2.2013 – 13 A 1524/12.A – juris m. w. N.).
Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sei, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maß auszulegen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (BVerwG, U. v. 31.1.2013, a. a. O.; BayVGH, U. v. 8.11.2012 – 13a B 11.30465 – juris; OVG NW, U. v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – juris). Eine solche Gefahrenlage ist hier nicht ersichtlich (s. hierzu BayVGH, U. v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris Rn. 30; OVG RhPf, U. v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 50 ff.).
Im Übrigen lebt die Familie des Klägers mit Vater, Mutter und Geschwistern nach dessen Angaben nach wie vor größtenteils in …. Insofern ist es ihm auch zuzumuten, den zu seinen Familienangehörigen bestehenden Kontakt weiter zu pflegen. Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass er nicht mit der Unterstützung seiner Familie und seines Clans rechnen könnte.
Rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG) und die ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus 83b AsylG.

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