Aktenzeichen M 24 S 15.4578
Leitsatz
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung eines sich in Haft befindlichen Ausländers ist möglich, wenn nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftstrafe damit gerechnet werden muss, dass er alsbald auf freien Fuß gesetzt wird und von ihm eine Wiederholungsgefahr ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist eine für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und mehrfach vorbestraft. Aus Anlass einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verfügte die Antragsgegnerin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8. September 2015, zugestellt am 14. September 2015, seine Ausweisung, untersagte die Wiedereinreise für acht Jahre, ordnete die Abschiebung in die Türkei aus der Haft heraus an, drohte hilfsweise die Abschiebung in die Türkei an und ordnete die sofortige Vollziehung der Ausweisung und der Abschiebungsandrohung an.
Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2015, bei Gericht eingegangen am 14. Oktober 2015, Klage und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, Ausweisungsgründe lägen nicht vor und seine familiären Beziehungen in Deutschland, seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Er sei mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und habe eine uneheliche deutsche Tochter.
Die Antragsgegnerin beantragte in der mündlichen Verhandlung,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung vertiefte sie im Wesentlichen die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und bekräftigte insbesondere die Wiederholungsgefahr beim Antragsteller im Hinblick auf weitere Straftaten. Die familiären Beziehungen stünden einer Ausweisung nicht entgegen, da die Ehe des Antragstellers wegen der Haft nicht tatsächlich gelebt worden und im Übrigen nunmehr gescheitert sei und der Antragsteller keinen Kontakt zu seiner Tochter und deren Mutter habe.
Wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung machte der Antragsteller zudem geltend, er habe noch einen unehelichen deutschen Sohn, für den er Verantwortung übernehmen wolle.
In der mündlichen Verhandlung änderte die Antragsgegnerin den Bescheid im Hinblick auf die Befristung des Wiedereinreiseverbots von acht auf sechseinhalb Jahre und ergänzte ihre Ermessenserwägungen. Der Antragsgegner passte seinen Klageantrag entsprechend an.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf den Tatbestand des in der Hauptsache (M 24 K 15. 4577) ergangenen Urteils vom 14. April 2016 sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakten von Klage- und Eilverfahren und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist teilweise zulässig.
1.1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides) ist statthaft, da die Antragsgegnerin insoweit die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet hat, die Klage mithin gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfalten kann. Gegen die Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4) ist ebenfalls einstweiliger Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung gemäß Art. 21 a BayVwZVG i. V. m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben.
1.2. Soweit sich die Klage gegen die Befristung der Wiedereinreiseuntersagung (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides) richtet, ist einstweiliger Rechtsschutz nicht im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren, da insoweit in der Hauptsache nicht die Anfechtungsklage, sondern die Verpflichtungsklage auf Reduzierung der Befristung die richtige Klageart wäre. Eine gem. § 88 VwGO mögliche Umdeutung in einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da derzeit im Hinblick auf eine spätere Wiedereinreise derzeit noch keine Dringlichkeit besteht.
2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er unbegründet.
2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung wurde den Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend hinreichend schriftlich begründet. Die vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr rechtfertigt in Anbetracht des hohen Gewichts der bedrohten Schutzgüter und der zu erwartenden Dauer eines möglicherweise längerfristigen Hauptsacheverfahrens die Anordnung des Sofortvollzugs, zumal der Antragsteller bereits am … April 2016 zwei Drittel seiner Haftstrafe verbüßt haben wird und nicht ausgeschlossen werden kann, dass er alsbald auf freien Fuß gesetzt wird.
2.2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG, B. v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Da im vorliegenden Fall die Klage gegen die Ausweisung, die Abschiebungsanordnung und die Abschiebungsandrohung erfolglos bleibt, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Das Gericht nimmt insoweit auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 14. April 2016 in der Hauptsache M 24 K 15. 4577 Bezug und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 1.5, 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.